Urteil des BundesverfassungsgerichtsDatamining in Antiterrordatei für Strafverfolgung war verfassungswidrig

Nach dem letzten Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Antiterrordatei legte die Bundesregierung noch einen drauf. Ein Gesetz erlaubte Polizeien und Geheimdiensten mit Datamining nach neuen Erkenntnissen zu stochern. Das erklärte das Bundesverfassungsgericht jetzt für teils verfassungswidrig.

Silhouette vor Punkten
Anlasslose Vorratsdatenspeicherung bleibt auf der politischen Agenda. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com rishi

Das Bundesverfassungsgericht hat das Antiterrordateigesetz erneut für teils verfassungswidrig befunden, wie es am Freitag mitteilte. Im ersten Urteil hatte es zahlreiche Nachbesserungen gefordert. Die Erlaubnis für Polizeien und Geheimdienste für Datamining mit der Antiterrordatei für Zwecke der Strafverfolgung sei verfassungswidrig. Die neue Kompetenz für die statistische Auswertung umfangreicher Datenpunkte, um neue Erkenntnisse zu generieren, hatte die Regierung nach dem letzten Urteil des Gerichts zur Antiterrordatei 2015 hinzugefügt.

Stimmen aus der Opposition nennen das Antiterrordateigesetz nach dem Urteil substanzlos. FDP-Obmann im Innenausschuss Benjamin Strasser schrieb per E-Mail: „Für die Arbeit der Sicherheitsbehörden hat die Datenbank keinerlei praktische Relevanz und bringt damit null Sicherheitsgewinn. Sie schafft stattdessen überflüssige Arbeit durch einen hohen Pflegeaufwand.“ Das bisher lahmende Pferd sei nun „endgültig ein totes Pferd.“ Parteikollege und innenpolitischer Sprecher Konstantin Kuhle forderte bei Twitter: „Eine weitere Vermischung polizeilicher und nachrichtendienstlicher Aufgaben darf es nicht geben!“

Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag Konstantin von Notz mahnte zu größerer gesetzgeberischer Sorgfalt. „Die Liste der verfassungswidrigen Gesetze der GroKo wird länger und länger.“ Gerade wenn Bund und Länder gemeinsame Dateien benutzen, müsse ein effektiver Grundrechtsschutz sichergestellt werden.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber äußerte sich positiv zum Urteil, es stärke den Datenschutz. Er schlug vor, dass nun die Antiterrordatei „ganz entfallen“ könnte, „da die Sicherheitsbehörden überwiegend schon besser geeignete Instrumente zur Kooperation nutzen“. Seiner Einschätzung nach hat das Urteil eine Bedeutung über die konkrete Anwendung in der Antiterrordatei hinaus:

Das Bundesverfassungsgericht hat sich erstmals zu Data Mining-Anwendungen innerhalb von Datenbanken der Sicherheitsbehörden geäußert. Es hat meine seit langem vertretene Auffassung bestätigt: Die Analyse von personenbezogenen Daten mit entsprechenden Techniken stellt einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Solche Techniken bedürfen einer klaren Rechtsgrundlage mit eigenständigen Eingriffsschwellen.

Umgang mit Antiterrordatei erfordert besondere Schutzmaßnahmen

Der erste Senat des Gerichts sieht das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und die Menschenwürde des Beschwerdeführers verletzt, da die umfassende Datenauswertung zum Zwecke der Strafverfolgung nicht ausreichend eingegrenzt sei.

Es gebe besondere Anforderungen, wenn Polizeien und Geheimdienste Daten austauschen. Darüber hinaus erhöht die Art der Datenverarbeitung, die den Behörden erlaubt wird, die Anforderung an den Schutz der berührten Grundrechte.

In der Antiterrordatei speichern Polizeien und Geheimdienste Daten im Zusammenhang mit internationalem Terrorismus, etwa Name, Anschrift, Lichtbild und Dialekte. Darüber hinaus dürfen Daten gespeichert werden wie Telefonnummern und Geräte, besuchte Orte, Kontaktpersonen, besuchte Internetseiten und besondere Fähigkeiten wie der Umgang mit Waffen und Sprengstoff sowie Bemerkungen und Hinweise, die sich auf internationalen Terrorismus beziehen.

Datamining-Paragraph zieht keine ausreichenden Grenzen

Um aus diesem Datenberg nicht-offensichtliche Erkenntnisse herauszukitzeln, erlaubte das Gesetz die Verknüpfung und Verarbeitung dieser Daten mit Datamining. Das sind statistische Verfahren, um Muster zu erkennen, Besonderheiten und Zusammenhänge in den Daten aufzudecken und Prognosen zu erstellen.

Mit diesen Daten und Verfahren gehen hohe verfassungsrechtliche Hürden einher, schreibt das Bundesverfassungsgericht. Es muss in absehbarer Zeit mit der Beobachtung eines Geschehens eine konkrete Gefahr verhindert werden oder für die Verfolgung einer Straftat konkrete Tatsachen zu einer solchen vorliegen.

Diese Hürden sieht das Gesetz nicht vor und ist daher verfassungswidrig, lautet das Urteil. Das Gesetz erlaubte den Strafverfolgungsbehörden Datamining mit erweiterten Datenpunkten für die Strafverfolgung, wenn es in einem „Projekt“ zu einem Einzelfall als notwendig erachtet wurde, um internationalen Terrorismus aufzuklären.

Kein Data-mining ohne konkrete Erkenntnisse

Außerdem stellte das Gericht für die anderen Zwecke des Datamining-Paragraphs fest, dass sie nicht als Erlaubnis für „eine bloße Vor- oder Umfeldermittlung ohne Bezug zu einer zumindest konkretisierten Gefahr“ interpretiert werden dürfen.

Die Erwartung an Datamining ist, bisher noch unbekannte Zusammenhänge aufzudecken, Licht ins Dunkel zu bringen. Das Bundesverfassungsgericht macht erneut deutlich, dass die Datenverarbeitung ein so tiefer Grundrechtseingriff ist, dass sie nur zu rechtfertigen ist, wenn schon konkrete Erkenntnisse vorliegen. Es ist unklar, in welchen Fällen der Zweck das Mittel der invasiven Datamining-Methoden heiligen soll.

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9 Ergänzungen

  1. Hat es eigl. irgendwelche Konsequenzen wenn ein Gesetz nachträglich als verfassungswidrig festgestellt wird? Z.B. für die Urheber solcher Gesetze, oder künftige Gesetze (#wiederholungstäter)?
    Ist ja nicht das erste Mal…

      1. Interessant, danke.
        Da könnte man (@netzpolitik.org) mal einen Verfassungsrechtler/… fragen, warum das gesetzgeberisch/… nicht sanktionsfähig gemacht wird. Z.B. könnten ja die Beteiligten Entscheider/Parteien belangt werden, bspw. Verlust der Rentenansprüche/… wg. Verfassungsuntreue. Es sollte doch im Interesse des Gesetzgebers/… sein, Verfassungswidrigkeit zu vermeiden.

      2. Das Parlament als Legislative und Volksvertretung muss maximal unabhaengig sein, damit auch der einzelne Abgeordnete.

        Wenn ein Abgeordneter anscheinend gegen die Verfassung arbeitet, dann darf man den halt nicht mehr waehlen, oder man will das wohl so. Wenn eine Partei solche Abgeordneten weiter unterstuetzt und zB neu aufstellt, dann darf man die halt nicht waehlen, oder man will das wohl so.

        Wir leben in einem Land, in dem der Bundesinnenminister offen sagen kann, er mache Gesetze so kompliziert wie moeglich, damit die Buerger nicht merken was drinsteht und dagegen protestieren.

        Die Buerger bekommen das entweder mal klar mit dem Verteidigen der Verfassung, oder sie wollen diese Verfassung nicht verteidigen. Das BVerfG ist eine letzte Schutzmauer, aber die ist zum einen nicht unueberwindlich und zum anderen sind die Grenzen zT schon sehr weit im Fleisch der FDGO.

    1. Ein Lösungsansatz könnte eine strukturierte Datenbank mit angeschlossenen Berichten und Visualisierung sein. Hauptaugenmerk sind dann Fakten zu Entwürfen, Richtlinien, Gesetzen, und vor allem auch Personen und Statistiken sowie spezielle Ereignisse (GEMA schmeißt Sexparty am Vorabend der Abstimmung o.ä.). Natürlich mit Quellenangaben und Verweisen auf Veröffentlichungen aller Art.

      Dann kann dort auf ewig nachgeguckt werden, natürlich mit Parteizugehörigkeiten, wie wer oder was wann woran beteiligt war, und wer oder was sich wie gewehrt hat, und was dabei herausgekommen ist.

      Strukturiert bedeutet, dass ich auch z.B. nach Partei X aufgelöst gucken kann, nach Ergebnissorten von Gesetzen (Nachbesserung oder Ablehnung bei Stelle X, Bundesrat, Präsident, Bundestagsabstimmung, Verfassungsgericht, EUGH, einfach zurückgezogen…), aber auch Zusammenhang mit Demonstrationen u.a.

      Natürlich ist das Arbeit, könnte aber bei der Argumentation helfen. Eigentlich bräuchten Entscheider solche Mittel auch. Oder machen die immer nur farbige Zettel aus dem Büro vom Rande der Stadt?

      1. Auch kein Entfernen von Information. Jeglicher Kritikweg bleibt vollständig erhalten und ist noch erreichbar. Kommentare von X/Y/Z kann es geben [regulierungspflichtig]. Aber eben alles strukturiert, und über Suche ein- bzw. ausschließbar.

        Jeglicher PR-Pflegeteil muss vollständig entfallen, damit das Sinn ergibt. Es wäre eine Art modernes Archiv. Forschungsseitig, die Komplexität des Grundsystems mal außer Acht gelassen, kann dann auch noch allerlei KI angeflanscht werden, um die Suche zu erleichtern oder zu verschönern, oder auch Beziehungen und Ähnlichkeiten zu finden, oder auch nur zu visualisieren.

  2. Werden alle Kollateraleinträge in anderen Datenbanken und Sammlungen, Akten und Verfahren, alle jetzt auch revidiert?

    Wäre doch mal interessant zu wissen, wie es in der ihr-sollt-digital-können-Digitalisierung-sparen-wir-uns-trotzdem-Republik diesbezüglich so aussieht?

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