Wochenrückblick KW 29Produktive Justiz

Der Europäische Gerichtshof kippt das Privacy Shield, das Bundesverfassungsgericht die Bestandsdatenauskunft. Twitter-Konten von Prominenten werden von Bitcoin-Betrügern gekapert und ein fiktives Bundesamt sorgt für Aufregung. Die Themen der Woche im Überblick.

Sehr fröhliches Baby-Nilpferd
Der Gesichtsausdruck der neuen Praktikantin, wenn sie erfährt, dass sie Bilder von Tierbabys in den Wochenrückblick packen darf. – Vereinfachte Pixabay Lizenz nike159

Viel los an den Gerichten

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am Donnerstag das Ende des Privacy Shields besiegelt. Ein Erfolg für den österreichischen Aktivisten Max Schrems und den europäischen Datenschutz. Facebook und andere Firmen dürfen die persönlichen Daten ihrer Nutzer:innen nicht mehr so einfach in die USA transferieren, da die Datenschutzstandards dort nicht auf Augenhöhe mit den europäischen Vorschriften seien. Explizit bezog sich das Gericht auch auf die Überwachungsprogramme amerikanischer Geheimdienste. Das sehen wir ähnlich.

Einen Tag zuvor kippte das Gericht der Europäischen Union schon die Steuernachzahlung, zu der die EU-Kommission den Konzern Apple verdonnert hatte. 13 Milliarden Euro sollte das Unternehmen dem irischen Staat überweisen. Doch der will das Geld gar nicht, aus Angst, internationale Konzerne zu verschrecken, von denen viele wegen der niedrigen Steuern ihren Sitz in Irland haben.

Währenddessen veröffentlichte ein EU-Generalanwalt seine Einschätzung, dass Plattformbetreiber wie YouTube nicht für Urheberrechtsverstöße ihrer Nutzer:innen haften. Die Einschätzung ist Teil eines Verfahrens vor dem EuGH, aber rechtlich nicht bindend. Das endgültige Urteil ist noch nicht gefallen.

Das Bundesverfassungsgericht entschied am Freitag, dass das Gesetz zur Bestandsdatenauskunft verfassungswidrig ist. 2013 wurde der entsprechende Paragraf im Telekommunikationsgesetz geändert. Jetzt muss der Bundestag wieder ran, um eine Lösung zu finden, die nicht weiter die informationelle Selbstbestimmung der Internet-Nutzer:innen verletzt.

Neues von und für Sicherheitsbehörden

Während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft möchte das Bundesinnenministerium den internationalen Datenaustausch zwischen den Polizeibehörden ausbauen. Die Polizeiagentur Europol soll weitere Befugnisse und neue Technologie zur Analyse von großen Datenmengen bekommen. Biometrische Daten und Polizeiakten könnten europaweit austauschbar werden.

Nachdem sie bisher in Fünf-Jahres-Abständen immer wieder verlängert wurden, will das Innenministerium die Befugnisse des Verfassungsschutzes aus dem Anti-Terror-Gesetz endgültig entfristen. Grundlage hierfür ist eine Evaluation, die weniger kritisch überprüft als vielmehr die Wunschliste der Geheimdienste abhakt.

Und nicht nur innerhalb Deutschlands ist der Verfassungsschutz aktiv. Obwohl er der Inlandsgeheimdienst ist, trackt er mehr als 1.500 Personen im Ausland. Mit dem Schengener Informationssystem beobachten auch die Geheimdienste anderer EU-Staaten ihre Bürger:innen im Ausland. Auch Staaten außerhalb der EU können Menschen ausschreiben lassen. Von welchen Staaten der deutsche Geheimdienst Hinweise entgegennimmt und ins Informationssystem einbettet, ist aber geheim.

Soziale Medien auf Abwegen?

Barack Obama, Elon Musk, Warren Buffett: all diese Prominenten waren von einem Angriff auf die internen Systeme von Twitter betroffen. Mit ihren Accounts wurde Bitcoin-Betrug begangen. Scheinbar hatten die Betrüger über einen Mitarbeiter von Twitter Zugang zu den Accounts. Nicht auszudenken, was sie noch hätten anrichten können.

Auch Facebook geriet in die Kritik. In einer vom Konzern selbst in Auftrag gegebenen Studie kam heraus, dass die Plattform zu wenig gegen Wählermanipulation unternimmt. Die Juristinnen, die die Studie durchführten, fordern Facebook auf, das Spannungsverhältnis zwischen freier Meinungsäußerung und anderen Grundrechten zu klären.

Unterdessen nimmt die EU Plattformen wie Facebook oder Google stärker in den Fokus. Mit einem neuen Plattformgesetz sollen einheitliche Rahmenbedingungen für Plattformen in der EU geschaffen werden. Außerdem soll eine EU-weite Aufsichtsstruktur sicherstellen, dass die Plattformen ihre rechtlichen Verpflichtungen einhalten. Und auch der Wettbewerb soll fairer werden. Mit einer Pflicht zur Interoperabilität könnte es dem Netzwerkeffekt an den Kragen gehen. Auch die Haftungsbedingungen sind hier wieder Thema.

Aktivist:innen gegen Dickpicks, RWE und die Berliner Wohnungspolitik

Unerfreulich und leider gar nicht so selten. Im Netz flattern immer wieder Penis-Bilder in die Postfächer von Frauen. Dass das strafbar ist, hält die Penis-Inhaber vermutlich selten davon ab. Auch, weil die wenigsten Betroffenen Anzeige erstatten. Dickstinction, eine Legal-Tech-Seite will das nun ändern. Das Foto, Infos zum Absender und persönliche Angaben genügen und die Seite erstellt automatisch eine Anzeige, die nur noch abgeschickt werden muss.

Ein rätselhaftes „Bundesamt für Krisenschutz und Wirtschaftshilfe“ hält große Unternehmen und das Wirtschaftsministerium in Atem. Das Ministerium witterte Betrug bei den Corona-Soforthilfen. Nach Informationen von netzpolitik.org ist die Aktion eine Art Kunstprojekt. Interessant sind auch die Verwicklungen von Kai Dieckmann und seiner PR-Agentur Storymachine in den Fall.

Das Portal FragdenStaat.de will transparenter machen, wo und wann die Stadt Berlin auf ihr Vorkaufsrecht für Immobilien in Milieuschutzgebieten verzichtet. Sie schließen in diesem Fall Abwendungsvereinbarungen mit den neuen Eigentümer:innen. Diese sind aber meistens geheim. Um den Mieter:innen die Kontrolle über ihre Stadtteile wieder ein Stück zurückzuerobern, können jetzt über 130 dieser Vereinbarungen online abgerufen werden.

Das ewige Virus

Das Corona-Virus bestimmt auch diese Woche wieder die Nachrichten, auch die netzpolitischen. Das Robert-Koch-Institut versucht mit einer Datenspende-App eine Art Frühwarnsystem für größere Ausbrüche zu schaffen: ein Experiment mit offenem Ausgang.

Um die Auswirkungen der Krise einigermaßen abfedern zu können, fordern Open-Source-Bildungsplattformen eine nachhaltige Finanzierung. Im Online-Semester an vielen Unis und bei Home-Schooling habe sich gezeigt, wie wichtig diese Plattformen sind. Dennoch würde kaum investiert, die Zukunft sei ungewiss.

Aus dem baden-württembergischen Bühl gibt es hingegen Erfreuliches zu vermelden. Die von der Stadt bereitgestellte Videoplattform „Palim! Palim!“ wird von den Bewohner:innen in der Corona-Zeit sehr gut aufgenommen, berichtet Eduard Itrich, der Digitalisierungsbeauftragte der Stadt im Interview.

Auch der Netzpolitik-Podcast 203 kommt an Corona nicht vorbei. Die Warn-App ist genauso Thema wie die Serie von DDoS-Angriffen Anfang des Jahres und die netzpolitik.org-Recherche dazu. Zwei junge Deutsche, einer erst 16 Jahre als, sollen für die Attacken verantwortlich sein. Wie konnte es dazu kommen?

Und sonst so?

In den USA ist die größte durchsuchbare Datenbank polizeilicher Überwachungstechnologien an den Start gegangen. Der „Atlas der Überwachung“ zeigt Interessierten an, welche Technologien die Polizei regional nutzt. Aufgeführt sind zum Beispiel Gesichtserkennung, Drohnen und die Zusammenarbeit mit einem Überwachungssystem von Amazon.

Serbien und die Ukraine zählen ab sofort zu den europäischen Drohnenmächten. Die serbische Regierung bestellte Kampfdrohnen aus China, die Ukraine verfügt über Technik aus der Türkei. Neben diesen beiden Staaten haben bislang nur Großbritannien und Frankreich Drohnen bewaffnet, aber auch die Bundeswehr plant, Kampfdrohnen aus Israel zu kaufen und zu bewaffnen.

Das Portal de.indymedia.org wird im jüngsten Verfassungsschutzbericht als Verdachtsfall geführt. Das bürgerjournalistische Projekt werde so in seiner Pressefreiheit eingeschränkt, sagen Bürgerrechtler:innen. Ausgerechnet ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zugunsten der rechten Zeitung „Junge Freiheit“ könnte dem linken Portal helfen, dagegen vorzugehen. Damals hatte das rechte Blatt erstritten, im nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzbericht nicht als „rechtsextrem“ bezeichnet werden zu dürfen.

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Eine Ergänzung

  1. Facebook Inc. Chief Executive Mark Zuckerberg and Chief Operating Officer Sheryl Sandberg could be deposed for sworn legal testimony by the Federal Trade Commission as part of a year-long probe into the company’s business practices, and whether the social-networking giant engaged in unlawful monopolistic practices, according to a report in the Wall Street Journal late Friday. Zuckerberg is scheduled to testify before a Congressional antitrust subcommittee, along with the CEOs of Apple Inc. , Amazon.com Inc. , and Google parent Alphabet Inc. , on July 27. All four companies are the subjects of investigations by the federal government into their business practices.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.