WirLernenOnline.deEine Suchmaschine für freie Bildungsinhalte

Seit April gibt es die Plattform WirLernenOnline.de, die freie Bildungsmaterialien bereitstellt und Tipps für den digitalen Unterricht gibt. Gegründet von Wikimedia Deutschland mit dem Verein edusharing.net, will das Mitmach-Projekt das Wissen und Können der Community bündeln. Wir haben mit Heike Gleibs gesprochen, die das Projekt für Wikimedia mit leitet.

Person mit Fernglas zwischen zwei Bücherstapeln
In Zeiten von Corona müssen viele Lehrer:innen ihren Unterricht anders gestalten. Freies Material dafür gibt es eine Menge – WirLernenOnline.de sammelt die Angebote und macht sie durchsuchbar. – Vereinfachte Pixabay Lizenz Andrea Piacquadio

„Open Educational Resources“ sind Bildungsmaterialien, die offen zugänglich sind und von allen genutzt, verändert und erweitert werden können. Mit Hilfe freier Lizenzen sollen rechtliche Grauzonen aufgebrochen werden, in die Lehrer:innen geraten, wenn sie etwa Seiten aus Schulbüchern kopieren, verändern und dann an ihre Schüler:innen weitergeben.

Die kürzlich gestartete Initiative WirLernenOnline.de will nun dafür sorgen, dass dieser Ansatz zur Regel wird und nicht Ausnahme bleibt. Wir haben mit Heike Gleibs von Wikimedia Deutschland über ihre Erfahrungen der ersten Wochen gesprochen – und über den notwendigen Kulturwandel, der in Deutschland weiterhin auf sich warten lässt.

netzpolitik.org: Wie steht es denn um Open Educational Resources, oder kurz OER, gerade in Deutschland?

Heike Gleibs: Es ist hier ausbaufähig, aber wir fangen nicht bei Null an. Es gibt schon viele unterschiedliche Akteure in diesem Feld, die sich mit freien Bildungsmaterialien beschäftigen. An den unterschiedlichsten Stellschrauben im Bildungssystem wird daran gearbeitet. Auch im Bundesministerium für Bildung und Forschung scheint das ein Anliegen zu sein, denn unsere Plattform WirLernenOnline.de wird darüber gefördert.

Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung steht außerdem, dass eine OER-Strategie erarbeitet werden muss. Das ist etwas ins Stocken geraten, wir sind aber auch zuversichtlich, dass dieser Prozess wieder angestoßen wird und machen da natürlich dann auch die entsprechende politische Arbeit, uns als Wikimedia Deutschland an diesem Prozess zu beteiligen.

Abgesehen davon gibt es aber auch schon ganz viele Materialien. Das Problem ist eher, dass man manchmal den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht. Genau das wollen wir mit WirLernenOnline.de verbessern und OER auffindbar und strukturierter sichtbar machen.

netzpolitik.org: Wie entstand denn die Plattform WirLernenOnline.de?

Heike Gleibs: Die Idee dazu gab es schon lange: Eine Suchmaschine zu konzipieren, um freie Bildungsmaterialien einfacher und schneller auffindbar und dadurch dann nutzbar zu machen. Aus der Not in der Coronakrise heraus wollten wir jetzt aktiv werden. Wir haben gesehen, dass viele Lehrkräfte und Schulen überfordert sind, weil sie zu Hause sitzen und ihren Unterricht ganz anders vorbereiten müssen als sie es gewohnt sind. Um auf etwas zurückzugreifen, das es schon im Netz gibt, müsste man aber eine sehr ausgefeilte Recherche machen.

Genau diesen Schritt wollen wir wegnehmen und sagen: Wir bieten eine Plattform, wo man relativ schnell und unproblematisch Lern- und Lehrmaterialien unter freien Lizenzen findet, die ich als Lehrer:in nutzen und verändern kann. Das Bündnis Freie Bildung, das Wikimedia koordiniert ist schon sehr lange aktiv im Umfeld Open Educational Resources. In dem Fall war die Krise positiv verstärkend und wir konnten schnell aus dem Bündnis mit Partnern etwas umsetzen.

Schnittstellen für bestehende Systeme

netzpolitik.org: Was macht WirLernenOnline.de besonders?

Heike Gleibs: Wir könnten jetzt ja eine klassische Suchmaschine nehmen. Damit können aber viele Materialien nicht gut gefunden werden können, weil die Metadaten, die beim Auffinden helfen, nicht einheitlich sind. Wir schaffen mit WirLernenOnline eine gesamte Architektur unter freier Lizenz: Wir erschließen mit der Open-Education-Community bestehende Lerninhalte, indem wir etwa Medien-Datenbanken automatisiert importieren oder Material von Hand einpflegen.

Diese Lerninhalte können dann über die Oberfläche von WirLernenOnline durchsucht werden. Wir stellen aber auch Schnittstellen für bestehende Systeme bereit, sodass dann etwa die HPI-Schulcloud, Bildungsserver oder Schulclouds der Länder unsere Suche direkt einbauen können. Dabei lebt diese Plattform davon, dass viele Mitmachen. Lehrkräfte können eigenes Material spenden, Interessierte können uns redaktionell unterstützen oder gemeinsam die Plattform technisch weiterentwickeln.

netzpolitik.org: Wer betreut denn die Plattform und die Inhalte?

Heike Gleibs: Aktuell konzipieren wir als Wikimedia Deutschland die Mitmach-Aktionen und sammeln die Inhalte sozusagen ein. Denn Materialien gibt es ja, wir sammeln und strukturieren sie, um sie dann für Lehrer:innen bereitzustellen. Redaktionell betreut wird die Seite von einem Team aus hauptamtlichen und mehr ehrenamtlichen Menschen.

Wir arbeiten eng mit edusharing.net zusammen, die die komplette technische Infrastruktur gebaut haben. Ein anderer wichtiger Partner ist das Bündnis Freie Bildung, das auch über Wikimedia Deutschland koordiniert wird, wo aber auch viele Menschen sind, die diese Seite mit Leben erfüllen – durch technische oder auch redaktionelle Hilfe.

netzpolitik.org: Wie viele Menschen beteiligen sich jetzt schon und haben Materialien zur Verfügung gestellt?

Heike Gleibs: WirLernenOnline.de kommt bisher sehr gut an. Wir haben größere Player, etwa Sender des öffentlich-rechtliche Rundfunks, deren Inhalte auch über unsere Plattform sichtbar werden. Gerade arbeiten wir daran, die Seite weiterzuentwickeln und Themen-Portale einzurichten. Das machen wir gemeinsam mit ehrenamtlichen Lehrkräften. Dann kann ich sehr gezielt zum Beispiel dann auf das Fach Deutsch gehen und finde dort ein redaktionell erstelltes Angebot.

Es sind jetzt in den ersten Wochen schon dutzende Menschen beteiligt gewesen, die das Portal erstmal auf die Beine gestellt haben. Jetzt bauen wir weiter auf, auch an Reichweite, sodass Menschen, die uns bisher gar nicht kannten, sagen: Das ist eine tolle Idee. Hier möchte ich mich beteiligen. Das ist ein sehr iterativer Prozess, die Plattform immer weiter zu verbessern und noch auf die Anforderungen von Nutzer:innen zu optimieren.

Politik in der Pflicht

netzpolitik.org: An welchen Stellen kann denn die Politik aktiv werden, dass die Situation von OER insgesamt verbessert wird?

Heike Gleibs: Natürlich an den unterschiedlichsten Stellen. Ein wichtiger Schritt wäre, bestimmte rechtliche Rahmenbedingungen zu verbessern. Als Wikimedia arbeiten wir beispielsweise auch daran, dass Sendungen des öffentlich-rechtliche Rundfunks dauerhaft zu Verfügung stehen und die nicht einfach irgendwann aus den Mediatheken wieder verschwinden. Das wäre eine Möglichkeit.

Auf Landesebene könnte man zum Beispiel Anreizsysteme zu schaffen für Lehrkräfte, sich bei Open Educational Resources zu beteiligen – etwa indem sie weniger unterrichten müssen, wenn sie für sich und für andere Materialien erschaffen. Kostenneutral ist das nicht, würde ein Landespolitiker wahrscheinlich sagen, aber das wäre eine Möglichkeit.

Auch infrastrukturelle Bedingungen müsste man schaffen: Wenn die Länder sich mit Anbietern für technische Schul-Infrastruktur zusammen tun, sollten sie unter offenen Lizenzen arbeiten. Jetzt sehen wir in einigen Ländern aber das Gegenteil, dass dann doch große Rahmenverträge etwa mit Microsoft geschlossen werden.

netzpolitik.org: Also braucht es einen Kulturwandel?

Heike Gleibs: Ja. Da bräuchte es ein offenes Bekenntnis auf Bundes- und auf Landesebene, dass der Staat sagt: Alles, was mit meinem Geld finanziert wird, sollte standardmäßig als OER freigegeben werden. Da gäbe es Handlungsspielräume für die Politik. Denn auch Behörden wie die Bundeszentrale für politische Bildung oder Ministerien wie das Umweltministerium machen viele Bildungsmaterialien. All das sollte automatisch unter freier Lizenz sein, weil öffentlich finanziert.

Die Politik kann einen Kulturwandel beschleunigen: Dass ich meine Lehrmaterialien an meine engsten Kolleg:innen weitergebe, aber vielleicht auch über eine Plattform zur Verfügung stelle. Das ist so eine Kultur des Teilens, die sich erstmal etablieren muss. Die Länder haben auch Einfluss auf die Lehrer:innenausbildung. Schon da so eine Haltung zu fördern wäre ein spannender Hebel, um diese Kultur des Teilens in die Lehr- und Lernkultur zu tragen.

netzpolitik.org: Gibt es da noch Beispiele, wo das schon gut funktioniert?

Heike Gleibs: Vieles hängt gerade an einzelnen Menschen und das sind eher ein Einzelbeispiele als politisch gewünschte Strategien.

netzpolitik.org: Wie langfristig ist denn WirLernenOnline.de angelegt?

Heike Gleibs: Die Finanzierung kommt aus einem Krisenfördertopf und ist jetzt erstmal auf dieses Jahr beschränkt. Aber wir bauen natürlich keine Seite, die wir dann Ende des Jahres abschalten, sondern wir denken jetzt schon darüber nach, wie wir das auch nachhaltig gestalten können. Wie das genau sein wird, können wir noch nicht sagen. Das wird aber ständig mitgedacht.

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Eine Ergänzung

  1. Der gute erste Eindruck wurde etwas getrübt: Ich habe mich ein wenig bei Mathematik Sekundarstufe II durchgeklickt. Es wurden viele Inhalte vom Bayerischen Rundfunk verlinkt. Ich dachte mir noch, dass ich durch die Depublizierung auf tote Links stoße und wurde direkt beim ersten Link nicht enttäuscht. „Gleichungssysteme“ (https://suche.wirlernenonline.de/de/details/6c566067-7a1c-5f0e-a9a1-9ef2b66eaf06) verlinkt zu https://www.br.de/mediathek/podcast/telekolleg-mathematik/gleichungssysteme/38193, was mich zu einer 404-Seite führt. Das scheint jedoch nur Pech gewesen zu sein. Andere stichprobenartig angeklickte Links funktionierten, auch ältere BR-Beiträge. Sind die verlinkten Beiträge gegen Depublizierung gefeit?

    > indem wir etwa Medien-Datenbanken automatisiert importieren oder Material von Hand einpflegen

    In diesem Zusammenhang wäre es auch spannend, Kopien der Materialien zu speichern, um die dauerhafte Verfügbarkeit sicherzustellen. Unabhängig von Depublizierung gibts ja noch Link Rot, ein Naturgesetz des Internets, wodurch Links oft schon nach ca. 2 Jahren nicht mehr zum Ziel führen.

    Wie auch immer, ein tolles Projekt!

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.