Digitale-Dienste-GesetzPresseverlage wollen Privileg für ihre Inhalte

Dass Facebook und YouTube journalistische Inhalte ohne Begründung löschen, könnte die EU auf Druck der Verlagslobby bald verbieten. Doch Expert:innen warnen, dass ein solches Presseprivileg den Kampf gegen Desinformation erschweren könnte.

New York Times on Facebook
Nachrichtenmedien wie die New York Times müssen sich auf Facebook den Regeln der Plattform unterordnen. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Stephen Phillips

Was Plattformen nach ihren eigenen Regeln löschen und sperren, sorgt immer wieder für Kontroversen. Das gilt etwa für Facebooks Leitlinie, unbedeckte weibliche Brüste aus der Timeline zu verbannen. Dieses „Nippelverbot“ gilt auch für journalistische Inhalte, etwa bei Berichten über Protestaktionen der feministischen Gruppe Femen. Empörte Reaktionen gab es auch, nachdem Facebook das berühmte Bild vom „Napalmmädchen“ aus dem Vietnam-Krieg löschte, das eine norwegische Zeitung veröffentlicht hatte.

Lobbyorganisationen der Presseverlage drängen in Brüssel nun auf eine Sonderregelung für ihre Inhalte in sozialen Netzwerken: Facebook, TikTok und Youtube sollen journalistische Inhalte praktisch nicht mehr löschen oder in ihrer Reichweite reduzieren dürfen. Erlaubt sein soll das nur noch, wenn diese explizit gegen Gesetze verstoßen. Die Forderung stößt auf heftigen Einspruch von Expert:innen, die fürchten, dass damit fragwürdige Medien einen Freifahrtschein bei der Verbreitung von Desinformation erhalten.

Doch EU-Abgeordnete arbeiten daran, eine solche Bestimmung im geplanten Digitale-Dienste-Gesetz zu verankern. Über diese EU-Verordnung wird intensiv im EU-Parlament verhandelt, sie soll unter anderem Regeln für die Moderation von Inhalten schaffen. Wenn Plattformen von illegalen Inhalten wie etwa Hassrede oder urheberrechtlich geschütztem Material erfahren, müssen sie diese umgehend löschen. Es steht ihnen aber nach Vorschlägen der Kommission weiterhin frei, eigene Regeln zu machen und durchzusetzen.

„Wir verlieren Geld, Traffic und Sichtbarkeit“

Es gebe genügend ähnliche Beispiele, wo Inhalte unbegründet von den Plattformen entfernt werden, sagt Aurore Raoux vom Branchenverband News Media Europe zu netzpolitik.org. Sie nennt Beispiele: ein Video des belgischen Senders RTBF über rassistische Polizeigewalt in Antwerpen, das angeblich aus Kinderschutzgründen von Facebook gesperrt wurde. Oder die App der Satirezeitung Titanic in Deutschland, die wegen angeblich pornographischer und blasphemischer Titelblätter für einige Tage aus dem Google Play Store verschwand.

„Wir verlieren Geld, Traffic und Sichtbarkeit“, klagt Raoux. „Manchmal stellen die Plattformen die Inhalte wieder her, aber in der Zwischenzeit sind wir aufgeschmissen.“

Auf Anregung der Presseverlage hin haben mehrere Abgeordnete gesetzliche Schritte vorgeschlagen, die die Moderationspraktiken großer Plattformen wie YouTube und Facebook beschränken. Die Plattformen dürften Inhalte von Pressepublikationen „nicht entfernen, den Zugang blockieren, sperren oder auf andere Weise eingreifen“, heißt es in zwei verschiedenen Ergänzungsvorschlägen zum Digitale-Dienste-Gesetz, die Abgeordnete im Rechtsausschuss des EU-Parlaments vorlegten. Noch ist unklar, ob die Vorschläge breit unterstützt werden. Entscheidend ist der für den Verordnungsentwurf federführende Binnenmarktausschuss. Dort haben sich Abgeordnete bislang nicht festgelegt, ob sie den Vorschlag unterstützen.

Facebook und Twitter kennzeichnen Staatsmedien

Kritische Worte für den Vorstoß gibt es von Vertreter:innen der Zivilgesellschaft. Gegen Medien wie den russischen Staatssender RT gebe es dann kein Gegenmittel, warnt Diana Wallis von EU Disinfo Lab, eine Organisation, die sich mit der gezielten Verbreitung von Falschinformationen in sozialen Netzwerken beschäftigt. Bislang ist es so, dass Facebook und Twitter „staatlich kontrollierte“ Medien wie RT auf freiwilliger Basis kennzeichnen. Bei Facebook unterliegen solche Medien höheren Transparenz-Anforderungen, bei Twitter werden sie nicht algorithmisch empfohlen oder gefördert.

Unbeabsichtigte Konsequenzen müssten mitbedacht werden, wenn neue Regeln für die Inhaltemoderation auf Plattformen wie Facebook geschaffen würden, betont auch Julian Jaursch von der Stiftung Neue Verantwortung gegenüber netzpolitik.org. „Es geht hier also um die Balance zwischen dem völlig berechtigten Hinweis, dass Plattformen nicht alles alleine entscheiden und durchsetzen können sollen, und der Gefahr, dass diese gute Absicht dadurch zunichte gemacht wird, dass am Ende ein Freifahrtschein für jegliche ‚Medien‘ dabei rauskommt.“

Vorbehalte gegen die Bestimmung äußert auch die EU-Kommission. „Sie hätte potenziell negative Folgen für die Arbeit gegen Desinformation […] und könnte als unzulässige Beschränkung der unternehmerischen Freiheit angesehen werden“, sagt auch ein Kommissionssprecher gegenüber dem Medium Politico.eu. Es könne dann sogar verboten sein, fragwürdigen Quellen zu Covid-19 offizielle Informationen zur Seite zu stellen, wie es Facebook macht.

Noch deutlicher wird EU-Kommissionsvizepräsidentin Věra Jourová bei einer von EU Disinfo Lab veranstalteten Konferenz: „Für mich ist das eine Kiste guter Absichten, die direkt in die Hölle führt.“

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10 Ergänzungen

  1. Selbstverständlich wollen elitäre Gruppen wieder mal noch mehr Sonderrechte als sie ohnehin schon haben.
    Diese Doppelstandards gehören abgeschafft. Presserechte sind Bürgerrechte, die allen zustehen, nicht nur ein paar Propagandisten von Staat und Medienmogulen.

    1. Es ist kein Doppelstandard, da die potenziell Beziehenden nicht nur nicht equivalent sind, sondern grundverschieden. Und mit den besonderen Rechten kommen auch besondere Pflichten, welche mindestens in Teilen nicht mit Bürgerrechten kompatibal oder gar grundsätzlich unzumutbar sind, z.B. die Impressumspflicht.
      Wenn die angeblichen „Doppelstandards“ abgeschafft gehörten, müssen auch die besonderen Pflichten abgeschafft werden oder allen auferlegt werden. Also? Was darfs sein? Impressumspflicht für alle oder für niemanden? Journalistische Sorgfaltspflicht für alle oder niemanden?

      1. Na, „Journalistische Sorgfaltspflicht“ muss sich ja nur am Bild-Zeitungs-Niveau messen – und das bekomm ich auch noch hin. Im Zweifel eben eine Rüge vom Presserat – kostet ja nix.

      2. Zum Stichwort „Impressumspflicht“ möchte ich noch anmerken: für Webseiten haben wir in Deutschland praktisch bereits eine allumfassende Impressumspflicht, auch wenn Privatseiten auf dem Papier davon ausgenommen sind. Die Schwelle von rein privater zu gewerbsmäßiger Webseite ist so niedrig und diffus, dass die meisten Anwälte einfach dazu raten _immer_ ein Impressum zu haben, weil sich ja im Zweifel vielleicht doch eine Richterin findet, die meint, dass es nur zu 99% eine Privatseite ist – und dann kann es teuer werden.

  2. Sorry, ich hab da etwas den Überblick verloren:
    Ist das jetzt die gleiche Verlagslobby, die Google und anderen Suchmaschinen wegen des Urheberrechts verbieten will, Snippets aus ihren Artikeln zu zeigen (obwohl sie damit Reichweite verlieren)? Und die wollen jetzt zB Facebook u/o Youtube (=Google) zwingen, Material nicht zu löschen, weil sie damit Reichweite verlieren würden?
    Oder wo lieg ich falsch?

    1. Es sind in mehrfacher Hinsicht zwei verschiedene Sachverhalte. Die Text- bzw. Inhaltsreduzierung in den Snippets schränkt die Reichweite des Produkts „Nachricht“ nicht oder fast gar nicht ein. Und Funktional geht es um den Sprung von der Suchmaschine hin auf das Presseerzeugnis, welcher ohne Inhaltsreduzierung tendenziell seltener stattfindet, was eine signifikante Reduzierung der Reichweite des Presseunternehmens darstellt (unabh. von der Nachricht als solcher). Im aktuellen Fall geht es um die Bühne der in privaten Händen befindlichen Sozialen Medien.
      In beiden Fällen will die Presselobby die eigene Reichweite fördern.

  3. Oder es wird wieder weitsichtiger agiert. Beispiel: Presseaggregation wird gemeinnützig und darf nur non-profit betrieben werden :).

    Ach so, und den ganzen Tracking- und Werbequatsch weg. Schädlich, Böse, Dummheit.

  4. Ein bemerkenswertes Selbstverständnis, das die „vierte Gewalt“ da an den Tag legt, die gerne betont, wie wichtig funktionierende Medien zur Kontrolle der Regierung sind.

    Jetzt haben sie entdeckt, wie gefährlich die an Facebook & Co ausgelagerte Zensur ist.

    Und prangern das nicht etwa an, sondern schicken ihre Lobbyisten, um Ausnahmen für sich selber zu fordern.

    Wenn Medien nicht bereit sind, im Interesse der Demokratie kritisch zu berichten – dann stellt sich die Frage, warum sie überhaupt Privilegien bekommen sollten. Durch das Internet können Privatpersonen genau so gute Inhalte produzieren wie Massenmedien, die offenbar nur noch an Klickzahlen und Profiten interessiert sind und vergessen haben, was die Aufgabe der Medien eigentlich ist.

    1. Am Ende wird es darauf hinauslaufen das nur noch die „Pressekonzerne“ noch Meinungsfreiheit besitzen aber kritische Bürger dann zensiert werden….

      Braucht die Regelung das nichts gelöscht werden darf was nicht klar gegen ein Bundesgesetz verstößt bzw. illegal ist !

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.