Debatte über HintertürenEU-Kommissarin: „Wir brauchen EU-Vorschrift zu Verschlüsselung“

Die EU-Kommission möchte sich Zugriff auf verschlüsselte Nachrichteninhalte verschaffen, wie sie nun in einem Aktionsplan festschreibt. Innenkommissarin Johansson schließt verpflichtende Hintertüren explizit nicht aus.

EU-Kommissarin
EU-Innenkommissarin Ylva Johansson – Alle Rechte vorbehalten European Union

In der laufenden Debatte über mögliche Hintertüren in Ende-zu-Ende verschlüsselten Diensten hat sich nun die EU-Kommission eingebracht. In einem neuen Aktionsplan gegen Terrorismus kündigt sie an, gemeinsam mit den EU-Staaten nach rechtlichen und technischen Möglichkeiten für den Zugriff auf verschlüsselte Inhalte für Strafverfolgungsbehörden zu suchen. „Aus meiner Sicht brauchen wir EU-Vorschriften zur Verschlüsselung in diesem Bereich, aber wir brauchen die richtige Balance und den richtigen Prozess, bevor wir handeln können“, sagte heute EU-Innenkommissarin Ylva Johanson.

Die Debatte über Hintertüren hat für Protest aus der Zivilgesellschaft sowie der Industrie gesorgt, da ein solcher Eingriff eine massive Schwächung von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung bedeuten würde. Wenn Anbieter wie WhatsApp Hintertüren für EU-Behörden einbauen müssen, könnten diese auch von autoritären Staaten genutzt werden, lautet nur eine der Befürchtungen. Zuletzt hatte auch ein Gutachten für den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages Kritik an solchen Überlegungen geübt.

Johansson: Hintertüren „keine Ja- oder Nein-Frage“

Die EU-Kommission wollte dennoch auf explizite Nachfrage von netzpolitik.org eine Verpflichtung für Diensteanbieter zu Hintertüren nicht ausschließen. Es handle sich um „keine Ja- oder Nein-Frage“, sagte die EU-Kommissarin. „Es ist wichtig, dass wir keine Schlüsse ziehen bevor wir in diesen Bereich hineingehen und eine Balance finden.“ Johansson verwies darauf, dass die Kommission eine Arbeitsgruppe mit Plattformkonzernen und Experten eingerichtet habe, um Kindesmissbrauchsinhalte in verschlüsselten Nachrichten zu finden.

Die seit Ende vergangenen Jahres amtierende Innenkommissarin stammt aus der schwedischen Sozialdemokratie, Johansson gilt aber in Brüssel in Sicherheitsfragen inzwischen als Hardlinerin. In ihrer Amtszeit trieb sie etwa eine Verordnung voran, die Uploadfilter gegen Terrorpropaganda verankern soll.

Johansson brachte sie ihre Hoffnung zum Ausdruck, dass die EU-Institutionen sich noch vor Weihnachten auf ein neues Gesetz einigen, dass das Durchleuchten von unverschlüsselten Nachrichteninhalten auf mögliche Kindesmissbrauchsinhalte auf Plattformen wie Facebook weiterhin erlauben soll.

Als Begleitmaßnahme für den Anti-Terror-Aktionsplan schlägt die Kommission außerdem vor, das Mandat von Europol zu stärken. Die EU-Polizeibehörde soll künftig in der Lage sein, direkt von Plattformen Meldungen über verdächtige Inhalte zu erhalten.

Ratsresolution in wenigen Tagen

Auch die EU-Staaten dürften in den kommenden Tagen eine Resolution verabschieden, die sich für den Zugang von Strafverfolgungsbehörden zu verschlüsselten Nachrichten ausspricht. Auch wenn bislang durchgesickerte Formulierungen offenlassen, wie genau dieser Zugang aussehen könnte, lassen sie den Raum für eine Backdoors-Verpflichung weit offen. Der Rat der EU-Staaten und die deutsche Bundesregierung verweigern bislang sinnstiftende Antworten auf die Frage, wie „mögliche technische Lösungen“ für eine Umgehung der Verschlüsselung aussehen könnten.

Bis zu einem EU-Gesetz über Verschlüsselung ist der Weg allerdings weit. Bislang liegt noch kein konkreter Vorschlag der Kommission auf dem Tisch. Wenn sie diesen macht, müssen die EU-Staaten und das Parlament darüber beraten und letztlich zustimmen. Vor allem im Parlament dürfte eine Schwächung der Verschlüsselung auf einige Gegenwehr stoßen.

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10 Ergänzungen

  1. Bald also verfolgt man „Verschlüsselungskriminalität“. Wie es sich eben seit Monaten angekündigt hat. Open-Source-Code für Verschlüsselungsalgorithmen zählt dann wie ein Bombenbauplan.
    Meint jemand, wir schaffen dagegen auch so viele junge Leute auf die Straße zu bringen wie bei Artikel 13?

    1. Heute im Radio (ÖR):
      – Im Fasthurraton.
      – EU-Dings plant wg. Verschlüsselung.
      – Tolle Beispiele, u.a. wegen Bombenbauplänen.
      – Kritik: keine. Waren ja auch nur die Nachrichten, nicht ein Kommentar.

      Praktikantenscheiße. Da wäre doch eine Abschaffung der Nachrichtensektion der ÖR Sender eine Überlegung.

      Abgeschweift. Also wie oben angedeutet, natürlich geht es um die Bombenbaupläne. Dann dürfen die Schlapphüte auch wieder in den Vorlesungen sitzen und unangenehme Fragen stellen :).

      1. Wer denkt, die 70er wären Scheiße gewesen, sollte bedenken, dass wir trotz allerlei Fortschritt trotzdem mehr als drohen weit dahinter zurückzufallen.

        Die modernen Überwachungsmöglichkeiten seitens Regierungen und Unternehmen sorgen dafür, dass eine „digitale Vereinzelung“ durch z.B. Verschlüsselungsverbot, uns im Grunde weit hinter die Zeit zurückschießt, da hier ein viel stärkeres Ungleichgewicht entsteht, als es jemals zuvor bestanden hat.

        Wird ein solcher Staat z.B. jemals Repression seitens der Wirtschaft bekämpfen, wird die dafür nötige Kompetenz jemals bestehen?

    1. Oder im Umkehrschluss: Nicht-Veröffentlichung bei unsicheren Verschlüsselungstools. Der Rest wird eh verboten.

  2. Off topic:

    Herrgott, wenn ich im Banner auf “Spende jetzt” klicke, passiert nix. Nur der Counter auf uBlock Origin geht um eins hoch. Ja verdammt, Ihr schießt Euch doch ins eigene Knie mit sowas! Macht doch “Spende jetzt” einen normalen Link auf eine Seite mit Eurer Kontonummer, wie z.B. `https://netzpolitik.org/spenden/`. Da könnt Ihr dann von mir aus schnitzi-flitzi und twingle verlinken bis der Arzt kommt.

    Achso: Ich dauerauftrage schon seit Jahren, aber ich wollte gucken wie leicht Ihr es anderen potentiellen Spendern macht.

    Weiterhin viel Erfolg!

  3. Wer ist eigentlich dieses „Wir“ von dem nicht nur diese Kommissarin ständig spricht?

    Paternalistische Sprache von Konservativen, schon klar. Aber das soll gar keine rein rhetorische Frage sein.

    Dieses ominöse „Wir“ in dessen Namen nach und nach immer mehr Grundrechte eingeschränkt und ausgehöhlt werden und alle Bereiche des Lebens überwacht, als Daten erfasst und verarbeitet, kontrolliert und reguliert werden… dieses „Wir“ scheint nicht die Bevölkerung zu sein, in deren Namen das angeblich geschieht. Man will scheinbar die Menschen ihres Freiheitsverständnisses entwöhnen und sie an einen permamenten Zustand von unausweichlicher Kontrolle, Überwachung und Einschränkungen gewöhnen. Das soll aber nicht für alle gleichermaßen gelten und es scheint auch garnicht einen nachvollziehbaren, evidenten Zweck zu unserem Vorteil zu verfolgen oder in irgendeiner Weise ausgewogen zu sein. Wieso zum Beispiel brauchen „wir“ also kein Recht auf Verschlüsselung und private, anonyme Kommunikation, aber ein „(Menschen)Recht auf digitale Identitäten“ um alles im Leben eines Individuums zu überwachen und zu erfassen?

  4. Ich frage mich vor allem was die wirklich damit bezwecken wollen. Selbst den Politikern muss doch klar sein, das Kriminelle weiterhin verschlüsseln werden (mit Tools ohne Hintertür), ob es denen passt oder nicht.
    Die können doch nicht eine Komplettüberwachung nach dem Vorbild der Stasi wollen oder?

    1. „Die können doch nicht eine Komplettüberwachung nach dem Vorbild der Stasi wollen oder?“
      Da wär ich mir schon lange nicht mehr so sicher. Viele der Massnahmen werden doch alleine mit dem „Argument“ durchgedruckt „Wir sind aber doch nicht die Stasi; wir sind die Guten, wir möchten das dürfen können *smiley*“
      Man macht also was technisch möglich ist – dass das GG dabei immer öfter als störendes Ärgernis betrachtet wird kann einem nur Sorgen bereiten.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.