EU startet Gespräche mit den USA über Zugriff auf Cloud-Daten

Strafverfolger sollen künftig über den Atlantik hinweg die Anbieter von Online-Diensten direkt auffordern können, zu Ermittlungszwecken persönliche Daten herauszugeben. Die EU-Kommission erhielt heute den Auftrag, darüber Gespräche aufzunehmen. Kritiker fürchten eine Aufweichung von Kontrollmechanismen für den Zugriff auf persönliche Daten.

Die beiden Donalds: EU-Ratspräsident Tusk und US-Präsident Trump bei einem Gipfeltreffen in Brüssel 2017 – Alle Rechte vorbehalten European Union

US-Behörden könnten schon bald das Recht erhalten, bei Diensteanbietern und Netzbetreibern in Europa die Herausgabe von Daten für die Strafverfolgung anzuordnen. Selbiges gilt dann auch umgekehrt für Gerichte und Staatsanwälte aus EU-Staaten. Die rechtliche Grundlage dafür sollen Verhandlungen der EU-Kommission mit der US-Regierung schaffen. Die EU-Justizminister erteilten heute bei einem Treffen in Luxemburg das Mandat für die Gespräche.

Auf beiden Seiten des Atlantiks drängen Strafverfolger darauf, rascher und einfacher auf private Daten von Nutzerinnen und Nutzern im Netz zugreifen zu können. Bisher ist das grenzüberschreitend nur über Rechtshilfeersuchen möglich, deren Erfüllung oft Monate dauert. Die USA beschloss letztes Jahr den Cloud Act, der dem FBI und anderen Behörden weltweit direkten Zugang zu Cloud-Daten von Verdächtigen ermöglichen soll.

Die EU zog wenig später nach. Die Kommission schlug im April 2018 die E-Evidence-Verordnung vor. Sie soll Behörden innerhalb von Europa den Eil-Zugriff auf Beweismittel im Netz geben. Wenn Diensteanbieter sich weigern, binnen weniger Tage – in Notfällen sogar binnen weniger Stunden – Nutzerdaten auszuliefern, drohen ihnen nach Vorschlag der EU-Staaten Strafen von bis zu zwei Prozent des weltweiten jährlichen Umsatzes. Das soll selbst Konzerne wie Google und Microsoft abschrecken, die in einem solchen Fall Milliarden zahlen müssten.

Die nun bevorstehenden Verhandlungen sollen die Brücke zwischen dem amerikanischen Cloud Act und der E-Evidence-Verordnung schlagen: Auf beiden Seiten des Atlantik sollen Behörden direkt bei den Anbietern anklopfen können, selbst wenn diese ihren Firmensitz auf einem anderen Kontinent haben.

Der Nachteil aus Sicht der Kritiker: Kontrollmechanismen fallen weg. Bisher konnten deutsche Behörden prüfen und entscheiden, ob ein deutscher Hosting-Anbieter etwa einem Rechtshilfeersuchen eines ungarischen oder amerikanischen Staatsanwaltes nachkommen muss – oder umgekehrt.

Das ändert sich nun: Der Sitzstaat des Anbieters oder der betroffenen Person kann nun nicht eingreifen, auch wenn der Zweck der Ermittlungen fragwürdig ist. Das sei ein Problem, warnen Kritiker. „Wenn in einem Staat Abtreibung eine Straftat ist und in einem anderen nicht, dann dürfen Provider in letzterem nicht gezwungen werden, Beweismittel über solche Vorgänge herauszugeben,“ sagt Elisabeth Niekrenz von der NGO Digitalen Gesellschaft.

Firmen müssen nun selbst entscheiden, ob sie Nutzerdaten herausgeben oder sich der Anordnung widersetzen. Das legt die Abwägung von Grundrechten in die Hand von Firmen, die allerdings ein finanzielles Interesse haben, den Anordnungen der Behörden schlicht nachzugeben. Mehr noch: Eine Studie im Auftrag des EU-Parlaments zählte bereits im September 2018 anhand des ursprünglichen Gesetzesvorschlags der Kommission zahlreiche rechtliche Probleme mit den E-Evidence-Vorschlägen für Europa auf. Etwas hinterfragt die Studie, ob die kurzen Fristen der Anordnungen ausreichend Zeit für Einsprüche böten.

Rat und Kommission halten dennoch am vereinfachten Datenzugriff fest. Sie wollen den diesen nun auf die USA und, im Rahmen der Budapester Konvention, auf viele weitere Staaten ausweiten.

Verhandlungen (fast) ohne Tabus

Die EU-Staaten gaben der Kommission nun für die Gespräche mit der USA viel Spielraum. In einer Pressemitteilung nach dem Beschluss des Mandats heißt es zwar, das Abkommen mit den USA müsse mit der noch in Verhandlung befindlichen E-Evidence-Verordnung kompatibel sein. Doch das EU-Parlament, in dem es zuletzt viel Skepsis gegenüber den weitreichenden Vorschlägen gab, hat noch nicht einmal eine Position festgelegt.

Dennoch sollen bereits nächsten Monat die Gespräche mit den USA beginnen. Die Kommission soll nach jeder Verhandlungsrunde dem Rat Bericht erstatten, nicht aber dem Parlament.

Der Volltext des Mandates lag zunächst nicht vor. Doch im Vorfeld hieß es von beteiligten Diplomaten, dass Mandat schließe selbst einen Zugriff für die Echtzeitüberwachung nicht aus. Diesen wünschen sich die USA. Auch der Notifizierungsmechanismus, der eine Verständigung des Provider-Sitzstaates bei einer Zugriffsanordnung vorsieht, wie Deutschland ihn will, wird demnach im Mandat nicht erwähnt. Lediglich die Einschränkung, der Datenaustausch dürfe nicht in Fällen zur Anwendung kommen, in denen die Todesstrafe gelte, sei darin enthalten.

Kommen die Verhandlungen wie erhofft zu einem raschen Abschluss, steht in Europa eine neue Ära des rascheren, umfassenderen und noch dazu legalen Datenzugriffs der US-Behörden bevor.

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5 Ergänzungen

  1. Wenn ich das richtig verstehe, könnte dann zum Beispiel ein Orbantreuer Ermittler Daten anfordern welche in einem anderen Land liegen ? Das lädt doch geradezu dazu ein Mißbrauch zu betreiben von dem am Ende rechtspopulistische Regimes profitieren wollen.

    Das würde ja vor allem den Rechten Regierungen in Osteuropa ganz neue Möglichkeiten eröffnen Kritiker zu überwachen bzw. Maßnahmen gegen diese vorzubereiten. Ich halte die Pläne welche die EU da so in letzter Zeit voran treibt für sehr gefährlich.

  2. Ich bin doch einigermassen sprachlos, wie EU-Staaten die Rechte ihrer eigenen Bürger aufs Spiel setzen. Das die USA nicht zimperlich sind, was Ausspähen betrifft, ist ja hinlänglich bekannt. Ja, natürlich, eine Verwendung nur gg. wirkliche Kriminelle. Wer’s glaubt.
    Aber eine geplante Ausweitung auch noch auf Staaten im Rahmen des Council of Europe
    (https://www.coe.int/en/web/about-us/our-member-states)…
    Wer unter diesen Bedingungen insbesondere als Unternehmen Daten in die cloud einbringt, der ist nicht bei Trost.
    Mich würde interessieren, wer in der EU die treibenden Kräfte sind. Und zwar mit Namen. Das Verstecken hinter EU muss aufhören. Im eigenen Land wird dann erzählt, man selbst wäre ja dagegen gewesen, aber …Und schon bekommt der Begriff EU die nächste Delle.

    1. Wir erinnern uns: in Deutschland fuehrt zZt die SPD das Justizministerium. Die SPD hat noch nie eine Ueberwachungschance ausgelassen, und die derzeitige SPD-Justizministerin wurde gerade fuer ihre Fuegsamkeit mit einem schoenen Posten in Bruessel belohnt.

      Die Union ist ohnehin nur der verlaengerte Arm der US-Administration, aber wer sich einen Seehofer leisten kann und trotzdem regiert, der hat Buerger halt nicht noetig.

    2. „Mich würde interessieren, wer in der EU die treibenden Kräfte sind. Und zwar mit Namen.“

      Im ersten Absatz im Artikel geht es los:
      „Die rechtliche Grundlage dafür sollen Verhandlungen der EU-Kommission mit der US-Regierung schaffen.“ Es ist also die EU-Kommission.

      Jedes Mitglied der EU-Kommission ist für einen bestimmten Sektor zuständig. Jeder Sektor hat ein Kabinett. http://europa.eu/whoiswho/public/index.cfm?fuseaction=idea.hierarchy&nodeID=4181129&lang=de

      Da kann man ansetzen:
      – Internationale Zusammenarbeit und Entwicklung
      – Außen- und Sicherheitspolitik
      – Digitale Wirtschaft and Gesellschaft

      Ggf. sind noch weitere Ressorts beteiligt. Einfach mal anklingeln da. E-Mailverkehr kostet nichts. Auf Auf.

  3. Sehr schön. In Zukunft können Oppositionelle, die in ihrem Heimatland Probleme machen besser verfolgt werden.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.