ZensurheberrechtAfghanistan-Papiere sind wieder online

Nach sieben Jahren Rechtsstreit steht fest: Die Bundesregierung kann die Veröffentlichung der Afghanistan-Papiere nicht mit Mitteln des Urheberrechts verhindern. Das urteilte der Bundesgerichtshof. Jetzt sind die 5.000 Seiten Lageberichte wieder online.

Ein Bundeswehrsoldat in Afghanistan
Wie schätzte das Verteidigungsministerium die Lage in Afghanistan seit 2001 ein? CC-BY 2.0 ResoluteSupportMedia

Sieben Jahre und drei Verteidigungsminister:innen lang dauerte der Streit um die Veröffentlichung der Afghanistan-Papiere, nun hat der Bundesgerichtshof endlich das letzte Wort gesprochen: Die Bundesrepublik Deutschland kann „die Veröffentlichung militärischer Lageberichte über den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr durch die Presse nicht unter Berufung auf das Urheberrecht untersagen“. Die Dokumente sind nun wieder online.

Im Jahr 2012 hatte die Recherche-Redaktion der WAZ, mittlerweile Funke Mediengruppe, etwa 5.000 Seiten aus militärischen Lageberichten über den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr veröffentlicht. Sie dokumentierten die Lage der Bundeswehr in Afghanistan von 2005 bis 2012. Die sogenannten Afghanistan-Papiere sollten die Verharmlosung des Afghanistan-Einsatzes belegen. Doch das Verteidigungsministerium wehrte sich gegen die Veröffentlichung: auf eine erste Abmahnung kurz nach der Publikation folgte eine Klage. Während das Ministerium zuerst damit argumentierte, dass die Berichte als Verschlusssache geheimhaltungsbedürftig seien, zog es schon bald mit dem Urheberrecht ins Feld. Das geistige Eigentum sei durch die Veröffentlichung verletzt worden.

Nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Köln und der Androhung einer Zwangsvollstreckung nahm die Funke-Mediengruppe die Afghanistan-Papiere 2015 offline. Der Rechtsstreit setzte sich jedoch fort und ging bis zum Europäischen Gerichtshof, der den Fall zurück an den Bundesgerichtshof verwies. In seinem Urteil machte der Gerichtshof deutlich, dass Informationsfreiheit und Pressefreiheit normalerweise keine Ausnahmen von Urheberrechten begründen, aber die kreative Schöpfungshöhe bei standardisierten Lageberichten der Bundeswehr zu bezweifeln sei.

Die Dokumente sind wieder da

Der Bundesgerichtshof weist nun die Klage ab, schreibt jedoch, es könne offenbleiben, ob die Lageberichte urheberrechtlich als Schriftwerke geschützt seien. Es greife die Schutzschranke der Berichterstattung über Tagesereignisse. Denn es gehe um die Frage, ob die Darstellung des Afghanistaneinsatzes „als Friedensmission zutrifft oder ob in diesem Einsatz entgegen der öffentlichen Darstellung eine Beteiligung an einem Krieg zu sehen ist“.

Im Anschluss an das Urteil hat FragDenStaat gemeinsam mit Correctiv die Papiere direkt wieder veröffentlicht. Sie können auf der Seite heruntergeladen und durchsucht werden. FragDenStaat kommentiert dazu in einem Blogbeitrag: „Dass gerade im Gegenteil die Veröffentlichung der ungeschönten Afghanistan-Papiere und die damit einhergehende Skandalisierung des Bundeswehreinsatzes und der politischen Führung geeignet gewesen sein könnte, Menschenleben zu retten, davon kann sich die Öffentlichkeit jetzt wieder selbst überzeugen.“ Die Dokumente würden verdeutlichen, „dass die Lage der Bundeswehr während ihres Einsatzes am Hindukusch zwischen 2001 und 2014 aussichtsloser war als von der Bundesregierung kommuniziert und politisches Handeln dringend geboten gewesen wäre“.

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

Eine Ergänzung

  1. Die Afghanistanpapiere enthalten mehrere, teils umfangreiche, Rechercheansätze. Zunächst kann man die Papiere mit den Pressemitteilungen der Bundeswehr vergleichen. Teilweise erhielten Parlamentarier*innen weniger bzw. andere Informationen über die Geschehnisse, als die Bundeswehr in der Pressemeldung schilderte.

    Brisanter sind dann aber die persönlichen Abgleiche, die Soldat*innen auf Basis der Papiere mit der Einsatzrealität vor Ort machen können. Das Problem dabei: Soldat*innen geraten in Verdacht, das Erlebte zu übertreiben oder Ereignisse erfunden zu haben, sobald sie nicht in den schriftlichen Meldungen enthalten sind.

    Die Afghanistan-Papiere machen mehr als deutlich, dass die Bundesregierung von einer „Parlamentsarmee“ nichts hält und als Regierung ungestört handeln will. Parlamentarier*innen dürfen Einsätze abnicken, gern auch mal erst im Nachhinein und proforma autorisieren.

    Soldat*innen wird derweil das Bild vermittelt, das Parlament begleite die Einsätze kritisch. Defacto kann man die Bundeswehr eher als „Regierungstruppe“ , denn als „Parlamentsarmee“ bezeichnen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.