Digitale-Dienste-GesetzDeutschland will Verbot personalisierter Werbung bei Minderjährigen

Gegen den Datenhunger der Online-Werbeindustrie helfe Transparenz allein nicht mehr, sagt die Bundesregierung. Hinter verschlossenen Türen schlägt sie in Brüssel vor, den Einsatz von Werbe-Targeting und Empfehlungsalgorithmen zumindest bei Kindern und Jugendlichen zu verbieten.

Kinder und Handys
– Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com McKaela Taylor

Hinter verschlossenen Türen im Rat der EU-Staaten hat sich die deutsche Bundesregierung für ein Verbot von personalisierter Online-Werbung für Minderjährige ausgesprochen. Das geht aus einem Dokument hervor, dass das französische Medium Contexte geleakt bekommen hat und das netzpolitik.org im Volltext veröffentlicht. Bisherige Vorschläge der Kommission für mehr Transparenz bei Online-Werbung im Digitale-Dienste-Gesetz gingen Deutschland demnach nicht weit genug.

Die EU-Kommission hat im Dezember ihren Entwurf für ein großes Plattformgesetz vorgelegt, das die digitale Welt neu ordnen und die Macht von großen Konzernen wie Google, Facebook und Apple einschränken soll. Darin schlägt sie vor, dass Nutzer:innen künftig erfahren müssen, warum ihnen online eine bestimmte Werbung angezeigt wird und wer dahinter steht. Im EU-Parlament wurden inzwischen Stimmen laut, die systematische Datenschutzverletzungen und Diskriminierung durch personalisierte Werbung beklagen und sie gänzlich verbieten wollen.

Diese Argumente scheint die deutsche Bundesregierung aufzugreifen. Aus den Geschäftspraktiken einiger Firmen entstünden „erhebliche Fragen“, etwa was das umfassende Tracking und die Profilbildung von Nutzer:innen betreffe, heißt es in dem geleakten 391-Seiten-Dokument. Statt personalisierter Werbung könnten Plattformen auch mit kontextbasierter Werbung Geld verdienen oder auf neue technologische Lösungen setzen.

„Transparenz reicht bei personalisierter Werbung nicht aus“

Minderjährige wüssten oft noch weniger über die Existenz personalisierter Werbung und die dahinterstehenden Geschäftsmodelle Bescheid als andere Nutzer:innen, schreibt die deutsche Regierung in dem EU-Ratsdokument. Wegen dieser Unsicherheiten soll personalisierte Werbung insbesondere für unter 18-Jährige verboten werden. „Wegen der Unerfahrenheit von Kindern und Jugendlichen in Geschäftsbedingungen reichen Transparenzvorschriften bei personalisierter Werbung nicht aus.“ Dies solle aber nicht zu zusätzlichen Verpflichtungen zur Identifizierung für alle Nutzer:innen führen.

Besonderen Schutz möchte die deutsche Bundesregierung Kindern und Heranwachsenden auch gegenüber Empfehlungsalgorithmen einräumen. Die Empfehlungen vor allem von sehr großen Plattformen wie Youtube hätten das Potential, Gruppen von Nutzer:innen und Märkte „zu steuern und zu manipulieren“. Fehlende Transparenz könne dazu führen, dass Diskriminierung nicht sichtbar sei.

Kritik gab es etwa immer wieder an TikTok. Die bei Jugendlichen beliebte Video-App sorgt mit diskriminierenden Moderationspraktiken und mangelhafter Durchsetzung seiner Alterbeschränkung für Beunruhigung, in mehreren EU-Ländern laufen Untersuchungen zum Datenschutz. Wegen seiner aggressiven Werbetechniken gegenüber Kindern hat die EU-Kommission TikTok zur Prüfung seiner Geschäftspraktiken aufgefordert.

Deutschland schlägt nun vor, dass Plattformen ihre Empfehlungssysteme nicht per Default aktivieren dürfen. Diese dürften nur mit Einwilligung der Nutzer:innen aktiviert werden, nachdem diese ausreichend über deren Funktionsweise informiert wurden. Bei Kindern und Jugendlichen dürften Empfehlungssysteme auf Basis persönlicher Profile gar nicht zum Einsatz kommen, heißt es in dem deutschen Textvorschlag.

Bundesregierung will mehr Auflagen

Das Digitale-Dienste-Gesetz soll neue Regeln bei der Inhalte-Moderation schaffen. Der Kommissionsvorschlag für das Gesetz fordert von Plattformen mehr Transparenz darüber, wie sie Entscheidungen etwa über das Löschen und Sperren von Inhalten und Konten treffen. Welche Regeln für Nutzer:innen gelten, bleibt den Plattformen aber demnach weiterhin weitgehend selbst überlassen.

Laut dem geleakten Dokument schlägt die Bundesregierung jedoch vor, den Spielraum von sehr großen Plattformen bei der Inhalte-Moderation einzuschränken. Diese sollten konkrete Auflagen erhalten, was sie löschen und sperren dürfen. Es müsse damit sichergestellt werden, dass eine Entscheidung über den Inhalt eines Anbieters redaktioneller Inhalte nicht zu einer „ungerechtfertigten Löschung“ führe und damit die Pressefreiheit oder die Meinungsfreiheit verletze.

Langwierige Verhandlungen

Das Gesetzespaket für digitale Dienste und digitale Märkte ist eines der Schlüsselprojekte der EU-Kommission von Ursula von der Leyen. Dem Gesetzespaket, das in viele Aspekte des digitalen Lebens hineinreichen soll, dürften allerdings langwierige Verhandlungen bevorstehen. Bereits in den vergangenen Wochen drangen Anzeichen für intensives Lobbying aus der Verlagsbranche und Digitalwirtschaft nach außen.

Die nun geleakte deutsche Position ist Teil der Verhandlungen der 27 Mitgliedsstaaten im Rat, die bis Ende des Jahres abgeschlossen sein sollen. Gleichzeitig ringt auch das EU-Parlament um eine gemeinsame Position. Dem federführenden Binnenmarktausschuss soll in den kommenden Tagen ein Textentwurf der Berichterstatterin Christel Schaldemose für das Digitale-Dienste-Gesetz vorgelegt werden.

Dem Entwurf dürfte ein wochenlanges Tauziehen um Gesetzeszusätze der verschiedenen Fraktionen folgen. Mit einem Abschluss der Verhandlungen über das Gesetzespaket wird in Brüssel frühestens im Jahr 2022 gerechnet.

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11 Ergänzungen

  1. Da Facebook und Google wohl nie zu 100% ausschließen können das nicht auch mal ein Kind den Computer nutzt käme das dann wohl einem Verbot von personalisierter Werbung gleich. Wünschenswert wäre das auf jeden Fall !

    1. Das läge dann aber eher im Bereich der Erziehungsberechtigten Person.

      Ich denke ein solches Verbot würde auf lange Sicht dafür sorgen, dass Facebook, Google und co. von Benutzern eine Verifizierung ihres Alters/Identität fordern – z.B. über den Personalausweis, Führerschein oder eine Kreditkarte.

      Ich kann mir gut vorstellen dass die Funktionen der Dienste für nicht verifizierte bzw. für Minderjährige drastisch reduziert würden, so sehr dass es typische Nutzerinnen und Nutzer gehörig auf den Zeiger geht und sie sich achselzuckend verifizieren.

      Bei Youtube ist das sogar schon der Fall für einige Videos, aber ich glaube dass man das noch viel weiter treiben kann. Ein Youtube Kids™ bei dem man (alles unter dem Deckmantel „Schutz der Minderjährigen“) 3 Videos schaut und anschließend 30 Minuten warten muss – weil zu viel Internet ist ungesund! Abonnements nur von ausgewählten Kanälen, eigene Videos hochladen nur mit Zustimmung der Eltern (die sich dann verifizieren müssten), keine Livestreams weil äääh kann ja sonst was passieren!!1

      Nichtsdestotrotz ist die Forderung nach dem im Artikel beschriebenen Sachverhalt gut.

      1. „Bei Youtube ist das sogar schon der Fall für einige Videos, aber ich glaube dass man das noch viel weiter treiben kann.“

        Das kann man bisher, wie Werbung auch, per Script blocken.

  2. Spannend, dass die EU scheinbar nur das Werbeschalten problematisch findet, nicht die Datensammelei selber.
    Zweitens ist es nicht nur eine Frage der Mündigkeit, ob man sich dem entziehen kann. Technisch ist der Schritt von „ich möchte keine personalisierte Werbung“ zu „ich kriege keine personalisierte Werbung“ schwierig und undurchsichtig. Mal ganz abgesehen von den sozialen Problemen, die es mit sich bringen kann, wenn man Facebook, Google, Microsoft kategorisch ablehnt.
    Und dann ist mir da noch der Satz aufgefallen „nachdem diese ausreichend über deren Funktionsweise informiert wurden“. Das ist wieder völlig am Leben vorbei, kein Mensch liest so Datenschutzerklärungen. Und selbst wenn man es täte, wäre man vermutlich immernoch schlechter informiert, als wenn man ab und zu mal Netzpolitik liest :)
    Mir scheint, hier ist die Politik mal wieder von Naivität geprägt… Mal gucken, was draus wird.

    1. „Spannend, dass die EU scheinbar nur das Werbeschalten problematisch findet, nicht die Datensammelei selber.“

      Erster Gedanke.

  3. Ich frage mich gerade, welchen Kollateralschaden die Regierung mit diesem Vorstoß erzeugt:

    Wenn die Anbieter jedes Dienstes, der hotjar & Co. einbindet, sicher stellen muss, dass seine Nutzer:innen Ü18 sind, dann kann man 95% der Inhalte im Netz nur noch mit persönlicher Identifikation nutzen. Denn es muss ja zweifelsfrei festgestellt werden können, dass man Ü18 ist. Andernfalls machen sich die Anbieter strafbar ..

    Für mich klingt das wie Vorboten einer Ausweispflicht für das deutsche/europäische Internet. Um das mit dem notwendigen Druck zu erzeugen wird einmal mehr die Moralkeule bemüht: Man wolle ja nur Kinder schützen, ein Unmensch der/die Kinder nicht schützen wolle !1elf

    Wenn ich mich nicht irre, dann tobt hier ein Kampf um die Macht im Netz. Interessanterweise fragt uns Netzbürger:innen keine EU-Kommission, ob wir die Macht derer legitimieren sollten, die uns unsere Freiheiten nehmen und sie Altländern zuschieben – Hallo Herr Voss: #NieWiederCDU!

    1. Damit kriegen die Anbieter noch mehr Daten. Realer Name wäre noch eine Nummer größer.

      Mit einem anonymen Feature eines Ausweises über einen vertrauenswürdigen Altersdienst, der gegenüber Anbietern schützt, bzw. nur eine Alterssignatur auf ausgetauschten Zufallsdaten ausführt, so dass keiner von keinem was weiß, außer dass der Dienstanbieter den öffentlichen Schlüssel des Altersverifikationsanbieters kennt. Das wäre noch entfernt denkbar. Das Kopieren der Daten hin und Signatur zurück wird schon viele überfordern, wobei man da mehrere Schutzstufen umsetzen könnte (1. Vertraue Niemandem. 2. Vertraue Emailanbieter. 3. Vertraue Dienst, der Alter sicherstellen muss.).

      Altersverifikation im Netz ohne Konzept der Technik … Idiotie.

      1. Wäre noch 1b oder 2b: Vertraue höchstvertrauenswürdigem Browserplugin, das irgendwie alles erleichtert, und mehr oder weniger zufällig mit beiden Seiten und auch Emailprovidern funktioniert.

        Ohne Standards wird das mal wieder schön, oder am Besten mit einem besonders Lizenzzahlungsbehafteten…

  4. Viel kritischer finde ich da die Algorithmen basierten Content Vorschläge – gerade bei ganz jungen und älteren Menschen.

  5. @Pessimist und @Peer befürchten eine de facto Ausweispflicht, und ich sehe auch nicht wie das ganze sonst funktionieren sollte, wenn man nicht einen zahnlosen Tiger will.

    Daher am besten doch gleich für alle verbieten. Erwachsene Menschen zu manipulieren, ist genauso gefährlich. Die dürfen nämlich wählen.

    Genauso wie @Anonymous konnte ich auch nicht erkennen, dass die Datensammelei unterbunden wird. Gibt es dazu konkretere Informationen?

  6. Zeigt eure Sparkasse beim Geldabheben jetzt auch Werbung an?
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    Wahnsinn. Dann lieber doch kein Bargeld mehr :) ?

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