BußgeldverfahrenTelegram soll sich an das NetzDG halten

Das Bundesamt für Justiz geht mit den Regeln des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes gegen den Messenger Telegram vor. Der Dienst hat sich bisher gegen staatliche Eingriffe und Löschungen von Inhalten weitgehend gesperrt.

Pavel Durov
Will bisher nichts von staatlichen Eingriffen wissen: Telegram-Gründer Pavel Durov. (Archivbild von 2013) CC-BY 2.0 Techcrunch

Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) will stärker gegen rechtswidrige Äußerungen auf Telegram vorgehen. Das Ministerium hat gegenüber netzpolitik.org bestätigt, dass das Bundesamt für Justiz (BfJ) gerade zwei Bußgeldverfahren gegen Telegram führt. Der Dienst fällt damit offenbar nach Ansicht des Ministeriums und des BfJ unter das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG).

Ein Verfahren bezieht sich auf den fehlenden „leicht erkennbaren und unmittelbaren Meldeweg für strafbare Inhalte“, beim zweiten Verfahren geht es um die „Nichtbenennung eines Zustellungsbevollmächtigten für Ersuchen von deutschen Gerichten“. Beide Vorschriften stammen aus dem NetzDG. 

Bisher war unklar, ob Telegram wie andere soziale Netzwerke, zum Beispiel Facebook oder Twitter, unter das NetzDG fällt. Für Messengerdienste – und zu denen zählte Telegram bisher – gelten die Vorschriften des NetzDG nämlich nicht. Über die neue Gangart der deutschen Behörden hatte zuerst der Spiegel berichtet.

„Funktionen eines sozialen Netzwerks“

Das Bundesjustizministerium, das dem BfJ übergeordnet ist, begründet die Einordnung damit, dass es auf Telegram die Möglichkeit gibt, „Kanäle einzurichten, mit denen beliebige Inhalte mit einer breiten Öffentlichkeit geteilt werden können.“ Das entspreche den Funktionen eines sozialen Netzwerks. „Wenn es darüber hinaus Hinweise für Gewinnerzielungsabsichten des Anbieters gibt und dieser mehr als zwei Millionen registrierte Nutzerinnen und Nutzer in Deutschland hat, kann der Anwendungsbereich des NetzDG eröffnet sein“, heißt es vom BMJV.

Im Dezember 2020 hatte der Telegram-Gründer und Milliardär Pavel Durov angekündigt, dass man 2021 beginnen wolle, Werbung auf den „one-to-many-Kanälen“ zu schalten. In der FAQ von Telegram steht, dass die Monetarisierung von Inhalten dazu dienen soll, die Infrastruktur und Gehälter der Entwickler zu finanzieren. „Das Erzielen von Gewinnen wird jedoch nie das Endziel von Telegram sein.“

Wieviele registrierte Nutzer:innen Telegram in Deutschland hat, lässt sich nur abschätzen. Bei einer Studie des Reuters Institute gaben 12 Prozent der Befragten in Deutschland an, Telegram zu nutzen. Eine Umfrage von Statista aus dem Jahr 2019 rechnete die Anzahl der Nutzer:innen auf 7,8 Millionen hoch. Laut Gründer Durov hat Telegram weltweit im Januar 500 Millionen monatlich aktive Nutzer:innen überschritten.

Telegram toleriert Rechtsextremist:innen

Bisher ist es Behörden kaum gelungen, gegen rechtswidrige Inhalte in den Abo-Kanälen auf Telegram vorzugehen. Eine Ausnahme scheint die Löschung von terroristischen und islamistischen Inhalten zu sein. Hierbei bescheinigt das Bundeskriminalamt (BKA) gegenüber netzpolitik.org, dass Telegram den Löschanforderungen des BKA, welches dieses über Europol stellt, „regelmäßig“ nachkomme und dass der Dienst auch eigeninitiativ agiere „hinsichtlich der Löschung von islamistischen Inhalten“.

In den FAQ von Telegram steht ähnliches: „Während wir terroristische (z.B. ISIS-bezogene) Bots und Kanäle blockieren, werden wir keinesfalls Nutzer daran hindern, auf friedliche Weise alternative Meinungen zum Ausdruck zu bringen.“

Wie friedliche Äußerung von alternativen Meinungen aussieht, interpretieren Telegram und deutsche Behörden offenbar unterschiedlich. Das BMJV beruft sich auf „Ermittlungsverfahren, Studien und Berichte“, die zeigen sollen, dass „die Verbreitung von volksverhetzenden Inhalten, von Bedrohungen, Diffamierungen und anderen Hass-Straftaten“ häufig über Telegram erfolge. Das BKA sagt gegenüber netzpolitik.org, dass Telegram erfahrungsgemäß „Anregungen zur Löschung von rechtsextremistischen Inhalten“ auch weiterhin größtenteils nicht nachkomme.

Die Identitäre Bewegung war eine der ersten rechtsextremen Gruppen, die Telegram für sich entdeckte. Sie wich darauf aus, nachdem ihre Kanäle auf anderen Plattformen gelöscht worden waren. In der Corona-Pandemie in Deutschland nutzten dann viele Menschen aus dem Umfeld der Querdenken-Bewegung den Dienst.

Um das Strafrecht konsequent durchzusetzen, sei das NetzDG „ein wichtiges Instrument“, so das BMJV. Ab Februar 2022 müssen Plattformen nach einer Novelle des NetzDG schwere Fälle wie Morddrohungen an das BKA melden. Das gelte dann auch für Telegram, teilte das Bundesjustizministerium mit.

Ausgang des Verfahrens offen

Wie Telegram jetzt darauf reagieren wird, dass es sich hierzulande an das NetzDG halten soll, ist noch offen. Deutsche Ermittlungsbehörden sagten jüngst dem Spiegel, dass es sich in der Vergangenheit kaum gelohnt habe, Briefe an die Adresse des Unternehmens in Dubai zu schicken.

„Das Unternehmen hat nun Gelegenheit, hierzu Stellung zu nehmen“, so das BMJV gegenüber netzpolitik.org. Die Bußgelder, die in den beiden Verfahren drohen, liegen bei für die Nichtbennennung eines Zustellungsbevollmächtigten bei bis zu 5 Millionen Euro, für den fehlenden Meldeweg sogar bei bis zu 50 Millionen Euro.

Nähere Inhalte der beiden Verfahren wie zum Beispiel den Zeitraum, in dem Telegram reagieren soll, wollte das BMJV nicht mitteilen. Telegram selbst hat auf eine Anfrage von netzpolitik.org zum Thema bislang nicht geantwortet.

Telegram ermöglicht Demokratie-Proteste

In Deutschland wird Telegram oft weitgehend als Kommunikationskanal von Rechtsradikalen, Verschwörungstheoretiker:innen und Drogenkonsument:innen wahrgenommen. Diese Rezeption wird der Situation in Deutschland aber nur teilweise gerecht, weil sich politische Initiativen aller Couleur in Telegram-Gruppen organisieren und die Kanäle des Dienstes zur Verbreitung ihrer Nachrichten und Kommunikation untereinander nutzen.

Telegram erlaubt nicht nur riesige Gruppenchats von bis zu 200.000 Teilnehmer:innen, sondern auch Einbahnstraßen-Kanäle mit unbegrenzter Abonnent:innenzahl. Mit Telegram können niedrigschwellig, schnell und ohne großen Datenverbrauch Nachrichten an eine sehr große Zahl von Menschen verschickt werden. Gleichzeitig können sich lokale Gruppen in Chats organisieren.

Genau das ist es, was Protestbewegungen für ihre Mobilisierung brauchen und was diese kommunikativ beflügelt. Und das könnte auch einer der Gründe sein, warum Telegram nicht nur autoritären Regimes ein Dorn im Auge ist.

Bisher schwer zensierbar

Weltweit gesehen nimmt Telegram aufgrund seiner Kommunikationsarchitektur eine wichtige Rolle für Protestbewegungen ein. So organisierten sich Demokratie-Aktivist:innen in Iran, in Hongkong, Thailand und in Belarus über den Messenger mit der Kanalfunktion. In Belarus entstand mit Nexta sogar ein redaktioneller aktivistischer Nachrichtenkanal, der zwei Millionen Menschen erreicht und eine Gegenöffentlichkeit zu den zensierten und eingeschränkten Medien des Landes darstellt.

Obwohl es immer wieder Probleme mit der Sicherheit von Telegram gab, ist die Attraktivität des Dienstes in autoritären Staaten ungebrochen. Das liegt auch daran, dass sich Telegram bislang als sehr schwer zensierbar erwiesen hat. Telegram selbst arbeitet immer wieder daran, Zensurmaßnahmen gegen den Dienst technisch zu kontern.

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7 Ergänzungen

  1. Es läuft alles auf die EU-Firewall hinaus, die ja 2025 Realität werden soll. Missliebige Dienste kann man dann für unbedarfte Nutzer EU-weit sperren.

    Eine Katastrophe.

      1. Netzpolitik.org. :-) Ihr hattet vor einiger Zeit ein Protokoll veröffentlicht, es kam glaube ich von der Kommission. Ist allerdings schon länger her.

  2. Ich bin mir nicht sicher ob die Behauptung Telegram wäre ein „soziales Netzwerk“ korrekt ist. Das Vorgehen erinnert mich eher an „links.unten“, das als redaktionelle Webseite von der bayerischen Polizei zum Verein umgedeutet wurde, damit man es verbieten konnte.
    Andererseits: vielleicht ist bald jeder Chat-Anbieter in Deutschland ein soziales Netzwerk und kann dann zum ausspionieren der Nutzer und Daten ausleiten gezwungen werden.

      1. War bei Telegram nicht eines der juristischen Probleme, dass Gruppen-Chats auch nur auf Einladung hin möglich sind?
        Und ein öffentlicher Chat macht ja noch kein soziales Netzwerk (außer OP hat mit ihrer/seiner Aussage recht und es wird bald so gehandhabt).

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