ReaktionenStaatstrojaner für Verfassungsschutz: „Nicht vom Koalitionsvertrag gedeckt“

Horst Seehofers neues Verfassungsschutzgesetz erregt nicht nur wegen der Kinderüberwachung die Gemüter: Inlands- und Auslandsgeheimdienst sollen in Zukunft auch Staatstrojaner einsetzen dürfen. Wir sammeln Reaktionen aus Koalition, Opposition und Zivilgesellschaft.

Die Oppositionsparteien wollen das Gesetz stoppen. (Symbolbild) – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Lukas Juhas

Heute morgen haben wir den Entwurf des Innenministeriums für ein neues Verfassungsschutz-Gesetz veröffentlicht. Demnach soll dem Inlands- und Auslandsgeheimdienst der „Eingriff in informationstechnische Systeme“ erlaubt werden. Dadurch dürften die Geheimdienste Geräte wie Computer und Smartphones hacken, aber auch in andere Geräte im „Internet der Dinge“ eindringen – sogar Autos.

Hier sammeln wir Reaktionen und Kommentare:

SPD: „Nicht vom Koalitionsvertrag gedeckt“

Burkhard Lischka, innenpolitischer Sprecher der SPD im Bundestag:

Da die SPD den Gesetzentwurf in der vorliegenden Form in Gänze ablehnt, bitte ich um Verständnis dafür, dass wir nicht auf weitere Detailfragen eingehen wollen.

Saskia Esken, stellvertretende digitalpolitische Sprecherin der SPD im Bundestag:

Eine solche Novellierung des Bundesverfassungsschutz-Gesetzes, wie sie das BMI vorschlägt, lehnen wir ab. Diese Vorschläge schießen nicht nur weit übers Ziel hinaus, sie sind auch in keinster Weise vom Koalitionsvertrag gedeckt. Das betrifft vor allem auch die Forderung nach Kompetenzen für Online-Durchsuchungen, die nach meiner Überzeugung mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht vereinbar sind.

FDP: „Trennungsgebot immer weiter aufgehoben“

Konstantin Kuhle, innenpolitischer Sprecher der FDP im Bundestag:

Die Ausstattung des Bundesamtes für Verfassungsschutz mit dem Instrument der Online-Durchsuchung führt dazu, dass die strikte Trennung zwischen Polizei und Nachrichtendiensten immer weiter aufgehoben wird. Eine schwere staatsgefährdenden Straftat, die nach dem Entwurf für eine solche Überwachung vorliegen soll, ist ein Fall für Polizei und Gerichte, nicht für den Nachrichtendienst.

Grüne: „Affront gegenüber höchsten Gericht“

Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag:

Die Pläne zum Ausbau der Befugnisse von Bundesamt für Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst von Horst Seehofer sind ein erneuter radikaler Angriff auf die Bürgerrechte durch den für den Schutz unserer Verfassung verantwortlichen Minister.

Bezüglich der Verfassungsmäßigkeit der Online-Durchsuchung bestehen seit Jahren erhebliche Zweifel. Derzeit liegen dem Bundesverfassungsgericht gleich mehrere Verfassungsbeschwerden gegen den „Staatstrojaner“ vor. Nun soll der Einsatz auf den gesamten Geheimdienstbereich ausgeweitet werden. Das ist ein Affront gegenüber dem höchsten deutschen Gericht.

Linke: „Verfassungsschutz muss abgewickelt werden“

Martina Renner:

Der Verfassungsschutz soll Befugnisse erhalten, die bislang der Polizei vorbehalten waren, und weit darüber hinaus. Es geht jetzt nicht mehr um eine Auseinandersetzung um Befugnisse im klein-klein, diese Behörde muss endlich abgewickelt werden.

SNV: „Mehr Überwachung, unzureichende Kontrolle“

Sven Herpig und Thorsten Wetzling von der Stiftung Neue Verantwortung:

Der Entwurf verzichtet auf notwendige Schutzmaßnahmen wie die Begrenzung auf bestimmte Sensoren oder ein Verbot des Erwerbs von Hacking-Werkzeugen von Firmen mit höchst problematischen Geschäftsbeziehungen. Dem Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten misst der Entwurf kaum noch Bedeutung zu. Fazit: Mehr Überwachung bei gleichbleibend wenig Schutzmaßnahmen und unzureichender Kontrolle.

Menschenrechte: „Verstoß gegen Nichtdiskriminierung“

Stephan Gerbig von der Monitoringstelle zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention am Deutschen Institut für Menschenrechte:

Mit den Plänen, den Verfassungsschutz zur elektronischen Datenverarbeitung von unter 14-Jährigen zu autorisieren, drohen nicht nur unverhältnismäßige Eingriffe in das Recht der Kinder auf Privatsphäre und das Recht auf Persönlichkeitsentwicklung, sondern auch Verstöße gegen ihr Recht auf Nichtdiskriminierung. Statt den Verfassungsschutz als Akteur im Feld der Radikalisierungsprävention und Deradikalisierungsarbeit zu stärken, sollten Bedarfe der Kinder- und Jugendhilfe ermittelt und auf dieser Grundlage kinderrechtsbasierte Angebote fortentwickelt und in die Praxis vermittelt werden.

6 Ergänzungen

  1. Seehofer bestätigt wieder einmal eindrücklich, dass wir dringend ein Instrument brauchen, um Verstöße gegen die Verfassung (und den Versuch) bestrafen zu können. Ein erster Schritt wäre ein unabhängiger Verfassungsanwalt, der selbstständig Klagen vor das BVerfG bringen kann.

    1. Würde ich dann als Rückschritt empfinden, wenn durch diesen Verfassungsanwalt gleichzeitig die Möglichkeit für jedermann erschwert würde, sich mit einer Beschwerde an das Gericht zu wenden.

      1. Ich stimme Dir voll zu. Die Kapazitäten des Bundesverfassungsgerichts – wie auch der Justiz allgemein – müssen deutlich ausgebaut werden, denn genau dort findet ja der Rechtsstaat statt. Leider hegt kaum eine Partei große Sympathien für diesen Rechtsstaat, denn er er macht das Durchregieren manchmal so unangenehm schwierig. :)

        1. Seit wann ist denn bitteschön „Steht nicht im Koalitionsvertrag“ für die SPD ein Hindernis?
          Auch Barleys angebliche „Prinzipien“ werden kein Grund sein, Wünsche der Union abzulehnen.
          Wer kommt denn bitteschön auf die Idee, dass ausgerechnet der größte Unionskollaborateur irgendwas verhindern wird?

          1. Der Koalitionsvertrag ist primaer ein Disziplinierungsmittel der SPD-Bundestagsfraktion & Minister gegenueber der eigenen Basis. Er ist nicht bindend und wird von der Union bei Bedarf problemlos ignoriert, wie auch von SPD-Ministern.

      2. Der „Verfassungsanwalt“ ist ohnehin kontraproduktiv: er staerkt das Narrativ vom Gegensatz zwischen „Volk/Buerger“ und „Parlament/Politik“, zugespitzt auf einen „Volkstribun“, der erstere gegenueber letzterem vertritt. Das deligitimiert die repraesentative und partizipative Demokratie zu Gunsten letztlich autoritaerer oder populistischer „starker Maenner“.

        Loest dazu nicht das Problem des iterativen Vorgehens seitens Politikern, das muss halt schon die Zivilgesellschaft und letztlich der Waehler auf die Reihe bekommen.

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