Digitale-Märkte-GesetzEU-Abgeordnete wollen Interoperabilität erzwingen

Marktdominante soziale Netzwerke und Messenger sollen gezwungen zu werden, den Austausch von Nachrichten und Posts mit anderen Diensten zuzulassen. Mit dieser Forderung geht das EU-Parlament in die Verhandlungen über ein neues Gesetz, das die digitale Welt prägen könnte.

WhatsApp
Können WhatsApp-Nutzer:innen bald Nachrichten mit Telegram austauschen? – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Asterfolio

Die Abgeordneten im Binnenmarktausschuss des EU-Parlaments haben eine Festlegung getroffen, die weitreichende Änderungen für das Netz haben könnte. In Änderungsanträgen für das Digitale-Märkte-Gesetz sprach sich eine Mehrheit dafür aus, dominante Plattformkonzerne zur Öffnung ihrer sozialen Netzwerke und ihrer Messenger-Dienste zu zwingen. Treffen dürfte diese sogenannte Interoperabilitätsverpflichtung vor allem Facebook, sie ist allerdings nicht unumstritten. Gescheitert ist jedoch der Versuch einiger Abgeordneter, ein gänzliches Verbot personalisierter Werbung in dem Gesetz zu verankern.

In dem vom CDU-Abgeordneten Andreas Schwab ausgearbeiteten Gesetzesvorschlag, den der Ausschuss am heutigen Dienstag verabschiedete, finden sich aber auch andere maßgebliche Änderungen. Generell sollen viele der Vorschriften in dem Gesetz nur dominante Plattformen treffen, sogenannte Gatekeeper, und deren Kernplattformdienste. Über die genaue Definition hatten die Fraktionen bis zuletzt gestritten, nun sollen nach Wunsch des Parlaments nur Firmen mit einem Jahresumsatz von acht Milliarden Euro und einem Firmenwert von 80 Milliarden Euro darunterfallen – also deutlich höher als die 65 Milliarden, die die Kommission und der Rat wollen. Damit könnten Schwab und die Mehrheit im Ausschuss eine Reihe großer Firmen von dem Gesetz ausnehmen, darunter europäische Firmen wie Booking.com, Spotify oder Zalando.

Hingegen sollen die Strafen, die das Gesetz vorsieht, deutlich höher ausfallen als ursprünglich vorgeschlagen. Strafen für systematische Verstöße durch dominante Firmen erhöht das Parlament von zehn auf 20 Prozent des Jahresumsatzes, im Fall von Apple könnte das nach Vorjahreszahlen bis zu 73 Milliarden US-Dollar bedeuten. Der Parlamentsentwurf fällt damit deutlich härter aus als jener der EU-Staaten, auf den sich diese erst vor kurzem geeinigt hatten.

Tauschen Telegram und WhatsApp bald Nachrichten?

Den Katalog der Verpflichtungen für Gatekeeper-Plattformen hat das Parlament an einigen Stellen gestärkt und erweitert. Die wohl weitreichendste Änderung ist die Interoperabilitätspflicht, die explizit für soziale Netzwerke und Messenger gilt. Jedem Betreiber eines solchen Dienstes soll „auf ihren Wunsch und kostenlos“ erlaubt werden, ihre Dienste mit jenen einer dominanten Plattform zu verbinden. Nutzer:innen eines Messengers wie Telegram könnten dann etwa Nachrichten mit WhatsApp-Nutzer:innen austauschen. Im ursprünglichen Vorschlag der Kommission hätte diese Verpflichtung nur für Nebendienste gegolten, etwa Bezahlfunktionen innerhalb von App-Stores.

Dies ermögliche die „freie Wahl bei Preis und Leistung, Datenschutz und Sicherheit der Messengerdienste“, sagte die grüne Abgeordnete Alexandra Geese. Weniger positiv äußerte sich FDP-Abgeordnete Svenja Hahn, die sagte, die Vorschläge seien „in der Zielrichtung nicht klar und technisch in dieser Form gar nicht umsetzbar“. Das spiegelt die Debatte unter Expert:innen und Netzaktivist:innen wider, von denen einige vehement auf solche Vorschriften drängen, während einzelne Stimmen Bedenken äußern, dass Interoperabilität Innovation hemmen könnte.

Stärken möchte das Parlament auch die Regeln für digitale Werbung. Auch wenn ein gänzliches Verbot von personalisierter Werbung nicht durchgesetzt werden konnte, sieht der Kompromissvorschlag des Parlaments vor, dass persönliche Daten von Minderjährigen „nicht für kommerzielle Zwecke wie Direktmarketing, Profilbildung und auf Verhalten zugeschnittene Werbung“ verwendet werden dürfen. Ähnliches hatte sich etwa Deutschland gewünscht, konnte sich im Rat damit aber nicht durchsetzen.

Parlament: Einigung „so schnell als möglich“

Zudem sollen Publisher und Werbekunden mehr Einblick in das Werbegeschäft der großen Plattformen erhalten. Geschäftskunden von Google, Facebook oder Amazon sollen die gleichen Tools zur Leistungsmessung verwenden dürfen wie die Konzerne selbst, heißt es im Vorschlag des Parlaments. Das soll sicherstellen, dass Werbekunden nicht für Leistungen zahlen, deren Wirkung sie nicht ganz ermessen können. Vor einigen Jahren war etwa Facebook vorgeworfen worden, durch irreführende Angaben über Videozugriffe Publisher verleitet zu haben, im Übermaß auf Videoinhalte zu setzen.

Abseits der großen Streitpunkte haben die EU-Abgeordneten auch zahlreiche kleinere Änderungen am Kommissionsvorschlag vorgenommen, dem Digitale-Märkte-Gesetz könnten daher langwierige Verhandlungen bevorstehen. In den kommenden Wochen dürften Trilog-Verhandlungen zwischen Rat, Parlament und Kommission über einen endgültigen Text bevorstehen. Der CDU-Abgeordnete Schwab, der die Verhandlungen für das Parlament leitet, hofft auf eine Einigung „so schnell als möglich“, schon 2023 könnte das Gesetz dann in Kraft sein.

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

7 Ergänzungen

  1. …ohne einheitliche Schnittstelle und Gateway ist umfassende Ueberwachung und Abhoeren der Buerger nicht zu implementieren. Und dafuer geht bekanntlich alles.

  2. Dagegen wird sich Whatsapp sicher aufbäumen wie ein Seeungeheuer. Gerade der „Einsaug-Effekt“ solcher Dienste macht sie doch so dominant: Entweder du bist dabei, oder du bist egal.

    „Was? Du bist nicht bei Whatsapp?? Dann kann ich dir das ja gar nicht schicken :-(“

    „Wo warst du denn gestern? Wir haben doch in der Whatsapp-Gruppe geschrieben wann/wo wir uns treffen!“

    „Komm doch auch in unsere Whatsapp-Gruppe, da kannst du auch die Termine sehen“ – „Hab kein Whatsapp.“ – „Warum installierst du es denn nicht einfach? Das ist doch umsonst!“

    etc.

  3. Himmel! Wer Facebook heute noch für „marktdominant“ hält, ist entweder Abgeordneter der Union oder Datenschutz-Aktivist.

    Falls es irgendwann jemand noch nicht mitbekommen hat: Facebook verdient heute vielleicht noch Milliarden, kämpft aber de facto ums Überleben. Hier werden Scheindebatten geführt, die einem einzigen Ziel dienen: die Aufmerksamkeit vom relevanten Thema „Überwachungsstaat“ auf Symboldiskussionen ablenken.

    EU-Abgeordnete befassen sich mit Leistungsmessung im Werbegeschäft … really? Ich kann nicht begreifen, dass sich die Bürgerrechtsszene mit diesem Quatsch abspeisen lässt.

  4. Schlimm wenn WA nun auf XMPP setzen muss.. ach das tut es bereits? Hm, wo geht Interoperabilität nun nicht?
    Eigentlich ist die DSGVO noch krasser, denn laut DSGVO soll man Daten zu einem anderen Dienst mitnehmen können…

  5. Ich bin da eher Laie, aber wenn ich Messenger zu Interoperabilität zwinge, würde /könnte das nicht das Niveau von Datenschutz und Verschlüsselung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner absenken? Wenn ich bei Threema bin, weil ich Facebook nicht vertraue, würde Interoperabilität nicht dazu führen, dass meine Daten doch wieder bei Zuckerberg landen?

  6. Grundsätzlich ja ein hehres Ziel, doch mit welchen Mitteln? Twitter hat mit Bluesky ein Twitter-externes Team geschaffen, das präzise und kompetent an der Deplattformisierung hin zu interoperablen Protokollen arbeitet. Diverse Community-Projekte, mit Mastodon relativ erfolgreich, haben auch ohne dicken Konzern in der Hinterhand etwas hingezaubert (allerdings ohne Standardisierungsanspruch). Wenn nun von den Laien in den EU-Institutionen etwas hingepfuscht wird, drohen die sorgsamen Unternehmungen darnieder gemacht zu werden. Eine zentrale Idee des „Protokoll statt Plattform“-Ansatzes ist zudem die Verfügungsgewalt über die eigenen Daten. Du kannst dir aussuchen, welchen Client du verwendest und es wäre denkbar, dass ein Client nur bestimmte Inhalte vom Netzwerk anzeigt oder mit bestimmten Teilen des Netzwerks nicht kooperiert. Mit der erzwungenen Interoperabilität wird die Selbstbestimmtheit ausgehebelt.

    1. Rahmenbedingungen könnten einige Szenarien abdecken. Anbieter-API, Drittdienste, etc.

      Befürchtungen kann ich mir ad-hoc aus dem Pelz schütteln…
      – Datenfrage nicht regeln.
      – Erzwingen von Klarnamenpflicht.
      – Erzwingen von Registrierung bei einem kommerziellen Broker..
      – Urheberrecht? Schon bei Texten hat die eine Plattform einen Vertrag, die andere nicht.
      – Zentrale EU-Scanschnittstelle?

      Dass nicht alle Features von einem Netzwerk angezeigt werden können, dagegen ist nichts zu machen, schon alleine aus Lizenzgründen nicht. Kommentare und Bewertungen lassen sich eher leicht abhandeln. Das absolut wichtigste ist, Menschen sinnvoll zu verbinden, d.h. Chat (… Details …), eventuell Gruppenbenachtichtigungen (… Details …). Das lässt sich diskutieren, aber auch einigermaßen eingrenzen, wenn ernsthaft gewollt wird. Wird gewollt… DEU ist schonmal so halb dabei (maximal)…

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.