PlattformregulierungVereinigtes Königreich plant Kindersicherung fürs Internet

Für Online-Dienste, auf denen sich Nutzer:innen austauschen können, sollen künftig strenge Regeln gelten. Das soll vor allem Kinder schützen, aber auch Erwachsene vor möglichem Schaden aus dem Netz bewahren. Grundrechtsorganisationen warnen vor der Einschränkung von Menschenrechten.

Die Regierung des britische Premierministers Boris Johnson plant straffe Regeln für Online-Dienste, die vor Gefahren aus dem Internet schützen sollen. CC-BY-NC-ND 2.0 Andrew Parsons

Die britische Regierung will scharf gegen illegale und schädliche Inhalte im Internet vorgehen. Fast alle Online-Dienste wie soziale Medien, Messenger oder Peer-to-Peer-Netzwerke, auf denen sich Nutzer:innen untereinander austauschen können, sollen künftig strikte Auflagen befolgen.

Verhindern die Anbieter nicht die Verbreitung von Darstellungen von Kindesmissbrauch, terroristischer oder Selbstmord verherrlichender Inhalte auf ihren Diensten, drohen ihnen empfindliche Geldstrafen von bis zu zehn Prozent ihres Jahresumsatzes. Zudem könnte der Zugriff auf Dienste, die sich nicht an die Regeln halten, im Vereinigten Königreich blockiert werden.

Der Vorschlag soll ein „neues Zeitalter für die Verantwortlichkeit“ sozialer Medien einläuten, schreibt die Regierung in einer Pressemitteilung. Das Anfang der Woche vorgestellte Paket geht zurück auf eine „Online Harms“-Initiative der ehemaligen Premierministerin Theresa May aus dem Vorjahr. Ein konkretes Gesetz soll im kommenden Jahr folgen.

Gegen Hetze und Desinformation

Im Blick hat die Regierung erklärtermaßen vor allem Kinder, die Maßnahmen sollen aber auch Erwachsene vor „signifikanten physischen oder psychologischen Schäden“ schützen. Dabei soll es um Hassrede, Pornographie und Grooming im Internet gehen, aber auch um Desinformation und Verschwörungsmythen, etwa rund um das Coronavirus.

In den letzten Jahren drehte sich weltweit zunehmend der Wind gegen die größtenteils unregulierten sozialen Netzwerke und andere Online-Dienste. Skandale wie der Datenmissbrauch durch Cambridge Analytica führten zu parlamentarischen Untersuchungen, grassierende Online-Hetze zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Erst diese Woche legte die EU-Kommission umfassende Vorschläge zu einer Neuordnung der Regeln im digitalen Raum vor.

So weit wie die britische Regierung ist jedoch noch niemand vorgeprescht. Der Geltungsbereich des Vorschlags ist denkbar breit: Von wenigen Ausnahmen abgesehen, etwa Nachrichtenseiten und ihren Kommentarbereichen, sollen die Vorschriften für alle Online-Dienste gelten, auf denen Nutzer:innen interagieren können. Darunter fallen selbst verschlüsselte Messenger, Cloud-Datenablagen und Suchmaschinen.

Abgestuftes System

Dem Vorschlag zufolge soll es Abstufungen für bestimmte Inhalte wie Plattformen geben. Besonders große Anbieter mit „hohem Risiko“ wie Facebook, TikTok und Twitter müssten eine Bewertung sämtlicher Inhalte und Aktivitäten auf ihren Diensten vornehmen. Kommen sie zu dem Schluss, dass etwas schädlich sein könnte, müssen sie diese Inhalte entfernen oder gar nicht erst auftauchen lassen.

Welche Inhalte genau „legal, aber schädlich“ sind, hat die Regierung jedoch nicht umrissen, kritisiert die britische Grundrechte-NGO Open Rights Group. Der Umgang mit zweifelsfrei illegalen Inhalten ließe sich „verhältnismäßig leicht“ bewältigen, heißt es in einer Stellungnahme. Ein komplexes und vielgestaltiges Regelsystem rund um fragwürdige, aber nicht illegale Inhalte könnten bestenfalls nur die größten Plattformen umsetzen, schreiben die Aktivist:innen, die das Paket insgesamt skeptisch sehen.

Kleinere Anbieter sollen in der „Kategorie 2“ mit weniger strengen Auflagen landen. Sofern angebracht, sollen Dienste mit „kleinem Risiko“ von den Vorschriften ausgenommen werden. Unklar bleibt bislang, wie mit Diensten umgegangen werden soll, wo Nutzer:innen einen größeren Schutz ihrer Privatsphäre erwarten, etwa in geschlossenen Gruppen sozialer Netzwerke oder verschlüsselten Messengern.

Angriff auf vertrauliche Kommunikation

„Angesichts der großen Gefahr auf diesen Diensten wird das Gesetz der [Regulierungsbehörde] Ofcom die Mittel in die Hand geben, um Unternehmen zum Einsatz von Technologie zu zwingen, mit der sich eng gefasste Kategorien von illegalen Inhalten wie Kindesmissbrauch überwachen, identifizieren und entfernen lassen“, schreibt die Regierung. Da dies jedoch tief in die Privatsphäre eingreifen würde, soll es nur als letztes Mittel ins Auge gefasst werden, wenn andere Maßnahmen versagt haben.

Notwendigerweise würde dies auf ein Verschlüsselungsverbot und somit auf weniger Sicherheit hinauslaufen. In einer Stellungnahme kritisierte die Digital-NGO Privacy International den Widerspruch bereits in der Konsultationsphase: „Anbieter zu zwingen, ihre eigene Sicherheit zu untergraben wie im Online-Harms-Weißbuch potenziell vorgesehen, würde nicht nur die Sicherheit, den Datenschutz und die Menschenrechte von Nutzer:innen verletzen, sondern auch den Prinzipien des Geheimdienstes GCHQ widersprechen.“

Anstatt etwa die Ausbeutung von Daten im Internet anzugehen, enthalte das Paket nur breite und vage Vorschläge, warnt die NGO. Einige dieser Maßnahmen würden zudem Menschenrechte bedrohen, vor allem das Recht auf Privatsphäre und das Recht auf Meinungsfreiheit. Sollte das Gesetz wie geplant durchgehen, würde der Ansatz mehr Schaden anrichten als Nutzen bringen – ohne die Probleme zu lösen, die „in vielen Fällen gesellschaftlicher Natur sind und die detailliertere und kontextspezifische Antworten brauchen“.

Ausbau des Überwachungsstaats

Im Vereinigten Königreich haben Ermittlungsbehörden und Geheimdienste heute schon weit reichende Befugnisse. Unter Theresa May wurde mit dem „Investigatory Powers Bill“ das härteste Überwachungsgesetz einer Demokratie beschlossen. Dieses erlaubt unter anderem massenhaftes Abhören und die Speicherung des Browser-Verlaufs.

2017 traten die Konservativen und späteren Sieger mit einem Manifest zur Parlamentswahl an, welches das Land zum „sichersten Platz online“ machen wollte. Das Versprechen scheint Mays Nachfolger Boris Johnson nun in die Tat umsetzen zu wollen.

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5 Ergänzungen

  1. Ok, d.h. dezentralisierte, verschlüsselte Messenger werden für britische Dissidenten in Zukunft auch nicht mehr ausreichen und gesperrt werden. Dann müssen wir die gefährlichen Kinder-Nazi-Hate-Memes eben steganographisch in Katzenbildchen einarbeiten und über linientreue Kanäle nach Airstrip One rein schmuggeln.

    1. @Gwyn: Erklären Sie doch bitte mal, wie so eine Sperre ausschauen soll.
      Einen Server zu sperren, wird bei einem dezentralen Messenger nicht funktionieren. (Abgesehen davon, daß man solche Sperren auch umgehen kann.)
      Eine Möglichkeit wäre, solche Messenger aus den diversen App-Stores zu schmeißen, aber auch das läßt sich umgehen. Man nehme einfach z.B. ein offenes Android und installiere den Messenger über die APK-Datei.

    2. 2023 Biometriesensoren der neuesten Generation Massenproduktionsfähig in UK.
      2024 Künstliches Haut und Augen entwickelt, die mittels Relay für echte Haut und Augen die modernsten Sensoren umgehen helfen.
      2025 …

  2. Speicherung des Browserverlaufes?
    Wie soll das funktionieren?
    Bei TLS ist doch nur die Domäne (bwz. IP-Adresse) für den Provider sichtbar, aber nicht die URL, oder?

    1. Browserverlauf – nope. Ist wohl von der englischen Übersetzung o.ä., ein Verlauf über besuchte IPs und DNS Anfragen.

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