Netzpolitischer Wochenrückblick KW 27: Von der Cyberagentur zur EU-Kommission

Ursula von der Leyens neue Cyberagentur steht in der Kritik, noch bevor sie eröffnet ist. An Chinas Grenze werden Handys durchsucht, während auf der Fusion Zehntausende ohne Polizei tanzen konnten. Die Themen der Woche im Rückblick.

Willkommen im IT-Behördenzoo der Bundesregierung: Cyber Innovation Hub, ZITiS, SprinD, sagt hallo zur Cyberagentur! – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Matthew Cabret

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Zu Beginn ein kurzer Werbeblock: Am 13.9. feiern wir in der Volksbühne Berlin mit unserer „Das ist Netzpolitik!“-Konferenz und einer anschließenden Party unseren 15. Geburtstag. Tickets gibt es im Vorverkauf. Noch können Einreichungen zum Programm und zur Party gemacht werden.

Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum war einer der Klagenden, die 2008 beim Bundesverfassungsgericht das „Computergrundrecht“ erstritten. Damals war es noch Zukunftsmusik, aber heute sind die Forderungen von damals allgegenwärtig, schreibt er in einem Gastbeitrag. Staat und Konzerne würden sich bei den Daten von Privatpersonen bedienen, die sich selber nur ungenügend schützen können. Das neue Grundrecht muss auch umgesetzt werden, fordert Gerhart Baum, und kündigt Gegenwehr gegen die aktuellen Überwachungspläne der Innenminister an an.

Cyber, Cyber, Cyber!

„In wesentlichen Punkten nicht mehr haltbar“, so urteilt ein von uns veröffentlichtes Gutachten des Bundesrechnungshofs über den Stand der Dinge einer neuen „Cyberagentur“ von Noch-Verteidigungsministerin von der Leyen. Jemand hat übersehen, dass es eigentlich schon genug ähnliche Behörden gibt: vom Cyber Innovation Hub, über das Forschungsinstitut Cyber Defence, bis hin zu einer Agentur für Sprunginnovationen.

Von der Leyen hat gute Aussichten, die neue EU-Kommissionspräsidentin zu werden. Wer bei all den neuen (und alten) Gesichtern in Straßburg und Brüssel den Überblick behalten will, sollte einen Blick auf unsere Profile der neuen Netzpolitiker:innen im EU-Parlament werfen. Von Veteranen wie Axel Voss oder Cornelia Ernst über etablierte Staatspolitiker wie Katarina Barley bis hin zu Parlamentsneulingen wie Nico Semsrott: Wir haben sie nach ihren Vorhaben gefragt.

Margrethe Vestager ist vorerst aus dem Rennen um die EU-Kommissionspräsidentschaft. Momentan kann man sich in der ARTE-Mediathek aber die Serie Borgen anschauen. Sie basiert unter anderem auf ihrer Karriere in der dänischen Heimat.

Datenleck in Kenia, Gesichtserkennung in London

In Kenia sind einem Provider 11,5 Millionen Datensätze von Kunden abhanden gekommen. Dass das aber nicht einfach nur ein einzelnes Datenleck ist, haben wir in unserem Artikel beleuchtet. Dahinter steht ein ganzes System von Mikrokreditgebern und Glücksspielunternehmen, die an den Daten der Kundinnen interessiert sind. Wir haben den Artikel auch auf Englisch übersetzt.

19 Prozent: So niedrig ist die Erkennungsrate von Systemen zur biometrischen Gesichtserkennung in London. Das haben Forscher der Universität Essex herausgefunden. Während bei den Tests am Berliner Südkreuz zumindest angeworbene Freiwillige getestet wurden, waren einige und Flyer Pappschilder die einzige Warnung für Passanten in London.

Gar nicht gewarnt, wurden Menschen, die die Grenze zwischen Kirgistan und China überquerten. Dort benutzen Grenzbeamte eine Spionage-App, um Handys von Einreisenden auf missliebige Dateien zu durchforsten. Nach den Kriterien der kommunistischen Partei Chinas, wohlgemerkt: Ob IS-Propagandavideo oder Foto des Dalai Lama, macht da keinen Unterschied. Dass diese Praxis überhaupt öffentlich wurde, ist einer internationalen Recherche zu verdanken.

Urteil gegen Kristina Hänel aufgehoben

Am Mittwoch wurde das Urteil gegen Kristina Hänel aufgehoben. Die Kritikerin des Paragrafen 219a, der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch verbietet, ist damit aber noch nicht frei: Es wird eine Nachverhandlung geben. Ebenfalls mit dem Thema Abtreibung beschäftigen wir uns in der neuen Folge unseres Netzpolitik-Podcasts. Darin reden wir mit Tina Reis, Expertin für Suchmaschinenoptimierung. Sie beschäftigt sich mit der Google-Suche nach Informationen über Abtreibungen. In den Ergebnissen landen radikale Gegner oft weit oben. Uns erzählte sie nun, warum das so ist, was man dagegen tun kann und welche Rolle Google dabei spielt.

Beschwerden in Hessen, Strafe für Vodafone

In Hessen gibt es jetzt eine Verfassungsbeschwerde gegen das Polizei- sowie das Verfassungsschutzgesetz. Organisiert von der Gesellschaft für Freiheitsrechte geht ein Bündnis damit gegen Staatstrojaner und die Big-Data-Analysesoftware Hessendata vor. Auch die Piratenpartei hat schon eine Beschwerde gegen das Polizeigesetz eingereicht. Die schwarz-grüne Landesregierung hatte kürzlich erst den Big-Brother-Award verliehen bekommen.

Kurios: Am Montag eröffnete ein eigener Studiengang für Spioninnen und Agenten. In München sollen die streng durchleuchteten Studierenden alles über „Intelligence Collection“, „Cyber Security“ oder „Cyber Defence“ lernen. Auch ein Modul mit dem Titel „Verfassungsschutz in einer wehrhaften Demokratie“ steht auf dem Lehrplan.

Vodafone muss 100.000 Euro Strafe zahlen. Der Konzern hatte wiederholte Male ehemalige Kundinnen angerufen und versucht, sie mithilfe dieser „Cold Calls“ wieder anzuwerben – auch, wenn sie das explizit untersagt hatten. Vodafone sagt, es hätte sich um „einzelne Arbeitsfehler“ gehandelt. Über 60.000 Beschwerden zu unerlaubten Werbeanrufen gab es laut Bundesnetzagentur im letzten Jahr.

Fusion-Festival braucht keine Polizei

Am letzen Wochenende konnten Zehntausende von der Polizei weitgehend unbehelligt auf der Fusion tanzen. Ausgerechnet einem Kulturfestival in Mecklenburg-Vorpommern gelingt es, die bislang größte Schlacht des Jahres gegen Überwachung zu gewinnen. Wie konnte das passieren und was können wir daraus lernen?, fragt Markus Reuter.

Gute Neuigkeiten gibt es auch von FragDenStaat: Das Landgericht Köln hat eine einstweilige Verfügung gegen die Veröffentlichung des Glyphosat-Gutachtens aufgehoben. Der Prozess ist aber noch nicht vorbei, das verantwortliche Bundesinstitut für Risikobewertung kann in Revision gehen. Dadurch dürften dann noch weitere Kosten auf die Steuerzahlerinnen zukommen.

Hass im Netz

Zwei Millionen Euro Strafe darf Facebook zahlen, verkündete das Bundesamt für Justiz. Grund sind Verstöße gegen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz: Statt strafbare Inhalte zu melden und strafrechtlich ahnden zu lassen, löscht Facebook meistens nach seinen eigenen Community-Regeln. Das führt auch dazu, dass in Facebooks Bericht zur zweiten Jahreshälfte 2018 nur 500 Meldungen nach dem NetzDG auftauchten.

Eine Überarbeitung dieser Community-Regeln fordert eine interne Untersuchung bei Facebook. Explizites Lob von Begriffen wie „white nationalism“ wird zwar schon gelöscht; verwendet man aber nicht diesen konkreten Begriff, ist laut Facebook alles in bester Ordnung. Das reiche nicht, so der Bericht, der auch verschiedene andere Änderungen der Richtlinien und Pläne für gerechtere Werbung zusammenfasst.

Was für Folgen Hass im Netz haben kann, untersucht eine aktuelle Umfrage von Campact. Betroffene leiden mitunter unter Depressionen und auch die Gesellschaft leidet darunter, dass weniger Menschen sich in der Öffentlichkeit politisch äußern. Betroffen sind laut der Studie besonders Jüngere, Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund.

Neues aus dem Fernsehrat

Schließlich gibt es noch eine neue Ausgabe unserer Kolumne Neues aus dem Fernsehrat, in der Leonhard Dobusch über seine Erlebnisse im ZDF-Fernsehrat berichtet. Diesmal veröffentlicht er ein E-Mail-Streitgespräch mit dem Germanisten und Soziologen Hermann Rotermund. Der hatte im Mai in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gefordert, dass die Rundfunk- und Fernsehräte direkt gewählt sein müssten.

Wir wünschen ein schönes Wochenende!

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2 Ergänzungen

  1. Habt Ihr mitbekommen, dass in Hessen die NSU-Akten-Sperrung
    von den apokalyptischen 120 Jahren
    auf nun 40 Jahre herabgesetzt wurde ?
    Ich habe es nur durch einen Nebensatz in der Süddeutschen („Buch Zwei: ein Jahr in Deutschland“) am Wochenende mitbekommen,
    finde es aber bestätigt in einem DLF-Interview:
    https://www.deutschlandfunk.de/mordfall-luebcke-wir-treten-dem-rechtsextremismus-in-hessen.694.de.html?dram:article_id=452423

    Ich schreibe es hier, weil ich gelegentlich mit Eckpunkten, die mich besonders geschockt haben (zumThema: rechtsfreier Raum Geheimdienste / Überwachung / tiefer Staat ) , in Briefen an Politiker argumentiere, und dieser eine Punkt ist damit nun aber erledigt !

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.