DiskriminierungAirbnbs schwieriger Umgang mit Sexarbeiter:innen

Airbnb besitzt ein Patent, mit dem sich vermeintlich die Vertrauenswürdigkeit von Nutzer:innen berechnen lässt. Immer wieder sperrt das Unternehmen Accounts von Sexarbeiter:innen, selbst wenn diese nur privat verreisen wollen. Wie die Entscheidungen zustande kommen, bleibt intransparent.

Mann steht neben einem Bett im dunkeln
Airbnb macht es Sexarbeiter:innen schwer, eine Urlaubsunterkunft auf seiner Plattform zu buchen. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Diego Lozano

Auf der Suche nach einer Unterkunft für den nächsten Urlaub? Fast 7,9 Millionen Deutsche nutzten dafür 2018 die Online-Plattform Airbnb. Aber es gibt Menschen, denen es Airbnb offenbar erschwert, eine Unterkunft zu buchen. Das betrifft laut Medienberichten etwa Sexarbeiter:innen in den USA und Großbritannien. Auch Sexarbeiter:innen, die Airbnb für den privaten Urlaub nutzen wollten, wurden laut Berichten ihre Accounts gesperrt. Recherchen von netzpolitik.org zeigen, dass es auch Fälle im deutschsprachigen Raum gibt, obwohl Sexarbeit in Deutschland und der Schweiz legal ist.

Der Begriff Sexarbeiter:in bezeichnet Angehörige der Prostitutionsbranche, die einvernehmliche sexuelle Dienstleistungen anbieten. Er grenzt ihre Tätigkeit von der Zwangsprostitution ab.

Seit 2018 kooperiert Airbnb mit Polaris Project. Der Kooperation waren Berichte und Beschwerden über sogenannte Pop-up-Bordelle in Airbnb-Unterkünften vorausgegangen. Polaris Project engagiert sich gegen Menschenhandel. Laut einem Bericht von Airbnb nutzt es die Daten von Polaris Project, um bei Nutzer:innen Hinweise auf Menschenhandel zu finden. Polaris Project wird allerdings dafür kritisiert, Sexarbeit generell zu bekämpfen und nicht zwischen einvernehmlicher Sexarbeit und Zwangsprostitution zu unterscheiden.

Airbnb schmeißt Sexarbeiter:innen von der Plattform

Gerade dort, wo Prostitution nur in Bordellen oder als Hausbesuch bei Freier:innen erlaubt ist, weichen Sexarbeiter:innen aus finanzieller Not häufig auf Privatunterkünfte aus. So ist es zum Beispiel in vier Bundesländern in Österreich. Die Bundesländer regeln Prostitution dort eigenständig, Wohnungsprostitution ist aber überall verboten. Sexarbeiter:innen müssen den Bordellbetreiber:innen Miete für ihr Zimmer zahlen. Viele zwinge das in die illegale Prostitution in selbst angemieteten Airbnb-Wohnungen, berichtet Christian Knappik gegenüber netzpolitik.org. Er ist Sprecher des österreichischen Online-Forums sexworker.at und betreut auch dessen Notfall-Hotline. „Hier rufen täglich verzweifelte Frauen an, die die Polizei in Airbnb-Wohnungen gelockt hat“, sagt er.

Die Methode der Polizei: Fake-Freier buchen eine:n Prostituierte:n und fordern diese:n dazu auf, eine Unterkunft anzumieten. Dort greifen die Beamten zu. Ein entsprechendes Dokument der Prostitutionskontrolle durch die Polizei und dazugehörige Chat-Verläufe liegen netzpolitik.org vor. Nicht nur die Prostituierten, sondern auch die Vermietenden erwarten in diesem Fall hohe Geldstrafen, Christian Knappik spricht von mehreren Tausend Euro.

Er kennt aber auch konkrete Fälle, in denen die Airbnb-Accounts von Sexarbeiter:innen gesperrt wurden. In zwei Fällen aus Österreich konnten Prostituierte keine Unterkunft buchen, mit der Begründung, „die Anmietung sei zweifelhaft“, berichtet Christian Knappik. Die Betroffenen hatten Airbnb für ihre Arbeit genutzt. Daraufhin seien ihre Konten gesperrt worden. Er vermutet, dass Airbnb bei diesen Maßnahmen auf Informationen des Zahlungsdienstleisters Paypal zurückgegriffen hat. „Paypal sperrt alles, was mit Erotik zu tun hat“, sagt Knappik. In seiner Nutzungsrichtlinie verbietet der Bezahldienst die Nutzung für „Aktivitäten“, die „mit Transaktionen bezüglich […] bestimmten sexuell orientierten Materialien oder Diensten […] zu tun haben.“

Fälle auch in Deutschland und der Schweiz

Im Fall einer deutschen Sexarbeiterin warf Airbnb ihr außerdem „gewerbliche Nutzung“ vor, sagt Knappik. Die Betroffene erzählte ihm, dass sie sich per Mail an Airbnb gewandt, aber keine Antwort erhalten habe. Ähnliches habe eine Sexarbeiterin aus der Schweiz erlebt und im Forum sexworker.at geschildert, berichtet Christian Knappik weiter. Wie die Einschränkungen zustande kamen, ist für die Betroffenen nicht transparent.

Airbnb verfügt über ein Patent für einen Algorithmus, der die vermeintliche Vertrauenswürdigkeit von Mieter:innen berechnen soll. Er bezieht auch Berührungspunkte zu Sexarbeit in das Ranking mit ein. Das Unternehmen bestreitet gegenüber netzpolitik.org, in Deutschland dieses Verfahren zur Risikoeinschätzung zu nutzen: „Wir greifen derzeit nicht auf dieses Patent zurück, um Prozesse über Benutzer:innen in Deutschland auszuführen.“ (eigene Übersetzung)

Elissa M. Redmiles berichtet auf Twitter von Sexarbeiter:innen, die Probleme mit Airbnb-Accounts hatten, auch wenn sie die Plattform privat nutzen wollten. Sie forscht im Bereich digitale Sicherheit und Ungleichheit für Microsoft Research und das Max-Planck-Institut für Software-Systeme. In ihrer Interview-Studie unter Sexarbeiter:innen in Deutschland und der Schweiz hätten mehrere Teilnehmer:innen ausführlich darüber berichtet, dass ihre Airbnb-Konten gesperrt wurden. Elissa Redmiles‘ Studie ist noch nicht erschienen, aber wir konnten ein Überblickskapitel ihrer Arbeit einsehen.

Abgleich mit Behördendaten

Dass Airbnb Menschen, die der Sexarbeit nachgehen, von seiner Plattform wirft, gehört offenbar zu seiner Sicherheitsstrategie. Auf seiner deutschen Website schreibt das Unternehmen:

Wir nutzen Vorhersagemethoden und maschinelles Lernen, um auf der Stelle Hunderte von Signalen auszuwerten, die uns dabei helfen, verdächtige Aktivitäten zu erkennen und zu unterbinden, noch bevor sie eintreten.

Das Unternehmen gibt an, „weltweit bei allen Gastgebern und Gästen einen Abgleich mit Behörden-, Terroristen- und Sanktionslisten“ durchzuführen – „auch wenn natürlich kein Überwachungssystem perfekt ist.“ In den USA werde außerdem der Hintergrund von Nutzer:innen überprüft. Damit ist gemeint, dass Personen auf frühere Verurteilungen wegen Straftaten, Registrierung von Sexualstraftäter:innen und anderen „erheblichen Vergehen“ geprüft werden, wie das Unternehmen an anderer Stelle ausführt. Außerdem lässt es Profilfotos und jegliche Bilder, die über die Nachrichtenthreads versendet werden, durch die sogenannte PhotoDNA-Datenbank laufen, die sie auf kinderpornografische Inhalte prüft.

Sexarbeit mit Straftaten auf einer Stufe

Das alles sind Maßnahmen, die Gastgeber:innen und Gäst:innen eine sichere und positive Erfahrung ermöglichen sollen. Der Grat zwischen Vorsicht und Ausgrenzung ist schmal. Der patentierte Algorithmus stuft neben Sexarbeit auch „negative Persönlichkeitsmerkmale“ und drogenkonsumierende Menschen als wenig vertrauenswürdig ein.

In dem dazugehörigen Patent heißt es, der Algorithmus orientiert sich unter anderen an Persönlichkeitsmerkmalen wie „Güte“, „Gewissenhaftigkeit“, „Offenheit“, „Verträglichkeit“, „Neurotizismus“, „Narzissmus“ und „Psychopathie“. Verhaltensmerkmale, die der Algorithmus berücksichtigt, sind unter anderen: Erstellung von Fake-Profilen, Drogen- und Alkoholkonsum, Verbindungen zu Hass verbreitenden Websites und Organisationen, sowie Sexarbeit, Verbrechen, Betrug und Pornografie. Weiter steht dort:

Die Einstufung der Vertrauenswürdigkeit kann auf Persönlichkeits- und Verhaltensmerkmalen basieren, die die Wahrscheinlichkeit dafür vorhersagen, dass die Person positives Verhalten in einer Online- oder Offline-Interaktion zeigt. (eigene Übersetzung)

Sexarbeit und Pornografie werden in dem Patent in einem Satz mit kriminellen Handlungen angeführt. Sie gelten für das Unternehmen als Anhaltspunkte für eine geringe Vertrauenswürdigkeit von Mieter:innen. Andere Verhaltens- und Persönlichkeitsmerkmale treten in der Bewertung zurück, heißt es im Patent. Der Algorithmus gewichtet Merkmale wie Sexarbeit oder die Beteiligung an einem Verbrechen (als Täter:in) entsprechend stärker.

Das Unternehmen gibt uns gegenüber an, das Patent nicht selbst entwickelt zu haben. Man habe es 2014 beim Kauf des Startups Trooly übernommen, das wohl für die Background-Checks bei Airbnb mitverantwortlich ist. „Wie bei jedem anderen Unternehmen gibt es eine Reihe von Patenten“, heißt es weiter vom Unternehmen. „Das bedeutet nicht, dass wir notwendigerweise alle Aspekte dessen implementieren, was in ihnen enthalten ist.“ (eigene Übersetzung)

Wir haben Airbnb auch gefragt, wo es diesen Algorithmus wie einsetzt, von welchen Unternehmen und Behörden es dafür Daten bezieht und wie lange diese gespeichert werden. Auf diese Fragen haben wir keine Antworten erhalten. Das Unternehmen betont aber, dass es keine sexuellen Dienstleistungen in Inseraten zulasse und diese Regel mit entsprechenden Richtlinien durchsetze.

Gesetze erfassen nicht alle algorithmischen Entscheidungen

„Grundsätzlich können Unternehmen im Rahmen der Privatautonomie selbst entscheiden, wer auf ihren Plattformen aktiv ist“, sagt Louisa Specht, Professorin und Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Informations- und Datenrecht an der Universität Bonn. Sie verweist jedoch auf eine Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der Personen von einer Veranstaltung, die für einen unbeschränkten Personenkreis geöffnet ist, nicht ohne sachlichen Grund ausgeschlossen werden dürfen. „Das lässt sich meines Erachtens auf den digitalen Bereich erstrecken“, so Specht.

Die Auswirkung von algorithmischen Entscheidungen kann zudem unter die europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) fallen. Nach derzeitiger Rechtslage verstoße Airbnb aber weder gegen das eine noch das andere, sagt Daniel Zimmer, Rechtswissenschaftler am Lehrstuhl für Handels- und Wirtschaftsrecht der Universität Bonn. „Die Vermietung von Räumen an Gewerbetreibende zählt grundsätzlich nicht zu den vom Antidiskriminierungsrecht erfassten Sachverhalten.“ Auch deckt das AGG die Benachteiligung von Berufsgruppen nicht ab. Allerdings wird der Regulierungsbedarf von Algorithmen immer wieder diskutiert. Einer von mehreren Lösungsansätzen könnte die „Erstreckung des herkömmlichen Antidiskriminierungsrechts auf weitere Lebensbereiche“ sein, schlägt Zimmer zur Diskussion vor.

Specht denkt über eine Offenlegungspflicht für Algorithmen nach, durch die Diskriminierung leichter nachgewiesen werden könnte. Eine solche Pflicht gibt es laut Medienstaatsvertrag bereits für Suchmaschinen. Generell bezweifelt die Juristin, dass der Airbnb-Algorithmus datenschutzrechtlich unbedenklich wäre. Sie spricht dabei die Zulässigkeit der Datenverarbeitung an, insbesondere von Daten zur Gesundheit und dem Sexualleben der Nutzer:innen. Nutzer:innen haben außerdem gemäß der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) das Recht, „nicht einer ausschließlich auf einer automatisierten Verarbeitung – einschließlich Profiling – beruhenden Entscheidung unterworfen zu werden“, sagt Louisa Specht.

Betroffene können sich selten wehren

An einem konkreten Fall können wir die Entscheidungswege von Airbnb nicht prüfen. Christian Knappik ist zur Verschwiegenheit verpflichtet, die Betroffenen wenden sich über die Hotline und das Forum vertrauensvoll an ihn. Aber er weiß um die Verzweiflung der Betroffenen. „Das löst Machtlosigkeit für die Frauen und Männer aus“, sagt er. „Das Hauptproblem ist, dass sensible Daten weitergegeben werden.“

Für Nutzer:innen sei undurchsichtig, auf welche Daten Airbnb genau zugreifen kann – was für Sexarbeiter:innen zum existenziellen Problem werden kann. In Österreich handeln sie gegen das Gesetz, wenn sie Apartments zum Arbeiten mieten, aber viele sehen keinen anderen Ausweg.

Auch ist schwer zu sagen, wie viele Sexarbeiter:innen in Deutschland Probleme mit Airbnb haben. Beim Bundesverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen e. V. (BesD) sei das kein Thema, sagt eine Sprecherin gegenüber netzpolitik.org. Prostituierte nutzten die Plattform für ihre Arbeit, auch wenn sie es nicht offen angeben. Von Kontosperrungen konnte jedoch niemand im Verband berichten, weder im beruflichen noch im privaten Kontext.

Kriminalisierung von Sexarbeit ist ein Problem

Ob und wann Methoden wie die der von Airbnb patentierte Algorithmus in Antidiskriminierungs- und Datenschutzgesetzen angemessen berücksichtigt werden, bleibt offen. Warum Sexarbeiter:innen Unterkünfte manchmal offenbar nicht zu privaten Zwecken anmieten können, dafür fehlt eine sachliche Begründung.

Zudem ist das Patent für den Algorithmus gleichermaßen in den USA und in Europa zugelassen, obwohl die Länder Prostitution ganz unterschiedlich regulieren. Sexarbeiter:innen handeln also manchmal mehr, manchmal weniger gesetzeskonform, wenn sie Apartments für geschäftliche Zwecke anmieten.

Für Christian Knappik versteckt sich hinter der Problematik eine grundsätzliche Debatte über Menschenrechte in der Prostitution. „Wenn Sexarbeiter:innen keine Zimmer mehr auf Airbnb buchen dürfen, widerspricht das der europäischen Menschenrechtskonvention: der Freiheit der Berufswahl und der sexuellen Selbstbestimmung“, sagt er. Dass Sexarbeit grundsätzlich kriminalisiert werde, lehnt er ab. Das Sexualleben und die Privatsphäre von Sexarbeiter:innen und deren Kund:innen müssten durch die Gesetzgebung und die Behörden respektiert werden.

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3 Ergänzungen

  1. Woher hat Airbnb die Datenbasis um Menschen nach ihren Vorlieben zu clustern? Woher weis der Betreiber ob jemand Vorbestraft ist oder Alkohol und Drogen konsumiert?

  2. Also die Aktion mit den Fake-Freiern halte ich auch für sehr zwielichtig. Hier wird bewusst jemand zu einem Gesetzesverstoß aufgefordert um die lukrativen Strafen einzukassieren.
    Das ist letztendlich nicht anders als einen V-Mann in der Rechten Szene, der dort eine Person zu einer Straftat ermuntert, nur um diese dann dafür zu verhaften. Die Polizei ist nicht dafür da, zu Gesetzesverstößen /anzustiften/ sondern zu verhindern oder aufzuklären.
    Statt Prostitution immer in die kriminelle Ecke zu schieben, sollte den Sexarbeitern mehr (Rechts)sicherheit zur Ausübung ihrer Arbeit gegeben werden. Wie wäre es mit einer Entkriminalisierung de-Tabuisierung durch die Einführung einer Ausbildung zur „Staatlich anerkannten SexarbeiterIn“ ;) mit Arbeitsschutz, sicherem Arbeitsplatz, usw. ?

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