Cory Doctorow: Bei der Urheberrechtsreform geht es um viel mehr, als wir ahnen

Der kanadische Science-Fiction-Autor, Aktivist und Blogger Cory Doctorow fordert, dass es bei der Diskussion um ein zeitgemäßes Urheberrecht auch um Gerechtigkeit und Demokratie gehen muss. Markus Beckedahl hat ihn interviewt und mit ihm diskutiert, wie ein faires Urheberrecht aussehen kann.

Cory Doctorow fordert ein faires Urheberrecht. CC-BY 2.0 Joi Ito

Im Rahmen der SXSW-Konferenz in Texas sprach unser Chefredakteur Markus Beckedahl auf einem Event der SequencerTour der re:publica mit dem kanadischen Science-Fiction-Autor, Aktivisten und Blogger Cory Doctorow. In dem Gespräch geht es vor allem um die Reform des EU-Urheberrechts und die Rolle von Kreativschaffenden. Schnell wurde klar, dass sich anhand der Reform wesentlich grundsätzlichere Probleme wie Benachteiligung und Marktdominanz verdeutlichen. Deswegen lautet die zentrale Forderung von Cory Doctorow: Nur ein fairer Wettbewerb kann zu einem fairen Urheberrecht führen.

Der aktuelle Entwurf der EU-Urheberrechtsrechtsreform lässt vor allem große Verwerter von der Reform profitieren. Aber auch viele Independent-Labels stehen hinter der Reform, weil sie darin eine Verbesserung ihrer Situation gegenüber großen Konzernen wie YouTube sehen würden. Sie versprechen sich höhere Einnahmen durch bessere Verhandlungspositionen bei Lizenz-Deals mit YouTube und anderen großen Plattformen.

Independent-Labels denken zu kurzfristig

Diese Argumentation hält Cory Doctorow allerdings für zu kurz gegriffen. Er sieht allenfalls eine kurzfristige Verbesserung für kleine Labels gegenüber den Konzernen. Langfristig gesehen könnten kleine Firmen mit dem Verkauf von Lizenzen keinen Vorteil gegenüber dominanten Firmen erzielen. Am Ende würden die großen Konzerne durch eine größere Marktdominanz von der Reform profitieren.

Neben solchen scheinbaren Vorteilen für kleinere Labels und Künstler:innen müsse allerdings auch hier noch einmal klargestellt werden, dass falsche Hoffnungen in Artikel 13 und die damit verbundenen Upload-Filter gesetzt würden. Viele Künstler:innen befürworten Upload-Filter, denn sie sehen darin lediglich ein System, dass Inhalte auf ihre Kompatibilität mit Urheberrechten hin abgleicht und Inhalte löscht oder zulässt. Doch Doctorow ist sich sicher, dass die Filter nicht perfekt funktionieren können. Viel wahrscheinlicher ist es, dass zu wenig durch den Filter gelassen wird.

Ebenso werde nicht gesehen, dass Rechteinhaber:innen nicht automatisch im Interesse der Urheber:innen handeln. Das Urherrecht könnte missbraucht werden, um die freie Meinungsäußerung zu untergraben, so Doctorow. Er ist sicher: „Copyright claims can be used to suppress speech“. Damit wäre es naiv zu glauben, dass dies nicht genauso für Zensur missbraucht werden könnte.

Transparente, kollektive Haftungsregime statt komplizierter Gesetze

Doch wie könnten Alternativen zur Reform aussehen und gibt es andere Möglichkeiten, Kreativschaffende für ihre Arbeit gerecht zu bezahlen? Auch das wird in dem Gespräch thematisiert und dabei auf das geltende Prinzip von „Notice and Take Down“ und eine mögliche Alternativ-Reform verwiesen.

Doctorow sieht die Lösung in transparenten, kollektiven Systemen, die Bedingungen gegenüber großen Unternehmen stellen könnten: „Wir bräuchten ein Haftungsregime, dass gegenüber Google höhere Bezahlungen für Künstler erwirken kann.“

Eine Möglichkeiten sieht er in Pauschalabgabensystemen, mit denen eine faire Bezahlung gewährleistet werden könnte. Er spricht von einer „neuen Art von Verwertungsgesellschaften“, die nicht alles zu regulieren versuchen. Das sei im Internet sowieso kaum möglich. Stattdessem müsse man nach Lösungen suchen, die auf der Höhe der Zeit sind.

Mehr Unabhängigkeit und Expertise in der Politik

In der Umsetzung solcher zukunftsträchtigen Ideen sieht Doctorow auch Politiker:innen in der Verantwortung. Sie sind zentrale Akteure in der Ausarbeitung von Gesetzen. Allerdings können sie nicht immer alle technischen Details einer Reform verstehen und müssten viel externe Expertise hinzuziehen.

Deswegen macht sich Doctorow stark für die Forderung nach unabhängigen, gewählten Experten, die nicht großen Konzernen beeinflusst sind. Doch Expert:innen, die nicht für die dominierenden Unternehmen gearbeitet haben, seien schwer zu finden. Das führt zu einem grundsätzlichen Problem: Die Marktkonzentration und -dominanz einiger weniger Unternehmen. Denn ihr Einfluss mache es schwer, unabhängige, faktenbasierte Politik zu machen.

Keine Benachteiligung von Gruppen, sondern fairer Wettbewerb

Der zentrale Konflikt verlaufe damit nicht etwa zwischen unterschiedlichen Generationen – jenen, die mit dem Internet aufgewachsen sind und denen, die es nicht sind. Eine viel entscheidendere Rolle spiele, wer bereits negative Erfahrungen mit Marktkonzentration und Marktdominanz gemacht hat.

Doctorow betont: „Es geht um Betroffene, da erst sie verstehen können, wie es tatsächlich ist, von jemandes Gnade abhängig zu sein, der die Macht hat“ Es sei besorgniserregend, dass heutige Tech-Giganten um ein vielfaches größer seien als Konzerne wie Standard Oil vor seiner Zerschlagung – damals das größte Erdöl-Raffinerie-Unternehmen der Welt.

Es gehe also auch in dieser Debatte grundsätzlich um Benachteiligte und jene, die es nicht sind. Deswegen sind Gegner:innen der EU-Urheberrechtsreform in allen politischen Lagern zu finden, die liberale Werte wie Meinungsfreiheit und -vielfalt, freies Internet und Wettbewerb schätzen.

Das Video beginnt mit einem kurzen Input von Doctorow. Im Anschluss diskutieren Markus Beckedahl und Cory Doctorow verschiedene Fragestellungen zur Urheberrechtsreform und wie ein zeitgemäßes Urheberrecht aussehen könnte.

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Eine Ergänzung

  1. Deswegen macht sich Doctorow für die Forderung nach unabhängigen, gewählten Experten, die nicht großen Konzernen beeinflusst sind.

    Weirder Satzbau, trotzdem dankbar für jeden eurer Artikel!

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