PolizeidatenbankenMinderheit im Visier

Die polizeiliche Stigmatisierung von Sinti und Roma hat hierzulande eine lange Tradition. Sie begann im Kaiserreich und setzt sich bis heute in Polizeidatenbanken fort. Auf dem 36c3 haben Lea Beckmann und Anja Reuss die Geschichte dieser Diskriminierung präsentiert und die heutige Situation beleuchtet.

Lea Beckmann und Anja Reuss auf dem 36c3. – Alle Rechte vorbehalten Screenshot | media.ccc.de

Das Völkerrecht verbietet Diskriminierungen und die deutsche Polizei darf kein Racial Profiling betreiben. Sie darf Menschen also nicht nach äußeren, stereotypen Merkmalen einordnen und kontrollieren. In einer guten Welt wäre dieser Text damit zu Ende.

Leider sieht die Realität anders aus. So werden Menschen aus der Minderheit der Sinti und Roma noch heute gesondert in Polizeidatenbanken gespeichert und stereotypisierend behandelt. Das zeigten Lea Beckmann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte und Anja Reuss vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma in einem Vortrag auf dem 36. Chaos Communication Congress, der momentan in Leipzig stattfindet.

Diskriminierung mit Tradition

Polizeiliche Datenbanken sind mächtige Instrumente. Ob und wie Menschen darin vorkommen, wirkt sich ganz unmittelbar auf ihr Leben aus. Das merkt in Deutschland kaum eine Gruppe so sehr wie Sinti und Roma.

Reuss und Beckmann beschreiben in ihrem Vortrag zunächst die historische Entwicklung des Antiziganismus bei deutschen Sicherheitsbehörden. Schon seit dem Kaiserreich bestehe eine strukturierte Sondererfassung der Minderheit, ab 1899 gab es dafür sogar einen eigenen Nachrichtendienst. In der NS-Zeit sei diese stereotype und rassistische Sondererfassung weitergeführt worden. Und auch nach 1945 habe sich diese diskriminierende Tradition fortgesetzt. Es seien „Zigeunerpolizeien“ entstanden, mit teils gleichem Personal und gleichen Akten.

Eine Folie des Vortrags
Eine Auswahl der verschiedenen Begriffe, mit denen Sinti und Roma polizeilich erfasst werden. - Alle Rechte vorbehalten Screenshot | media.ccc.de

In der Geschichte der Bundesrepublik verändert sich die Sondererfassung der Minderheit in Polizeidatenbanken und Kriminalstatistiken immer wieder, wie Beckmann und Reuss aufzeigen. Dabei ändert sich allerdings nichts am strukturellen Rassismus gegen Sinti und Roma. Was sich ändert, sind die Begriffe, die diesen enthalten. Nach dem Krieg habe der Begriff der „Landfahrer“ zur Markierung der Minderheit gedient, später hätten sie „reisende Täter“ geheißen und heute werde der Aktenvermerk „hwao – häufig wechselnder Aufenthaltsort“ genutzt. Die Klassifizierung sage dabei nichts über tatsächlich wechselnde Aufenthaltsorte aus, sondern sei klar rassistisch geprägt.

An der Praxis einer Aktenführung über eine ganze Bevölkerungsgruppe ändere diese Art der Verschleierung durch Neu-Benennung aber wenig. „Eine Erfassung findet statt, ob versteckt oder offen“, so Beckmann.

„Osteuropäische DNA“ am Tatort

Zum Ende des Vortrags tragen Beckmann und Reuss noch Beispiele für die Auswirkungen einer solchen, stetig weitergetragenen Stigmatisierung vor. Sie besprechen einen Fall im Land Berlin und den der Polizistin Michèle Kiesewetter, die 2007 vom NSU getötet wurde. Die Ermittlungen hätten sich zu Beginn auf Sinti und Roma fokussiert, weil eine „osteuropäische DNA“ gefunden wurde (die sich später als verunreinigt herausstellte) und ein Volksfest in der Stadt stattgefunden habe. Das genügte für rassistisch geprägte Ermittlungen und das Anfertigen von ganzen Stammbäumen.

Beckmann und Reuss schließen mit Forderungen, die eigentlich banal und selbstverständlich wirken. Sie möchten unter anderem ein stärker durchgesetztes Verbot von Racial Profiling, eine zivilgesellschaftliche Allianz gegen die Diskriminierung, die Aufarbeitung bisherigen Unrechts und einen Bruch mit antiziganistischen Stereotypen bei den Polizeibehörden.

Der Talk zum Nachschauen

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8 Ergänzungen

  1. Der Begriff „Racial Profiling“ ist perfide Demagogie.

    Damit wird der Polizei nämlich rassistisch motiviertes Ermitteln unterstellt, ohne dass die Unterstellung einem Entlastungsbeweis zugänglich wäre. Profiling und racial schließen sich nämlich gegenseitig aus. Profiling ist das Erstellen eines Gesamtbildes einer Persönlichkeit (vgl. Wikipedia). D.h, zum Profiling muss eine Vielzahl von Merkmalen zusammengetragen werden. Die Beschränkung auf ein einziges Merkmal wie z.B. Hautfarbe und DNA ist eben gerade kein Profiling. Es kann also racial profiling gar nicht geben. Es gibt keinen Beweis für etwas, das nicht existiert.

    Diejenigen, die Racial Profiling unterstellen, tun das meist dadurch, dass sie von allen für das betreffende Profiling relevanten Merkmalen nur auf das vermeintlich einzige, genetische Merkmal abstellen und alle anderen ignorieren. Das ist unredlich.

      1. Danke für den Link. Die Studie bestätigt meinen gestrigen Kommentar weitgehend.

        Erst auf Seiten 173/174 wird Racial Profiling definiert. Diese Definition bestätigt exakt das von mir oben beschriebene sprachliche Dilemma und weiter: „Gemäß der Rechtsprechung des Europ. Gerichtshofs für Menschenrechte (…) darf die Polizei ihre Ermittlungen (…) auf die Kriterien „Rasse“ oder „ethnische Herkunft“ stützen, wenn es hierfür im konkreten Einzelfall eine hinreichende Rechtfertigung gibt.“ Das ist zutreffend und die wesentliche Aussage in diesem Kontext.

        In allen in dem Artikel genannten Beispielen wird die Eingriffshandlung der Polizei so dargestellt, als habe es nur ein einziges Aufgriffsmerkmal gegeben. Die Frage, ob es neben dem „rassistischen“ Merkmal weitere rechtfertigende Merkmale gibt, wird gar nicht gestellt! Es werden am in den Berichten der „Diskriminierten“ tatsächlich solche Merkmale aufgeführt!

        Somit bestätigt dieser Artikel exakt meine gestern aufgestellt These über die perfide Demagogie.

      2. Wie sinnvoll ist es, ein Handeln als rassistisch zu bezeichnen, wenn es nicht „rassistisch motiviert“ ist?

        Dann bleibt einfache Diskriminierung – und diese wiederum kann berechtigte Grundrechtsausübung sein (Art 2 GG erlaubt es jeder Privatperson eine andere zu diskriminieren und zwar solange die Diskriminierung nicht in Rechte des Diskriminierten eingreift.)

        Wenn man also den Rassismusbegriff so weit fasst, dann schließt man legitimes und legales verhalten ein und nimmt dem Begriff seinen Kern als etwas in hohem Maße abzulehndes.

    1. „Der Begriff „Racial Profiling“ ist perfide Demagogie.“

      Sehe ich anders. Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Racial_Profiling Der Begriff stammt aus der US-Kriminalistik. Wenn die deutsche Sprache so kleinteilig ist, dass man dafür keine passenden Begrifflichkeiten findet, dann nutzten die Betroffenen die geistigen Vorleistungen anderer Länder. Und die USA sind in solchen Aspekten Vorreiter.

      Wie wäre es denn, User HerBert, wenn Sie einen ädiquaten Begriff für diese menschenverachtende Vorgehensweise prägen würden?
      Wenn eine Person, ich zitiere den Wikipedia-Artikel, aufgrund ihrer „„Rasse“, ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder nationaler Herkunft“ als verdächtig angesehen wird, dann ist Vorgenannntes sehr wohl Profiling. Denn was sonst bitteschön verbirgt sich hinter der Vokabel „Profiling“? Laut Duden beschreibt es „für bestimmte Zwecke nutzbare Erstellung des Gesamtbildes einer Persönlichkeit“,siehe https://www.duden.de/rechtschreibung/Profiling

      Wenn also die Bundespolizei in einem Zug in Grenznähe nur der einen Schwarzen Menschen kontrolliert, weil sie der Auffassung ist, er wäre illegal eingewandert, dann entspricht das sehr wohl einer Proflilerstelllung. Nämlich aus Grenznähe, schwarze Hautfarbe = illegal eingewandert. Komisch nur, wenn der Schwarze Mensch in fließenden Deutsch und am besten auf bayerisch antwortet. Ich wüßte nicht, in welchem afrikanischen Land bayerisch gesprochen wird.

      Außerdem müsste nach dieser Logik jeder Mann, der dem Phänotyp von Anders Breivik entspricht, doch auch terrorverdächtig sein, nicht wahr? Ich habe bis jetzt noch von keinem Fall gehört, dass plötzlich blonde Männer explizit auf Grund ihres Phänotyps kontrolliert wurden.

      Ich nehme an, User HerBert, dass Sie nicht von solchen grundrechtswidrigen Massnahmenbetroffen sind. Als Nichtbetroffene haben wir kein Recht, über die Empfindungen von den Betroffenen zu urteilen, die nur wegen ihrer Hautfarbe kriminalisiert werden.

  2. @Lars M
    Sie sind ja gar nicht grundrechtswidrig, die Maßnahmen! Wie ich oben mit Verweis auf ein Zitat des EuGH dargelegt habe, darf die Polizei ihre Ermittlungen (…) auf die Kriterien „Rasse“ oder „ethnische Herkunft“ stützen, wenn es hierfür im konkreten Einzelfall eine hinreichende Rechtfertigung gibt. Und diese ist durch die von Lars M selbst genannten Kriterien gegeben.

    Und was heißt „kontrollieren“ in dem Beispiel von Lars M: Ein Beamter wird eine Person ansprechen. Antwortet sie auf bayrisch, wird er ihr einen guten Tag wünschen und weitergehen. Dann ist er gar nicht eingeschritten, hat also gar nicht in eine Rechtsposition eingegriffen. Antwortet die Person auf arabisch, ist ein weiteres Aufgriffskriterium für eine Kontrolle gegeben.

    Danach verfällt Lars M wieder in die von mir kritisierte Demagogie: Wenn ein blonder Mann wie Breivik aussieht, ist das eben gerade kein Grund ihn für terrorverdächtig zu halten. Denn erstens gibt keinen Straftatverdacht aufzuklären (Breivik ist bereits verurteilt), zweitens war Breivik kein Terrorist sondern wohl ein Mörder (es gibt keinen Terror) und drittens stehen blonde Haare in keinem Bezug zu „Terrorismus“. Unsaubere Subsumtion verhindert in diesem Fall die klare Erkenntnis.

    Schließlich wird Lars M emotional: Niemand hat über Empfindungen geurteilt, niemand ist kriminalisiert worden (Kontrolle ist keine Kriminalisierung) und schon gar nicht NUR wegen der Hautfarbe.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.