Drehtüreffekte: Wie ein EU-Beamter zum Lobbyisten wurde

Ehemalige Abgeordnete und Beamte öffnen der Wirtschaft in Brüssel viele Türen. Doch der nahtlose Wechsel zwischen Politik und Lobbying ist problematisch. Das zeigt das Beispiel eines Marktaufsehers, der zu Vodafone ging.

In Brüssel herrscht derzeit Jobjagdsaison. Mit Start des neuen EU-Parlaments im Juli verloren hunderte Abgeordnete ihren Sitz, im Herbst endet die Amtszeit einiger der 28 Mitglieder der EU-Kommission von Jean-Claude Juncker. Vermutlich sucht sich so mancher Ex-Kommissar und frühere Abgeordnete bald einen neuen Job als Lobbyist – für gutes Geld, versteht sich.

In Brüssel nennt man das Phänomen die „Revolving Door“ – die Drehtüre zwischen Politik, Verwaltung und Industrie. Die Drehtüre ist für Konzerne und Branchenverbände unentbehrlich. Denn die Ex-Politiker und früheren Beamten liefern Insiderwissen und Kontakte.

Als Lobbyisten nutzen sie ihre Beziehungen, um die Ziele einer Firma oder Branche durchzusetzen – gegen die ihrer Mitbewerber oder das öffentliche Interesse. In den USA ist das als „Regulatory Capture“ berüchtigt, als Kapern der Verwaltung durch Konzerninteressen.

Netzregulator geht zu Vodafone

Nicht nur Politiker, auch hochrangige Beamte wechseln gerne die Seiten. Die EU-Kommission setzt in ihren Dienstvorschriften zwar einige Schranken gegen Interessenskonflikte. Etwa dürfen führende Beamte für zumindest ein Jahr nach ihrem Ausscheiden ihre Kollegen nicht lobbyieren und müssen Kontakte an die Behörde melden. Doch in der Praxis hilft das wenig, denn die Kommission greift selten in Jobwechsel ein.

Das illustriert ein aktueller Fall. Der Deutsche Reinald Krueger leitete in der Kommission zehn Jahre lang die Abteilung Märkte in der Generaldirektion Kommunikationsnetze, kurz DG Connect. Im April 2018 ließ er sich beurlauben, wenig später im Oktober wechselte er zu Vodafone.

Die Sache sorgt für Nasenrümpfen. Immerhin: Die Abteilung von Krueger ist für die Regulierung von Telekommärkten zuständig. Sie hilft etwa nationalen Behörden beim Aufbau des 5G-Netzes. Vodafone ist einer der größten Netzbetreiber in Europa. Er liegt mit den Behörden häufig im Clinch, etwa bei der Netzneutralität. Ein Interessenswiderspruch zwischen Beamtenrolle und Lobbyjob scheint vorprogrammiert.

Laut Bericht von Focus freute sich Vodafone in einer internen Mitteilung über die „große Erfahrung“ Kruegers. Er bringe „unglaubliche Kenntnisse und Fähigkeiten im Bereich der Regulierung ein“. Krueger soll demnach bei Vodafone den Cheflobbyisten in Brüssel ersetzen, Markus Reinisch.

Inzwischen trägt Krueger den Jobtitel „Public Policy Development Director“. Er verantwortet etwa die Strategie Vodafones zu Künstlicher Intelligenz und ist ein öffentliches Aushängeschild des Konzerns.

Reinald Krueger
Reinald Krueger - Alle Rechte vorbehalten Screenshot/Key4Biz

Die Kommission macht Krueger für seine neue Rolle strenge Auflagen. Kommissar Günther Oettinger sagte dem Parlament, der ja bloß beurlaubte Beamte sei schriftlich erinnert worden, keine vertraulichen Information aus seiner Beamtenzeit auszuplaudern.

Die Auflagen schreiben vor: Krueger darf nicht bei der Kommission lobbyieren. Auch darf er an keinen Meetings mit Ex-Kollegen aus DG Connect teilnehmen und keinen beruflichen Kontakt zu ihnen halten.

Auf der selben Bühne wie der Ex-Chef

Krueger legt die Vorschriften großzügig aus. Ende April organisiert Vodafone eine Debatte zum „Internet der Dinge“ in Brüssel. Der Konzern lädt Kommissionsbeamte ein, darunter auch Mitarbeiter von DG Connect. In der ersten Reihe sitzt Reinald Krueger.

Am Tag darauf fliegt der beurlaubte Beamte nach Portugal, um bei einer Verbraucherschutz-Konferenz zu sprechen. Thema ist die „Zukunft der Digitalpolitik aus Konsumentensicht“. Auch frühere Kollegen von Krueger aus der Kommission sind anwesend.

Im Juni ist Krueger bei einer Konferenz für europäische Regulierungsbehörden in Riga. Der Ex-Beamte debattiert dort das Thema Telekommärkte. Die Einführungsrede zur Diskussionsrunde mit Krueger hält der oberste Chef bei DG Connect, Generaldirektor Roberto Viola.

Trotz Lobbyverbot auf derselben Bühne wie der Ex-Chef stehen? Reinald Krueger möchte dazu nicht Stellung nehmen. Sein Arbeitgeber Vodafone reagierte nicht auf die Anfrage von netzpolitik.org.

Die Kommission hält Kruegers Auftritte für keinen Regelverstoß. Eine Sprecherin verwies auf die Definition von Lobbying im Rechtstext zum Transparenzregister. Als Lobbyistentätigkeit zählt der Text das Organisieren von Veranstaltungen auf, nicht aber die Teilnahme.

„Ziehen wir diese Definition in Betracht, ist das bloße Halten einer Rede, die Teilnahme an einer Diskussionsrunde oder an einer frei zugänglichen und öffentlichen Veranstaltung, bei der Kommissionsbeamte unter den Teilnehmern sein könnten, keine Verletzung der Auflagen von Herrn Krueger“, schrieb die Sprecherin an netzpolitik.org.

Auf unsere Nachfrage betonte die Sprecherin, Viola habe außerdem nicht zeitgleich mit Krueger auf der Bühne gestanden. „Herr Viola gab seinen Einführungsvortrag und verließ unmittelbar danach die Bühne. Er blieb nicht für die Diskussionsrunde.“

Lobbywächter sind skeptisch

Raphaël Kergueno von Transparency International hält Kruegers Verhalten dennoch für bedenklich:

„Wenn wir der derzeitigen Definition im Transparenzregister folgen, dann könnte das potenziell als Regelbruch angesehen werden. Wir glauben, dass die zuständige Behörde sich den Fall ansehen sollte, wenn man die frühere Position [Kruegers] und seine jetzige bei Vodafone bedenkt.“

Lobbywächterin Margarida Silva kritisiert die Haltung der Kommission. „Es ist schon für sich genommen höchst besorgniserregend, dass ein leitender EU-Beamter sich eine Auszeit nehmen darf, um zur Lobbyabteilung eines großen Konzerns zu stoßen“, sagt Silva, die für die NGO Corporate Europe Observatory arbeitet.

„Darüber hinaus kommt er auch noch damit durch, die schwachen Schutzmaßnahmen dagegen ohne Konsequenzen zu verletzen“, erklärt Silva. „Es ist Zeit dafür, dass es die EU-Kommission ernst damit meint, ihre eigenen Ethikregeln durchzusetzen.“

Die vom Europäischen Parlament eingesetzte Europäische Obmbudsfrau Emily O’Reilly sieht das grundsätzlich ähnlich. Die Kommission brauche einen „robusteren Zugang“ bei Drehtürwechseln. Ex-Mitarbeitern müsse auch mal eine neue Tätigkeit untersagt werden, um Interessenskonflikte zu verhindern, klagte O’Reilly in einem im Februar erschienenen Bericht.

700 Drehtürfälle im Jahr

In Brüssel sind Drehtürwechsel häufig. Die EU-Kommission prüft jedes Jahr rund 700 mögliche Fälle von Interessenskonflikten wegen externer Tätigkeiten von Kommissionsmitarbeitern.

„Es ist ziemlich klar, dass Brüsseler Anwaltskanzleien und Lobbyfirmen großen Wert darauf legen, Leute mit Erfahrung in den EU-Institutionen anzuheuern und zu bewerben“, betont Ombudsfrau O’Reilly.

„Das mag Bedenken über Interessenskonflikte wecken, bei denen unangemessener Nutzen aus Zugang [zu Ex-Kollegen] und vertraulichen Informationen gezogen wird, um im Interesse externer Arbeitgeber oder Klienten beim Lobbyieren früherer Kollegen aus der EU-Beamtenschaft zu helfen.“

Kurz: Geld erkauft Einfluss.

Barrosos Lobby-Kommission

Drehtürrotationen gibt es bei jedem Kommissionswechsel. 2014 ging Kommissionschef José Manuel Barroso nur zwei Monate nach Ende seiner Amtszeit zur Investmentbank Goldman Sachs, um nunmehr gegen statt für eine Regulierung der Finanzmärkte zu arbeiten.

Barroso setzte ein fragwürdiges Vorbild: Drei Jahre nach seinem Ausscheiden arbeiteten nicht weniger als sechs seiner Kommissarinnen und Kommissare für Konzerne mit Eintrag im Lobbyregister der EU, wie die NGO Transparency International in einem Bericht aufzählte.

Die Wettbewerbs- und spätere Digitalkommissarin Nellie Kroes berät etwa seit Ende ihrer Amtszeit die Finanzbranche und den Taxikonzern Uber, auch sitzt sie im Vorstand des Softwareherstellers Salesforce.

Datenschutz und Urheberrecht sorgten für große Lobbyschlachten in der EU. Das macht die Digitalkonzerne Google und Facebook zu zwei von Europas fleißigsten Lobbyisten – und zu beliebten Arbeitgebern.

Google ist aus Sicht von Lobbywächtern einer der aktivste Konzerne in Brüssel. 203 Mal trafen sich Google-Lobbyisten mit der Kommission, mehr als jede andere Firma im offiziellen Lobbyregister. Von sieben Google-Leuten, die darauf als Lobbyisten gemeldet sind, arbeiteten zumindest zwei früher im EU-Parlament.

Facebook hat sogar elf akkreditierte Lobbyisten. Der Konzern heuert auf höchster Regierungsebene an: Seit Herbst 2018 arbeitet der britische Ex-Premier Nick Clegg als globaler Policy-Chef des Konzern.

Die nächsten fünf Jahren sind unter Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einige große Lobbykämpfe zu erwarten, etwa in Klimafragen, der Handelspolitik oder in der Netzpolitik. Ex-Politiker und Beamte im Sold der Industrie könnten darin eine entscheidende Rolle spielen.

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Eine Ergänzung

  1. Interessantes Detail, das hier übersehen wurde: Reinald Kruegers ehemaligen Posten hat jetzt Kamila Kloc inne, bis vor sehr kurzem noch deputy head of cabinet von VP Ansip. Ein ganz wunderbar klassischer Fall von ‚parachuting‘. Es wird auf jeden Fall spannend zu sehen welche Kabinettsmitglieder von Ansip und Gabriel bald in DG Connects Managementteams zu finden sein werden.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.