BuchauszugWenn die Hoffnung stirbt, geht’s trotzdem weiter

Mit dem Untertitel „Geschichten aus dem subversiven Widerstand“ bietet das neue Buch von Jean Peters jede Menge Einblicke in die Aktionskunst. Es handelt von Aussteigerprogrammen für Geheimdienstler, zurückgerufenen Waffen und der Notwendigkeit, trotz und wegen allem weiterzumachen. Ein Auszug.

Personen befestigen das Grundgesetz an dem Eingangsschild des Verfassungsschutzes
Aktivisten vom Peng-Kollektiv kleben das Grundgesetz an die Einfahrt des Bundesverfassungsschutzes. CC-BY 2.0 Peng! Kollektiv

Dieser Auszug stammt aus dem Buch „Wenn die Hoffnung stirbt, geht’s trotzdem weiter. Geschichten aus dem subversiven Widerstand“ von Jean Peters, das am 10. März beim S. Fischer Verlag Frankfurt am Main erscheint. Peters ist Journalist, Autor und Aktionskünstler und Gründungsmitglied des Peng! Kollektiv. Alle Rechte vorbehalten. Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.

Anfang 2015 saß mir in einem Berliner Café der ehemals hochrangige NSA-Offizier an einem dieser billigen Aluminiumtische gegenüber. Ich war im Durchhaltemodus, hatte in der Nacht zuvor kaum geschlafen. Der alte Mann ruhte in sich selbst, doch obwohl sein Körper vom Alter gezeichnet war, strahlte er eine enorme geistige Klarheit aus.

Er blickte mir warm und herzlich in die Augen, holte einen Zettel hervor und schrieb mit seinem roten Kuli eine Nummer darauf. Ans Ende der aus acht Ziffern bestehenden Reihe machte er vier Kreuze: xxxx.

Cover des Buchs "Wenn die Hoffnung stirbt, geht's trotzdem weiter"
Geschichten aus dem subversiven Widerstand - Alle Rechte vorbehalten S. Fischer Verlag

Mit seiner faltig-papierhäutigen und mit Altersflecken gesprenkelten Hand schob er mir den Zettel rüber: „Hier hast du die Nummern der NSA-Black-Phones.“ Was Black Phones eigentlich sind, weiß ich bis heute nicht. Egal. Ich hielt die Durchwahlen zur CIA und zu Tausenden von NSA -Mitarbeiter_innen in der Hand! Nicht zum ersten Mal fühlte ich mich wie ein Trottel in einem Spionagethriller.

Ein Stift, ein Zettel und eine Nummer darauf: Ich hätte nicht gedacht, dass es so einfach sein wird, der NSA auf die Pelle zu rücken. So ging es mir bei den meisten Aktionen, die ich zusammen mit meinen Freund_innen vom Peng Kollektiv, aus dem Theater oder mit Kolleg_innen aus dem investigativen Journalismus gemacht habe: Menschen die Flucht nach Europa ermöglichen. In Robin-Hood-Manier zum Diebstahl in ausbeuterischen Supermärkten aufrufen. Den gewieftesten aller Kohlelobbyisten in eine Falle locken. Das alles geht, wenn wir es wollen.

Und mit diesem Buch möchte ich Sie dazu einladen, es zu wollen. Denn wenn die Polkappen abgeschmolzen sind, wenn faschistische Milizen weltweit wie Pilze aus dem Boden sprießen, wenn die globale Totalüberwachung sich in jedem Wohnzimmer etabliert hat – was machen wir dann? Es wird immer Gründe für sozialökologische Kämpfe geben, egal wie verzweifelt die Lage erscheinen mag. Aber es ist doch naheliegend, sie dort zu führen, wo wir den Raum dazu noch haben.

[…]

Mit dem Peng Kollektiv, das wir 2013 gegründet haben, erhoben wir die Suche nach den richtigen Taktiken und Strategien im jeweiligen historischen Kontext zu einer regelrechten Forschungsaufgabe. Wir schworen uns, nie offenzulegen, wie viele wir sind, wie wir heißen und was als Nächstes kommen mag, daher vermeide ich hier Details. Aber inspiriert von interventionistischer Performancekunst, investigativem Journalismus und Aktionen zivilen Ungehorsams sprangen wir immer wieder auf die großen gesellschaftlichen Themen, probierten uns mit Alliierten aus der Kunst- und Kulturproduktion auf der Medienbühne aus und gaben unzählige Workshops für politische Gruppen und an Universitäten.

Die Erzählungen in diesem Buch handeln vom „subversiven Widerstand“. In den Geschichten geht es darum, Machtdiskurse zu unterwandern und Widerstand gegen diesen Schlachthof zu leisten, den wir als kapitalistische Sachherrschaft über Mensch und Natur kennen. Subversion und Widerstand als gezielte mediale Interventionen, die sich mit den aktuellen Verhältnissen nicht einverstanden geben wollen, sondern unser im Jetzt verfangenes Denken freisprengen, konkrete Utopien greifbarer und begehrbarer machen sollen.

Machtdiskurse verstehe ich dabei nicht als verschwörerische Hinterzimmertreffen von Leuten, die sich die Hände reiben und uns alle ausbeuten möchten, um reich zu werden. Nein, es sind die Strukturen, die Gesetze, das politische System, die es ermöglichen, so reich zu werden wie Jeff Bezos, so viele Waffen ins Ausland zu exportieren wie Rheinmetall oder so sehr die Klimakrise anzuheizen wie RWE, Volkswagen und die Bayer AG.

Sie sind aus meiner Perspektive erzählt und sind doch Geschichten von vielen. Nichts von dem, was ich erlebt habe, hätte ich alleine machen können. Es stehen unzählige Menschen hinter der Arbeit, Alliierte, Freund_innen, Kolleg_innen, insbesondere von Peng, die mit mir Nächte durchgearbeitet haben. Dass wir das gemeinsam erleben durften, dafür bin ich ihnen unendlich dankbar.

Alles, was ich erlebt habe, könnte auch anders erzählt werden. Dabei beziehe ich Position als jemand, der in einer gemütlichen Doppelhaushälfte mit Hibiskus im Vorgarten in einem westdeutschen Vorort aufwachsen durfte, während einige meiner Freund_innen im Sozialbau groß wurden. Ich spreche aus der Position eines Menschen, der sehr viel Glück hatte, mit einem deutschen Pass und weißer Haut geboren worden zu sein und – gepriesen sei die Statistik – vermutlich nie am Arbeitsplatz sexuell belästigt wird.

Als Schüler freute ich mich auf den Sommerurlaub auf Korsika und musste gleichzeitig miterleben, wie die Eltern meiner Jugendfreund_innen von der Ausländerbehörde getriezt wurden. Das waren auch die Freund_innen, die meiner Mutter Sorgen bereiteten, weil sie angeblich ein schlechter Einfluss für mich waren. Es waren die Freund_innen, die mir zeigten, dass wir nicht alle Gerechtigkeit erfahren. Die alle stumm wurden, als eine von uns etwas zu spät zu unserem Treffen kam, weil ihr Vater mit ihrem Kopf das Küchenfenster zerschlagen hatte. Die ich dazu verleitete, auf Autodächern rumzuspringen, als schnellen Ausweg aus diesem Schmerz. Die mir spiegelten, wer ich bin, und die mich von radikaler Demokratie träumen ließen.

Es ist bis heute für mich kaum zu ertragen, dass ich Glück habe und andere nicht.

Mit meiner Arbeit versuche ich, diese Verzweiflung, so gut es geht, zu verarbeiten und an den Umständen etwas zu ändern. Mit Recherchen, mit In­ter­ven­tio­nen, mit Ausstellungen und Workshops. Natürlich haben viele Aktionen nicht den Weg in dieses Buch geschafft: wie meine Mitschüler_innen und ich uns am letzten Schultag als Security mit Knopf im Ohr verkleideten, wie wir Porträts des Schuldirektors in Diktatorenmanier im Gebäude aufhängten und alle Anwesenden in die Klassen jagten, weil er uns nicht wie üblich freigeben wollte.

[…]

Die Wahrscheinlichkeit, dass Krisen sich in Zukunft verdichten werden, ist hoch. Und während die einen sich in Krisen miteinander solidarisieren, nutzen andere die Krise, um ihre persönlichen Ziele durchzusetzen. Staatliche Datenschutzbehörden drücken ein Auge zu, wenn massenhaft Handydaten von Regierungen abgefangen werden. Menschen ohne europäische Aufenthaltserlaubnis werden in den Metropolen aufgegriffen und eingebuchtet. Private-Equity-Unternehmen kaufen die Häuser von Familien auf, die ihren Kredit nicht mehr bezahlen können, um sie ihnen teuer zu vermieten.

Zugleich existieren regressive und progressive Bewegungen immer parallel zueinander. Es besteht momentan eine nie dagewesene Chance, den klimaschädlichen Autosektor durch neue Mobilitätskonzepte zu ersetzen. Technologisch ist es längst möglich, in globalen Lieferketten sorgfältig mit Menschen- und Umweltrechten umzugehen. Die weltweit zunehmenden Dürren lassen langsam die Politik aufhorchen, wenn es um ökologische Kleinbäuer_innenmodelle geht, und fast jedes große Medienhaus hat mittlerweile dezidierte Klimajournalist_innen.

Auch die globale Cypherpunk-Szene ist nicht schwächer geworden, und es werden immer mehr Alternativen zu überwachungsanfälligen Handys entwickelt. Große historische Brüche sind meistens nur retrospektiv zu erklären, sei es die Französische Revolution, der Fall der Mauer oder der Arabische Frühling. Ich vermute, dass wir einen erneuten historischen Bruch ansteuern, nur ist offen, ob er zu mehr sozialökologischer Gerechtigkeit oder zu einer Faschisierung des Kapitalismus tendieren wird.

Das Wissen, das es braucht, um eine gerechtere Welt anzustreben, ist in verschiedensten Lesarten weitgehend da. Was häufig fehlt, sind Strategien und Taktiken, um die kommenden Grabenkämpfe konkurrierender Ideologien auszufechten. Zur Entwicklung dieser Taktiken und Strategien möchte ich Sie einladen. Und während mein pessimistisches Ich uns freundlich daran erinnert, dass Hoffnung der erste Schritt auf der Straße der Enttäuschung ist, sucht mein optimistisches Ich nach neuen Trampelpfaden. Denn wenn die Hoffnung stirbt, geht es trotzdem weiter.

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Eine Ergänzung

  1. „The optimist proclaims that we live in the best of all possible worlds and the pessimist fears this is true.“

    Danke und alles Gute auf allen Pfaden!

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.