„Gekaufte Demonstranten“: Die Strategie der Autoritären zur Diskreditierung von Protest

Dass Proteste mit dem Hinweis auf ausländische Mächte und vermeintlich gekaufte Demonstranten diskreditiert werden sollen, hat eine lange Tradition: Bei autoritären Herrschern und Rechtspopulisten. Dass sich die CDU jetzt dieser Strategie bedient, schadet der Demokratie. Ein Kommentar.

Demo gegen Uploadfilter
Demonstration gegen Uploadfilter: „Wir sind keine Bots“ CC-BY 2.0

Dieser Vorwurf des Europaabgeordneten Daniel Caspary (CDU) hat es in sich: „Wenn amerikanische Konzerne mit massivem Einsatz von Desinformationen und gekauften Demonstranten versuchen, Gesetze zu verhindern, ist unsere Demokratie gefährdet“, sagte er der Bild-Zeitung in einem Interview. Der Twitter-Account der CDU/CSU-Fraktion im Europaparlament verbeitete die Aussage am Samstagnachmittag – zu einem Zeitpunkt also, als in ganz Deutschland und Europa mehr als 170.000 Menschen auf der Straße standen, um gegen die geplante Reform der Urheberrechts zu protestieren.

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Auch Axel Voss wiederholte in anderer Form die Aussage seines Parteifreundes bei der Debatte um die Urheberrechtsreform im EU-Parlament: „Youtube Google und Facebook machen hier ‚Governance by Shitstorm‘ und instrumentalisieren Jugendliche.“

In guter Gesellschaft mit Mubarak, Al-Bashir und Trump

Dieser Vorwurf, Demonstrant*innen, die gegen eine bestimmte Politik auf die Straße ziehen, seien in Wirklichkeit gekauft oder instrumentalisiert, ist nicht neu. So ist die Mär des fremdgesteuerten Protests bei Despoten von Mubarak bis zum sudanesischen Diktator Al-Bashir ein beliebtes Topos, um legitime, demokratische Proteste zu diskreditieren. Es handelt sich um eine Kommunikationsstrategie der Autoritären.

Neu ist, dass diese nun auch von CDU-Politikern genutzt wird, von denen man solche Methoden der Desinformation bislang nicht erwartet hatte. Allerdings befindet sich Caspary mit seiner Äußerung in prominenter Gesellschaft. Hier eine kurze Zusammenschau der Mächtigen, die sich dieser Strategie zuletzt bedienten:

1. Donald Trump

Die massiven Proteste in Washington D.C. gegen die Ernennung von Brett Kavanaugh zum obersten Richter der USA? Natürlich alle von Milliardär und Investor Georg Soros organisiert und bezahlt, so lautete zumindest die Meinung von Donald Trump. Zuvor hatten zwei Frauen republikanische Senatoren in einem Aufzug konfrontiert und gebeten, nicht für Kavanaugh zu stimmen, gegen den zu dem Zeitpunkt drei Frauen unabhängig voneinander Vorwürfe der sexualisierten Gewalt erhoben hatten.

https://twitter.com/realDonaldTrump/status/1048196883464818688

2. Donald Trump

Diese Idee, dass demokratischer Protest, sofern er denn von liberaler Seite her rührt, gekauft sein muss, verbreitet Donald Trump auch zu anderen Gelegenheiten. In diesem Zusammenhang ging es um Demonstrationen auf dem Campus der University of California in Berkeley, die dazu führten, dass eine Verantstaltung mit dem rechten Journalisten Milo Yiannopoulos, damals noch Autor für Breitbart, abgesagt wurde.

https://twitter.com/realdonaldtrump/status/827483841589891073

3. Frauke Petry und die sächsische AfD

Die sächsische Staatskanzlei bezahlt Demonstranten, um bei einer Anti-Pegida-Demo Luftballons zu verteilen. Stundenlohn: 10 Euro. So vermutete es 2014 zumindest Frauke Petry auf der Facebook-Seite der Partei und kündigte an, eine entsprechende Kleine Anfrage im Landtag zu stellen. Die Anfrage selbst ging dann nicht ein. Dafür fragte die Linkspartei an und erhielt folgende Antwort: „Die Sächsische Staatsregierung hat weder zu den genannten Terminen noch zu einem anderen Zeitpunkt bezahlte Demonstranten eingesetzt.“

4. Stephan Brandner, AfD

Stephan Brandner, damals Vize-Chef der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag, wollte 2016 gerne wissen, wie „Gelder, die aus verschiedenen Quellen an Demonstranten ausgezahlt werden“, steuerrechtlich behandelt werden. Titel der Anfrage: „Steuer- und sozialrechtliche Behandlung von Berufs- und gewerblichen Demonstranten“. Nach Belegen für seine Vermutung gefragt, sagte Brandner gegenüber vorwärts.de, er beziehe sich auf „verschiedene Beobachtungen“, auch „Gerüchte“, es gebe aber „handfeste Anknüpfungspunkte“: „Wie sonst ist zu erklären, dass bestimmte Demonstrationen nach genau einer Stunde enden?“

Daniel Caspary ist nach seiner Aussage übrigens noch zurückgerudert. „Nie habe ich gesagt, alle Demonstranten seien gekauft.“ Achso, ja dann. Was sich hinter Casparys Aussage verbirgt und ob die Vorwürfe überhaupt stimmen? Die Antworten auf diese Fragen, die bild.de versäumt hatte zu stellen, hat das bildblog nachgeliefert.

Ihr habt weitere Beispiele für die Diskreditierung von Protesten mit solchen Mitteln? Schreibt sie in die Ergänzungen, am besten gleich mit einer Quelle.

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5 Ergänzungen

  1. > Daniel Caspary ist nach seiner Aussage übrigens noch zurückgerudert.
    > „Nie habe ich gesagt, alle Demonstranten seien gekauft.“

    Ergänzend kann man noch erwähnen, dass auch das Muster „1. gezielte Provokation durch Falschinformation, 2. Abstreiten der eigenen Verantwortung“ (war nicht so gemeint, habe ich nie gesagt1!!elf, ..) eine feste Größe im rhetorischen Repertoire aller rechten Populisten ist.

    Das Demokratie-feindliche Element darin ist die Respektlosigkeit gegenüber dem politischen Gegner: Schon die Desinformation von Voss hat von Beginn an klar gemacht, dass man den politischen Gegner (uns) nicht als ernst zu nehmenden Stakeholder respektiert. Die Nutzung des verbotenen Werkzeugs „Diffamierung“ unterstreicht dann, dass Leute wie Caspary uns Bürgern und Wählern jegliche Achtung verweigern.

    Das ist aber auch Indikator, wie weitgehend afd & Co. mittlerweile auch die CDU/CSU moralisch zersetzt haben. Absolut unwählbar im Mai!

  2. Ich möchte an dieser Stelle mal eine etwas andere Ergänzung machen.
    Es mag viele nicht verwundern aber Herr Caspary ist Mitglied in der Lobbyorganisation „Transatlantic policy network“ mit Mitgliedern aus einer illustren runde aus Großkonzernen wie beispielsweise Apple, Bertelsmann, Facebook und Co.
    Kann man sich nun seinen Teil zu denken.

  3. Möchte noch ergänzen, dass YouTube tatsächlich eine Art digitale Pressemappe für YouTuber bereitgestellt hat. Über das Dashboard wurde dazu aufgerufen, diese zu nutzen und doch bitte über die darin enthaltenen Infos aufzuklären. Das war so Mitte / Ende November 2018. Ich habe mir den Inhalt blöder Weise nicht angeschaut, weil ich fand, dass so ein Aufruf durch einen Großkonzern schon ein ziemliches Geschmäckle hat. Zu der Zeit haben aber recht viele YouTuber auch sehr überzogenen Nonsense verbreitet (dass Kanäle gelöscht und YouTube geschlossen würden).

    Macht den Blödsinn der Politiker nicht wahrer, aber angesichts des massiven Nichtwissens einiger Akteure kann ich mir vorstellen, dass sie gerade sowas in den falschen Hals bekommen haben.

    1. Das zeigt eine Schwäche von Politikern.

      Die Youtuber haben Aufmerksamkeit, haben aber nicht unendlich viel Überschnitt mit der IT-Fachwelt. Politiker haben sich in letzter Zeit ja vermehrt mit Youtubern „unterhalten“, die eben millionen Follower hatten. Eher selten wird ein Ministerpräsident einen zufälligen Freelancer auswählen, um ein Gespräch vor Kameras zu führen, wobei auf Regionalebene durchaus „Wirtschaftstreffen“ stattfinden, besucht werden aber eher besonders erfolgreiche Unternehmen. Hier ging es um Zielgruppen. Ich will nicht bzgl. „Politiker“ verallgemeinern, aber hier konkurrieren verschiedene Parteien um die vermutlich jungen Wähler, auf Basis von und zwecks Reichweite.

      Sicherlich ein Problem. Auch ein Auswahlproblem.

  4. Es gibt da eine Theorie, dass Demokratie dadurch funktioniert, dass individuelle, freie, unabhängige demokratische Subjekte eine Meinung mehr oder auch weniger öffentlich äußern. Schöne Theorie, aber in der Praxis kann man auch in „freiheitlichen“ Gesellschaften natürlich nicht davon ausgehen, dass Meinungsbildung völlig unabhängig von dem Medien stattfinden, die konsumiert werden. Es greift zu kurz, da große europäische Verleger-Lobby mit Sprachrohr CDU dem freien unabhängigen Internet gegenüberzustellen. Was definitiv nicht zu den fake news zählt ist die Tatsache, dass die YT-Chefin in einem offenen Brief zum Protest gegen Artikel 13 aufgerufen hat, ebenso Youtuber von der Plattform aus dazu aktiv angeregt wurden, Stimmung gegen die Reform zu machen. Man mag das gut oder schlecht finden – es ist eine durchaus zentral gesteuerte Beeiflussung einer sehr großen Community. Lobbyismus von der anderen Seite her. Ich zähle auch zu denen, die gegen die Reform in dieser Form waren und sind. Jedoch begibt man sich auf Glatteis wenn man behauptet, Google/YT hätten ihrerseits nichts veranlasst, die Meinung insbesondere junger Youtube Prosumers gezielt zu beeeinflussen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.