Was vom Tage übrig bliebAmazon, Algorithmen und Amoral

Ein bekannter Ex-Geheimdienstler arbeitet nun für Amazon, die laut Selbstdarstellung avanciertesten Algorithmen von TikTok schaffen es nicht, ein grauenhaftes Video zu entfernen, eine Netflix-Doku geht dem Überwachungskapitalismus nach. Die besten Reste des Tages.

Berlin Himmel
Auch dieses Home Office wurde heute nicht gewarnt.

Former NSA chief Keith Alexander has joined Amazon’s board of directors (Verge)
Wer sich noch an Edward Snowden erinnern kann, dürfte beim Name Keith Alexander aufhorchen. Der ehemalige NSA-Chef hatte die Enthüllungen von Snowden schärfstens kritisiert und unter anderem suggeriert, Journalisten sollten nicht über die geheimen Papiere berichten. Nun zeigt eine Eingabe bei der US-Börsenaufsicht, dass der Ex-Geheimdienstler im Aufsichtsrat des Datenkonzerns Amazon sitzt. Das Unternehmen aus Seattle dürfte sich davon Expertise und gute Verbindungen zum US-Militär versprechen, wo milliardenschwere Aufträge warten.

TikTok tries to remove widely shared suicide clip (BBC)
Seit Sonntag kursiert auf TikTok das Video eines Mannes, der sich vor laufender Kamera umbringt – und die Social-Media-Plattform schafft es nicht, das Material zu löschen. Das Originalvideo war ursprünglich in einem Livestream auf Facebook zu sehen und wurde dort laut eigenen Angaben noch am selben Tag entfernt. Auch auf Twitter und Instagram kursierten Kopien, doch vor allem auf TikTok verwenden Nutzer:innen die weitreichenden Editier-Möglichkeiten, um die Szenen hinter unauffälligen Katzenbildern zu verstecken. Eltern berichten Medien von traumatisierten Teenagern, die die Bilder unerwartet in ihrem Feed sahen und seither nicht aus dem Kopf bekommen und immer wieder neu hochzuladen. Der Fall wirft Fragen auf, etwa: Warum bekommt die Plattform mit den jüngsten Nutzer:innen und dem angeblich avanciertesten Algorithmen es nicht auf die Reihe, einen Videoclip dauerhaft zu sperren? Es ist nicht so, dass TikTok von dem Problem massiv überrascht worden wäre. Denn der Fall erinnert auch an TikToks früheres Versagen im Umgang mit Suizid-Videos, über die The Intercept berichtete.

The Social Dilemma (Netflix)
Warum die Algorithmen von TikTok womöglich mehr auf Screentime und weniger auf Selbstmord-Entfernen optimiert sind, das erklärt die neue Netflix-Doku „The Social Dilemma“ ganz anschaulich. Regisseur Jeff Orlowski hat all die Ethik-Big-Shots aus dem Silicon Valley vor die Kamera gesetzt – von Tristan Harris bis Shoshanna Zuboff – und lässt sie das Geschäftsmodell Überwachungskapitalismus noch mal so richtig plakativ aufdröseln. Das ist nicht unbedingt neu, aber gekoppelt mit einer fiktiven Familiengeschichte und dem Mad-Man-Schauspieler Vincent Kartheiser („Pete Campbell“) in der Rolle als „Der Algorithmus“ so niedrigschwellig erzählt, dass danach so ziemlich jeder klar sein dürfte, warum die kleine rote Notification-Bubble auf ihrem Smartphone nicht zu ihrem Vorteil erfunden wurde. Macht euch Popcorn.

Jeden Tag bleiben im Chat der Redaktion zahlreiche Links und Themen liegen. Doch die sind viel zu spannend, um sie nicht zu teilen. Deswegen gibt es die Rubrik „Was vom Tage übrig blieb“, in der die Redakteurinnen und Redakteure gemeinschaftlich solche Links kuratieren und sie unter der Woche um 18 Uhr samt einem aktuellen Ausblick aus unserem Büro veröffentlichen. Wir freuen uns über weitere spannende Links und kurze Beschreibungen der verlinkten Inhalte, die ihr unter dieser Sammlung ergänzen könnt.

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Eine Ergänzung

  1. Eltern berichten Medien von traumatisierten Teenagern, die die Bilder unerwartet in ihrem Feed sahen und seither nicht aus dem Kopf bekommen und immer wieder neu hochzuladen“

    Da stimmt was mit der Syntax nicht.

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