Lex Greenpeace: Sachsen ändert heimlich Gesetz, um Gutachten geheimzuhalten [Update]

In Dresden baut die Regierung an einer Mauer des Schweigens: Die Koalition aus CDU und SPD in Sachsen änderte extra ein Gesetz, damit der Landesrechnungshof keine Auskunft zu einem brisanten Gutachten geben muss. Umweltschützer und Grüne halten das für unglaublich.

Die sächsische Landesregierung soll Milliardenrisiken für den Haushalt in Kauf genommen haben CC-BY 2.0 Greenpeace Italia

Eigentlich ist das Umweltinformationsgesetz ein mächtiges Werkzeug, um den Staat transparent zu machen. Wer auf Basis des Gesetzes Gutachten oder Daten mit Umweltbezug von Behörden verlangt, erhält sie im Regelfall innerhalb eines Monats. Eine E-Mail genügt.

Es sei denn, man wendet sich an Behörden in Sachsen. Dann rennt man nämlich nicht nur gegen eine Mauer des Schweigens. Man riskiert auch, dass die regierende Koalition aus CDU und SPD extra den Landtag in Bewegung setzt, um interne Dokumente geheimzuhalten, wie Recherchen von netzpolitik.org zeigen.

Brisanter Bericht über Milliardenrisiken

Mit der Mauer des Schweigens bekam es die Umweltorganisation Greenpeace im Sommer 2018 zu tun, als sie einen Sonderbericht des Sächsischen Rechnungshofs anforderte. In dem Gutachten geht es um Sicherheitsleistungen im Bergrecht. Der Rechnungshof wirft der Staatsregierung darin angeblich vor, dass sie Milliardenrisiken für Steuerzahler verursacht hat. Der zuständige Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) hatte es offenbar versäumt, gegenüber dem Braunkohlekonzern Vattenfall Garantien einzufordern.

Eigentlich ein klarer Fall für das Umweltinformationsgesetz, das auf eine EU-Richtlinie zurückgeht: Behörden müssen demnach in Punkto Umweltschutz besonders transparent agieren. Der Sächsische Rechnungshof sah das allerdings anders. Die Landesbehörde wies die Anfrage von Greenpeace nach dem Sonderbericht erst ab und reagierte auf den Widerspruch der Organisation nach sechs Monaten mit einem 40-seitigen Ablehnungsschreiben, unterschrieben vom Präsidenten des Rechnungshofs, dem CDU-Politiker Karl-Heinz Binus. Das versendete es auch an andere Antragsteller.

Sollte der Rechnungshof sich erhofft haben, die Antragsteller damit einzuschüchtern, lag er damit allerdings falsch. Greenpeace reichte gegen die Ablehnung Klage vor dem Verwaltungsgericht Leipzig ein. Und der Rechnungshof erkannte offenbar, dass seine Chancen schlecht standen. Im November 2018 beauftragte die Behörde den Leipziger Staatsrechtler Christoph Degenhart mit ihrer Verteidigung und setzte die schwarz-rote Koalition in Sachsen von der Klage in Kenntnis. Die begann sogleich ebenfalls damit, sich des Falles anzunehmen.

Gesetzesänderung kurz vor Weihnachten

Und zwar im Verborgenen: Die Fraktionen der CDU und der SPD entschieden, den Rechnungshof einfach vom Gesetz auszunehmen. Wo kein Auskunftsanspruch, da keine Auskunft. Statt aber dafür einen eigenen Gesetzentwurf zu erstellen, brachten sie die Gesetzesänderung einfach in einem anderen unter. Am 16. November stimmten CDU und SPD einer Änderung des Haushaltsgesetzentwurfs zu, der sich letztlich auch auf Seite 56 der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses findet: Artikel 24 des fachfremden Haushaltsbegleitgesetzes 2019/2020 sah vor, das Umweltinformationsgesetzes zu ändern. Über die laufende Klage gegen den Rechnungshof verlor die Regierung kein Wort. Kurz vor Weihnachten beschloss der Landtag mit den Stimmen von CDU und SPD den Gesetzentwurf, am 1. Januar trat er in Kraft.

Der Landtagsabgeordnete Gerd Lippold von den sächsischen Grünen bezeichnet das Verhalten der Landesregierung als „unglaublichen Vorgang“. Er selbst wurde durch Greenpeace auf die Gesetzesänderung aufmerksam. Gegenüber netzpolitik.org kritisiert Lippold, dass CDU und SPD im Haushaltsausschuss kein Wort über die Klage verloren, die der Gesetzesänderung zugrunde lag: „Soll ein Abgeordneter sein Mandat wirkungsvoll ausüben, müssen ihm im parlamentarischen Prozess die wesentlichen Entscheidungsgrundlagen unterbreitet werden. Nur so kann er sich ein eigenes Urteil von den parlamentarischen Vorgängen bilden.“

Schon vorher im Landtag war Lippold mit dem Sonderbericht des Rechnungshofs befasst. Als Mitglied im Wirtschaftsausschuss durfte der Abgeordnete den Bericht selbst nur unter Aufsicht im Ausschusssekretariat einsehen. Seine Notizen dazu mussten dort in einem verschlossenen Umschlag verbleiben, berichtet er.

Gesetzesänderung möglicherweise europarechtswidrig

Der Rechnungshof schöpft seine neuen Intransparenzpflichten nun genüsslich aus. Der Staatsrechtler Christoph Degenhart, der den Sächsischen Rechnungshof vor Gericht vertritt, nahm die Gesetzesänderung zum Anlass, am 9. Januar dem Verwaltungsgericht die neue Gesetzeslage mitzuteilen. Er „gestatte sich“, auf das Änderungsgesetz hinzuweisen.

Aus Sicht des Freistaats ist die Klage damit offenbar erledigt, das Dokument soll geheim bleiben. Tatsächlich ist aber ungeklärt, ob die Gesetzesänderung rückwirkend den Antrag von Greenpeace außer Kraft setzen kann – und ob sie nicht CDU und SPD wieder auf die Füße fällt. Denn die Ausnahme des Rechnungshofs vom Umweltinformationsgesetz könnte gegen Europarecht verstoßen.

Für Manfred Redelfs von der Recherche-Abteilung bei Greenpeace ist die Sache klar. Gegenüber netzpolitik.org sagt er: „Sachsen hat eine Lex Greenpeace geschaffen.“ Statt Transparenz zu üben, schotte sich Sachsen weiter ab: „Dabei ist es ohnehin schon eins der Bundesländer mit sehr schlechtem Zugang zu Unterlagen der Verwaltung, denn es gibt in Sachsen kein Informationsfreiheitsgesetz, also kein allgemeines Akteneinsichtrecht wie in 13 anderen Bundesländern.“

Eigentlich hatten die sächsische CDU und SPD in ihrer Koalitionsvereinbarung bis zur Wahl im Herbst 2019 ein Informationsfreiheitsgesetz angekündigt. Das Vorhaben wird aber offenbar nicht mehr umgesetzt. Transparenz ist in Sachsen ein Fremdwort.

[Update, 20.02.2019]: Die SPD hat in einer Stellungnahme erklärt, die CDU habe die Gesetzesänderung auf Wunsch des Rechnungshofs formuliert. Für die SPD-Fraktion habe die Gesetzesänderung nicht im Zusammenhang mit einer Klage gestanden. Trotzdem stünde sie zu ihrer Entscheidung.

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9 Ergänzungen

  1. „Umweltschützer und Grüne halten das für unglaublich“

    Naja, jeder echte Demokrat sollte dieses intransparente Handeln unglaublich finden. Demokratie kann nur funktionieren, wenn der Souverän politische Entscheidungen zu hundertprozent nachvollziehen kann und weiss, welcher Volksvertreter welche Auffassungen vertritt (also welchen Gesetzen er zustimmt bzw. welche Gesetze er ablehnt). Das was wir in den letzen Jahren auf Bundes- und Landesebene beobachten durften, sollte alle, die noch an die Existenz von Demokratie glauben, aufrütteln. Transparenz wird doch auf allen Ebenen abgeschafft. Der Fraktionszwang z.B. soll in Verbindung mit geheimen Abstimmungen (man stelle sich das mal vor!) verschleiern, welcher Volksvertreter seine Wahlversprechen einhält und wer nicht. Ist das jetzige System demokratisch – also im Sinne von „Alle Souveränität geht vom Volke aus“?

    Ich muss dies langsam aber sicher bezweifeln.

  2. Die Kritik der sächsischen Grünen an der Einschränkung eines Auskunftsrechtes ist von der Sache her nachvollziehbar und berechtigt. Aber es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die Grünen auch schon mal für die Einschränkung eines Auskunftsrechtes stimmen, wenn es sie selbst betrifft. Die Blaupause für den Vorgang in Sachsen dürfte nämlich eine Bundestagsabstimmung vom Juni 2013 sein, als in einem ähnlich dubiosen parlamentarischen Verfahren der Bundesrechnungshof vom IFG ausgenommen wurde. Anlass war damals, dass die Fraktionen verhindern wollten, dass ein BRH-Bericht über die Fraktionsfinanzen per IFG an die Öffentlichkeit kommt. Dafür stimmten damals: eine All-Parteien-Koalition aus CDU, CSU, FDP, SPD, Linken – und Grünen.

    https://www.abgeordnetenwatch.de/blog/2014-03-14/handstreich-im-bundestag-wie-abgeordnete-um-025-uhr-ein-burgerrecht-aushebelten

  3. Die entsprechende „Änderung des Sächsischen Umweltinformationsgesetzes“ wurde im Haushalts- und Finanzausschuss des Landtags ohne Gegenstimme (also auch nicht von den GRÜNEN) bei einigen Enthaltungen angenommen. Der entsprechende Änderungsantrag der CDU/SPD-Koalition wurde am 9.11.2018 eingereicht, am 16.11. fand die 2. Komplex-Haushalts-Anhörung zu Änderungsanträgen und ab 26.11. die Klausur des Haushalts- und Finanzausschusses statt. Es bestand also genug Gelegenheit zu intervenieren. Die umweltpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Dr. Jana Pinka, die seit Jahren die fehlenden Sicherheitsleistungen der Braunkohle-Tagebaubetreiber öffentlich kritisiert und ihre Beibringung einfordert, sagt, im Rechnungshof-Gutachten stehe nichts, was ihr nicht sowieso bekannt sei. Es seien allerdings im Rechnungshof-Gutachten generell Sicherheitsleistungen von Bergbautreibenden, also nicht nur des Braunkohle-Unternehmens, behandelt worden, sodass sich darin auch haufenweise schützenswerte Geschäftsdaten mittelständischer Betriebe befinden. Die Mutmaßung, dass es eine „Lex Greenpeace“ sei, harre daher des Beweises. Die Begründung der Gesetzesänderung, die offenbar Abgeordneten aller Fraktionen nicht gänzlich unplausibel war: die „richterliche Unabhängigkeit“ des Rechnungshofes gemäß seiner verfassungsrechtlichen Stellung. Dies entspreche auch der von der europäischen Umweltinformationsrichtlinie eingeräumten Möglichkeit. Dass die Linksfraktion das „Beipacken“ haushaltsfremder Themen im Haushaltsbegleitgesetz grundsätzlich ablehnt, steht auf einem anderen Blatt. Sie hat ja auch das Haushaltsbegleitgesetz insgesamt – und damit einschließlich aller von der Koalition daran noch vollzogenen Änderungen – abgelehnt.
    Marcel Braumann, Pressesprecher der Linksfraktion im Sächsischen Landtag

    1. Hallo Herr Braumann, Sie wollen einen Beweis, dass die Gesetzesänderung mit Greenpeace zusammenhängt. Bitteschön: Der in Rede stehende § 3 Abs. 1 UIG war seit 2006 insgesamt 12 Jahre lang unverändert in Kraft und wurde wenige Wochen nach Einreichung der Klage in einem wenige Wochen dauernden Verfahren ohne eigenen Gesetzgebungsprozess geändert. Nach Darstellung der SPD hat der Rechnungshof den Gesetzentwurf sogar selbst geschrieben. Wie erklären Sie sich das?

      1. Wenn die Stellungnahme der SPD zutrifft, müsste das jetzt der Rechnungshof erklären. Ob und warum er damit ggf. abwehren wollte, dieses Gutachten herauszugeben. Fragen Sie ihn doch mal. Jana Pinka erwog bereits Klage auf Aktenherausgabe beim Oberbergamt in Sachen Sicherheitsleistungen. Das Rechnungshof-Gutachten findet sie wie gesagt nicht so spannend, da die darin enthaltenen Infos ihr auch aus anderen Quellen vorliegen.

  4. Schützenswerte Geschäftsdaten mussten übrigens schon vorher geschützt werden. Daran ändert die Gesetzesänderung gar nichts. Sie nimmt den Rechnungshof eben nur auch in anderen Bereichen aus. Lesen Sie dazu gerne auch § 6 UIG.

  5. So eine Ausnahme gibt es für den Bundesrechnunghof schon seit 2013. Sachsen zieht nur nach und wurde durch Greenpeace unsanft daran erinnert.

  6. Zum Vergleich: wie ist sowas wie die Asse, ein chaotisches gefährliches Atommüllager, möglich (gewesen)?
    Dass absehbar, keinen der Verantwortlichen hat es lange Zeit interessiert, eine radioaktive Todeszone mitten in Deutschland entstehen würde?
    Dieselben Mechanismen, Sekt-und Schnittchen-Lächel-Demokratie plus Schlafmangel-Demenz, und vieles mehr, habt ihr hier. Und überall.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.