Handy-LadegeräteHeftige Kritik an EU-Kommission wegen Hinhaltetaktik

Vor einem Jahrzehnt kündigte die EU-Kommission ein einheitliches Ladegerät für alle Handys an. Doch das lässt bis heute auf sich warten. Im EU-Parlament musste der zuständige Beamte harsche Worte einstecken.

Apple Lightning Stecker
Apple verweigert sich seit Jahren gegenüber einer einheitlichen Lösung. Ob nun der Apple Lightning oder USB-C besser ist, darüber lässt sich trefflich streiten. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Brett Jordan

Abgeordnete im EU-Parlament haben die Kommission heftig für ihr zaghaftes Vorgehen beim einheitlichen Ladegerät für Handys kritisiert. Vor zehn Jahren kündigte die EU-Kommission an, einen Standard für Ladekabel und Netzgeräte von Smartphones zu schaffen.

Doch Apple weigert sich. Der Konzern schuf mit Lightning sogar seinen eigenen Steckeranschluss, statt wie andere Hersteller den USB-Standardstecker zu verwenden.

Das Thema sorgte heute für wütende Reaktionen im Binnenmarktausschuss des Parlaments. Es sei ihr gegenüber ihren Wählerinnen und Wählern „peinlich“, dass es trotz Ankündigungen der EU immer noch kein einheitliches Ladegerät gebe, sagte die niederländische Sozialdemokratin Christel Schaldemose. Abgeordnete verschiedener Fraktionen pflichteten ihr bei.

Die polnische Abgeordnete Róża Thun von der konservativen EVP-Fraktion konfrontierte den zuständigen Kommissionsbeamten Gwenole Cozigou mit einem Bericht von netzpolitik.org, in englischer Sprache veröffentlicht von EU Observer. „Rund 150 E-Mail, Gesprächsnotizen und Berichte, die unter dem Informationsfreiheitsgesetz der EU veröffentlicht wurden, zeigen Apples Kampagne gegen ein einheitliche Ladegerät“, zitierte Thun aus dem Bericht von netzpolitik.org.

51.000 Tonnen Elektroschrott

Thun erinnerte daran, dass Ladegeräte nach einer Schätzung der Kommission 51.000 Tonnen Elektroschrott pro Jahr produzieren. Hier könnte eingespart werden, eine einheitliche Lösung sei für Konsumentinnen und Konsumenten außerdem bequemer.

Die Lage ist heute ohnehin besser als vor zehn Jahren. Auf Drängen der Kommission übernahmen die meisten Handyhersteller den Micro-USB-Standard und neuerdings USB-C. Doch Apple wehrt sich dagegen: Die freiwillige Selbstverpflichtung der Hersteller enthielt Schlupflöcher.

Der zuständige Kommissionsbeamte Cozigu gestand vor dem Ausschuss ein, dass man die Hersteller nicht zu einer stärkeren Selbstverpflichtung überreden habe können. Trotz aller Bemühungen, die Branche von der Selbstverpflichtung zu überzeugen, entsprächen neue Entwürfe der Industrie nicht den Erwartungen der Kommission.

Gwenole Cozigou
Gwenole Cozigou
Der britische Liberale Dinesh Dhamija erinnerte daran, dass Ladegeräte für Firmen wie Apple und Samsung ein eigener Geschäftszweig seien. Es müsse eine gemeinsame Lösung von großen Wirtschaftsräumen wie der EU und der USA geben, sonst gehe das „Katz- und Maus-Spiel“ mit den Herstellern weiter.

Seit 2014 hat die Kommission durch die Radio Equipment Directive eigentlich die Möglichkeit, mit einem delegierten Rechtsakt rasch und rechtsverbindlich eine Lösung vorzuschreiben.

„Gehen langsam die Nerven durch“

Die SPD-Abgeordnete Evelyne Gebhardt fragte im Ausschuss, „wie es denn eigentlich sein kann, dass die Kommission mal wieder mit einem neuen Vorschlag kommt statt mit einer Lösung?“ Es dürfe nicht wieder zehn Jahre gewartet werden. „Mir gehen jetzt so langsam die Nerven durch mit der Hinhaltetaktik, die wir von Kommission erleben.“

Die Kommission hält indes an einer freiwilligen Lösung fest. „Die Kommission bevorzugt freiwillige Abmachungen, die ambitioniert sind und die Unterstützung aller Industriebeteiligten hat“, schrieb die Kommission Anfang Oktober auf Anfrage von netzpolitik.org.

Nach heftigem Drängen des EU-Parlaments kündigte die Kommission im Vorjahr indes eine neue Studie über ein einheitliches Ladegerät an. Ein fertiger Entwurf der Studie liegt seit einigen Wochen vor.

Auf eine Informationsfreiheitsanfrage von netzpolitik.org schickte uns die Kommission den Entwurf, der Empfehlungen von Expert:innen für das weitere Vorgehen enthält. Von 166 Seiten der Studien waren allerdings alle bis auf drei – Titelblatt, Inhaltsverzeichnis und die erste Seite der Einführung – geschwärzt. Die Kommission will offenbar jegliche Debatte zum Thema weiter hinauszögern.

Korrektur vom 6.11.2019: Zunächst hieß es irrtümlicherweise Mini-USB statt Micro-USB.

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12 Ergänzungen

  1. Wie kann das denn legal sein? Wie begründet man denn 150 Seiten einer wissenschaftlichen Arbeit über den Vorteil von USB C zu schwärzen?

  2. „Der zuständige Kommissionsbeamte Cozigu gestand vor dem Ausschuss ein, dass man die Hersteller nicht zu einer stärkeren Selbstverpflichtung überreden habe können.“

    Müsste nicht eingestanden werden es überhaupt wieder nur mit „freiwilliger Selbstverpflichtung“ versucht zu haben?

    Die ist nur sinnvoll, wenn der Staat oder die EU danach eben etwas bestimmt, weil die Industrie zu doof war, sich auf etwas sinnvolles zu einigen. Anders geht es eigentlich nicht, abzüglich der Frage, warum „die Industrie“ überhaupt etwas entscheiden soll. Ist die Idee, nocheinmal 10 Jahre lang herumzurudern, damit niemand etwas entscheiden muss? Vermutlich ist die Idee in Wirklichkeit, alles so lange hinauszuzögern, bis dass die Mächtigen [„wieder“] frei entscheiden können, ohne an vermeintliche Systeme gebunden zu sein. Aber was hat das mit Ladekabeln zu tun?

    In 10-20 Jahren werden wir mit bester Wahrscheinlichkeit dystopische Killzones mit autonomen Waffensystemen haben, die uns alles mögliche, inklusive Ladekabeln und Flüchtlingen, vom Halse halten werden. Gestern Folterknast, Morgen Roboter.

  3. Wieso geht es in der Diskussion um Ladegeräte für Smartphones, die haben ja alle einheitlich USB-A. Die Kabel haben verschiedene Stecker. Oder gibt es immer noch fest verbaute Kabel?
    Anders ist das bei Laptops, hier hat wirklich jeder Hersteller seinen eigenen Stecker. Und der Ressourcenverbrauch ist bei diesen deutlich größeren Geräten auch höher. Das soll aber nicht reguliert werden?

  4. 1. Das passiert eben wenn man die Wirtschaft darum bittet, etwas freiwillig zu machen. Soviel dazu, dass sich Märkte selbst regulieren und so das beste für den Konsumenten entsteht.
    2. Einfach den Verkauf von Produkten in der EU verbieten die dem nicht nachkommen, sehen wir mal wie schnell die ihre Produktion umstellen können.
    3. Zuständige alle feuern – 10 Jahre und nichts ist passiert, das bedeutet ja im Grunde „Arbeitsverweigerung“ auf Kosten der Umwelt und sämtlicher EU-Bürger! Und das finanziert durch öffentliche Gelder.
    4. Für Micro-USB ist es nun zu spät. Wenn man sich jetzt festlegt, macht nur noch USB-C Sinn und sogar Apple verwendet das ja nun bereits – d.h. die müsste man schon nicht mehr überreden, sondern nur verbieten dass sie wieder etwas anderes machen wenn alle anderen das auch machen.
    5. Da kommt man sich als Konsument- und EU-Bürger mal wieder komplett vernachlässigt und veralbert vor – was machen die Damen- und Herren dort eigentlich den lieben langen Tag? Sich mit dem Brexit befassen?

    1. „Soviel dazu, dass sich Märkte selbst regulieren und so das beste für den Konsumenten entsteht“
      Das funktioniert leider nur, wenn der Konsument mitspielt. Offensichtlich wird der Alleingang von Apple aber nicht vom Konsumenten abgestraft, sondern sogar belohnt.

  5. Ist doch super dass man die großen Hersteller nur zu einer freiwilligen Selbstverpflichtung ermutigt anstelle es zu regeln. Ich finde dies sollte man in allen Bereichen machen. Freiwilliger Verzicht auf krebserregende Stoffe in Lebensmitteln, freiwilliger Verzicht auf Abgas Standards bei Diesel Autos, freiwillige Einhaltung bei Feuerlöschsystemen im Flughafen BER… Unsere Welt wird viel besser wenn man alles nur noch freiwillig macht anstelle von irgendwelchen Gesetzen zu folgen.

  6. Warum kann denn die Überlegung nicht eher dahin gehen, überhaupt Kopfhörer, Ladegeräte, Kabel grundsätzlich mitzuliefern? Das kauft man sich eben dazu, wenn man nichts davon hat. Hat doch schon bei VHS Recordern geklappt (ob gut, weiß ich gerade nicht). Dann stellt sich nicht die Frage nach der Technik, sondern der Notwendigkeit.

  7. „Ob nun der Apple Lightning oder USB-C besser ist, darüber lässt sich trefflich streiten.“

    Es ist beides schlecht, weil über beides auch Daten laufen können, ganz nebenbei, beim Laden, ohne dass man was merkt. Ein Ladekabel darf nicht in der Lage sein, Daten zu transportieren, um keine Sicherheitslücke zu schaffen.

    1. aha … sehr interessant.
      1.) Ein Steckplatz und nicht zwei ist schonmal ein Vorteil, aber vielleicht wollen sie lieber 10 Steckplätze – für jede Funktion eine extra Buchse – Mikrofon sollte unbedingt auch einen extra Steckplatz bekommen, sonst könnten Sie unbemerkt abgehört werden. ;)

      2.) Wenn jemand nur laden will, kann er sein Gerät direkt mit (Netzteil) an der Steckdose anschließen (mache ich schon die ganze Zeit).
      – wenn ich Daten übertragen will, erst DANN schließe ich mein Gerät über das Kabel an den PC an.

      Nebenbei bemerkt können Daten (ohne dass man es merkt) über Wifi oder LTE übertragen werden *hust* .. dafür braucht man dann sogar nichtmal ein Kabel.

  8. Nun zum Artikel:

    „Ob nun der Apple Lightning oder USB-C besser ist, darüber lässt sich trefflich streiten.“

    Also der Vorteil des Apple-Kabels liegt auf der Hand .. ich kann es drehen und einstecken, ohne dass sich der Stecker verhakt oder ich ihn beschädige … da muss man nicht streiten. Dass mir Apple mit seiner Geräte-Politik auf den Sender geht, sollte ich vielleicht erwähnen, da mir sonst unterstellt wird, dass ich nur pro Apple bin. Mein iPhone ist so veraltet, dass demnächst viele Apps nicht mehr funktionieren werden, mein iPad Air ebenfalls.
    Zumindest kann ich aus Erfahrung sprechen und nicht wie viele Apple-Hater über etwas herziehen, was man nicht mal genutzt hat.
    Ich nutze sowohl ein iPhone und ein Android-Smartphone. Beide haben ihre Vor- und Nachteile.
    Der USB-C-Stecker nervt mich, man muss immer dreimal hinsehen, ich kenn mehrere, die immer wieder mit dem USB-C Stecker herumfuchteln und ihn versuchen falsch herum in die Buchse zu stecken, was daran jetzt toll sein soll, weiß nicht.
    Was die Datenübertragungsrate angeht – wer braucht denn diese Geschwindigkeit?
    Es tun ja alle so, als ob sie mit ihrem Smartphone 4k Liveübertragung vollbringen wollen.

    Apple war schon sehr oft Vorreiter für Entwicklungen, sei es Windows, iPod + Smartphone und sie haben auch die Computerwelt bunter gemacht – neben unter anderem außergewöhnlichen Designs. Ob man sie nun mag oder nicht.

    Dann sollte man vielleicht einfach einen NEUEN Stecker entwickeln, der dann für alle verpflichtend sein soll.

    Als Hersteller würde ich der Kommission den Stinkefinger zeigen und einfach alle (weiteren) Geräte nicht mehr für den EU-Markt anbieten und die Verbraucher dann auf die EU-Kommission verweisen bzw die Geräte nur noch als Importware anbieten.
    Bürokratie über Vernunft – nicht die bessere Technik gewinnt, sondern die, mit mehr Einfluss – wo da wohl wieder an wen Geld geflossen ist.
    Das ist Vergewaltigung unter dem Deckmantel des Verbraucherschutzes.
    Da wäre es wichtiger, dass ich auch mit einem 7 Jahre alten Gerät noch Software-Updates bekomme und dass Hersteller daran gehindert werden, die Obsoleszenz zu umgehen, indem sie Software kaputt-patchen und Updates einstellen.

  9. Pardon, habe den USB-C mit USB Micro Anschluss verwechselt, da mein neues Android Smartphone besagten USB Micro Anschluss hat.
    Was wiederum eigentlich der sogenannten größeren Verbreitung von USB-C widerspricht.
    Trotzdem ‚mea culpa‘, hätte vorher nochmal nachsehen sollen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.