Informationsfreiheit in NiedersachsenJustizministerium muss geheime Corona-Erlasse rausrücken

Greift die niedersächsische Landesregierung mit ihren Corona-Anordnungen in die Unabhängigkeit der Justiz ein? Nach einer Klage von Frag den Staat muss sie die Erlasse nun veröffentlichen. Ein Urteil mit Signalwirkung.

– Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Joel & Jasmin Førestbird

Die niedersächsische Landesregierung darf ihre Erlasse zur Bekämpfung der Corona-Pandemie nicht weiter geheim halten. Das hat das Verwaltungsgericht Hannover diese Woche in einem Eilverfahren entschieden. Das Gericht gab damit einer Klage des Transparenzportals Frag den Staat statt.

Der Klage vorausgegangen war ein Streit darüber, ob das niedersächsische Justizministerium mit seinen Corona-Erlassen in die richterliche Unabhängigkeit eingreift. Weil die nicht-öffentlichen Anweisungen auch Vorgaben zur Priorisierung bestimmter Gerichtsverfahren und zur Beschränkung der Öffentlichkeit an Gerichten enthalten sollen, sahen mehrere Jurist:innen in ihnen einen unzulässigen Eingriff in die Freiheit der Justiz. Dem widersprach das Justizministerium, wollte die Erlasse unter Verweis auf „interne Regelungen“ jedoch nicht veröffentlicht sehen.

Für Arne Semsrott, Projektleiter von Frag den Staat, ging es in dem Verfahren auch um die notwendige Kontrolle der Exekutive. Da die Verwaltungen im Zuge der Krise besonders stark auf das Regieren mithilfe von Erlassen setzen, berührt die (nicht-) Veröffentlichung der Erlasse die Gewaltenteilung. Semsrott, der auch Autor bei netzpolitik.org ist, weist zudem auf die kritische Informationslage während der Pandemie hin:

Gerade auch angesichts der kursierenden Verschwörungsmythen ist offensichtlich, wie hoch das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit ist. Der Staat hat die Pflicht, gerade bei Maßnahmen, die Grundrechte einschränken, umfassend zu informieren. Ohne den Zugang zu allen vorhandenen Informationen sinkt auch die Akzeptanz von Maßnahmen und damit in einer Demokratie die Möglichkeit, einen wirksamen Schutz für die Öffentlichkeit herzustellen.

Corona-Erlasse sind Umweltinformationen

Niedersachsen ist eine Hochburg der staatlichen Intransparenz. Neben Sachsen und Bayern ist das seit 2013 SPD-regierte Bundesland das einzige ohne Informationsfreiheitsgesetz. Im Koalitionsvertrag von SPD und CDU wurde lediglich eine Prüfung verabredet. Ein 2019 vorgelegter Gesetzentwurf der Grünen, die bis 2017 selbst vier Jahre lang die Justizministerin stellten, liegt derzeit im Landtagsausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen.

Frag den Staat hat sich bei seiner Klage deshalb auf das Umweltinformationsgesetz des Bundes berufen. Da COVID-19 unter anderem über die Luft übertragen werde und die Erlasse die Ausbreitung des Virus beträfen, handele es sich bei diesen um veröffentlichungspflichtige Umweltinformationen, argumentierten die Transparenzaktivist:innen. Das Justizministerium widersprach. Da die Erlasse nicht dem Schutz der Luft, sondern dem Schutz von Menschen dienen, würden diese nicht unter das Umweltinformationsgesetz fallen.

Das Verwaltungsgericht Hannover schloss sich nun der Sichtweise von Frag den Staat an: Der Begriff der Umweltinformationen sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weit auszulegen. In der Pressemitteilung des Gerichts heißt es dazu: „Erforderlich für eine Einstufung als Umweltinformation sei nicht, dass die Maßnahme den Schutz der Luft als solcher bezwecke; es reiche ein Bezug der Maßnahme zum Umweltbestandteil Luft, der hier gegeben sei, weil sich das Virus maßgeblich über die Luft verbreite.“

Das Umweltinformationsgesetz gilt auch in Sachsen und Bayern

Die Entscheidung des Gerichts könnte deshalb auch Auswirkungen über die Grenzen des norddeutschen Flächenlandes hinaus haben. Das Umweltinformationsgesetz gilt bundesweit, auch in Bayern und Sachsen, die sich der Transparenz staatlichen Handels ebenfalls seit Jahren hartnäckig verweigern. Nun können sich Bürger:innen in jedem Bundesland auf die Gerichtsentscheidung berufen, um Corona-Erlasse aus den Aktenschränken der Ministerien zu befreien.

Für Semsrott ist das Urteil zudem ein Signal, dass Niedersachsen dringend ein allgemeines Informationsfreiheitsgesetz benötige: „Es ist absurd, dass man klagen muss, um ausgerechnet das Justizministerium zur Herausgabe seiner Erlasse zu zwingen. Mehr Transparenz in Niedersachsen ist schon längst überfällig.“

Ein erster Schritt in diese Richtung könnte sein, wenn sich das Justziministerium nun der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes fügt und auf die Möglichkeit verzichtet, Beschwerde beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht einzulegen.

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2 Ergänzungen

  1. Wir dürfen gespannt sein und wohl noch lange bleiben, wie die vielen Hauptsacheverfahren bezüglich der Verfassungs- und Verhältnismässigkeit der staatlichen „Maßnahmen“ gegen Viren und der einschneidenden Gestzesänderungen- und Erweiterungen insbes, IFSG ausgehen werden.

    Danke Ingo dass Du erstmal soweit gekommen bist.

    Dein Erfolg könnte helfen, den Macht – Hunger und Einschüchterung und Disziplinierung verbreitenden Regierungen von Bund und Ländern eine kleine Bremse einzubauen.

    Aber auch bei Netzpolitik sehe ich ein gelegentliches Einschwenken auf Regierungslinie – siehe den Artikel über die „Behandlung“ von Corona-Skeptikern.

    Angeblich erwünschte Kommentare werden nicht veröffentlicht und EMail-Adressen geblockt.
    Das kommt mir sehr bedenklich vor.
    Viele Grüße speziell Dir
    Peter

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.