Das Recht auf Vergessenwerden gilt nur innerhalb der EU

Der Europäische Gerichtshof schuf vor fünf Jahren die Möglichkeit für Nutzer:innen, bei Google die Entfernung von Ergebnissen zu beantragen. Nun schärft das EU-Gericht mit zwei Urteilen bei der Auslegung des Rechts nach.

Vergissmeinnicht
Myosotis sylvatica, auch bekannt als Vergissmeinnicht. CC-BY-SA 3.0 Rasbak

Das „Recht auf Vergessenwerden“ gilt weiterhin nur innerhalb der Europäischen Union. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied heute über zwei Klagen der französischen Datenschutzbehörde CNIL gegen Google. Die Richter wiesen in einem der beiden Urteile die Forderung der Datenschützer zurück, dass Google auf Anträge nach „Vergessenwerden“ weltweit Links und Verweise entfernen müsse.

Ein weiteres Urteil macht Google verantwortlich für die Abwägung, inwiefern Links im öffentlichen Interesse stehen oder nicht. Wenn ein Suchmaschinenbetreiber den Antrag auf Entfernung eines Links erhalte, müsse er prüfen, ob die Achtung des Privatlebens der betroffenen Person oder die „Informationsfreiheit von Internetnutzern“ überwiege.

Das EU-Gericht schuf 2014 durch ein Urteil das „Recht auf Vergessenwerden“. Grundlage war die Beschwerde eines spanischen Geschäftsmannes, der einen Zeitungsbericht über sich aus den Suchergebnissen streichen wollte. Das Gericht entschied, dass Personen in gewissen Fällen das Recht auf Entfernung von Links auf personenbezogener Information haben, etwa wenn die Information veraltet ist.

850.000 Anträge allein an Google

Seit Mai 2014 erhielt allein Google rund 850.000 Anträge auf Entfernung von Links, der Konzern entfernte nach eigenen Angaben 45 Prozent der beanstandeten URLs aus seinen Suchergebnissen. Die Datenschutzgrundverordnung, die seit dem Vorjahr wirksam ist, legt in Artikel 17 ein Recht auf Löschung persönlicher Daten gesetzlich fest. Ein Recht auf Vergessenwerden im Sinne des Urteils von 2014 ist dort aber nicht explizit berücksichtigt.

Unter den von Google entfernten Einträgen finden sich spektakuläre Fälle. Google entfernte etwa von seinen europäischen Domains den Link auf einen Zeitungsartikel über die Entführung eines ostdeutschen Flugzeuges nach Westdeutschland im Jahr 1984. Den Antrag stellte der Entführer, der damals vor Gericht wegen des Falles verurteilt wurde und in dem Artikel namentlich genannt wird. Bisher ist es aber weiterhin möglich, mit Hilfe einer Suche über die Google.com-Domain an die gewünschten Informationen zu kommen.

Google entschied im Fall des einstigen Flugzeugentführers, dass die Sache für die Öffentlichkeit nicht relevant genug ist, um die Nennung des Namens des Betroffenen zu rechtfertigen. „Der Inhalt ist sehr alt und bezieht sich auf inzwischen unwirksame ostdeutsche Strafgesetze gegen die illegale Flucht in den Westen“, berichtet Google in einer Fallübersicht.

Richter über das öffentliche Interesse

Der Fall zeigt, dass Internetfirmen wie Google durch das „Recht auf Vergessenwerden“ viel Entscheidungsgewalt ausüben. Verletzt die verlinkte Information das Recht auf Privatsphäre einer Person, oder liegt eine Information im öffentlichen Interesse und der Link muss online bleiben?

Über die Entfernung entscheidet Google selbst. Wenn der Konzern einen Antrag auf Entfernung eines Verweises ablehnt, bleibt der betroffenen Person der Weg zu Gericht selten erspart. Umgekehrt ist es praktisch unmöglich, gegen die Entfernung von Links vorzugehen. Der EuGH behandelte die Frage, in welchen Fällen Links im öffentlichen Interesse online bleiben sollten.

Gerichte ordneten zuletzt immer wieder die Entfernung von Informationen an, die für die Betroffenen wenig schmeichelhaft sind, jedoch in der Vergangenheit Nachrichtenmedien eine Meldung wert waren. Im Vorjahr sorgte die Entscheidung eines britischen Gericht für Schlagzeilen, Google müsse Links zu Berichten über die Verurteilung eines bekannten Geschäftsmannes aus seinen Suchergebnissen entfernen.

Die Richter legten nun fest, dass der Suchmaschinenbetreiber „sämtliche Umstände des Einzelfalls“ prüfen müsse. Dazu zählt das Gericht etwa im Fall einer Verurteilung, die ein Betroffener zu streichen wünsche, die Schwere der Straftat, den Verlauf und Ausgang des Verfahrens, die verstrichene Zeit, die Rolle der Person im öffentlichen Leben und ihr Verhalten in der Vergangenheit, das Interesse der Öffentlichkeit zum Zeitpunkt der Antragstellung, den Inhalt und die Form der Veröffentlichung sowie die Auswirkungen der Veröffentlichung für die Person.

Einem Antrag auf Entfernung müsse stattgegeben werden, wenn sich verlinkte Informationen auf „einen früheren Abschnitt des Gerichtsverfahrens beziehen und nicht mehr der aktuellen Situation entsprechen“, urteilte das Gericht.

EU-Datenschutz auf .eu beschränkt

Die Entfernung von Links ist nach dem Urteil des EU-Gerichts auf alle europäische Google-Domains anzuwenden, etwa jene mit den Endungen .eu, .de oder .fr. Darüber hinaus müsse der Suchmaschinenbetreiber Internetnutzer in der EU hindern oder zumindest zuverlässig davon abhalten, „über die im Anschluss an diese Suche angezeigte Ergebnisliste mittels einer Nicht-EU-Version der Suchmaschine auf die Links zuzugreifen“. Das könnte bedeuten, dass Google künftig bestimmte Ergebnisse für Zugriffe von IP-Adressen aus der EU filtert.

Bei Zugriffen von außerhalb der EU werden die Ergebnisse hingegen angezeigt. Dem Gericht lagen dazu drei Fragen vor.

Pressefreiheitsorganisationen hatten davor gewarnt, dass die globale Entfernung von Links nach dem „Recht auf Vergessenwerden“ zum Einfallstor für autoritäre Regime werden könnte. Diese könnten die Chance nutzen, um unter dem Vorwand europäischer Datenschutzgesetze überall auf der Welt unliebsame Informationen aus dem zu Netz fegen.

Das Gericht schloss sich dieser Argumentation offenkundig an. „Zahlreiche Drittstaaten kennen […] kein Auslistungsrecht oder verfolgen bei diesem Recht einen anderen Ansatz“, heißt es in der Pressemitteilung des Gerichts. „Auch ist das Recht auf Schutz personenbezogener Daten kein uneingeschränktes Recht, sondern muss im Hinblick auf seine gesellschaftliche Funktion gesehen und unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips gegen andere Grundrechte abgewogen werden.“

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3 Ergänzungen

  1. Interessant, somit nähert sich das Internet hierzulande dem in China an was die Einschränkungen angeht. Es ist gefiltert und zeigt nicht, was es wirklich alles zu finden gibt. Die Daten sind nicht verschwunden und können mit VPN oder anderen Suchmaschinen dann wieder gefunden werden.

    Noch dazu ermöglicht diese Regelung theoretisch, dass man im Falle einer Aufforderung zur Löschung einfach die Daten auf einen anderen Server umzieht. Das klingt mal wieder nach einem globalen Problem, für das jedoch dank mangelnder Kooperation der Staaten keine globale Lösung gefunden werden kann.
    Eine „Löschung“ würde in diesem Fall wie bei Facebook ablaufen und lediglich einen Wert in der Datenbank auf „deaktiviert für EU“ setzen. Fraglich ob das die ursprüngliche Intention dahinter war.

  2. Das ist doch mal eine gute Nachricht, dass die Auswirkungen dieses von Zensoren geliebten Gesetzes effektiv neutralisiert wurden. Leider ändert sich für Google-Mitarbeiter nichts; diese müssen weiterhin nutzlos Energie verbrauchen um ein paar Byte zu verschieben und das Whac-a-mole der Gesetzgebung mitzuspielen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.