PressefreiheitUS-Gericht zwingt Presse zur Herausgabe von Bildaufnahmen

In Seattle könnte gerade ein gefährlicher Präzedenzfall geschaffen werden, der die Pressefreiheit einschränkt und die Berichterstattung bei Protesten erschweren könnte.

Drei Brennende Autos bei Protesten am 30. Mai 2020 in Seattle.
Ein Teil der Proteste am 30. Mai führte zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Zu diesen fordert die Polizei nun unveröffentlichtes Material von Journalist:innen. – Alle Rechte vorbehalten Kelly Kline

Die Polizei in Seattle hatte nach den teilweise gewalttätigen Protesten vom 30. Mai in der Stadt von mehreren Medien gefordert, bislang unveröffentlichte Foto- und Videoaufnahmen für die Strafverfolgung herauszugeben. Dagegen wehrten sich die Fernsehsender KING 5, KOMO, KIRO, KCPQ und die Zeitung „The Seattle Times“ – und scheiterten nun.

Ein Kammergericht in Seattle hat die Nutzung des Materials zwar auf schwere Fälle wie Brandstiftung von Polizeiautos und den Diebstahl von Dienstwaffen beschränkt, schafft damit dennoch einen „gefährlichen Präzedenzfall“, sagt Madeline Lamo vom „Reporters Committee for Freedom of the Press“ gegenüber Poynter.org. Das Urteil mache Reporter:innen zum verlängerten Arm des Staates. Dies könne dazu führen, dass Medien in der Zukunft auf Protesten nicht mehr willkommen seien.

Die Arbeit von Journalist:innen ist im Bundesstaat Washington eigentlich durch das „Reporter Shield Law“ geregelt. Dieses sieht den Schutz von Quellen oder unveröffentlichtem Rohmaterial vor.

In einem gemeinsamen Statement der National Press Photographers Association und des Press Freedom Defense Funds heißt es:

Dieses Urteil stellt die freie Presse unnötigerweise gegen die Öffentlichkeit, für die sie berichtet, und zwingt sie – gegen ihren Willen – dazu, der Regierung zu helfen, der sie durch ihre Berichterstattung Rechenschaft ablegen muss.

Die betroffenen Medien erwägen nun weitere rechtliche Schritte gegen das Urteil.

Ähnliche Vorfälle in Deutschland 2013

Dass die Polizei Zugriff auf Materialien der Presse haben will, ist auch schon in Deutschland passiert – und zwar noch brachialer als gerade in Seattle. Im Nachgang von Protesten in Frankfurt, bei denen ein Polizist verletzt wurde, durchsuchten Polizeien im Jahr 2013 in fünf Bundesländern Wohnungen mehrerer Pressefotografen und beschlagnahmten Aufnahmen. Sie erklärten die teilweise hauptberuflichen Fotojournalisten kurzerhand zu Anhängern der linken Szene, um mit diesem Kunstgriff die Pressefreiheit auszuhebeln.

Cornelia Haß, die Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju), kritisierte damals, dass Pressevertreter mit brachialen Methoden gezwungen würden, Hilfspolizisten zu spielen. Die Durchsuchungen seien vollkommen inakzeptabel und verstießen gegen die Pressefreiheit.

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6 Ergänzungen

  1. Zu den Durchsuchungen in Deutschland (Ich bin ja schockiert, das ging an mir vorbei):

    >> Die Durchsuchungen seien vollkommen inakzeptabel und verstießen gegen die Pressefreiheit.

    Wurde denn dagegen geklagt und im Nachhinein die Rechtswidrigkeit diese Vorgehens gerichtlich festgestellt?

  2. Wundert mich leider nicht mehr. Wir haben ja – wie im Artikel erwähnt – auch hierzulande ähnliche Fälle gehabt. Und der Zugriff auf (Bestands-)Daten jeglicher Art soll der Polizei nach dem Willen mancher „Konservativen“ praktisch unbegrenzt ermöglicht werden.

    1. Dann ist es doch doch nur eine Frage der Zeit bis Bundestrojaner oder andere Schadsoftware eingesetzt werden um an entsprechende Daten zu gelangen. Um öffentlichen Ärger zu vermeiden wäre hier bei den Behörden natürlich die motivation groß sich diese Daten „unauffällig“ zu beschaffen.

  3. Ich finde es jedes Mal amüsant, wenn elitäre Vollzeit-„Journalisten“ sich darüber aufregen, dass ihre Sonderrechte, die sie als Klasse vom Plebs abheben, ignoriert werden und sie ausnahmsweise mal genauso misshandelt werden wie der Rest der Bevölkerung.

    „Pressefreiheit“ und Sonderrechte für staatlich anerkannte „Journalisten“ würde es in einer freiheitlichen Gesellschaft nicht geben. Da nennt man so etwas „Bürgerrechte“, die ausnahmslos allen Bürgern zustehen.
    Insbesondere in Zeiten des Internets, wo jeder ohne großen Aufwand spontan bürgerjournalistisch tätig werden kann und per Smartphone Aufzeichnungen von potentiell relevanten Ereignissen als reichweitenstarke Primärquellen ins Netz stellen kann.

    1. Es hilft, sich ein bisschen mit den hiesigen Gegebenheiten auseinander zu setzen.

      Es gibt keine „staatlich anerkannten Journalisten“ in Deutschland, aus genau dem Grund, letztlich ist journalistische Taetigkeit privilegiert und ueber deren Vorliegen entscheiden Gerichte.

      Da die Gesellschaft ein interesse an journalistischer Taetigkeit und deren Beitraegen hat, raeumt man ihr Privilegien zB im Bereich von Zeugnisverweigerungsrechten ein. Andererseits hat die Gesellschaft natuerlich ein ebenfalls ein Interesse an einer generellen Wahrheitsfindung, und daher gilt eben kein genrelles Zeugnisverweigerungsrecht als Buergerrecht: der Buerger hat idR die Pflicht, zur Wahrheitsfindung beizutragen.

      1. „ueber deren Vorliegen entscheiden Gerichte“ – Exakt.
        Auch wenn es richtig ist, dass „Journalist“ in Deutschland kein geschützter Titel ist und jeder sich „Journalist“ nennen darf, so gibt es eine staatliche Anerkennung im Konfliktfall. D.h. in dem Moment wo man diese Rechte zuverlässig bräuchte wird erstmal bestritten, dass sie einem überhaupt zustehen. Das Frageprozedere sieht da wie folgt aus:
        „Sie geben also an Journalist zu sein? Zu welcher Rundfunkanstalt, Zeitung oder Nachrichtenagentur gehören Sie denn? Keiner? Dann sind sie kein Journalist.“
        oder
        „(…) Bibis Pferdezeitung, die einmal im Monat Striegeltips veröffentlicht und heute wollten Sie über die Bauerndemo berichten, bei der Sie verhaftet wurden? Unglaubwürdig das Sie heute Ihren ersten echten Artikel schreiben wollten. Das haben Sie sich nur als Schutzlüge ausgedacht.“
        oder
        „(…) Netzpolitik? Ist das nicht diese linksradikale Webseite auf der Extremisten Tipps zur Vermeidung von Sicherheitsüberwachung und Pläne zum Bau von Massenverschlüsselungswaffen austauschen? Sie sind kein Journalist. Sie sind Aktivist, Gefährder und potentiell Terrorist.“
        oder
        „(…) Sie arbeiten für keine Zeitung, Rundfunkanstalt, Nachrichtenagentur, Sie sind selbstständig, Sie haben nicht mal eine eigene Webseite, und sie erwarten von mir, dass ich ihnen glaube dass Sie Xk€ pro Monat in Spendengeldern dafür kriegen, dass sie Videoclips von Demonstrationen auf Twitter hochladen?!? Halten Sie mich und dieses Gericht für blöde?!! Das ist kein Journalismus, dass ist Verbreitung gewaltverherrlichenden Materials, Volksverhetzung und wahrscheinlich auch noch Steuerhinterziehung.“

        Alles davon ausgehend, dass man überhaupt ein ordentliches Gerichtsverfahren und einen Richter bekommt, der willens ist einen Anzuhören, statt einfach nur in einer Datenbank den Arbeitgeber abzufragen. Im Regelfall hat man es eher mit einem aggressiven Polizeibeamten zu tun für den alles was nicht für den ÖR arbeitet kein Journalist sein kann, oder irgendein Richter unterzeichnet in Abwesenheit der Betroffenen mal eben einen Durchsuchungs- oder Überwachungsbeschluss ohne sich auch nur die Mühe zu geben auf Journalistische Tätigkeit zu prüfen und als Betroffener steht man dann vor vollendeten Tatsachen.
        Man ist also richterlicher und polizeilicher Willkür ausgeliefert, ob man denn als „Journalist“ gewertet wird oder nicht, und diese Willkür begünstigt einen wesentlich eher, wenn man ein Mitglied etablierter, linientreuer Institutionen ist, während Dissidenten und unliebsame Konkurrenz zu besagten Institutionen eher nicht darauf hoffen sollten.

        Noch ein Beispiel gefällig?:
        Ein LKW mit rohen Eiern überschlägt sich auf der A61, Fahrer schwer verletzt. Drei folgende Fahrzeuge halten an. Person A leistet erste Hilfe. Person B ruft den Notarzt, sichert die Unfallstelle und postet im Anschluss von hinter der Leitplanke ein Handy-Bild der Unfallstelle auf Twitter mit dem Kommentar „Unfall auf der A61. Notarzt ist unterwegs.“ (50k Retweets in den nächsten 24h). Person C greift einfach zur Spiegelreflexkamera im Handschuhfach, läuft um die Unfallstelle herum und beginnt zu filmen. Eine halbe Stunde später schreibt C einen Bericht mit Video (inkl. Fahrer) für die Bild „Weltrekord! Größtes Omelette Deutschlands!“ (500 Klicks in den nächsten 24h).
        Nachspiel: B wird als Gaffer wegen Photographieren eines Unfalls zu zwei Jahren Gefängnis verteilt, die Verteidigung, dass es sich um Bürgerjournalismus gehandelt habe, der verletzt LKW Fahrer nicht im Bild war und niemand gefährdet wurde, wird abgeschmettert mit der Begründung, dass B nie zuvor „journalistisch tätig“ gewesen sei und er den Post nur abgesetzt habe um Aufmerksamkeit zu heischen.
        Dass Verfahren gegen C wird eingestellt da er im Auftrag der Bild „journalistisch tätig“ war…

        Was das „Zeugnisverweigerungsrecht“ im Speziellen angeht: Hier überschreiten die Gesetzgeber wiedermal maßlos ihre Kompetenzen. Wenn jemand keine Aussage machen will, dann macht er keine Aussage. Punkt.
        Im Zweifelsfall behauptet er dann einfach er könne sich nicht erinnern und es gibt keine Möglichkeit zweifelsfrei festzustellen ob es sich dabei um eine echte Gedächtnislücke handelt oder nicht. Sicher kann man getreu einem Terrorregime Enteignung, Erzwingungshaft oder Rettungsfolter nutzen um eine Aussage schmackhafter zu machen aber zuverlässig ist was Anderes.
        Gerichte haben keine andere Wahl als sich auf freiwillige Aussagen zu verlassen, unabhängig was irgendein wertloses Gesetz sagt.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.