InterviewGlobaler Gewerkschaftsbund fordert harte Hand gegen Amazon

Der größte Online-Händler der Welt ist zugleich der schlechteste Arbeitgeber der Welt, sagt die Generalsekretärin des Internationalen Gewerkschaftsbundes, Sharan Burrow. Gegenüber netzpolitik.org erklärt sie, warum Amazon eine Bedrohung für die Realwirtschaft ist.

Amazon-Lagerhaus
Ein Amazon-Lager in Edison, New Jersey CC-BY-NC 2.0 Phil Murphy

Gewerkschaften in vielen Ländern sind erbost über Amazon. Der Konzern ist bekannt dafür, Mitarbeiter:innen in seinen Logistikzentren schlecht zu bezahlen und unter großen Leistungsdruck zu setzen. Doch das ist nicht der einzige Grund, warum der Konzern aus Sicht der Beschäftigten viel Schaden anrichtet, sagt die Generalsekretärin des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB), Sharan Burrow, im Telefoninterview mit netzpolitik.org.

Der IGB ist der Dachverband von Gewerkschaften rund um die Welt, darunter der DGB mit seinen sechs Millionen deutschen Mitgliedern. Der internationale Gewerkschaftsbund setzt sich für ein deutlich härteres Vorgehen gegenüber dem Weltkonzern ein, erzählte uns Burrow im Gespräch.

Sharan Burrow
Sharan Burrow - Alle Rechte vorbehalten European Union

netzpolitik.org: In vielen Ländern wird heute über die schädlichen Auswirkungen der großen Marktmacht von Google, Facebook und Amazon diskutiert. Der IGB organisierte in Brüssel ein Symposium speziell über Amazon. Was stört Sie an dem Konzern?

Sharan Burrow: Globale Monopolmacht ist nicht akzeptabel, und sie war es an keinem Punkt der Geschichte. Warum sollten wir große Technologiefirmen, und besonders solche, die das Überleben unserer Einkaufsstraßen gefährden, in jedem Land der Welt mit Ausnahme Indiens, frei operieren lassen?

Das Geschäftsmodell von Amazon ist unglaublich. Es ist schlimmer als das von traditionellen Bergbaufirmen, die wenigstens eine Art von Steuer auf die Ressourcen zahlten oder sonst zu dem Ort oder Land beitrugen, in dem sie ihr Geld verdienten. Amazon macht Data Mining, und das ohne Einwilligung von Einzelpersonen, diese Daten zu nutzen. Das britische staatliche Gesundheitssystem NHS gab gerade große Mengen an Daten ohne die Zustimmung der Leute weiter. Unsere normalen Gesetze greifen da nicht.

Es geht auch um eine Reihe von anderen Dingen. Amazon zahlt seine Steuern im grenzüberschreitenden Handel nicht, seine Bilanz bei Arbeitsschutz und Gesundheitsvorschriften ist fürchterlich, und natürlich sind sie gegen Gewerkschaften. Sie wollen nicht mit Gewerkschaften verhandeln.

netzpolitik.org: Der IGB kürte Amazon-Gründer Jeff Bezos bereits vor einigen Jahren zum „schlimmsten Chef der Welt“. Sie sagten damals, dass Amazon seine Mitarbeiter in Deutschland wie Roboter behandle. Bezos verkörpere die Unmenschlichkeit von Arbeitgebern, die auf das US-amerikanische Unternehmensmodell setzten. Hat Amazon sich seither nicht ein wenig gebessert?

Sharan Burrow: Nein, eigentlich ist es schlimmer geworden. Amazon-Mitarbeiter fürchten sich, auf die Toilette zu gehen, weil überwacht wird, wie lange ihre Pausen sind. Es gibt eine Kultur der Angst unter Amazon-Mitarbeitern, in einer Niedriglohn-Umgebung.

Bezos ist der reichste Mann der Welt, und bis vor kurzem waren einige seiner Mitarbeiter in den USA von staatlichen Lebensmittelhilfen abhängig. Zwar haben sie die Löhne in den USA und Großbritannien leicht angehoben, aber in Großbritannien haben sie zugleich andere Leistungen am Arbeitsplatz reduziert, um die höheren Lohnkosten wieder einzusparen. Ich könnte viel über die ungeheuerliche Behandlung von Beschäftigten erzählen. Wir sehen das in Deutschland, in Spanien, in Großbritannien, Italien, Polen und den USA  – überall expandiert Amazon rapide, aber die Arbeitsbedingungen sind schockierend.

Es gibt bei Amazon eine ganze Reihe von Dingen, über die wir reden müssen – über die Rechte von Beschäftigten, über Datenschutz und Einwilligung, die schiere Größe der Firma und ihre Fähigkeit, grenzüberschreitend Steuern zu vermeiden, sowie die Wettbewerbspolitik an sich. Wenn Regierungen nicht handeln – und sie müssen gemeinsam handeln – um Amazon zu zerschlagen, dann ist das eine außerordentliche Bedrohung für die Realwirtschaft.

netzpolitik.org: Die neue EU-Kommission unter Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hat angekündigt, die Regeln für große Digitalkonzernen zu überarbeiten. Was erwarten Sie sich von der Europäischen Union?

Sharan Burrow: Wir sind optimistisch, was die Lage in der EU angeht. Wir haben mit Regierungsvertretern gesprochen und sie haben ein klares Verständnis der Probleme. Es gibt sogar Debatten über einige vorbeugende Wettbewerbsregeln und tatsächlich sollte es das auch. Wir können globale Monopolmacht nicht akzeptieren, auch nicht das Eindringen in das Leben von Menschen. Menschen müssen der Regierung vertrauen können, dass sie ihre Daten schützt. Es darf keine Firma geben, die in jeden Aspekt der Gesellschaft hineinreicht, und das dereguliert. Wir sind optimistisch, dass die Kommission diese Themen versteht und die Ausweitung des Datenschutzes, von Beschäftigtenrechten und von Wettbewerbsregeln in dieser Hinsicht in Betracht zieht.

netzpolitik.org: Viele von uns sehen sich gerade nach Weihnachtsgeschenken um. Würden Sie davon abraten, dort einzukaufen?

Sharan Burrow: Wir sagen klar: wenn jemand ein toxisches Produkt auf den Markt bringt, ob das nun Volkswagen ist oder eine Pharmafirma, dann muss es von dort wieder verschwinden. Das liegt nicht in der Verantwortung von Konsumenten, sondern in der von Unternehmen. Wir wünschen uns nicht das Ende von Firmen, auch nicht das Ende von Amazon. Wir wollen sie so reguliert sehen, dass es gesellschaftliche Akzeptanz für ihr Handeln gibt, innerhalb von globalen und nationalen Normen der Rechtsstaatlichkeit.

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4 Ergänzungen

  1. Wenn große Technologiefirmen das überleben der Einkaufsstraße gefährdet ist dann braucht man diese Einkaufsstraße vermutlich einfach nicht mehr. Der Konsument sucht sich seine Produkte dort wo er sie am Komfortabelsten und günstigsten bekommen kann. Frau Burrow scheint zwanghaft an der Vergangenheit festhalten zu wollen. Das war noch nie gut.

    1. Ich muss dazusagen, dass Frau Burrow im Original von „Main Street“ sprach. Das ist in angloamerikanischer (oder in diesem Fall australischer) Diktion die Haupt(einkaufs)straße eines Ortes, der Begriff wird aber oft auch einfach als Synonym für die Realwirtschaft als ganzes verwendet (und damit abgegrenzt von Wall Street, der Finanzwirtschaft). Was Frau Burrow damit offenkundig sagen will, ist dass es um die Geschäfte in der Einkaufsstraße geht, aber im Grund um die „normale“ Volkswirtschaft jenseits großer Konzerne.

      Als Argument schließe ich mich dem an. Es gibt genug Beispiele, wo etwas als Konsument komfortabel und günstig ist, aber aus verschiedenen Gründen nicht gut für die Volkswirtschaft als Ganzes. Wir können z.B. toll beim Discounter von Kinderhänden genähte Kleidung oder mit Sklavenarbeit gepflückte Bananen kaufen, aber das ist blöd für die Betroffenen und schadet Anbietern, die faire Preise zahlen und an ihre Kunden weitergeben. Amazon zahlt schlecht und kann zwar auf Skaleneffekte setzen, wird die aber auf lange Frist vor allem dazu nutzen, Monopolrenten abzuschöpfen.

  2. Ich lese immer wieder über die Arbeitsbedingungen und vor allem dem schlechten Lohn und muss mich doch wundern. Ich selbst arbeite seit 6 Jahren als Versandmitarbeiter in einem Amazon Logistikgebäude (erst in Werne, nun in Dortmund) und kann das nicht nachvollziehen.
    Grundsätzlich sind die Arbeitsbedingungen erstmal okay. Man wird natürlich nicht auf Händen getragen, man muss halt schon arbeiten. Aber weder hab ich je massiven Druck gespürt noch sonst irgendwas. In anderen Jobs, die ich vorher hatte, war es deutlich schlimmer. Bei Amazon hat mich. z.B. noch nie jemand angebrüllt, weil mir Arbeitsmaterial durch Verschleiß kaputt ging. Und ich wurde noch nie während eines Krankenscheins angerufen und genötigt, trotzdem arbeiten zu kommen. Wenn man seinen Job macht, ist alles gut. Und das Pensum ist btw absolut machbar.

    Und der Lohn? Sorry, aber ich verdiene als ungelernte Arbeitskraft dort 14,04€/Stunde, weil ich mehr als zwei Jahre dabei bin. In welcher Branche ist sowas denn noch üblich? Selbst in Ausbildungsberufen kriegt man teilweise weniger.

    Ich kann ja durchaus verstehen, dass man Kritik an Amazon äußert, aber zumindest hier in Deutschland ist es nach meiner Erfahrung weder der Lohn noch die Arbeitsbedingungen, die kritikwürdig sind.

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