VerfassungsschutzgesetzReporter ohne Grenzen warnt vor Aushöhlung des Redaktionsgeheimnisses

Nach dem Anschlag von Halle nutzt die CDU den Rechtsextremismus als Vorwand, um Sicherheits- und Überwachungsgesetze voranzutreiben. Eines davon ist das Verfassungsschutzgesetz, das eine Überwachung von Journalist:innen ermöglichen könnte. Die SPD hatte den Gesetzentwurf lange Zeit verzögert – und kippt nun.

Zeitung und Brille
Zeitung (Symbolbild) CC-BY-NC-SA 2.0 lukas.b0

Ganz oben auf der Wunschliste weiter Teile der Regierungskoalition sowie der Landesinnenminister steht nach dem rechtsextremen Anschlag von Halle, das geplante Verfassungsschutzgesetz durchzuwinken. Dieses liegt seit seiner Vorstellung im Frühjahr aus guten Gründen auf Eis – so sollen unter anderem „deutsche Inlands- und Auslandsgeheimdienste Server, Computer und Smartphones von Verlagen, Rundfunksendern sowie freiberuflichen Journalistinnen und Journalisten hacken dürfen“, warnt „Reporter ohne Grenzen“. Laut dem Gesetzentwurf sollen die Behörden verschlüsselte Kommunikation abfangen oder verdeckt nach digitalen Daten suchen können.

Die NGO fordert die Bundesregierung auf, die Bekämpfung des Rechtsextremismus nicht zum Vorwand für eine Aushöhlung des Redaktionsgeheimnisses zu nehmen. Nach monatelanger Abwartehaltung durch das von der SPD geführte Bundesjustizministerium ist der entsprechende Gesetzentwurf nun unter dem Eindruck des Anschlags von Halle in die Ressortabstimmung gegeben worden. Bereits letzte Woche hatte die SPD-Bundesjustizministerin Christine Lambrecht „Gesprächsbereitschaft“ signalisiert.

„Verheerend für die Pressefreiheit“

„Das Bundesinnenministerium will auf dem Umweg über die Online-Durchsuchung den Schutz von Journalistinnen und Journalisten vor Überwachung aushöhlen. Es wäre verheerend für die Pressefreiheit in Deutschland, wenn diese maßlosen Pläne Regierungspolitik würden“, sagt Christian Mihr, Geschäftsführer bei Reporter ohne Grenzen.

Laut Reporter ohne Grenzen seien immer wieder Fälle bekannt geworden, in denen deutsche Geheimdienste journalistische Arbeit in Deutschland und anderen Ländern illegitim bespitzelt hätten. Als Reaktion auf diese Skandale solle die Bundesregierung die Rechte von Journalistinnen und Journalisten stärken und nicht schleifen, so Mihr weiter. Das Bundeskabinett müsse diese Pläne des Innenministeriums unverzüglich stoppen.

Nach Ansicht von Reporter ohne Grenzen würde das Redaktionsgeheimnis und damit eine der Säulen der Pressefreiheit in Deutschland mit dem Gesetz faktisch wirkungslos: Während es verboten bliebe, mit einer Redaktionsdurchsuchung die Identität journalistischer Quellen zu ermitteln, könnte dies mit einer Online-Durchsuchung digital umgangen werden. Erschwerend komme hinzu, dass laut Entwurf das Innenministerium das Trennungsgebot zwischen Geheimdiensten und Polizei deutlich aufweichen wolle, sodass die Strafverfolgung von Medienschaffenden erleichtert würde.

Redaktionsgeheimnis ist Säule der Pressefreiheit

Reporter ohne Grenzen hat schon Ende Mai eine ausführliche Stellungnahme zu allen Kritikpunkten an dem Referentenentwurf des Bundesinnenministeriums einschließlich Vorschlägen zu seiner Verbesserung erstellt. In einer konsolidierten Version der drei maßgeblichen Geheimdienstgesetze mit allen geplanten Änderungen können die BMI-Pläne detailliert nachvollzogen werden. Grundlage ist ein Leak des Referentenentwurfs, den netzpolitik.org Ende März 2019 veröffentlichte.

Nach dem Anschlag von Halle drängen Unionspolitikerinnen und -politiker sowie Vertreter der Sicherheitsbehörden nun verstärkt auf zusätzliche Befugnisse zur digitalen Kommunikationsüberwachung. Am Wochenende hatte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung berichtet, der Gesetzentwurf des Innenministeriums befinde sich nun in der Ressortabstimmung und es gebe Verhandlungen zwischen Justiz- und Innenministerium über den Inhalt. Die SPD ist laut diesem Bericht mittlerweile zu Zugeständnissen bereit.

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5 Ergänzungen

  1. Ich sende der Justizministerin den Artikel von Reporter ohne Grenzen dann mal per Post.
    Eigentlich müsste ich eine Kopie aus dem Geschichtsbuch „Fragen an die deutsche Geschichte“, mit dem Kapitel über 1933 dazu legen: rechte Kriminalität in den Straßen, die dazu führt, dass rechte, autoritäre Macht-missbrauchende Politik die Verfassung aushebelt, so dass Journalisten vom Staat angegriffen werden, …

    Warum kann nicht besser Lala Süsskind gefragt werden, welche Gesetzesveränderungen jetzt gebraucht werden bei uns, welche Maßnahmen starten müssen gegen den rechten Terror?

    Und warum bekomme ich nicht zuerst echten Whistleblowerschutz bei Geheimdiensten, Anordnungsbefugnis der Datenschutzbeauftragten, Direktzugriff des PKGR auf die Daten der Dienste ( unsere Nachbarländer haben ja auch keine „third-party-rule“ ), Rücknahme der Archivausnahme, Trennungsgebot Polizei/Geheimdienste, u.a.m. – und d a n a c h kann man in Karlsruhe mal anfragen, wie weit man dort mit den ganzen Verfassungsbeschwerden zu ausufernden Sicherheitsgesetzen sei, um das Verfassungsschutzgesetz zu einem diesen Titel verdienenden zu machen?
    Müssen denn bei uns auch erst alle Zeitungen auf der Titelseite geschwärzt erscheinen, wie in Australien (nach dem staatl. Angriff auf den Sender ABC dort) ?
    https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2019-10/pressefreiheit-protest-australische-zeitungen-schwaerzen-titelseiten

    Nie wieder GeStaPo,
    nie wieder StaSi,
    nie wieder Angriffe auf Journalisten durch geheim agierende Verfassungs-brechende Sicherheitsbehörden !!!

    Wie weit sind wir mit der Abschaffung des „Landesverrat“-§ eigentlich inzwischen?

  2. Nimmt jemand von Euch am Montag ( 28.10. ) an „Hinweisgeberschutz – Chancen und Herausforderungen“ im BMJV teil?
    Wenn wir Edward Snowdens Schutz in Berlin mit Hilfe der neuen Whistelblowerschutz-Regelung der EU ( zur Umsetzung in nationales Recht ) erreichen, dann hätten die Fehler-meldenden Verfassungsverteidiger endlich einmal gegen die Fehler-begehenden Verfassungsbrecher gewonnen bei uns.

    1. So schön die Idee wäre, Snowden in Deutschland Schutz zu bieten. Allein, er wäre hier nicht sicher vor Entführung und/oder Auslieferung nach/in die USA.
      Unsere Regierung steckt sooo tief im Allerwertesten der US-Administration, da ist kein Schutz zu erwarten.

  3. Politik und Polizeiorgane lassen bei Rechtsextremismus lieber dem Verfassungsschutz den Vortritt. Protokolliert zB. im Nachgang des Hamburger Undercover-Dramas von VE „Iris Schneider“, die zwischen 2001 und 2006 im Auftrag von BKA und LKA, die linke Szene ausspionierte.

    “ Als der Hamburger Innensenat in der Bürgerschaft gefragt wurde, ob es verdeckte ErmittlerInnen wie „Iris Schneider“ auch in der rechtsradikalen Szene gäbe, lautete die Antwort, die Polizei agiere hier sehr zurückhaltend: „VE im Bereich Rechts können Sie nicht ohne Saufen und Straftaten. Beides sehen wir bei unseren Polizisten nicht gerne. Das geht gar nicht. […] Das können Sie überhaupt nicht sauber händeln und deswegen lässt das LKA das ganz.“
    Während also die linke Szene in Hamburg durch Polizeispitzel beobachtet wird, lässt das LKA im Fall von Rechtsradikalen den V-Leuten des Verfassungsschutzes den Vortritt.“

    Aus: https://zeitgeschichte-online.de/kommentar/im-inneren-kreis

    Innenausschuss 2015: https://www.buergerschaft-hh.de/ParlDok/dokument/50676/protokoll-wortprotokoll-top-2-und-3-der-%C3%B6ffentlichen-sitzung-des-innenausschusses.pdf

    Andreas Blechschmidt, Rote Flora (17:32) in der Doku „Im inneren Kreis“
    „Ich habe auch das Gefühl, dass die beim LKA uns sowieso nicht so schrecklich ernst nehmen und das Gefühl haben, da wird eh nicht viel passieren: „Da schreiben [die ungewaschenen Zecken] halt ein wütendes Flugblatt, aber weder wird die Beamtin gekidnappt und in der Elbe einbetoniert, noch wird ihr das Ohr abgeschnitten.“

    http://www.iminnerenkreis-doku.de

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.