Neues BundespolizeigesetzInnenministerium streicht automatisierte Gesichtserkennung

An mehr als 100 Bahn- und Flughäfen wollte Horst Seehofer biometrische Videoüberwachung einsetzen. Nach erheblichem Widerstand hat er diesen Plan nun kassiert. Die Grünen wollen verhindern, dass er es sich in Zukunft noch einmal anders überlegt, und fordern deshalb ein konsequentes Verbot.

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Wie sicher fühlen Sie sich? – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Matthew Henry | Bearbeitung: netzpolitik.org

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will die automatisierte Gesichtserkennung an mehr als 100 Bahn- und Flughäfen nun offenbar doch nicht ausweiten. Das meldet die Deutsche Presse-Agentur (dpa) am Freitagmorgen. Seehofer hatte eigentlich versucht, die biometrische Videoüberwachung über das neue Bundespolizeigesetz einzuführen.

Ein früherer Entwurf war deshalb auf wenig Gegenliebe gestoßen. So hatte etwa die SPD-Vorsitzende Saskia Esken den Vorstoß als „zu hohen Eingriff in die Freiheitsrechte“ bezeichnet. In einer neuen Version, die der dpa zufolge zur Abstimmung an die anderen Ressorts ging, hat das Bundesinnenministerium sein Vorhaben wohl wieder gestrichen.

„Diese Methode darf in Deutschland nicht zum Einsatz kommen. Die Bürgerrechte müssen in Zeiten der Digitalisierung entschieden verteidigt werden“, twitterte Konstantin Kuhle. Der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag spekulierte, Seehofer habe wegen des Drucks nachgegeben.

Grüne wollen automatisierte Gesichtserkennung verbieten

Eigentlich wollte der CSU-Politiker der Bundespolizei Medienberichten zufolge erlauben, die Aufnahmen der Scanner automatisch mit biometrischen Daten abzugleichen. „Der automatisierte Datenabgleich ist keine Nebensächlichkeit“, räumte nun auch der Innenminister ein. Über seinen Pressesprecher teilte er am Morgen mit: „Wir werden im parlamentarischen Raum entscheiden, wie wir weiter damit umgehen“

Dazu wird es wohl tatsächlich kommen. Denn der Grünen-Innenpolitiker Konstantin von Notz forderte in einer Stellungnahme noch weiterreichende Schritte. Es reiche nicht aus, lediglich medial zurückzurudern. „Die Bundesregierung muss den Einsatz sogenannter ‚intelligenter Videoüberwachung‘ und automatisierter Gesichtserkennung umgehend gesetzlich ausschließen.“ Ein solches Gesetz müsse „sich sowohl auf polizeiliche wie unternehmerische Überwachung durch biometrische Gesichtserkennung öffentlicher Räume beziehen“. Die Grünen kündigen an, in der kommenden Woche eine entsprechende Bundestagsinitiative einzubringen.

Fraglich bleibt, ob Horst Seehofer auch ohne Gegenwehr zurückgerudert wäre. Noch am Mittwoch hatte sein Sprecher Steve Alter mit einer Videoansprache Werbung für den Einsatz der Technik gemacht. Nach einer Enthüllung der New York Times wollte er versuchen, die Wogen zu glätten.

Das Ende der Privatsphäre

Die Zeitung hatte die Sorge vor automatisierter Gesichtserkennung am vergangenen Wochenende mit einem Artikel über ClearView AI befeuert. Das Start-up, das bis dahin praktisch unbekannt war, hat nach eigenen Angaben drei Milliarden Fotos von Menschen aus dem Netz gesammelt und dafür illegal öffentlich zugängliche Quellen wie Facebook abgesaugt.

ClearView AI soll wie eine Suchmaschine für Gesichter funktionieren. Der New York Times nach nutzen bereits mehr als 600 Ermittlungsbehörden in den USA und Kanada die Dienste der Firma. Die Zeitung spekulierte, die „geheimnisvolle Firma könnte die Privatsphäre, wie wir sie kennen, abschaffen“. Es sei nicht auszuschließen, dass auch Strafverfolgungsbehörde in der EU die rechtlichen Grundlagen hätten oder gegebenenfalls bekommen könnten, um ClearView AI einzusetzen, so die Einschätzung des Datenschutzjuristen Malte Engeler.

„Ein Einsatz solcher Systeme ist derzeit in den Sicherheitsbehörden des Bundesinnenministeriums nicht existent und auch nicht geplant“, behauptete Seehofer-Sprecher Steve Alter. Sein Arbeitgeber hat aber ohnehin einen anderen Weg gefunden, die Datenbanken für die automatisierte Gesichtserkennung zu verbessern. Seit 2017 dürfen Geheimdienste und Polizeien im großen Stil und automatisiert die biometrischen Passfotos abrufen, die Bürger:innen für ihre Personalausweise bei den Meldeämtern hinterlegen müssen (unsere Kollegen Markus Beckedahl und Andre Meister klagen gemeinsam mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte dagegen). Mit einer Novellierung des Passgesetzes will das Innenministerium nun auch erzwingen, dass biometrische Passfotos nur noch unter strengeren Auflagen entstehen dürfen.

Mehr Probleme statt mehr Sicherheit

Steve Alter verweist in seiner Videoansprache auch auf ein Pilotprojekt am Berliner Bahnhof Südkreuz im vergangenen Jahr. Bundeskriminalamt, Bundesinnenministerium und Deutsche Bahn hatten dort Systeme zur automatisierten Gesichtserkennung von unterschiedlichen Herstellern getestet.

Seither versucht Seehofer, den Versuch als Erfolg zu verkaufen. Dem Chaos Computer Club (CCC) nach hatten die Systeme jedoch jede 200. Person als „gesucht“ markiert. Würde die Technik bei einer solchen Fehlerquote tatsächlich flächendeckend in Betrieb genommen und zehntausende Menschen überprüfen, hätte dies eine enorme Anzahl von Fehlalarmen zur Folge.

Der CCC bezweifelt auch die wissenschaftliche Zuverlässigkeit der Testergebnisse. Die angebliche durchschnittliche Erkennungsquote von 80 Prozent sei nur entstanden, weil die Ergebnisse miteinander verrechnet und dadurch geschönt worden seien.

Ein mögliches Verbot auf EU-Ebene ist ungewiss

Bei der Debatte um den Einsatz automatisierter Gesichtserkennung geht es im Wesentlichen um die Frage, ob es mit einer freiheitlichen Gesellschaft vereinbar ist, wenn sich Bürger:innen nicht mehr unerkannt im öffentlichen Raum bewegen können. Vor einer Woche war bekannt geworden, dass die Europäische Kommission offenbar überlegt, den Einsatz entsprechender Software zu verbieten, zunächst für drei bis fünf Jahre.

Hervor geht dies aus einem Papier, über das verschiedene Medien berichtet hatten, und das Politico inzwischen im Volltext veröffentlicht hat. Die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte bereits angekündigt, innerhalb ihrer ersten 100 Tage im Amt Gesetze zur Regulierung von so genannter Künstlicher Intelligenz auf den Weg zu bringen.

Der digitalpolitische Sprecher der Unions-Fraktion im Bundestag Tankred Schipanski begrüßte die Pläne, den Einsatz automatisierter Gesichtserkennung vorübergehend aufzuschieben, bis das damit verbundene Risiko abschätzbar ist. „Das klingt erstmal nicht verkehrt“, sagte der CDU-Politiker dem Handelsblatt. Schipanski wünschte sich eine Lösung auf Europaebene.

Es bleibt jedoch unklar, wie ernst die Bemühungen auf dieser tatsächlich gemeint sind, wenn es darum geht, die Überwachung der Bürger:innen zu beschränken. Zum einen, weil der Entwurf des Whitepapers auf den 12. Dezember datiert ist und damit womöglich nicht mehr aktuell. Zum anderen relativierte die Kommission ihren Vorschlag direkt selbst: Eine so „weitreichende Maßnahme“ könne schließlich Innovationen verhindern.

Es liegt also an Bundesregierung und Bundestag, festzulegen, wie es mit der Technologie weitergeht. Sie werden festlegen müssen, wie viel Überwachung mithilfe der Software in Zukunft erlaubt sein soll. Ein gesetzliches Verbot, wie die Grünen es fordern, müsse sich Konstantin von Notz zufolge „sowohl auf polizeiliche wie unternehmerische Überwachung durch biometrische Gesichtserkennung öffentlicher Räume“ beziehen.

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7 Ergänzungen

  1. Zum Pilotprojekt Berlin Südkreuz hat auch das RWI Essen am 30.10.2018 einen recht aufschlussreichen Artikel zu den Ergebnissen und deren Bedeutung geschrieben und die damalige Pressemitteilung des BMI zur „Unstatistik des Monats Oktober“ gekürt.

      1. Sollte so ein System erstmal weitreichend installiert sein wird es auch gehackt werden können. Und da sehe ich nicht nur das Problem, dass Kriminelle im Zweifel feststellen können, wer sich wo und wie im Alltag im öffentlichen Raum bewegt, sondern auch Politiker selbst könnten im Zweifel überwacht werden. Politiker stehen natürlich generell schon in der Öffentlichkeit, aber trotzdem sollte es ja auch für diese Menschen Räume geben in denen sie sich frei bewegen können sollen.
        Man muss sich einfach mal die negativen Folgen vorstellen, die so ein System mit sich bringen wird..

        1. Ja, in den Gesprächen bei der Anhörung zum BND-Gesetz in Karlsruhe war das auch Thema, denn auch Geheimdienstler haben in der Regel nur ein Gesicht.

  2. Was ich absolut erschreckend finde: der Erfolg des Narrativs „Bundespolizei“.

    Ein wichtiger Schluss aus der NS-Zeit war die klare Festlegung im GG, dass Polizei Laendesache ist, der Bund hatte und hat lediglich den Bundesgrenzschutz. Dieser wird als „Bundespolizei“ immer mehr als genau das positioniert, mit immer mehr Kompetenzen, Zustaendigkeiten und Machtmitteln, ohne von den Medien hinterfragt zu werden. Alle Bundesinnenminister traeumen von der zentrale, allmaechtigen Polizeiinstanz, die aus gutem Grund in unserem GG explizit nicht vorgesehen ist, und die Medien gucken weg.

  3. Wenn das mal nicht alles Augenwicherei ist. Wir- und damit auch die Behörden- haben doch ClickView und Facebook hochgepeppelt. Wir füttern die Unternehmen mit Daten und trainieren damit dessen Gesichtserkennungssoftware. Und irgendwann darf dann auch die Erkennung von den Behörden eingesehen werden…, haben doch nichts zu verbergen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.