Neues aus dem Fernsehrat (49)Terra-X-Redaktion zu freien Lizenzen: „Öffentlich-rechtlicher Bildungsauftrag“

Im Interview erklären Friederike Haedecke und Kirsten Bode von der ZDF-Reihe Terra X, warum sie erstmals Clips unter freien Lizenzen veröffentlicht haben – und welche Hürden dabei zu überwinden waren.

Screenshot aus dem Terra-X-Clip "Klimafaktor Sonne"
Screenshot aus dem Terra-X-Clip „Klimafaktor Sonne“ CC-BY 4.0 ZDF, Terra X, Gruppe 5, Luise Wagner, Jonas Sichert, Rudi Kirschen

Seit Juli 2016 darf ich den Bereich „Internet“ im ZDF-Fernsehrat vertreten. Was liegt da näher, als im Internet mehr oder weniger regelmäßig Neues aus dem Fernsehrat zu berichten? Eine Serie.

Wie in dieser Reihe berichtet, veröffentlichte die ZDF-Dokureihe Terra X vor kurzem erstmals Videos unter einer freien, Wikipedia-kompatiblen Lizenz. Inzwischen sind die kurzen Clips rund ums Thema Erderhitzung bereits in einer Reihe von Wikipedia-Artikeln prominent platziert – vom Artikel zu „Klimawandel“ über jenen zu „Klimamodell“ bis hin zu „Eisbohrkern“.  Die Reichweite der Videos dürfte dadurch mit der Zeit beträchtlich gesteigert werden.

Screenshot Wikipedia-Seite zu "Klimamodell" mit eingebettetem Video von Terra X
Screenshot der Wikipedia-Seite zu „Klimamodell“ mit einem eingebetteten Video der ZDF-Reihe Terra X

Die Forderung danach, öffentlich-rechtliche Inhalte frei zu lizenzieren, ist ja alles andere als neu. Bereits vor über fünf Jahren hat sich die ARD in einer eigenen Arbeitsgruppe mit dem Thema Creative Commons im öffentlich-rechtlichen Rundfunk beschäftigt. Erst jetzt wurden aber erstmals auch tatsächlich hochwertige Inhalte unter Wikipedia-kompatiblen Lizenzen veröffentlicht. Ein mehr als guter Grund also, mit Friederike Haedecke (Redaktionsleiterin Terra X) und Kirsten Bode (Projektleiterin Terra X Web) darüber zu sprechen, warum es diesmal geklappt hat mit den freien Lizenzen. Das Interview wurde telefonisch geführt und freigegeben.

„Bildungsvermittlung benötigt Reichweite“

netzpolitik.org: Wie ist es zu der Entscheidung gekommen, Clips von Terra X unter einer Creative-Commons-Lizenz zu veröffentlichen – und zwar nicht nur unter irgendeiner, sondern unter eine freien Creative-Commons-Lizenz, die mit der Wikipedia kompatibel ist?

Friederike Haedecke: Das war tatsächlich schon lange ein Wunsch von uns, das zu tun. Als Terra X stehen wir im ZDF für die Bildungsvermittlung und wollen eine möglichst große Verbreitung unserer Inhalte erreichen. Andererseits sehen auch wir selbst, dass egal zu welchem Thema wir googlen, wir im Netz schneller auf Falschinformation als auf die richtigen stoßen. Dementsprechend sind das die beiden Ausgangspunkte gewesen, die uns wirklich schon seit Jahren Lust machen, das auszuprobieren.

netzpolitik.org: Wie stark ist Terra X eigentlich inzwischen auch ein Online-Angebot, also jenseits der bloßen Zweitverwertung in der Mediathek?

Friederike Haedecke: Wir sind mit Terra X seit gut drei Jahren stärker im Online-Bereich beschäftigt. Und wir sind jetzt an einem Punkt, der für uns sehr wichtig ist, wir werden uns perspektivisch in nächsten Jahr 2020 nochmal stark ausweiten, sobald uns das neue Telemedienkonzept die Möglichkeiten dazu gibt. Dazu werden wir demnächst Genaueres präsentieren. Spätestens da stellt sich die Frage, wo wollen wir mit unseren Inhalten präsent sein. Wir haben schon vor längerer Zeit auch Kontakt aufgenommen zu den Kollegen von Wikimedia und Wikipedia. Die sind da sehr gesprächsbereit und offen.

netzpolitik.org: Haben sie auch andere Partner als Wikipedia beziehungsweise Wikimedia im Blick gehabt?

Porträtfoto von Friederike Haedecke
Friederike Haedecke, Leiterin der Redaktion „Terra X“ - Alle Rechte vorbehalten ZDF, Kerstin Luxenhofer

Friederike Haedecke: Wir haben gleichzeitig auch Kontakte zu Bildungseinrichtungen und zu Forschungsinstituten, weil wir eben auch die Chance sehen, dass wir unseren öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag einfach viel konsequenter wahrnehmen können. Das sind mögliche Ausspielwege für uns. Auch bei den Forschungseinrichtungen sind die Leute sehr bereit zur Kooperation, weil die natürlich nach Open-Source-Chancen suchen, die wir ihnen bieten können.

„Die Wikipedia-Community hat sich auf die Videos gestürzt“

netzpolitik.org: Kommen wir zu den konkreten Inhalten, die jetzt unter CC veröffentlicht wurden.

Friederike Haedecke: Wir haben jetzt einen Piloten zum Klimawandel produziert, weil es ein aktuell stark relevantes Thema ist – wichtiger geht eigentlich momentan nicht. Und wir hatten die Bereitschaft aller Beteiligten, unter CC-Bedingungen mitzumachen. Und alle fanden freie Lizenzen gut und haben sich auch so ins Zeug gelegt, dass wir das Freitagabend vor unserer sonntäglichen Sendung dann auch tatsächlich an den Start bringen konnten.

netzpolitik.org: Gab es Schwierigkeiten oder Hürden, die bei der Realisierung des Projekts gemeistert werden mussten?

Porträtfoto Kirsten Bode
Kirsten Bode, Projektleiterin Terra X Web (Bearbeitung des Bildes: Leonhard Dobusch) - CC-BY 4.0 Steven Siebert

Kirsten Bode: Für uns war das ganze ja auch ein Pilot, um den Workflow zu testen. Man stellt dann fest, dass man Dinge anders streamen lassen muss, nochmal anders mit dem Branding aufpassen muss, dass man Rechtshinweise reinschreiben und irgendwie präsentieren muss. Also die Dinge der praktischen Produktion, bei denen man erst einmal schauen muss, wie man es richtig macht.

Friederike Haedecke: Der Arbeitsaufwand im Vergleich zu einer normalen Online-Publikation, wie wir sie ja täglich mehrfach haben, ist doch deutlich höher. Eine der Absichten, die wir jetzt mit der Veröffentlichung der frei lizenzierten Inhalte verbinden, ist einmal zu schauen, wie aufwändig ist es denn wirklich? Wieviel Mehraufwand bedeuten freie Lizenzen. Ist es jetzt nur ein Mehraufwand, weil wir es zum ersten Mal machen und der sich in der Folge in Routine verwandeln und gelernt werden?

netzpolitik.org: Wie sind die allerersten Erfahrungen und Rückmeldungen, seit die Inhalte unter freien Lizenzen veröffentlicht wurden?

Friederike Haedecke: Wir hatten zu Beginn auch ein paar kleinere Bereiche, die optimiert werden konnten. Zu denen haben wir aber dankenswerterweise auch gleich Rückmeldungen erhalten. Und genau das brauchen wir im Moment, wo wir nachsteuern möchten.

Kirsten Bode: Auch die Wikipedia-Community hat sich gleich drauf gestürzt und hat die Clips sofort da hochgeladen.

„Es gibt eine große Bereitschaft, weiter zu gehen“

netzpolitik.org: Gibt es Pläne für weitere frei lizenzierte Inhalte und gibt es Gespräche mit anderen Redaktionen, gibt es inzwischen einen Arbeitskreis oder ähnliches zu „Creative Commons“ im ZDF?

Friederike Haedecke: Wir werten zunächst die Ergebnisse unseres Testversuchs aus. Wir möchten dabei gerne schauen, was passiert mit den Inhalten, wird verantwortlich damit umgegangen?

Es gibt eine große Bereitschaft unsererseits, da weiter zu gehen und es auch mit Kolleginnen und Kollegen hier im Haus weiter voranzutreiben. Unser Bereich ist Bildung und Wissenschaft, da ist es eigentlich am leichtesten.  Das gilt ja nicht für das gesamte ZDF, wo man teilweise mit ganz anderen Lizenzsituationen zu kämpfen hat. Zum Beispiel bei Spielfilmen.

netzpolitik.org: Jenseits von zukünftigen Beiträgen, wie sieht es mit dem Archiv von Terra X aus?

Friederike Haedecke: Wir haben uns auch mit der Frage befasst, können wir rückwirkend arbeiten. Wir haben natürlich unendliche Archive aus fast 40 Jahren Terra X. Da ist viel Schönes drinnen. Aber dies ist mit hohem Aufwand verbunden. Wir nehmen uns erst einmal die Themen vor, die in der Zukunft liegen. Wir wollen uns da auf die Themen konzentrieren, die besonders gesellschaftsrelevant sind. Das war beim Klimawandel jetzt natürlich gegeben.

Kirsten Bode: Bei Archivinhalten sind es außerdem immer Einzelfallprüfungen. Auch wenn vergleichsweise wenige Personen involviert waren muss überprüft werden, ob es hier Beteiligte mit Sonderverträgen oder ähnlichem gab.

netzpolitik.org: Nun ist es ja oft so: man gibt dem Internet den kleinen Finger und es will gleich die ganze Hand. Eine der ersten Rückmeldungen auf Twitter auf die Veröffentlichung der Clips war dementsprechend die Frage, ob man nicht auch gleich Rohversionen, zum Beispiel von Animationen oder ähnlichem, zugänglich machen könnte. Bei der niederländischen Fernsehserie “Mind of the Universe” des öffentlich-rechtlichen Rundfunkanbieters VPRO wurde beispielsweise die Rohfassung des Videomaterials im Umfang von rund 30 Stunden ebenfalls zugänglich gemacht.

Friederike Haedecke: Das erfordert natürlich eine noch größere Bereitschaft der Kollegen, dabei mitzumachen. Das Rohmaterial ist ja letztlich nicht die perfekte Form, in der ein Kreativer auch sein Werk präsentieren möchte.

Bei Animationen könnte das aber in verschiedenen Stadien interessant sein. Ich erfinde einmal ein Beispiel: wenn wir ein digital animiertes Modell eines Wollhaarnashorn entwickeln, dann ist das zunächst nur der Körper und noch kein Fell. Hier könnte man ermöglichen, dass andere ein ganz anderes Fell auf Basis dieser Grundlage animieren. Da wäre es also durchaus vorstellbar, so eine Urfassung zu erhalten und weiterzugeben. Aber wir müssen dann eben auch diese Rechte an solchen Frühformen der Entwicklung haben.

netzpolitik.org: Vielen Dank für das Gespräch.

6 Ergänzungen

  1. Mit genauen Lesen des Interviews, ergänzt durch Know How, wie 95 % der Beauftragungen der ÖFR ablaufen, kann es nur eine entsetzte Reaktion darauf geben. Oder man findet halt radikalen Neoliberalismus spitze. 3 X erwähnen die beiden, dass Sie darauf bauen, dass die Leute die durch Ihr Wirken Verwertungsrechte erweben, „FREIWILLIG“ darauf verzichten. Weiß man wie die dort ( beim ÖFR ) ticken, dann bedeutet dass OHNE JEDEN ZWEIFEL für die Berechtigten, macht das freiwillig, oder jemand anders macht das dann Deinerstatt freiwillig. Solch kranke Ausuferungen eines radikalen Neoliberalismus ( hier sogar finanziert mit Zwangs Gebühren Geldern aller ! ) auch noch als „Freies Wissen“ abzufeiern, mindert zunehmend mein Rätsel, wie es Menschen geben kann, die Trumb wählen, den Brexit wollen oder Orban oder die AFD klasse finden.

    1. Es ist doch genau umgekehrt: solange freie Lizenzen nicht endlich auch in den Vergütungsregeln vorgesehen (=angemessen entschädigt) werden, wird es sie nicht auf breiter Front geben. Deshalb bin ich auch dafür, dass Redaktionen zwischen einem CC-Bonus ohne Wiederholungshonorare und dem klassischen Vergutungsmodell wählen können sollen. Die Höhe der Vergütung müsste insgesamt aufkommensneutral gestaltet werde. Mit „neoliberal“ hat das alles überhaupt nix zu tun.

      1. Auch dieser comment zeugt leider von hoher Unkenntnis…. Das, als Mitglied des Aufsichtsgremiums… Dein beschriebener „Wunschzustand“ ist längst Praxis. Seit Jahrzehnten gibt es ( im Widerspruch zu eigentlich in den Tarifverträgen der Sender vereinbarten Wiederholungshonoraren ) fast ausschließlich sogenannte „Total Buy Out „ Angebote an Dritte, die aufgrund Ihrer Schöpfungshöhe auch individuelle Rechte lt. den Urh. Recht generieren. Nun hat sich zwischenzeitlich selbst bei den Sendeanstalten so langsam die Rechtslage in Bewusstsein geschlichen, dass es aufgrund der Urh. § 32 & 32 a „Total Buy Out“ gar nicht geben darf, sondern sich das „Buy out“ stets nur der vorrauschbaren Verbreitung der Werke richten darf. Werden die Werke weit über den im Voraus absehbaren Rahmen genutzt, was bei der Google Wet Dream „Freien „ CC Lizenz schnell mal passieren kann, müssen die Rechteinhaber nachvergütet werden. Und das geht aus der Logik der Sendeanstalten gar nicht. Und noch viel weniger, kann es den Gebührenzahler auferlegt werden, dass Rundfunkgebühren dazu eingesetzt werden, damit Google. Amazon Wikimedia und Co, Ihr Geschäftsmodell lizenzzahlungsschlank an ÖFR Inhalten andocken können. Somit ist es klar, dass die Sendeanstalten das CC Model, indem die Rechteinhaber per CC AGB „Freiwillig „ auf die Nutzung der § 32 & 32 a verzichten, ganz klasse finden. Ob man das selbst “ Ganz klasse findet“ sollte man reflektieren.

        1. Ich fürchte, die Unkenntnis liegt da leider auf Ihrer Seite. Im deutschen Urheberrecht gibt es in § 32 Abs. 3 Satz 4 eine Sonderbestimmung (sogenannte „Linux-Klausel“), die es Rechteinhabern erlaubt, ein einfaches Nutzungsrecht für jedermann einzuräumen. Es kommt dafür auf die Zustimmung der AutorInnen an. Das ist dann eben kein Total Buy Out. Und zwar ex lege.

          1. Vorweg, ich bin auch für freie Lizenzen, wobei ich denke, dass CC-BY nicht ausreicht, um nachhaltig freie Inhalte zu schaffen, sondern mindestens ein SA, wenn nicht sogar ein NC dazu muss. Aber das ist ein anderes Thema.
            TerraX und Funk sind die einzigen Vorzeigeprojekte des ÖRR. Vergleichen wir das mit Open Access in der Wissenschaft, dann ist das wirklich nur ein Tröpfchen auf den riesigen Stein und auch im internationalen Vergleich eher beschämend.
            Leider ist es eine Tatsache, dass die ÖR meist noch nicht einmal die Herstellungskosten von Auftragsproduktionen zu 100% bezahlen. Davon können also die Hersteller*innen weder ihren Lebensunterhalt bestreiten, nocht neue Inhalte erarbeiten. So lange an dieser Stelle nicht umgedacht wird und mehr Geld aus der Verwaltung in die Produktion fließt, wird das mit dem freien Zugang zu den Inhalten nichts werden, weil die Hersteller sich das nicht leisten können. Um einschätzen zu können, was das heißt: im Schnitt fließen nur etwa 2,6% des gesamten Haushalts in die Produktion von dokumentarischen Formaten! Wir haben hier kein rechtliches oder finanzielles Problem, sondern ein strukturelles.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.