Bundestagsdebatte zur Personenkennziffer„Die verfassungsrechtliche Kritik ist insgesamt vernichtend“

Die Bundesregierung will digitale Behördengänge vereinfachen. In vielen staatlichen Datenbanken soll deshalb die Steuer-ID zur Kennziffer werden. Doch es gibt Streit um diese Umsetzung, die Opposition sieht das Projekt bereits daran scheitern. Wir fassen die ersten Lesung des Registermodernisierungsgesetzes im Bundestag zusammen.

Screenshot Parlamentsfernsehen
Parlamentarischer Staatssekretär des BMI Günter Krings (2.v.l) hört harte Kritik vom Rednerpult. – Alle Rechte vorbehalten Deutscher Bundestag

Immer wieder dieselben Daten bei Behördengängen angeben müssen und schon wieder die Geburtsurkunde rauskramen: Damit will die Bundesregierung Schluss machen. Die Verwaltung soll digitaler werden und die vorliegenden Daten untereinander teilen. Aber ohne dabei die gläserne Bürger:in zu erschaffen. Am Donnerstag stritt der Bundestag über die Einführung der Steuer-ID als allgemeine Identifikationsnummer.

In der halbstündigen Bundestagsdebatte waren sich alle Fraktionen einig, dass Deutschlands Registerlandschaft dringend ein digitales Update braucht. Union und SPD betonten den möglichen Nutzen für die Bürger:innen der Modernisierung. Sie müssten dann „once only“, also nur einmalig bei Behördengängen Daten angeben. Das könne etwa einen Antrag auf Kinder- und Elterngeld oder das Ummelden des Wohnsitzes vereinfachen.

Verknüpfung von Datenbanken mit der Steuer-ID

Streit gab es aber über das wie. Die Regierungskoalition will die Steuer-ID als lebenslange Identifikationsnummer in den wichtigsten Datenbanken einspeichern. Ihr Gesetzentwurf sieht diese Personenkennziffer für etwa 50 Register vor. Als eindeutiges Merkmal verknüpft es die an verschiedenen Orten gespeicherten personenbezogenen Daten.

Für den Parlamentarischen Staatssekretär des Bundesinnenministeriums, Günter Krings (CDU), ist es schlicht die einfachste Lösung, die Steuer-ID zu einer Identifikationsnummer umzuwidmen: „Dieses vorhandene Ordnungsmerkmal kann in seiner Funktion ohne Weiteres erweitert werden“.

Datenschützer:innen hatten bereits zur Einführung der Steuer-ID vor solch einem Missbrauch der Steuer-ID als Personenkennzeichen gewarnt. Gerichte erlaubten sie damals unter der Bedingung, dass sie nur im Bereich Steuern eingesetzt wird, wie der Wissenschaftliche Dienst (PDF) des Bundestags analysiert. Die Kritiker:innen des vorliegenden Entwurfs halten eine Ausweitung der Nutzung daher für verfassungswidrig und möglicherweise nicht mit der Menschenwürde vereinbar.

Opposition: Personenkennziffer berührt Menschenwürde

Nach Ansicht der Opposition steuern die Regierungsfraktionen mit ihrem aktuellen Entwurf „sehenden Auges in eine Verfassungsklage hinein“. Manuel Höferlin von der FDP zählte im Bundestag auf, wer bereits alles vor der Steuer-ID als Personenkennziffer gewarnt hat und schlussfolgerte: „Die verfassungsrechtliche Kritik ist insgesamt vernichtend.“ Nachbesserungen müssen trotz Eile in der Coronapandemie möglich sein, sonst sei das Verfahren „rechtsstaatlich schon fast eine Bankrotterklärung.“

Der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz sieht wegen der Steuer-ID als Identifikationsmerkmal das gesamte Projekt gefährdet: „Wenn dieses Gesetz an die Wand kachelt in Karlsruhe vor dem Bundesverfassungsgericht – wie schon so viele andere – dann bleibt Deutschland abgehängt bei der zwingend notwendigen Modernisierung unseres Staatswesens.“ Auch er forderte eine langfristig tragfähige Lösung anstatt einen unter Zeitdruck durchgedrückten Entwurf.

CDU sieht keine verfassungsrechtlichen Bedenken

Davon will die Union nichts wissen. Nadine Schön von der CDU sagt: „Unsere Daten liegen in Deutschland in ganz vielen kleinen Gefängnissen“ und „diese Daten können nicht raus“. Andere Länder in Europa hätten längst Identifikationsnummern, die Datenaustausch ermöglichen. Der Datenschutz würde durch verschiedene Schutzmechanismen eingehalten: „Es können keine unberechtigten Profile gebildet werden, weil wir die Daten dezentral lassen und der Austausch nur mit Berechtigung funktioniert.“

Unter lauten Zwischenrufen von den Oppositionsbänken zweifelte Marc Henrichmann von der CDU die Legitimität des Volkszählungsurteils von 1983 an. Das Urteil sei schon 10 Jahre älter als sein Kollege Philipp Amthor „und ich glaube, zu der Zeit gab es weder Internet noch sonst irgendwelche Technik“. Daher sei das Urteil nicht mit dem aktuellen Sachverhalt vergleichbar.

Was er dabei unter den Tisch fallen ließ: Mit dem Urteil schuf das Bundesverfassungsgericht das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Danach verstößt es gegen die Menschenwürde, also den ersten Paragrafen des Grundgesetzes, staatliche Persönlichkeitsprofile der Bürger:innen anzulegen. Das gilt auch, wenn nur einige Daten verschiedener Bereiche mit einer Personenkennziffer zusammengeführt werden. Das Missbrauchspotenzial in den Händen des Staats ist immens.

Steuer-ID ist nicht alternativlos

Die Kritik der Opposition und von Datenschutzorganisationen vorausahnend, beschwichtigte Helge Lindh von der SPD. Es gäbe „keinen Geheimplan oder Masterplan der Durchdringung der Geheim- und Intimsphäre der Bürgerinnen und Bürger“. Vielmehr gehe es um „Servicefreundlichkeit.“ Lindh sieht berechtigte Kritik an dem Instrument für die Verknüpfung der verschiedenen Datenbanken und sagt die Steuer-ID sei durchaus „nicht alternativlos“.

Lindh signalisiert damit Bereitschaft dafür, im parlamentarischen Verfahren Änderungen an dem Gesetz vorzunehmen: „Wenn wir nur eine Identifikationsnummer nehmen, müssen wir besonders auf die Verfassungsmäßigkeit achten. Und wir müssen besonders hohe Sicherheitsrichtlinien einziehen, damit auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz zufrieden sein wird, der große Skepsis hat.“

Der Gesetzentwurf für das Registermodernisierungsgesetz liegt jetzt federführend beim Innenausschuss. Eine öffentliche Anhörung könnte am 14. Dezember stattfinden.

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2 Ergänzungen

  1. Das Zitat von Marc Henrichmann „und ich glaube, zu der Zeit gab es weder Internet noch sonst irgendwelche Technik“ kann man in die Schublade „Glauben statt Wissen“ legen. Dass es auch damals schon „sonst irgendwelche Technik“ gab steht sicher außer Frage, und ist eher schludrige Rhetorik. Aber auch das Internet gab es schon – die erste Spezifikation des „Internet Protocol“ (allgemein als „IP“ bekannt) wurde 1981 als „RFC791“ veröffentlicht. (Auf den nochmal wesentlich älteren Vorgänger „ARPANET“ will ich hier gar nicht eingehen.)

  2. Wie ich bei so etwas immer gern meine: In einer guten Version unserer Welt… Haben wir aber nicht!
    Habt ihr damals™ auch alle brav schriftlich der regelmäßigen Herausgabe eurer Stammdaten an Dritte durch Bürgerbüros widersprochen? Oops, oder? Ist das schon wieder lange her und die dürfen das wirklich einfach so? In einer guten Version unserer Welt…

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.