Hessentrojaner: Auf massive Kritik folgen die Verfassungsbeschwerden

Mit dem „Hessentrojaner“-Gesetz bekam die Polizei im schwarz-grün regierten Bundesland letztes Jahr neue Befugnisse. Nun legt ein Bündnis Verfassungsbeschwerde gegen das hessische Polizeigesetz ein – und gegen das Verfassungsschutzgesetz gleich mit.

Bembel, Geripptes und Apfel
Mit Hessendata und Hessentrojaner werden die Einwohner des Apfelwein-Bundeslands so gläsern wie ein Geripptes. CC-BY-SA 2.0 Eva K.

Egal, ob jemand selbst unter Verdacht steht oder sich im Umfeld einer verdächtigten Person bewegt – mithilfe von Staatstrojanern und der Big-Data-Analysesoftware Hessendata ist es der hessischen Landespolizei erlaubt, IT-Geräte auszuspähen und Persönlichkeitsprofile über Bürger*innen zu erstellen. Organisiert von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) reicht nun ein Bündnis aus Datenschutzinitiativen und Aktivist*innen Verfassungsbeschwerde gegen das neue Polizei- und Verfassungsschutzgesetz Hessen ein.

Das von der schwarz-grünen Regierungskoalition im hessischen Landtag durchgesetzte Polizeigesetz ist seit einem Jahr in Kraft. Zahlreiche Sachverständige, Datenschützer*innen und Jurist*innen hatten es schon in seiner Entstehungsphase massiv kritisiert. Einer der wichtigsten Punkte dabei: der „Hessentrojaner“.

Jede*r kann in eine polizeiliche Datenanalyse geraten

„Wer in den Fokus einer automatischen Datenanalyse gerät, wird schnell zum gläsernen Menschen“, sagt die Juristin Sarah Lincoln von der GFF in einer Pressemitteilung. Durch den Einsatz des Hessentrojaners sieht das Bündnis die IT-Sicherheit der Bevölkerung bedroht.

Polizeien könnten für Staatstrojaner Sicherheitslücken offenlassen, um sie zur Überwachung ausnutzen, anstatt sie Herstellern zu melden. Das Polizei- und Verfassungsgesetz verstoße so gegen das sogenannte IT-Grundrecht – das „Grundrecht auf Gewährleistung der Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme“.

Gefährdet sind alle, auch Behörden

Im Bündnis mit der GFF schließen sich die Humanistische Union (HU), die Datenschützer Rhein-Main (dDRM) und das Forum Informatiker_innen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FifF) zusammen. Klaus Landefeld, einer der sieben Beschwerdeführer*innen, stellt gegenüber der Hessenschau eine für ihn grundlegende Frage:

Darf der Staat alle gefährden, weil er auf die Systeme von einzelnen zugreifen möchte? Die Lücken werden offengehalten und nicht systematisch geschlossen, wie es erforderlich wäre. Das gefährdet alle, auch Unternehmen oder Behörden.

So argumentierte auch der Informatiker und Philosoph Rainer Rehak. Er sagte bei einer Sachverständigenanhörung im hessischen Landtag, es gehe nicht um die Abwägung „Sicherheit gegen Grundgesetz“, sondern um „Sicherheit gegen Sicherheit“.

Auch der Chaos Computer Club warnt unter hessentrojaner.de vor der Verschärfung der Gesetze: Beim Staatstrojaner handele es sich „um eine unberechenbare digitale Waffe, die heimlich zum Einsatz kommen soll“. In den falschen Händen könne sie auch für Angriffe auf beispielsweise Krankenhäuser, Windparks, Atomkraftwerke oder Logistikinfrastuktur genutzt werden.

Polizei- und Verfassungsschutzgesetz im gleichen Gesetzespaket

Gleichzeitig mit dem Polizeigesetz wurde auch das hessische Verfassungsschutzgesetz überarbeitet. Der Landesverfassungsschutz darf zwar keine Staatstrojaner einsetzen, trotzdem richtet sich die Klage des Bündnisses gegen beide Neuregelungen.

Lincoln argumentiert, dass in einem gemeinsamen Paket beide Gesetze verschärft wurden. Während die Polizei neue Befugnisse bekam, wurde das Verfassungsschutzgesetz „komplett neu überarbeitet“.

Beliebige Überwachung durch verdeckte Vermittler

Die 104-seitige Anklageschrift nennt etwa neue Regelungen für verdeckte Ermittler und die Möglichkeit, Mobilfunkgeräte zu orten und Reiserouten zu überwachen. Der Verfassungsschutz könnte zum Beispiel „verdeckte Ermittler in politische Gruppen wie die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes einschleusen und dies darauf stützen, dass deren Forderung die freiheitlich demokratische Grundordnung gefährdet“, führt Lincoln aus.

Die erhobenen Daten könnten außerdem leicht an öffentliche Stellen und ausländische Regierungen weitergegeben werden. Dazu seien viele Begriffe im Gesetz nicht klar definiert und die gesammelten Daten nur schwer einsehbar.

Piratenpartei klagt ebenfalls

Am 2. Juli hat auch die Piraten-Partei eine Beschwerde gegen das Polizeigesetz und den Hessentrojaner eingereicht. Sie lehnt es ebenso ab, dass der Staat Hintertüren in IT-Systemen offenlasse, um sie selbst auszunutzen. Das Bundesverfassungsgericht muss entscheiden, ob es die Verfassungsbeschwerden annimmt. Bis zu einem endgültigen Urteil können dann noch einige Jahre vergehen.

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

Eine Ergänzung

  1. „bekam die Polizei im schwarz-grün regierten Bundesland letztes Jahr neue Befugnisse.“

    Was ist mit den ‚Die Grünen‘ passiert, dass die dieses wie jenes, wie 120 Jahre versteckte NSU-Akten, mit lauten Schweigen mitmachen?

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.