Zensurwelle: Chinas Führung befürchtet Kontrollverlust durch Empfehlungsalgorithmus

Dass der Empfehlungsalgorithmus der beliebten Medienplattform „Toutiao“ Nutzern mehr Unterhaltungs- als Parteiinhalte vorschlägt, missfällt der politischen Führung in China. Nach harter Zensur folgte nun die Entschuldigung des CEO – und die Ankündigung, das algorithmische System zu verändern. Parteistimmen sollen künftig prominenter Platz finden.

Dass Empfehlungsalgorithmen „Filterblasen“ erschaffen, und sich Nutzerinnen und Nutzer somit der Parteidoktrin entziehen, missfällt der Kommunistischen Partei Chinas CC-BY-NC-ND 2.0 „bannedbooks“

Im Rahmen einer Zensurwelle in Festlandchina wurden diese Woche die populäre Medienplattform „Jinri Toutiao“ von der staatlichen Aufsichtsbehörde durchsucht und ihre App „Neihan Duanzi“ gesperrt. Der Empfehlungsalgorithmus der Medienplattform präsentiert Nutzern aus Basis ihrer Interessen neue Inhalte, die für sie relevant sein könnten. Dabei fällt die in den Staatsmedien allgegenwärtige Parteipropaganda offenbar unter den Tisch. Der politischen Führung missfällt das, sodass der Gründer und CEO von Jinri Toutiao sich gestern öffentlich auf WeChat entschuldigte. Er habe seine Pflicht zur Lenkung der öffentlichen Meinung nicht wahrgenommen und versprach, künftig enger mit Parteimedien zusammenarbeiten zu wollen.

Die Medienplattform Jinri Toutiao (今日头条) oder kurz Toutiao (wörtlich: „die tägliche Überschrift“) nutzt, ähnlich wie die Videoplattform Youtube, ein algorithmisches System, das Daten über die Nutzerinnen und Nutzer sammelt und diese auf Interessen analysiert. Auf dieser Grundlage werden dann entsprechende Empfehlungen für Videos und Artikel auf der Plattform angezeigt. Die Personalisierung machte Toutiao enorm beliebt, die Medienplattform hat etwa 120 Millionen Nutzerinnen und Nutzer am Tag.

Am Mittwoch kündigte die staatliche Medienaufsichtsbehörde (SAPPRFT) an, dass die Inhalte auf Toutiao nun geprüft werden. Mittels der englischsprachigen Parteizeitung „Global Times“ gibt die Parteiführung bekannt, dass das „erst der Beginn einer groß angelegten Säuberungsaktion von Webinhalten“ ist. Ziel ist es nach eigenen Angaben, gegen die Verbreitung von Falschnachrichten und Pornografie vorzugehen. Dabei verweist man auch auf die Regulierung von westlichen Videoplattform wie Youtube.

Künftig mehr Informationen „mit positiver Energie“

Tatsächlich geht es im Fall der Zensur von Toutiao allerdings nicht um subversive politische Inhalte, die werden bereits heute wegzensiert. Vielmehr scheint die Kommunistische Partei zu befürchten, dass der Empfehlungsalgorithmus Internetnutzer von der Parteidoktrin abschirmt. Bereits im September kritisierten die chinesischen Staatsmedien, dass Toutiao Filterblasen hervorbringt. David Bandurski, Gründer des kritischen „China Media Project“, schreibt: Der Fall gewährt einen „tiefen Blick in die gegenwärtige Spannung in China zwischen technischer Innovation und ökonomischer Reform auf der einen Seite und der Dringlichkeit der politischen Kontrolle auf der anderen Seite“.

Der Gründer von Jinri Toutiao, Zhang Yiming (张一鸣), schreibt in seiner Entschuldigung vom 11. April auf WeChat:

„Unser Produkt hat den falschen Weg genommen, Inhalte sind aufgetaucht, die unvereinbar mit den sozialistischen Grundwerten [der Partei] sind […] Wir haben dem Wachstum unserer Plattform Vorrang gegeben und haben dabei nicht rechtzeitig in die Stärkung der Qualität investiert. Dabei haben wir unsere Verantwortung übersehen, die NutzerInnen so zu lenken, dass sie Informationen mit positiver Energie aufnehmen […] Unser Denken war nur unzureichend von der sozialen Verantwortung unseres Unternehmens, positive Energie zu fördern und die Führung der öffentlichen Meinung richtig umzusetzen, bestimmt. [Eigene Übersetzung]

Groß angelegte Zensurwelle

Zhang kündigte zudem einen Maßnahmenkatalog an. Darin ist die „Stärkung der Verantwortlichkeit von ChefredakteurInnen, die Behebung der Mängel im algorithmischen und maschinellen System zur Überprüfung von Inhalten, der Ausbau von menschlicher Überprüfung von Inhalten und die Erhöhung der Zahl der MitarbeiterInnen zur Überprüfung von Inhalten von 6.000 auf 10.000 Personen“ vorgesehen.

Zur Berieselung der Nutzerinnen und Nutzer mit Parteipropaganda plane man die „Intensivierung der Kooperation mit offiziellen Parteimedien“, schreibt Zhang. Dazu zählen „die Hervorhebung von verlässlichen Medieninhalten“ auf der Plattform und die Sicherstellung, dass „verlässliche Medienstimmen prominent ausgestrahlt werden“.

Neben Toutiao und der Live-Streaming-App „Kuaishou“ waren auch die Apps „Huoshan“ und die Videoplattform „Douyin“ von der Zensurwelle betroffen. Die Apps konnten zeitweise nicht heruntergeladen werden und die Kommentarfunktionen sind deaktiviert. Auf WeChat ist zudem das Hochladen von Videos vorübergehend nicht möglich.

Die zeitliche Korrelation der öffentlichen Entschuldigungen von Toutiao-Gründer Zhang Yiming in Peking und Facebook-Chef Mark Zuckerberg vor dem US-Kongress ist Zufall. Während Zuckerberg sich für Datenhandel im großen Stil verantworten muss, ist Zhang gezwungen, sich der Zensur durch die Partei zu beugen.

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Eine Ergänzung

  1. Klingt nach Zuckerbergs Wahlwerbealgorithmus auf Facebook.

    Da soll doch mal einer sagen, das die Chinesen nicht lernfähig wären!

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