Anonymität im NetzRassist:innen kommentieren mit identifizierbaren Accounts

Hassrede im Netz dient häufig als Argumentation für die Identifizierungspflicht im Internet. Eine aktuelle Analyse von Twitter untersucht die Accounts, die rassistische Kommentare an Fußballspieler der englischen Nationalmannschaft verfassten – und spricht damit für das Recht auf Pseudonyme.

Eine Frau verdeckt mit ihrem Smartphone ihr Gesicht.
Anonymität im Netz bietet besonders für marginalisierte Gruppen Schutz. CC-BY-NC 4.0 Rahel Lang

Die Debatte um den Umgang mit rassistischer Hassrede im Netz ist ein relevantes Politikum und dreht sich auch um die Klarnamenpflicht im Netz.

Diese Diskussion erreichte mit den rassistischen und gewaltvollen Beleidigungen auf Sozialen Medien, die sich unter anderem an Schwarze Fußballspieler der englischen Nationalmannschaft richteten, erneut einen Höhepunkt. Eine Account-Analyse von Twitter zeigt nun, dass die überwiegende Mehrheit der rassistischen Tweets von identifizierbaren Personen ausgingen, die sich nicht hinter anonymen Accounts verbargen. 

Als Reaktion auf den Rassismus, der sich besonders prominent an die drei englischen Spieler Marcus Rashford, Jadon Sancho und Bukayo Saka richtete, diskutierte Deutschland erneut über das Verbot von anonymen Accounts auf digitalen Plattformen wie Instagram, Facebook und Twitter. Die Argumentation der Befürworter:innen lautet, mit einem solchen Verbot könne man gewaltvolle Hassrede eindämmen, da sich die Verfasser:innen strafrechtlich einfacher verfolgen ließe. Das Verbot von Anonymität im Netz würde auf eine Identifizierungspflicht auf Sozialen Netzwerken hinauslaufen, wie es manche Innenpolitiker:innen immer wieder ins Spiel bringen. 

Die Forderung nach einer Verifikation für Accounts baut damit auf der Annahme, dass sich Rassist:innen im Deckmantel der Anonymität verstecken würden.

99% der Accounts waren nicht anonym

Der Analyse von Twitter zufolge stellt sich diese Annahme nun als ein Irrtum heraus. Rassistische Beleidigungen und gewaltvolle Übergriffe im Netz stammen nicht per se von anonymen Accounts mit Pseudonymen. Stattdessen nutzen Hasser:innen oftmals ihre wahre Identität mit Klarnamen. Das demonstriert Twitter mit einer Analyse der Accounts, die von Twitter nach dem EM-Finale aufgrund von rassistischen Äußerungen gesperrt wurden. Demnach waren 99% der gesperrten Accounts eben nicht anonym, sondern identifizierbar. Außerdem geht aus der Analyse hervor, dass die meisten rassistischen Tweets, die sich an die drei Fußballspieler richteten, von dem Vereinigten Königreich ausging. Die Transparenz der Nutzer:innen vereinfachte damit die Strafverfolgung. Die britische Behörde ermittelt wegen Hassverbrechen und konnte schon vier Täter verhaften, wie der Spiegel berichtet.

Twitter zieht aus der Analyse den Schluss, dass eine Pflicht zur ID-Verifikation keine effektive Prävention gegen Hassrede im Netz sei. Vielmehr spricht sich Twitter dafür aus, die Möglichkeit zur Anonymität im Netz zu schützen. In dem Statement des Unternehmens heißt es:

Während die Pseudonymität in repressiven Regimen ein wichtiges Instrument war, um sich zu äußern, ist sie in demokratischen Gesellschaften nicht weniger wichtig. (…) Tatsächlich haben viele der ersten Stimmen, die sich zu gesellschaftlichem Fehlverhalten geäußert haben, dies hinter einem gewissen Maß an Pseudonymität getan.

Tatsächlich profitieren vor allem marginalisierte, bedrohte und diskriminierte Gruppen von der Möglichkeit der Anonymität im Internet. Das Geek Feminism Wiki klärt darüber auf, wie unter anderem Menschen mit Be_hinderung, die LBTQIA+ Community und politische Dissidenten von anonymen Accounts profitieren. Das Recht auf Anonymität im Internet bekommt mit Blick auf autoritäre Regime besonders Gewicht. Ebenso profitieren Sexarbeiter:innen oder Whistleblower:innen von Pseudonymen. Netzpolitik zählt 16 gute Gründe auf, warum Anonymität im Netz unverzichtbar ist. 

Soziale Netzwerke müssen Verantwortung übernehmen

Doch die mögliche Anonymität nimmt den Plattformen nicht die Verantwortung, sich um die effektive Bekämpfung von rassistischen Kommentaren zu kümmern.

Als Reaktion auf den offen kommunizierten Rassismus nach dem EM-Finale versprach Facebook, zu dem Instagram gehört, einen strikteren Umgang mit Hassrede auf seinen Netzwerken. Anstelle einer temporären Sperrung des Accounts soll dieser nun dauerhaft auf Instagram gesperrt werden – ebenso wie neu erstellte Accounts. Auch Twitter arbeitet an Strategien, etwa einer Funktion, die Konten mit verletzender Sprache erstmal automatisch blockiert. 

Diese Bemühungen reichten trotzdem nicht aus, um rassistische Beleidigungen von den Sozialen Netzwerken zu nehmen. Instagram gab einen technologischen Fehler zu, durch den rassistische Kommentare und Emojis nicht gelöscht wurden.

Zugleich weisen die Zahlen von Twitter darauf hin, dass weiterhin ein starker englischsprachiger Bias in seinen Moderationstools besteht – Rassismus ist beileibe nicht auf Großbritannien beschränkt. Ebenfalls offen bleibt die Frage, bei wie vielen gelöschten Tweets es sich um Fehlentscheidungen gehandelt hat. Die Mehrheit davon soll automatisiert entfernt worden sein, wobei die Technik notorisch fehleranfällig ist.

Der betroffene Fußballspieler Bukayo Saka adressiert Instagram, Facebook und Twitter unterdessen direkt. In seinem Tweet schreibt er: Es „ist eine traurige Realität, dass eure mächtigen Plattformen nicht genug tun, um diese Nachrichten zu stoppen.“

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2 Ergänzungen

  1. „99% der Accounts waren nicht anonym“
    Endlich! Beweis erbracht.
    Massenüberwachung und Schnüffeln auf Smartphones ist überflüssig.

    Jetzt wäre die Frage, wie das endlich so in die Gesetzgebungsphase eingebracht und zugleich den Innenministerien endlich aufs Butterbrot geschmiert wird.

    Noch ne Datenbank, noch ne Schnüffelei, noch ne Überwachung.
    Ist ja alles nur zur Prävention.
    Siehe aktuell KESY in Brandenburg – Die haben den Schuß nicht gehört.

    Schon heute sind alle (!) Behörden mit der Datenflut, die sie selbst anlegen, überfordert.
    Na dann…

  2. Nur weil Twitter selber 99% der Accounts für indentifizierbar hält, muß das nicht die korrekte Zahl sein …

    Und im Endeffekt sind 100% der Accounts de-anonymisierbar, kommt nur darauf an, mit welchem Aufwand und von welcher Stelle (twitter -> email, twitter -> mobil rufnumer/IMSI, twitter -> browserprofil).

    Es geht am Ende um die gute, alte „Verantwortlich im Sinne des Pressegesetzes“ Verantwortung für öffentlich zugängliche Meinungsäußerungen (Plakate zB).

    Und zur Wichtigkeit der Anonymität: Hier eher Pseudonymität, d.h. zuortbar, aber nicht zu einer realen Person.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.