EU-Gesetz gegen TerrorinhalteDeutschland drängt auf kurze Löschfristen

Die geplante EU-Verordnung gegen Terrorpropaganda könnte die Bestimmungen des deutschen NetzDG deutlich verschärfen. Dafür setzt sich die Bundesregierung im Rahmen ihrer EU-Ratspräsidentschaft ein. Ihr vertraulicher Textvorschlag, den wir veröffentlichen, möchte Behörden europaweit das Recht geben, vorgebliche „Terror-Inhalte“ löschen zu lassen.

Bilder von Anschlägen
Was ist ein „terroristischer Inhalt“? Die EU hadert mit der Definition. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Fred Moon

Die Verhandlungen über eine neue EU-Verordnung gegen Terrorpropaganda gehen in den Endspurt. Deutschland drängt darin zu Auflagen, die Diensteanbieter im Netz gegen das Androhen hoher Geldstrafen zum Löschen von verdächtigen Inhalten binnen kürzester Zeit verpflichten sollen. Zugleich schlägt die deutsche Ratspräsidentschaft in einem „Kompromissvorschlag“, den netzpolitik.org veröffentlicht [PDF], eine Aufweichung des grundrechtlichen Schutzes gegenüber früheren Textentwürfen vor.

Die EU möchte mit dem Gesetzesvorschlag terroristische Inhalte im Netz bekämpfen, etwa Propaganda des Islamischen Staates oder Live-Videos wie jenes des rechtsextremen Christchurch-Attentäters. Zu diesem Zweck soll es Lösch- und Sperrverpflichtungen für alle in Europa tätigen Online-Dienste geben, bei denen Nutzende Kommentare, Videos oder Bilder hinterlassen können. Einige EU-Verhandler:innen drängen überdies darauf, verpflichtende Uploadfilter gegen Terrorinhalte vorzuschreiben.

Kommen die Anbieter den Lösch-Anordnungen nicht nach, drohen ihnen Strafen von bis zu vier Prozent ihres globalen Umsatzes – für Konzerne wie Google und Facebook kann das Milliarden Euro ausmachen. Zugleich beruhte in bisherigen Entwürfen die Einstufung, was als „terroristischer Inhalt“ gilt, auf schwammigen Definitionen, die Raum für Zensur offenlassen. Die Vorschläge aus Brüssel werden von Expert:innen aus NGOs und Grundrechteorganisationen als Gefahr für die freie Meinungsäußerung kritisiert.

Der Kompromissvorschlag der deutschen Ratspräsidentschaft enthält nun eine etwas konkretere Definition, was terroristische Inhalte sein sollen. Diese konzentriert sich auf Aufrufe zu Terrorakten und Bitten um Unterstützung für terroristische Handlungen und Gruppen, auch nennt sie Anleitungen zum Bau einer Bombe, Feuerwaffen oder anderer gefährliche Gegenstände.

Verschärfung für das NetzDG

Bemerkenswert ist der Entwurf der deutschen Ratspräsidentschaft aus innerstaatlicher Perspektive. Denn der deutsche Vorschlag würde für Plattformen weitaus strengere Auflagen machen als es in Deutschland das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) tut, das die Große Koalition gerade wieder reformieren möchte. Das NetzDG sieht eine Mindest-Löschfrist von 24 Stunden vor, die neue EU-Verordnung würde diese Frist für terroristische Inhalte in „außergewöhnlichen Fällen“ auf eine Stunde heruntersetzen. Diese sehr kurze Löschfrist war bereits in früheren Entwürfen enthalten, wurde aber immer wieder scharf kritisiert.

Die Lösch-Anordnungen sollen nach dem deutschen Entwurf auch jenseits von Landesgrenzen verschickt werden können. Eine Behörde in Ungarn könnte dann etwa einem deutschen Online-Dienste die Löschung eines Inhaltes anordnen, wobei die deutschen Behörden allerdings ein Mitspracherecht haben. Dennoch etabliert der Vorschlag das auch in umstrittenen Entwürfen für die E-Evidence-Verordnung enthaltene Prinzip, Behörden künftig europaweit Handlungsfreiheit zu geben.

Pikant ist das nicht zuletzt deshalb, weil es zwischen europäischen Ländern Auffassungsunterschiede gib, welche Gruppen als terroristisch einzustufen sind. Deutlich wird das etwa daran, dass einige EU-Staaten die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) als Terrorgruppe sehen, andere aber nicht.

Schutz für Journalismus wird beschränkt

Darüber hinaus führt der deutsche Entwurf einen neuen Unterparagraphen ein, der den grundrechtlichen Schutz von Inhalten aus Nachrichtenmedien, Bildung, Wissenschaft und Kunst einschränkt. „Blanko-Ausnahmen können dazu führen, dass illegale Inhalte unter dem Vorwand schutzwürdiger Motive veröffentlicht werden“, heißt es in dem Text der deutschen Ratspräsidentschaft.

Deutschland fordert eine Prüfung von Fall zu Fall, ob es sich tatsächlich um schutzwürdige Inhalte handelt – eine Prüfung, die innerhalb kürzester Löschfristen und unter hohen Strafandrohungen wohl zu vielen ungerechtfertigten Löschungen führen dürfte. Das kehrt praktisch das Prinzip um, dass etwa journalistische und künstlerische Inhalte grundsätzlich einer größeren Freiheit unterliegen. Der deutsche Entwurf fordert, dass Online-Dienste den Nachweis erbringen, dass es sich um eine „legitime Ausübung der Freiheit des Ausdrucks und der Information“ handelt, wie es in dem Entwurf heißt.

Ob der neue Entwurf aus Deutschland weiterhin Uploadfilter vorschreibt, ist unterdessen unklar. In dem deutschen Papier heißt es, die Mitgliedsstaaten hätten den Verweis auf verpflichtende „proaktive Maßnahmen“ der Plattformen geändert, er spricht nun stattdessen von „spezifischen Maßnahmen“. Das könnte freilich noch immer eine Filterpflicht implizieren.

Nach einer Einschätzung aus Verhandlungskreisen bewegt der deutsche Entwurf die laufenden Gespräche zwischen Kommission, EU-Parlament und Mitgliedsstaaten deutlich näher an die Ziellinie. Deutschland möchte noch während seiner Ratspräsidentschaft eine Einigung erzielen, also bis Jahresende. Die Verordnung gegen Terrorinhalte könnte dann bereits nächstes Jahr Gesetz werden.

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13 Ergänzungen

  1. Kurze Fristen und komplexe Ausnahmen sind fuer die deutsche Politik wichtig: das koennen nur grosse Anbieter, damit kann man kleine aus dem Markt und damit der Existenz draengen.

    Konservative, also CDU/CSU/SPD-Politik ist immer zuerst Konzernpolitik. Mit den Strukturen koennen deren Politiker umgehen, und von den Strukturen werden sie umrsorgt.

    1. Von diesen Lobbyistischen Strukturen erhalten denen ihre Parteien vor allem jede Menge Spenden und Geld. Deshalb werden die alles dafür tun Gesetze zu erlassen die so nur von Konzernen umgesetzt werden können und diesen nutzen. Also Uploadfilter und Massenzensur zum Beispiel.

      Leider gibt es in diesem Land zu viele Naive die immer und immer wieder SPD/CDU Wählen und es somit ermöglichen das der Mittelstand kaputt gemacht wird.

      1. Das ist mE nicht nur ein Frage direkter oder indirekter Korruption. Konzerne und die von ihnen dominierten Strukturen bieten der Politik qualifizierte Ansprechpartner. Die wissen, was sie wollen, die koennen das politikverstaendlich kommunizieren und die koennen umsetzbare Forderungen an die Politik daraus ableiten und stellen. Dazu machen sie noch Werbung fur diese Forderungen. Parteien wie CDU und FDP werden explizit dafuer gewaehlt.

        Es ist viel aufwendiger und erfordert viel mehr Strukturen seitens der Politik, mit weniger organisierten, dezentraleren oder unqualifizierteren Teilen der Gesellschaft zu arbeiten. Das ist natuerlich eigentlich ihre Aufgabe, denn das sind nunmal die Buerger und grosse Teile der Zivilgesellschaft. Aber es ist schwer, wurde mit dem Abbau vieler staatlicher Resourcen immer schwerer, und es wird vom zT sehr unverstaendigen Waehler auch nicht unbedingt honoriert.

        Klar, seit mehr als 20 Jahren arbeiten alle Konzernlobbyisten, Neolibs und die fuehrenden Politiker zumindest von CDU/CSU/SPD aus Eigennutz in diese Richtung. Aber ein starke Zivilgesellschaft braucht eben auch das Engagement der Buerger in Strukturen, die zur Willensbildung und -verhandlung faehig sind. Dass „Parteien zur Willensbildung beitragen“ ist ja nicht nur so dahingesagt, Strukturen sind notwendig

        1. Ergaenzend: das Strukturen auch ausserhalb von Parteien sehr wichtig und sehr wirksam sind, sieht man zB sehr gut an Olaf Scholz’s gegen sie gerichteten Kampf durch Entzug der Gemeinnuetzigkeit und den klassischen Zersetztungsstrategien seitens konservativer Medien.

    2. Wobei mit der Urheberrechtsreform viele kleine Anbieter aber auch Nichtanbieter eigentlich auch schon kaputt sind.

      Vielleicht wird es einen Exodus zu nicht öffentlich einsehbaren Diensten hin geben, die dann wohl mittelzeitnah ausgekehrt werden.

      Im Falle gutmütiger Inkompetenz würde es vielleicht „Reparaturversuche“ geben auf EU und DEU Seiten, aber wie immer mit Gesichtswahrung und Verkomplizierung und Sollbruchverkleisterung von allem, also z.B. mit Zusatzgesetzen, die auf indirekte Weise etwas regeln, was im ersten Gesetz schon hätte drinstehen müssen, auf dass nachfolgende Parlamentsinsassen noch mehr Nichtverstehen einbringen können, und so dass es letztendlich schlimmer als schlimm werden wird.

  2. „auch nennt sie Anleitungen zum Bau einer Bombe, Feuerwaffen oder anderer gefährliche Gegenstände“
    u what mate?!? Nur um mal zu illustrieren wie das umgesetzt werden wird: Erst werden die Pläne für „Elk-seeking-missiles“ gelöscht, dann wird jeder der über Chemie/Physik/Ingenieurswissenschaften spricht unpersoned, anschließend verschwinden Kanäle wie ForgottenWeapons oder Videos wie „How to Make a Sharp Knife Out of Pasta Noodles“ nicht nur von YouTube sondern auch von Pornhub und anderen Hostern, und zu guter Letzt bekommt jedes Video, Bild oder Text, das zeigt wie jemand einen stumpfen Gegenstand (zweithäufigste Mordwaffe) aufhebt den Banhammer.
    Bei diesem Maß an Volksverdummung kann man auch gleich die ganze Bevölkerung zu ihrer eigenen Sicherheit für den Rest ihres Lebens in Gummizellen sperren.

  3. Und so geht er weiter, der unermüdliche Kampf von SPD und Union gegen Grundrechte, Journalismus, Aufklärung und einen digitalen Raum, der nicht alleine von Großkonzernen beherrscht wird. Ich habe nichts geringeres erwartet und die EU ist mal wieder die ideale Plattform zur Durchsetzung grundrechtsfeindlicher Pläne.

  4. „Blanko-Ausnahmen können dazu führen, dass illegale Inhalte unter dem Vorwand schutzwürdiger Motive veröffentlicht werden“
    Bin ich die einzige die diesen Satz als Generalangriff auf unsere Freiheitsrechte empfindet? „Blanko-Ausnahmen“ steht hier schließlich nicht für irgendetwas beliebiges, sondern ist Platzhalter für die freie Gesellschafftsordnung in der sich eben niemand schon vorher rechtfertigen muss oder eingeschränkt werden kann. Man will hier die Wahrnehmung von Grundrechten wie der Meinungsfreiheit also schon im Voraus einschränken, weil die Möglichkeit(!) einer illegalen Handlung bestehen könnte. Geht’s noch?!

    1. Da frage ich mich jetzt aber, wozu man dafür noch einen einzelnen Satz herausnehmen muss…

    2. Zu genau diesem Satz wollte ich auch gerade einen empörten Kommentar schreiben, noch bevor ich Deinen las. Weil er auf mich genau die gleiche Wirkung hat.

      Entweder sind die, die das vorantreiben, strunzdumm (im aktuellen Logbuch Netzpolitik Podcast legt Patrick Breyer eine ganze Reihe von Argumenten dar, warum es gefährlich ist, durch Filter z.B. Journalismus, Satire und Dokumentierung von Kriegsverbrechen mit zu erschlagen, und mir erschließt sich einfach nicht, wie diese Argumente an einem auch nur marginal denkfähigen Menschen, geschweige denn einem verantwortungsvollen Politiker einfach abperlen können). Oder sie unterscheiden sich im Geiste wahrlich nicht von der chinesischen kommunistischen Partei. Oder beides.

      Hier soll offenkundig auf einem gesamten Kontinent der öffentliche Diskurs durch Zensur in enge Bahnen gelenkt (ich möchte glatt sagen, infantilisiert) werden, und nur noch die Führung darf denken, genau wie in China.

      Und wie gut sie das können, das für uns denken, zeigen sie ja gerade mit dieser Nummer.

      Diese geplante Verordnung ist in toto abzulehnen. Durch Zensur und präventives Wegblocken werden Probleme nicht aus der Welt geschafft. Im Gegenteil. Es ist gefährlich, „Terrorinhalte“ unsichtbar machen zu wollen, so dass am Ende nicht einmal das Phänomen selbst mehr diskutiert und analysiert werden kann. Das ist nicht nur entmündigend, es ist dumm und wird sich brutal rächen.

      1. Und die Gefahr ist damit nicht gebannt.

        Da kein wirksamer rechtlicher Rahmen gesetzt ist, können die Filter in der produzierenden Hand bestimmter Unternehmen landen, die dann mit Verweis auf geltendes Recht *irgendwo* den Diskurs auf nahezu beliebige Weise „rechtskonform“ beschneiden, da die Filter dort eingekauft werden müssen. Bestimmt gibt es auch Preisnachlass, wenn man die personalisierte Werbung auch noch dort einkauft, oder die Nutzer per AGB zu weiteren Datenzugeständnissen bringt.

        Im Zweifel waren das eben falsche Positive auf dem Stand der Technik, und nicht etwa Zensur von Inhalten, die auf Technologien bezug nehmen, zu denen z.B. irgendein Konzern demnächst Patente veröffentlichen wird. Vielleicht bekommen wir da sogar eine Interessengemeinschaft für Vorzensur. Je mehr Sorten von Filtern, desto besser.

  5. Noch kürzer als die ohnehin schon extrem kurzen Löschfristen ist die Zeit, die unsere Regierung benötigt, beliebige unerwünschte Meinungen als „Terrorismus“, „Extremisten“ oder „Antisemitisch“ zu framen und als kriminell zu brandmarken.

    Das Muster ist immer gleich – aus einigen wenigen Mitläufern aus dem rechts- oder linksextremen Milieu wird zunächst der Vorwurf gestrickt, man „distanziere“ sich nicht ausreichend, dann wird – ohne jeden Beweis – eine Bewegung als von Extremisten unterwandert gebrandmarkt, und schließlich die ganze Bewegung extremistisch/terroristisch eingeordnet.

    Ein gutes Beispiel ist das explizite Verweigern des Schutzes von Nachrichtenmedien, Bildung, Wissenschaft und Kunst. Hier wird mal eben die Meinungsfreiheit abgeschafft: Wer eine Meinung haben darf, entscheidet die Regierung. Begründung: Keine. Belege für Missbrauch: Ebenfalls keine. Stattdessen wird eingeflochten, dass illegale Inhalte nicht geschützt werden dürften.

    Die implizite Behauptung, Journalisten, Wissenschaftler und Künstler würden in einem Auslass illegale Inhalte produzieren, das unsere Demokratie gefährdet, ist absurd: Illegale Inhalte sind schon jetzt illegal, weil sie gegen Gesetze verstoßen. Sodass der Regierung und jedem anderen ein ganzes Arsenal von Möglichkeiten zur Verfügung steht, sie zu entfernen.

  6. Der/die Andersdenkende wird sich eine Plattform ausserhalb der „EU“ suchen. Es geht bei diesen Löschungen in den wenigsten Fällen um kriminelle Inhalte, sondern fast immer um politische Zensur i.e.S.. Ab und an bleibt die Menschheit auch von irgend welchen blödsinnigen Verschwörungstheorien verschont. Die „Staaten“ wollen die Herrschaft über das Internet gewinnen. Was dabei rauskommt erleben wir. In den vergangenen Jahren verstärkt. Dem kann man recht einfach ausweichen. Kriminelle interessieren sich nicht für das Geschwafel der Eurokraten, die „EU“ ist nicht die Welt und bei IT hat sie keine Kompetenzen vorzuweisen. Das ist so albern, wie seinerzeit Uschis Stoppschilder. Die hätten niemanden aufgehalten. Für die Suche nach Straftätern gibt es die Polizei, zur Verurteilung die Justiz. Alles andere ist ein Angriff auf die Freiheit normaler Menschen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.