Neues aus dem Fernsehrat (64)Wie wollen Öffentlich-Rechtliche künftig gemeinsam forschen?

Zum Jahresende wird das Institut für Rundfunktechnik als gemeinsame Forschungseinrichtung der öffentlich-rechtlichen Anstalten Geschichte. Das wirft die Frage auf, wie künftig gemeinsam Technologien entwickelt werden, die für neue Online-Angebote von großer Bedeutung sein werden.

Vintage-Fernseher mit IRT-Buchstaben
Das Institut für Rundfunktechnik forscht primär zu digitalen Rundfunktechnologien

Seit Juli 2016 darf ich den Bereich „Internet“ im ZDF-Fernsehrat vertreten. Was liegt da näher, als im Internet mehr oder weniger regelmäßig Neues aus dem Fernsehrat zu berichten? Eine Serie.

In mittlerweile publizierten Nachrufen (z.B. bei Golem, heise.de oder der SZ) auf das Institut für Rundfunktechnik (IRT), einem gemeinsamen Forschungsinstitut von ARD, ZDF, Deutschlandradio, ORF (Österreich) und SRG/SSR (Schweiz), werden die Mitwirkung am MP3-Standard oder aktuelle Forschung zu Rundfunkübertragung via 5G als Beispiele für dessen Arbeit angeführt. Als Grund für die Schließung des Instituts mit rund 100 Mitarbeiter:innen werden primär wirtschaftliche Gründe angeführt – obwohl das IRT mehr als 50 Prozent seines Budgets selbst erwirtschaftet und nur der Rest durch Zuschüsse der Gesellschafter abgedeckt werden müssen. Zuletzt waren das laut SZ Zuschüsse in Höhe von insgesamt 16,6 Millionen Euro – ein nicht unerheblicher, im Verhältnis zu den Budgets der betroffenen Anstalten aber auch nicht übermäßig hoher Betrag.

Medienjournalist Peter Welchering fasst in einem Deutschlandfunk-Beitrag für mediasres (MP3) in fünf Minuten die Situation kompakt zusammen und wirft einen Blick in die Zukunft (ich durfte auch zwei kurze O-Töne beisteuern):

Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten kämpfen mit einem massiven Medienwandel und dabei müssen sie vor allen Dingen einen Technologiewandel bewältigen. Damit der öffentlich-rechtliche Rundfunk weiterhin seine Aufgaben erfüllen kann, müssen viele Projekte betrieben werden. Der Ausbau der Mediatheken, die Umstellung von Produktion und Programmausstrahlung auf Internetprotokoll-basierte Standards, eine öffentlich-rechtliche, soziale Medienplattform.

Auch deshalb ist fragwürdig, ob die Schließung des IRT einen Fortschritt darstellt – gerade angesichts der im vergangenen Jahr verkündeten Netzwerk-Strategie von ARD und ZDF. In einem gemeinsamen Gastbeitrag in der ZEIT verkündeten ARD-Vorsitzender Wilhelm und ZDF-Intendant Bellut die Vision, „Öffentlich-Rechtliche im Internet als einen großen, durchlässigen und intelligenten Kosmos“ zu gestalten. Damit so eine Strategie – die meiner Meinung nach auch andere gemeinnützige Player in einem öffentlich-rechtlichen Ökosystem miteinbeziehen sollte – Erfolg haben kann, wird es aber mehr und nicht weniger Räume für Zusammenarbeit und Austausch über öffentlich-rechtliche Anstalten hinweg brauchen. Das IRT war genau so ein Raum. Ihn relativ leichtfertig aufzulösen, ohne über einen zumindest funktionalen Ersatz zu verfügen, erscheint mir unweise.

Kein Thema im Fernsehrat

Im Plenum des Fernsehrats war die Entscheidung des ZDF, sich aus dem IRT zurückzuziehen, kein Thema. Nur im Verwaltungsrat gab es – laut Beschlussprotokoll der Sitzung vom 29. September 2019 – einen Tagesordnungspunkt dazu. In der „Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse“ heißt es dort unter „TOP 11: Kündigung der IRT-Mitgliedschaft des ZDF“:

Der Verwaltungsrat nimmt das vorgesehene Ausscheiden des ZDF aus dem Gesellschafterkreis beim Institut für Rundfunktechnik (IRT) zur Kenntnis und stimmt gemäß § 28 Ziff. 2 des ZDF-Staatsvertrags zu, dass das ZDF bis zum Jahresende 2019 seine Mitgliedschaft beim Institut für Rundfunktechnik (IRT) fristgerecht zum 31.12.2020 durch Kündigung beendet.

Soviel zur Aussagekraft von Beschlussprotokollen. Mit dieser Entscheidung trat das ZDF jenen Prozess los, der letztlich zur Abwicklung des IRT führen sollte. Für mich folgen daraus zwei Punkte: einerseits wird im Fernsehrat sowie in den Ausschüssen zu wenig über die Beteiligungen des ZDF berichtet und diskutiert. Immer größere Tätigkeitsbereiche der öffentlich-rechtlichen Medien werden im Rahmen eigenständiger Gesellschaften erfüllt. Im Umfeld des ZDF sind das zum Beispiel ZDF Enterprises und, für Online-Angebote besonders relevant, deren 100%-Tochter ZDF Digital. Im Fernsehrat sind deren Ausrichtung und Aktivitäten kaum je ein Thema.

Standardisierungsstelle und Transmissionsriemen

Andererseits braucht es dringend neue Kooperationsstrukturen für Forschung zu digitalen Zukunftsthemen und -technologien für öffentlich-rechtliche Medien. Das gilt ganz besonders für Standardisierungsfragen, die sich zunehmend auch auf europäischer Ebene stellen. Hier ausschließlich auf „externe, spezialisierte Expertise“ zu setzen, wie es die SZ berichtet, wird dafür keine geeignete Grundlage bieten. Denn auch wenn der Fokus im IRT auf technologischen Fragen lag, erfüllte es dennoch auch die primär sozialen Rollen einer Standardisierungsstelle sowie eines Transmissionsriemens über die öffentlich-rechtlichen Anstalten hinweg.

Umso wichtiger wird es sein, ab sofort viel stärker auf Open-Source-basierte Lösungen zu setzen. Diese könnten zumindest teilweise auch einen organisatorischen und rechtlichen Rahmen für Kooperation über verschiedene öffentlich-rechtliche Anbieter hinweg bieten und die Abhängigkeit von externen Technologiepartnern in Grenzen halten. Auch in dem kürzlich erschienen Acatech-Impulspapier für eine „European Public Sphere“ (PDF) wird so ein Ansatz befürwortet:

Für die Technologie bedeutet das, wo immer möglich auf Offenlegung von Quellcodes beziehungsweise Open Source zu setzen. Governance-Strukturen müssen diese Umsetzung über die Freiwilligkeit hinaus einfordern.

Mit anderen Worten: Open Source sollte für Entwicklungsprozesse im Rahmen einer zu etablierenden Multi-Stakeholder-Governance für eine „European Public Sphere“ verpflichtend vorgesehen werden. Ob es in absehbarer Zeit zu deren Etablierung kommen wird, ist aber unklar. Umso wichtiger wäre es deshalb, zumindest im deutschsprachigen Raum verstärkt open-source-basierte Entwicklungskooperationen und Standardisierungsprozesse zu forcieren. Das IRT hätte dafür eine Plattform bieten können. Dessen Totengräber in den Anstaltsleitungen werden sich daran messen lassen müssen, ob es ihnen gelingt, zeitnah für eine Alternative zu sorgen.

Offenlegung: ich wurde als einer von zahlreichen Expert:innen für das Acatech-Impulspapier befragt.

3 Ergänzungen

  1. Ich denke die Schließung hat auch damit zu tun das beim IRT 200 Millionen Euro veruntreut wurden und es keinem Gesellschafter (eben auch ARD und ZDF) aufgefallen ist. Im Endeffekt waren das Gelder der Bürger die da verloren gegangen sind weil es keine gute Aufsicht gibt.

    Generell stellt sich die Frage wie gut die ganzen Tochter und Enkelfirmen der Ör kontrollieren und beaufsichtigt werden. Wie wollen die Ör und die Räte die Tochterfirmen besser kontrollieren in der Zukunft?

    1. Da ich als Fernsehrat auch über keinen privilegierten Informationszugang zu den Hintergründen der IRT-Schließung habe, kann ich nicht beurteilen, ob bzw. wieviel dieser Vorgang dazu beigetragen hat. Patentverwertungen sind jedenfalls nicht trivial, wie ja auch der Ausgang des Prozesses gezeigt hat.

      1. Nein Patentverwertungen sind bestimmt nicht trivial deshalb bedarf es dafür Kompetenz und einer guten Aufsicht.
        Diese war beim IRT scheinbar nicht gegeben.
        Wie ich das sehe war es diesem Fall auch nicht so ein komplexes Thema sondern beim IRT und bei den Ör hat man einfach Jahrelang versäumt zu schauen was die Patente wirklich einbringen. Das hat keinen Interessiert. Das Geld das für den Betrieb des IRT fehlte kam ja von den Rundfunkgebühren. Man müsste einfach nicht gut Wirtschaften…

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.