BKA-Herbsttagung 2021Unter Sicherheitsleuten

Nachdem wir für den europäischen Polizeikongress keine Akkreditierung bekommen haben, schickt netzpolitik.org seine unverdächtigste Mitarbeiterin zur BKA-Herbsttagung. Ein Erfahrungsbericht.

BKA-Präsident Holger Münch und Innenminister Horst Seehofer bei der Bundespressekonferenz. Münch spricht und gestikuliert.
Auf Horst Seehofer konnte BKA-Präsident Holger Münch sich bei der Ausweitung der Polizeibefugnisse immer verlassen. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Political-Moments

Es sollte mein erster (!) Außeneinsatz für netzpolitik.org werden. Nachdem ich im Sommer 2020 nach Beginn der Pandemie als Praktikantin an Bord gekommen war, habe ich viele Artikel geschrieben, viele Telefonate und Videokonferenzen geführt, Themen recherchiert und Presseanfragen verfasst. Doch noch nie habe ich dabei meinen Schreibtisch verlassen. Als inoffizielle Rhein-Main-Korrespondentin war die Aufregung groß, als es für mich zur BKA-Herbsttagung nach Wiesbaden gehen sollte. Warum auch nicht, ich war schon immer an fremden Kulturen interessiert.

Doch nachdem ich mit meiner blütenweißen Weste den obligatorischen Sicherheitscheck des Bundeskriminalamtes bestanden hatte, folgte schnell die Enttäuschung. Angesichts rasant steigender Infektionszahlen wurde die Veranstaltung doch noch ins Internet verlegt. Also doch wieder Schreibtisch. Dafür konnte ich dem, was bei der Herbsttagung vor sich ging, aus Jogginghose und Hausschuhen heraus folgen, dabei kalte Pizza von gestern essen, und musste meine Gesichtsausdrücke nicht unter Kontrolle halten.

Es war besser so.

Hysterische Verfassungsfreund:innen

„Stabilität statt Spaltung: Was trägt und erträgt die innere Sicherheit?“ Unter diesem Motto kamen Menschen aus Polizei, Medien, Wissenschaft und Politik für zwei Tage in einem eigens dafür gestalteten BKA-Metaverse zusammen, um über die Spaltung der Gesellschaft zu diskutieren. Los ging es mit einer über einstündigen Rede des scheidenden Innenministers Horst Seehofer.

Nachdem einem freundlichen Glückwunsch ans BKA, das in diesem Jahr seinen siebzigsten Geburtstag feiert, irrlichterte Seehofer sich durch alle Felder der Innenpolitik, sodass der weniger geneigten Beobachterin die Kinnlade auf die Tastatur rauschte.

Seehofer beklagt den großen Gegenwind, den er für ausgeweitete Befugnisse der Sicherheitskräfte, vor allem im Internet, immer zu spüren bekam. Gegner:innen würden „Verschwörungserzählungen vom perfekten Überwachungsstaat“ verbreiten; das Wort Vorratsdatenspeicherung würde „hysterische Abwehrreaktionen“ hervorrufen. Unklar ist, ob er in diesem Fall den Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs (brandneu!), Journalist:innen von netzpolitik.org, die EDRi, das belgische Verfassungsgericht, die wissenschaftlichen Dienste des Bundestags, den Europäischen Gerichtshof, den NSA-Sonderermittler oder mindestens zwei der drei Ampel-Koalitionäre der Hysterie beschuldigt.

Was im Cyberspace passiert, bleibt im Cyberspace

Deutschlands Sicherheit vermutet Seehofer auf jeden Fall im Cyberspace. Man könne nicht über Sicherheit reden, ohne Cybergefahren anzusprechen. Man müsse davon ausgehen, dass Cybergefahren noch größer werden. Eine Elektromarktkette sei kürzlich von einem Cyberangriff betroffen gewesen. Cyberkriminelle machen sich technischen Fortschritt zunutze.

Umso wichtiger sei es, dem Verfassungsschutz endlich zu ermöglichen, bei der Überwachung der Täterkommunikation auch Messengerdienste in den Blick zu nehmen. Überhaupt, der Verfassungsschutz. Auf den ist Seehofer ganz besonders stolz. Für ihn steht das Bundesamt „außerhalb jeder öffentlichen Kontroverse“, genau wie alle anderen Sicherheitsbehörden unter seiner Aufsicht. Womit zumindest die Existenz von Paralleluniversen bewiesen wäre.

Nach den obligatorischen Selbstversicherungen, auch der Linksextremismus sei ein großes Problem, ist Seehofers Redezeit auch schon vorbei. Zum Abschied schenkt der BKA-Präsident dem Innenminister eine Drohne, damit er seine Modelleisenbahn überblicken kann. Keine Informationen gibt es zur  Bewaffnung des Geschenks, das sich ohnehin als überflüssig herausstellte, da Seehofer bereits eine Drohne besitzt.

Kochen, Kooperation, Kontrolle

Auf den Minister folgt der Bundespräsident, der gewohnt unspektakulär seine präsidialen Grußworte über der Veranstaltung ausgießt. Was die Besucher:innen noch nicht wissen: Sie werden diese rhetorische Pause brauchen, um sich auf den folgenden Vortrag vorzubereiten, immerhin die Keynote der ganzen Tagung.

Unsere Leser:innen müssen mir verzeihen, dass ich keine inhaltlich substanzielle Zusammenfassung des Vortrags bereitstellen kann. Zu sehr ließen mich gewisse Stilblüten ratlos zurück. Hier eine Auswahl:

Die größte Bedrohung ist der Immerschlimmerismus.

Was haben der schwarze Block, demonstrierende Frauen in Saudi-Arabien, Magermodels, Internettrolle, PEGIDA, Querdenken und die Taliban gemeinsam? Einen Mangel an Selbstwirksamkeit und Vertrauen.

Wir brauchen mehr KO-Kultur: Kochen, Kooperation, Kontrolle.

An dieser Stelle war der Vortrag für mich nicht mehr aktiv verfolgbar, da mir die Phrasen vom gespaltenen Deutschland zwischen Ich und Wir leider automatisch wieder aus den Ohren rauspurzelten. Aber auf jeden Fall ist die Zukunft dreidimensional!

Der Vorhang zu und alle Fragen offen

Nachdem wir vom Präsidenten erfahren haben, dass das BKA „Solution Provider“ werden möchte, dürfen alle Teilnehmer:innen in die Hofpause, nur die Journalist:innen müssen leider nachsitzen: Pressekonferenz.

Wir hatten so viele Fragen. Wie steht das BKA dazu, dass der Hersteller des von ihm eingesetzten Staatstrojaners wegen Menschenrechtsverletzungen auf einer Sanktionsliste des US-Handelsministeriums steht? Wie sieht das Amt allgemein die Verhältnismäßigkeit, IT-Sicherheitslücken für Staatstrojaner offen zu lassen, wo sie doch den ganzen Tag von Cybersicherheit schwadronieren? Wie steht das BKA zu den EU-Plänen bei der Chatkontrolle, wo Nachrichteninhalte vor der Verschlüsselung auf Darstellungen von Kindesmissbrauch gescannt werden sollen?

Leider passten unsere Fragen nicht so richtig in die Wohlfühlatmosphäre im BKA-Metaverse. Zwei von dreien wurden ignoriert, die mittlere verändert vorgetragen, sodass sie ins sprachliche Framing passte. Plötzlich war nicht mehr von Staatstrojanern die Rede, sondern von Quellen-TKÜ. Aber BKA-Präsident Münch wusste Beruhigendes zu berichten. Für die Quellen-TKÜ sei es gar nicht unbedingt nötig, eine Schwachstelle auszunutzen. Die Strafverfolger:innen könnten auch das Gerät eines Verdächtigen selbst in die Hand bekommen. Damit könne „der Fragensteller“ ja kein Problem haben (Doch!). Das Thema „Schwachstellenmanagement“ werde in der nächsten Legislatur aber ganz sicher bearbeitet werden.

Erholsame Vernunft

Die Ratlosigkeit über vieles drohte, das wenige wirklich Aufschlussreiche in den Hintergrund zu drängen. Eine Professorin der Goethe-Universität Frankfurt, Nicole Deitelhoff, berichtete aus der Protest-Forschung. Abgesehen von der irritierenden Überschrift des Vortrags, „Der Protest: Gestaltungskraft oder Bedrohungspotenzial?“, lieferte sie interessante Berichte dazu, wie Protest sich über die Jahrzehnte verändert hat, welche Themen ihn in unterschiedlichen Regionen bestimmen und in welcher Form die daraus resultierende Polarisierung der Demokratie zuträglich ist, nämlich solange sich die Lager über Themen streiten und sich nicht nur mit Wir-gegen-Die beschäftigen.

Auch die kritischen Bemerkungen von Anetta Kahane, der Vorsitzenden der Amadeu-Antoino-Stiftung, zu rechten Tendenzen in der Polizei wären fast zwischen der Selbstvergewisserung des Pressesprechers der Berliner Polizei und den irritierenden Fragen der Moderatorin („Woher kommt das, dass Polizisten sich auf einmal rechtsextrem verhalten?“) untergegangen.

Julia Ebner, Autorin des Buches Radikalisierungsmaschinen, berichtete eindrücklich, wie sie sich in die verschiedensten extremistischen Online-Gruppen einschleuste und was sie dort erlebte, von IS-Hackern über Nipster bis hin zu DIY-Terroristen. Eine erholsam vernünftige halbe Stunde zum Start in den zweiten Veranstaltungstag.

Das Märchen der Clankriminalität

Dann folgte eine Debatte über „Clankriminalität“. Der latente Rassismus, der über der Diskussion schwebte, war schwer zu ertragen. Was hängen blieb: „Clankriminalität“ gibt es nur, weil ihr da oben in Berlin zu viel über Anti-Rassismus redet und sich deshalb keiner traut, das Problem in die Hand zu nehmen. Die Anti-Rassismusdebatte in Deutschland ist problematisch, weil sie oft wiederum in Rassismus umschlägt, zum Beispiel gegenüber der Polizei, die als ganze Gruppe insgesamt rassistisch dargestellt werde (Hä?).

Das Problem des Rassismus wird zwar auch in der Debatte problematisiert. Die Referenten erklären allerdings nicht, warum drogenverkaufende, arabische oder kurdische Großfamilien „Clan“ heißen sollen und reiche, deutsche Wirtschaftskriminelle nicht.

Um Wirtschaftskriminalität sollte es im Anschluss gehen, beim Vortrag der europäischen Generalstaatsanwältin Laura Codruţa Kövesi. Gemerkt habe ich mir, dass sie mal Mannschaftssport gemacht hat und Polizeiarbeit damit und mit dem Kampf gegen das Böse, gegen Feinde, vergleicht. Ihr liebster Teil war nie das Gewinnen, sondern der Moment, in dem die Arroganz des Gegners bröckelt. Hübscher Vergleich in Zeiten, in denen Polizist:innen auf Hälsen von Schwarzen Menschen knien, bis die um ihr Leben betteln.

netzpolitik.org is watching you!

Im Anschluss ging es noch um digitale Hasskriminalität, warum ein sächsischer Bürgermeister der Meinung ist, wir müssten Nazis mehr Gesprächsangebote machen und um Demokratieschulung von Polizist:innen. Irgendwie hinterlassen mich die vergangen zwei Tage mit dem Gefühl, dass das bei manchen auch dringend nötig ist.

Was bleibt noch von der BKA-Herbsttagung? Die Spaltung der Gesellschaft hat sie sicher nicht überwunden, schon gar nicht die gedankliche Spaltung zwischen mir und dem Sicherheitsapparat mit seinen Überwachungsphantasien und seinem mal mehr, mal weniger gut versteckten Rassismus. Vieles, was zur Digitalisierung gesagt wurde, geht nicht über ein abstraktes „Cyber, Cyber“ hinaus.

Und so bleibe ich ratlos an meinem Schreibtisch zurück. Die Herbsttagung 2021 war mehr Rückblick als Ausblick auf die Polizeipolitik der künftigen Bundesregierung. Niemand weiß so recht, was da kommen mag. Ob die neue Regierung wie die alte zu den immer gleichen invasiven, grundgesetzwidrigen Überwachungsmaßnahmen greifen wird, um die Probleme der heutigen Zeit in den Griff zu bekommen. Welcher Wind in Zukunft im Innenministerium wehen wird. Nur eins ist sicher: Die Redaktion von netzpolitik.org schaut euch dabei vom Schreibtisch und im echten Leben auf die Finger.

18 Ergänzungen

  1. Veranstaltungen dieser Art dienen primär dem Zweck der Selbst-Beweihräucherung. Wir sind die nicht nur die Guten sondern die Besten, wir machen alles richtig, und wer kritisiert, der hat keine Ahnung.

    Journalisten stören bei solchen Jubel-Veranstaltungen und werden lediglich dafür gebraucht, den Duft des Weihrauchs zu verbreiten.

    Phoenix hat den Seehofer-Teil live übertragen und ich konnte nicht fassen, was er da von sich gab. Er hält sich immer noch für den Allerklügsten, aber eines ist gewiss: Das war sein Abschied, und das war es auch dann.

    Man darf ihm ausgedehnte Spieltage mit seiner Modellbau-Eisenbahn wünschen. Beim Spielen wird er keinen Schaden mehr anrichten.

    1. Die Modelleisenbahn scheint das Lieblingsspielzeug der Sicherheitspolitiker zu sein: alles liegt offen vor einem, man hat den Überblock, alles läuft nach Plan, für alles gibt es einen Knopf, Dreher oder Schalter. Man hat eben einfach unter vollkommener unter Kontrolle. Eine schöne, kleine Welt!

  2. Habt ihr eine Aufzeichnung von Seehofers Rede? Ich würde gerne mal mit eigenen Ohren hören wie er von „Verschwörungserzählungen vom perfekten Überwachungsstaat“ spricht.

      1. Leck o mio, der alte „Wirrkopf“ Seehofer fabuliert mal wieder was zusammen…
        Mein Mitleid geht da ganz klar an Jana. Die Gehirnschmelze hatte bei mir schon nach 60 Sekunden eingesetzt gehabt. :-D

        1. Na, er hat doch gesagt es wäre die „Verschwörungserzählung“ vom „perfekten Überwachungsstaat“ – und perfekt ist der Überwachungsstaat mit VDS noch lange nicht, da gibt es noch viel Arbeit zu tun für die Seehofers in diesem Land bis es soweit ist!

  3. Liebe Frau Ballweber, ich frage mich wirklich warum Sie überhaupt an der Veranstaltung teilgenommen haben. Wenn man Ihren Artikel durchliest wird klar, es geht nicht um kritischen oder offenen Journalismus, sondern nur darum, der „üblichen“ Leserschaft zu gefallen. Wenn Sie fragen, wer ist die übliche Leserschaft, lesen Sie einfach die bisherigen Kommentare, dann sollte sich der Kreis schließen.

    1. Haha, musste grad echt lachen und weiß gar nicht warum.
      Wurde doch kritisch berichtet über diese zu großen Teilen Nullveranstaltung.

    2. Wenn sie mit „der üblichen Leserschaft gefallen“ meinen, dass das erneut vorgetragenes Verlangen von Minister Seehofer nach einer VDS, die erst vor wenigen Tagen wieder mal für europarechtswidrig erklärt wurde, entsprechend zu kommentieren, dann kann das gerne so sein.

      Was haben denn andere Medien gemacht? Einfach unreflektiert die dpa-Meldung übernommen, die ihrerseits unreflektiert die vorgetragenen Forderungen wiederholt. Oder gar nicht berichtet.

  4. Vielen Dank Jana für deine schön geschriebene Abhandlung über diese unsägliche Tagung.
    Bericht und Kommentar in einem -„all-in-one“ sozusagen. :-)
    Ich werde ihn in meinem Blog verlinken. –
    So etwas hätte ich nicht schreiben können, weil ich mich sprachlich nicht so zügeln könnte. ;-)
    Im Ernst: Bei dieser gefährlichen Kombination aus Dummheit mit unlauteren Absichten „der“ (nicht meiner) Politiker und Funktionäre packt mich jedes mal die kalte Wut.

  5. Am 17. Nov. 2021 hielt Horst Seehofer die Eröffnungsrede zur jährlichen BKA-Herbsttagung. Das BKA feiert zudem in diesem Jahr sein 70jähriges Bestehen. Kein Wort wird darüber verloren, aus welchen belasteten Kreisen das Personal damals rekrutiert wurde.

    Seehofers Rede ist in Schriftform hier einsehbar:
    https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/reden/DE/2021/minister-bka-herbsttagung.html

    Wie üblich jedoch gilt das gesprochene Wort, darauf wird hingewiesen. Und dieses von Horst Seehofer gesprochene Wort weicht vom Schrifttext teilweise stark ab. Häufig erläutert er zusätzlich in einem ganz persönlichen Vortrag seine Sichtweise, gelegentlich pointiert und polemisiert er, gelegentlich kommt er ins Plaudern und Schlingern, was recht aufschlussreich ist, im Hinblick auf seine ganz persönlichen Einstellungen und Ansichten am Ende seiner Karriere.

    Im dargebotenen Text kann man lesen:

    Einzeltäterphänomen

    Immer häufiger beobachten wir – insbesondere bei den Messerattacken der vergangenen Jahre –, dass es sich um Einzeltäter handelt und dass es sich um Personen handelt, die psychisch erkrankt sind und für schuldunfähig erklärt werden. Dem Phänomen der Einzeltäterradikalisierung und der psychischen Erkrankungsmomente müssen wir uns intensiver widmen – auch in Hinblick auf einen besseren Austausch von Sicherheits- und Gesundheitsbehörden. (Zitat-Ende der Schriftversion)

    Davon abweichend bzw. hinzufügend spricht er:

    „Die Messerattacken der vergangenen Jahre, da handelt es sich um Einzeltäter und Personen, die ja immer für sich in Anspruch nehmen, psychisch erkrankt zu sein, und nicht selten auch für schuldunfähig erklärt werden.
    Diesem Phänomen der Einzeltäter-Radikalisierung und der psychischen Erkrankungsmomente müssen wir uns intensiver widmen, auch in Hinblick auf einen besseren Austausch von Sicherheits- und Gesundheitsbehörden.
    Ich bedaure sehr sehr, dass das vom Bundeskabinett beschlossene Gesetz im Bundestag nicht mehr verabschiedet wurde, wo wir nämlich was die Zusammenarbeit von den Waffen-Behörden und den Gesundheitsämtern immer dann, wenn es Anhaltspunkte gibt, an der Eignung [Lücke] erhalten hätten. (Zitat-Ende der Video-Version)

    Zum einen gibt es also eine schriftliche Version des Ministeriums, als Sprechzettel für den Minister Seehofer (er ist nicht bekannt dafür, seine Reden selbst zu schreiben?) und die Sprachproduktion des Ministers, die Gültigkeit hat. Unterschiede zwischen Vorlage und Sprechakt sind ganz natürlich aber um so interessanter, weil sie Einblicke in das eigene Denken geben.

    Im Geschriebenen heißt es „.. dass es sich um Personen handelt, die psychisch erkrankt sind und für schuldunfähig erklärt werden.“ Also sie _sind krank_ und _werden für schuldunfähig erklärt_
    Herr Seehofer stellt dies anders dar, weil ihm das persönlich so nicht schmeckt. Er stellt richterliche Urteile aufgrund von Fachgutachten infrage. Kurzum er stellt dies als Simulantentum hin, dem Gutachter und Richter nach seiner Auffassung aufsitzen. Er vermittelt den Eindruck, dass Täter immer(!) proaktiv den Anspruch anmelden und selbständig eine Einweisung in eine psychiatrische Einrichtung verlangen. Damit nicht genug, Schuldunfähigkeit würde zudem auch noch willfährig als Gefälligkeitsgutachten bescheinigt, bzw. die Justiz funktioniert nicht so wie er es gerne hätte. Seehofer stellt damit nicht nur die fachliche Eignung Prozessbeteiligter infrage, sondern mithin die Funktionsweise unseres Rechtssystems.
    Zu welchem Zweck fordert Seehofer „einen besseren Austausch von Sicherheits- und Gesundheitsbehörden“? Was haben Sicherheitsbehörden im Gesundheitssystem zu suchen (Seehofer war selbst einmal „Gesundheitsminister“), und von diesem zu fordern? Welches Entgegenkommen erwartet Seehofer von jenen, die im Gesundheitssystem professionell ihre Arbeit leisten?
    Und welche Relevanz haben „Waffenbehörden“ bei Messerattacken?
    Höchste Zeit für den Ruhestand, Herr Seehofer.

  6. Solange BigTech nicht in seine Atome zerlegt ist, braucht man sich über VDS nahezu keinen Kopp zu machen. Trotzdem ist es natürlich ein Signal, was die Zivilgesellschaft in einem Land hinnimmt und was nicht. Dass bei wirklich jeder Gelegenheit Kindesmissbrauch als Vorwand für immer weiter ausufernde Grundrechtseinschränkungen angeführt wird, hat lange Tradition, hatten wir schon bei Frau Leyen und Frau Guttenberg.

    Die klare Positionierung im Artikel fand ich dem Thema angemessen, auch wenn man neutral argumentieren kann, dass Bericht und Kommentar zwei verschiedene Dinge sind.

    Was die derzeitige politische Kaste betrifft und ihr Vorgehen, bleibe ich dabei, dass sie ziemlich genau weiß, was sie tut, das ist kein Versagen, so zielgerichtet kann man nicht versagen, das wäre zufälliger. Und das führt mittelfristig dazu, dass sie sich überflüssig macht. Das ist keine demokratische Repräsentation, sondern eine Clicque, die ihre Einflüsterer bedient statt ihre Delegation verantwortlich wahrzunehmen. Bzgl der VDS könnte man sagen, ok, gibt Schlimmeres, das Handling der Pandemie und der Klimakatastrophe bspw. Mit diesem Personal wird das nie was. Die nächste Frage ist dann, ob sich mit anderem Personal substanziell etwas ändern kann, solange dieses System beibehalten wird, oder ob FfF nicht Recht hat mit system change, not climate change. Ich denke auch, innerhalb des bestehenden Systems sind substanzielle Verbesserungen nicht möglich und auch nicht vorgesehen. Das führt direkt dazu, über Alternativen zur Parteiendemokratie nachzudenken, die offensichtlich bei Belastung nicht funktioniert.

  7. @Höchste Zeit für den Ruhestand: Seehofer zeigt nur mal wieder, dass er keine Ahnung von der Sache hat. Was er da über psychisch Kranke von sich gibt ist reine Stimmungsmache.

    Wenn man sich die Statistiken anschaut ist es so, dass Straftäter, die für Schuldunfähig erklärt werden und in der forensischen Psychiatrie untergebracht werden für die gleichen Straftaten im Schnitt länger untergebracht werden als schuldfähige Täter, die im Gefängnis landen. Schuldunfähige werden nach Entlassung auch oft nicht wieder in Freiheit gesetzt sondern landen qua gerichtlicher Auflage in betreuten Wohneinrichtungen oder Heimen für psychisch Kranken. Wenn man noch bedenkt, dass die forensische Psychiatrie für die Untergebrachten bei weitem unangenehmer ist als eine Haft (Zwang zur Einnahme von Medikamenten wenn eine Entlassungsperspektive bestehen soll und eine Diagnose wie z.B. die einer Psychose vorliegen, verpflichtende Therapiegespräche, Entzug der Autonomie, „unangenehmere“ Mituntergebrachte) wird sich niemand freiwillig für Schuldunfähig erklären lassen oder eine Psychose oder ähnliches vortäuschen. Das würde auch deshalb niemand freiwillig tun, weil eine Unterbringung in der forensischen Psychiatrie wegen Schuldminderung oder Schuldunfähigkeit prinzipiell unbegrenzt andauert. Man hat keinen Rechtsanspruch auf Beendigung nach einer bestimmten Zeit, sondern muss durch einen Gutachter und einen Gerichtsbeschluss entlassen werden. Wenn man also nicht vollständig den Erwartungen der Behandler und der Justiz entspricht wird man nicht entlassen, weil der Gutachter dann Nein sagt.

    Wobei ich durchaus auch das Gefühl habe, dass mittlerweile mehr Täter für Schuldunfähig oder vermindert Schuldfähig erklärt werden als früher und das es hier zu einer gewissen „Diagnose-Inflation“ kommt. Letztlich ist Justiz dadurch aber nicht nachsichtiger geworden sondern wendet strengere Mittel an als früher.

    Die Forensische Psychiatrie ist von der Eingriffsschwere her das Äquivalent zur Sicherungsverwahrung und keine Erleichterung, die von einer „Kuscheljustiz“ vergeben wird.

    Zu dem angesprochenen Austausch zwischen Gesundheitssystem und Sicherheitsbehörden möchte ich gar nichts sagen. Das finde ich Orwellsch. Außerdem wird es rein von der Logik her gesehen mehr Vorfälle mit psychisch Kranken geben als jetzt (und die sind sowieso selten), wenn jeder schizophrene, bipolare, suchtkranke oder depressive Mensch auf eine Liste kommt und als Gefährder behandelt wird. Dann werden sich die Leute aus Angst um ihre Existenz einfach nicht mehr in Behandlung trauen und so lange wie möglich ihre Probleme mit sich selbst ausmachen. Außerdem werden zwangsweise Unterbringungen wegen Selbst- oder Fremdgefährdung in der Psychiatrie heute schon über die Behörden abgewickelt und führen im Regelfall zumindest zu einer fahrerlaubnisrechtlichen Begutachtung und anderen verwaltungsrechtlichen Konsequenzen.

    Seehofer hat also auch da Unrecht.

  8. Badische Versicherungen kämpfen mit Folgen von Cyberangriff

    STAND 24.5.2022, 15:19 Uhr

    Die Badischen Versicherungen mit Sitz in Karlsruhe kämpfen seit Tagen mit den Folgen eines Cyberangriffes. Opfer des Cyberangriffes war eine Dienstleisterfirma, die für die Badischen Versicherungen Daten von Mitarbeitern speichert. Sie soll am 7. April von Hackern angegriffen worden sein. Es sei ausgeschlossen, dass dabei auch Daten von Kunden der Badischen Versicherungen abgegriffen wurden, teilte das Unternehmen mit. Allerdings sind offenbar über 700 Mitarbeiter, ehemalige Mitarbeiter und Bewerber betroffen. Die unbekannten Angreifer sollen bereits betrügerische Mails an sie verschickt haben. Man sei mit den betroffenen Mitarbeitern in Kontakt, teilten die Badischen Versicherungen mit. Behörden untersuchen derzeit noch das genaue Ausmaß des Angriffs.

    https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/karlsruhe/badische-versicherungen-kaempfen-mit-folgen-von-cyberangriff-100.html

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.