Bahnhof Berlin SüdkreuzSeehofer will wieder mit Videoüberwachung experimentieren

Die Deutsche Bahn investiert im großen Stil in den Ausbau der Überwachung von Bahnhöfen. Bundesweit sollen tausende neue Kameras installiert werden. Das Berliner Südkreuz soll als „Sicherheitsbahnhof“ erneut zum Labor für neue Technologien werden.

11.000 Kameras will die Deutsche Bahn bis 2025 an ihren 900 Bahnhöfen installiert haben
Bundesregierung und Bahn treiben den Ausbau der Videoüberwachung an Bahnhöfen voran. (Symbolbild) – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Paweł Czerwiński

Die Deutsche Bahn rüstet ihre Bahnhöfe weiter mit Videoüberwachung auf. In den kommenden Jahren soll die Anzahl der Videokameras an Bahnhöfen auf etwa 11.000 erhöht werden. Außerdem soll am Berliner Bahnhof Südkreuz in einem dreijährigen Projekt erneut mit „intelligenter Videoüberwachung“ experimentiert werden. Das teilte die Bahn am Sonntag in einer gemeinsamen Presseaussendung mit dem Bundesinnenministerium und dem Bundesverkehrsministerium mit.

Die Maßnahmen sollen „unsere Bahnhöfe und Züge noch sicherer machen“, heißt es von Innenminister Horst Seehofer zu den Plänen. Der ehemalige Kanzleramtsminister und heutige Bahn-Vorstand Ronald Pofalla ergänzt, dass Sicherheit das „oberste Gebot“ seines Unternehmens sei.

Gemeinsam investieren Bund und Bahn in den nächsten vier Jahren 180 Millionen Euro in hochauflösende Kameras. Der Eigenanteil des Staatsunternehmens beträgt 40 Millionen Euro. Der Rest wird aus Mitteln der Bundespolizei und aus der dritten Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung bestritten, mit der die Bundesregierung eigentlich die Instandhaltung des Schienennetzes finanziert.

Insgesamt soll die Zahl der Videokameras an deutschen Bahnhöfen um knapp ein Drittel aufgestockt werden. Bund und Bahn bleiben damit ihrem Kurs des Überwachungsausbaus treu. Im August 2018 sprach die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion noch von gut 6.000 Kameras an etwa 900 Bahnhöfen [PDF], aktuell ist von 8.000 die Rede. Allein in den vergangenen zwei Jahren kamen also etwa 2.000 Kameras hinzu.

Automatisch Gefahrensituationen erkennen

Ein besonderes Augenmerk legen die Beteiligten erneut auf den Berliner Bahnhof Südkreuz. 2021 soll dort das dreijährige Projekt „Sicherheitsbahnhof“ starten. Dabei sollen Schutzbarrieren an Bahnsteigen und „intelligente Videoüberwachung“ erprobt und wissenschaftlich ausgewertet werden. Das Projekt knüpft an einen mehrjährigen Test von Videoüberwachungstechnologien am Südkreuz an.

Anders als damals soll es dieses Mal jedoch nicht um Gesichtserkennung gehen, teilte ein Sprecher des Innenministeriums auf Nachfrage mit. Stattdessen sollen mit Hilfe von Analysesoftware Gefahrensituationen frühzeitig automatisiert erkannt werden, etwa wenn Gedränge entsteht, zu viele Personen auf einem Gleis sind oder Menschen Bereiche betreten, die sie freihalten sollen.

Auch mit solchen Verhaltensscannern wurde am Südkreuz bereits experimentiert. Details zu den konkreten Überwachungssystemen, die nun ausprobiert werden sollen, stehen dem Sprecher zufolge noch nicht fest. Auch über die angekündigte wissenschaftliche Begleitung kann das Ministerium derzeit keine Angaben machen. Das Projekt sei noch in der Vorbereitungsphase.

Mehr Schutz am Gleis?

Die nun angekündigten Maßnahmen seien eine Reaktion auf zwei Tötungsdelikte an Bahnhöfen, heißt es in der aktuellen Pressemitteilung. Im Jahr 2019 starben bei zwei Vorfällen in Frankfurt am Main und Voerde ein Kind und eine Frau, nachdem sie von psychisch erkrankten Männern vor einfahrende Züge geschubst wurden.

Die Taten hatten eine Welle der Bestürzung und große Anteilnahme hervorgerufen. Unter anderem Innenminister Seehofer hatte damals öffentlichkeitswirksam Maßnahmen angekündigt. Die Beteiligten klären nun allerdings nicht darüber auf, wie mehr Videoüberwachung ähnliche Vorfälle künftig verhindern oder bei der Aufklärung helfen soll. Beide Täter wurden damals unmittelbar nach den Taten festgenommen und vor Gericht gestellt.

Ein loser Zusammenhang mit den Taten lässt sich allenfalls bei einer ebenfalls angekündigten Kommunikationskampagne feststellen, mit der die Bahn für umsichtigeres Verhalten an Bahnhöfen sensibilisieren will. Außerdem sollen zusätzliche Schraffuren auf den Bahngleisen deutlicher machen, welche Bereiche von den Wartenden freizuhalten sind.

Nächster Halt: Überwachungslabor

Das erste Pilotprojekt zur Videoüberwachung am Südkreuz wurde von Protest begleitet.
Foto einer Protestaktion am Bahnhof Südkreuz 2017 - CC-BY 2.0 Endstation Jetzt

Bereits in den vergangenen Jahren diente der Bahnhof Südkreuz als Versuchslabor für neue Überwachungstechnik. In den Jahren 2017 und 2018 experimentierten Bundespolizei und Bundeskriminalamt dort mit automatisierter Gesichtserkennung. Freiwillige Teilnehmer:innen konnten ihre biometrischen Fotos hinterlegen und so bei der Erprobung der Software dreier kommerzieller Anbieter helfen. Nach einer kurzen Unterbrechung aus Kostengründen folgte 2019 ein Test mit Videoüberwachung, die automatisch unnormales und verdächtiges Verhalten erkennen sollte.

Initiiert wurde das Pilotprojekt 2016 vom damaligen Innenminister Thomas de Maizière. Er sah das Experiment explizit als Blaupause für einen flächendeckenden Einsatz von automatisierter Gesichtserkennung und Verhaltensscannern im ganzen Land. Sein Nachfolger Horst Seehofer hielt an dieser Perspektive fest, konnte sich mit seinen Plänen beim Koalitionspartner SPD jedoch bisher nicht durchsetzen.

Die Tests wurden von breitem Protest aus der Zivilgesellschaft begleitet. Der Erfolg des Experiments ist bis heute umstritten. Während sich das Innenministerium bei der Gesichtserkennung über gute Erfolgsquoten freute und die konkreten Testergebnisse lange geheim hielt, zweifelten Kritiker:innen die Validität der Aussage an. Der Chaos Computer Club etwa warf dem Ministerium bewusste Schönfärberei und unwissenschaftliches Vorgehen vor.

Es dürfte daher von besonderem Interesse sein, wie das neue Projekt evaluiert wird. Laut Innenministerium werden sowohl der Projektumgang als auch die Form der wissenschaftlichen Begleitung derzeit definiert.

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7 Ergänzungen

  1. Mit einer ansatzweise vergleichbaren Energie koennte man bei Kfz-Lenkern die Verkehrsregeln durchsetzen und hunderte von Verkehrstoten verhindern.

    Aber Seehofer, der selbsterklaerte Erfahrungsjurist, hat leider nur Energie fuer Ueberwachung und Verfassungsbrueche.

    Was machen eigentlich der Bauminister und der Heimatminister?

  2. „Einen loser Zusammenhang mit den Taten lässt sich allenfalls …“
    Einen muss heißen Ein.

    Danke für eure Arbeit.

    Wäre grundsätzlich sinnvoll, Gesetze/Maßnahmen/… nach x Jahren auf Wirksamkeit zu überprüfen.

  3. In naher Zukunft werden KI-Videoüberwachungssysteme geeignet sein um normabweichendes Verhalten – bspw. Rauchen außerhalb der dafür vorgesehenen Zonen auf Bahnhöfen – zu erkennen; diese Systeme werden Ordnungsverstöße selbständig erkennen und melden.
    Durch eine kleine Anfrage der Linken im Hessischen Landtag an das Hessische Innenministerium wurde im Nov. ’19 bekannt, dass in Hessen bereits Verstöße gegen die Hundeverordnung (z. B. Leinenpflicht), mittels öffentlicher Videoüberwachung, verfolgt werden; auch eine Überwachung von städtischen Alkoholkonsumverbotszonen mittels (intelligenter) Videoüberwachung ist in Hessen denkbar.

    http://starweb.hessen.de/cache/DRS/20/1/01201.pdf

    Besonders für die Videoüberwachung gilt: Sie wurde und wird – unter dem Aspekt der Sicherheit (Prävention/ Repression) in verschiedenen (öffentlichen) Bereichen eingeführt um später – mit fortschreitender Technik – durch das detektieren von Ordnungsverstößen die Menschen zu disziplinieren; alleine das Wissen um eine kameraüberwachte Örtlichkeit führt bei den meisten Menschen zu Wohlverhalten.
    Dazu schrieb Sascha Lobo im Spiegel: “(…) Wohlverhalten ist kein feststehendes Konstrukt, sondern entwickelt sich weiter. Was hindert die Kameraüberwacher daran, das in manchen Städten bestehende Alkoholverbot in öffentlichen Verkehrsmitteln per Videoüberwachung zu kontrollieren? Und demjenigen, der zum dritten Mal mit einer Dose Feierabendbier von einer U-Bahn-Kamera aufgezeichnet wird, Hausverbot auszusprechen? Angenommen, aus Gründen des Klimaschutzes würde die Bahn den Fleischkonsum auf ihrem Gelände untersagen – trauten Sie sich noch, mit einem Würstchen in den Zug zu steigen? (…)“

    https://www.spiegel.de/netzwelt/web/kameraueberwachung-wird-zur-verhaltenskontrolle-a-1135744.html

  4. Eine kleine Frage: Gibt es noch eine genauere Aufschlüsselung wie viel von den 180 Millionen für neue Überwachungskameras die Bundespolizei zahlt und wie viel aus der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung bzw. woraus ist die vorhandene Aufschlüsselung entnommen?

    Vielen Dank :)

    1. Die Information, dass die Bahn 40 Millionen zahlt und der Rest aus Mitteln der Bundespolizei und aus der dritten Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung bestritten wird, haben wir auf Nachfrage vom BMI und der Bahn erhalten. Ich habe nicht nochmal nachgehakt, wie sich der Anteil des Bundes aufschlüsselt. Ich vermute aber, dass der Anteil der Bundespolizei relativ gering ist und der Großteil aus den Infrastrukturmitteln kommt.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.