Katastrophen-SchutzDer Warntag ist ausgefallen

Heute sollte der Warntag 2020 stattfinden, um unsere Infrastrukturen im Falle einer Katastrophe zu testen. Uns haben die Warnungen nicht erreicht. Aber gut, dass das getestet wurde. Ein Kommentar.

Sirenen haben heute nicht überall geheult.
Sirenen haben heute nicht überall geheult. CC-BY 2.0 Michael Pereckas

Heute um 11:00 Uhr sollte der erste bundesweite „Warntag“ stattfinden, der zukünftig jährlich immer am zweiten Donnerstag im September geplant ist. Die Idee dahinter ist sinnvoll: Im Falle einer unerwarteten (Natur-)Katastrophe sollten möglichst große Teile der Bevölkerung schnell darüber informiert werden. Nicht nur die für viele etwas unerwartete Corona-Pandemie zeigt anschaulich, dass so etwas schon passieren kann, zumal die Klimakrise sich weiter zuspitzen wird. Und dafür sollen die Warn-Infrastrukturen getestet werden.

Für mich persönlich ist der Warntag aber ausgefallen. Gestern hab ich noch viel dran gedacht und mir vorgestellt, wie um 11:00 Uhr dann die Sirenen losgehen. Um 11:20 Uhr sollte dann die Entwarnung auf denselben Kanälen durchgegeben werden. Praktisch bemerkte ich gegen 11:04, dass ich weiterhin dieselben Baustellengeräusche von draußen vernahm, aber keine Sirene gehört hatte. Später erfuhr ich zufällig im Netz, dass Berlin zu dicht besiedelt ist und deshalb auf Sirenen verzichtet. Das ist nachvollziehbar, aber passte nicht ganz in die bundesweite Kommunikation zum Warntag, die nun mal Sirenen für alle versprochen hatte.


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Für diese Fälle gab es wohl pünktliche Hinweise im (öffentlich-rechtlichen) Radio und Fernsehen. Aber beides konsumiere ich nicht mehr linear, so dass diese mich nicht erreichten. Dafür sollte die NINA-Warnapp des Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) funktionieren, die ich mir mal installiert hatte und die seitdem im Hintergrund auf ihren Einsatz wartete. Die Idee dahinter ist, dass darüber ein „schneller und effizienter Weg zur Warnung der Bevölkerung“ im Falle eines Zivil- und Katastrophenschutzes aufgebaut werden kann, um „die Menschen über Gefahren zu informieren und gleichzeitig konkrete Verhaltenshinweise zu geben.“ Das klappte auch – irgendwie: Erst nach 11:30 Uhr bekam ich darüber eine Information, als die Übung bundesweit schon wieder eingestellt war.

Die für rund 20 Millionen Euro angeschaffte App mit Infrastruktur (ohne Open-Source) hat leider versagt. Gut, dass wir das vor einem richtigen Katastrophenfall getestet haben. Ich bin gespannt auf die Evaluierung und die Debatte im Anschluss, was die technischen und organisatorischen Gründe waren und ob es vielleicht nicht doch bessere Methoden wie Cell Broadcast gibt. Im Falle einer Zombie-Apokalypse können 30 Minuten Verzögerung schon einen klitzekleinen Unterschied machen. Und vielleicht macht etwas Unabhängigkeit vom Netz mehr Sinn, denn im Katastrophenfall würde ich mich jetzt auch nicht auf funktionierendes Internet verlassen wollen, zumal das mit dem Breitbandausbau in vielen Regionen ja verschleppt wurde.

Auf jeden Fall zeigt das Beispiel, dass so ein Warntag Sinn macht. Beim nächsten mal möchte ich aber auch gewarnt werden.

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9 Ergänzungen

  1. Spannend, dass Berlin zu dicht besiedelt ist. Man denke nur an die anderen Bundesdeutschen Großstädte. Oder gar das Ruhrgebiet.
    Hier in Nordrhein-Westfalen funktioniert NINA ziemlich gut, sogar auf regionaler Ebene, wenn man zB bei einem Brand die Fenster geschlossen halten soll.
    Das Problem scheint sich auf die Hauptstadt ein zu Grenzen.
    Ich stimme aber zu, dass so etwas wie ein Cell Broadcast sinnvoller wäre. Haben wir in Neuseeland kennengelernt, als Corona-Level 4 ausgerufen wurde. Unabhängig von Telefon, Anbieter und installierten Apps poppte eine Prioritätsmeldung direkt auf den Homescreen.
    Und für die Nicht-Smartphone-Nutzer wird es doch sogar als SMS abgebildet, oder?

    1. NINA hat auch in weiten Teilen im Suedwesten nicht aktiv alarmiert.

      Cell Broadcast waere einfach und funktioniert. Beides Eigentschaften, die fuer die Entscheider in der Politik nicht so wichtig sind.

    2. Meines Wissens gibt es in München auch kaum Siren und die die es gibt haben nicht geheult.
      Cell-Broadcast ist ganz nett und dürfte sogar einen Ticken Datenschutz freundlicher als das Mobilnetz an sich sein.
      SMS Wahrnung ist wieder was anderes aber in DE(und AT) kannst du die Warnungen per SMS und e-mail ebenfalls erhalten: https://www.katwarn.de/anmeldung-mail-sms.php

  2. Wäre schön gewesen, wenn RKI + Gesundheitsämter die Katastrophenpläne vorher auch mal geübt und bewertet hätten. Aber immerhin ist der Staat jetzt (vielleicht) aufgewacht und widmet seinen Kernaufgaben nun etwas mehr Aufmerksamkeit.

  3. Nach meinen (dreimaligen, also geringen) Erfahrungen mit Cell Broadcast in den USA funktioniert dieses Verfahren zuverlässig. Was besonders charmant ist: Cell Broadcasts sind recht datenschutzfreundlich, so erfährt der Sender nicht automatisch, wer die Empfänger sind.

  4. Guter Kommentar.
    Um so mehr „High-End“ die Technik, umso sensibler und anfälliger ist sie auch.
    Ein einheitlicher Sirenenton, den jeder kennt und bei dem alle einfach in die nächsten Gebäude gehen ist am effektivsten und am sinnvollsten.
    Der Sinn dahinter, dass Berlin keine Sirenen mehr hat, weil es dicht besiedelt ist erschließt sich mir nicht…
    Ich schaue kein Fernsehn und höre kein Radio, erst recht habe ich kein Spyphone und am Computer sitze ich nur daheim und das auch nicht immer.
    Bin ich also im Zugzwang wenn ich nicht vom Downburst oder einer Bombe weg gefetzt werden will im Ernstfall?
    Schöne neue Welt… nicht.

  5. Überrascht das wirklich noch wen?

    Da wird jetzt bestimmt ein nettes (überteuertes) Gutachten erstellt, mit freiwilligen, unverbindlichen Handlungsempfehlungen um die Probleme zu beheben. Das Dokument verschwindet dann umgehend in der Mottenkiste und nach dem nächsten großen Desaster gibt es die üblichen „hätten wir mal damals…“ Ausrufe.
    Doch anstatt als Konsequenz die Probleme die sich offenbart haben unverzüglich und vollumfänglich anzugehen und langfristig zu beheben, verschiebt man es wieder, weil die Beseitigung der unmittelbaren Folgen der Katastrophe gerade Priorität haben. Für Vorsorge ist es ja dann schon zu spät, außerdem kommt es ja nur „alle 100 Jahre einmal vor“.
    Vorsorge und konkreten Maßnahmen, die Katastrophe in Zukunft zu verhindern werden immer wieder auf die lange Bank geschoben – dafür hat man ja später noch Zeit (es sollen ja keine Arbeitsplätze gefährdet oder Wähler verärgert werden) – womit sich der Kreis schließt.

    Wer an die jetzige und die letzten Krisen zurückdenkt, dem wird das Muster bekannt vorkommen.

    In der Zukunft wird die Zahl der Krisen und Katastrophen eher zunehmen als abnehmen.
    Der Warntag reiht sich in die lange Liste der (deutschen) Projekte ein, die „man mal hätte anpacken sollen“, daraus aber nie wirklich etwas brauchbares wird – sofern sie denn überhaupt angegangen werden.

  6. Ich lese überall, dass die Nina Meldungen später kamen. Bin ich der einzige wo heute gar nichts kam?

    In der Regel scheint Nina zu funktionieren, aber ich habe zum Warntag keine Meldung bekommen. Ich hätte mit 3 Warnungen für jeden Ort gerechnet..

  7. In den 80ern gab’s noch fast ueberall Sirenen und regelmaessige Testalarme. Cell Broadcast funktioniert. UKW-Radio ist billig und zuverlaessig.

    Aber eine Politik, die vorsaetzlich die Klimakatastrophe betreibt, Steuergelder in ueberkommene Wirtschaftszweige schaufelt, Energie- und Verkehrswende torpediert und oeffentliche Infrastruktur generell zur Gewinnmaximierung freigibt hat schlicht kein Interesse an Katastrophenschutz fuer die breite Bevoelkerung.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.