Wie Deutschland seine Zukunft verspielt

Anstatt die fundamentalen Zukunftsfragen zügig anzugehen, verharrt die geplante schwarz-schwarz-rote Koalition in der Digitalisierungsdebatte der 1980er-Jahre. Damit droht der Politik, von der technischen Entwicklung überrollt zu werden. Ein Kommentar.

Die traurige Schönheit vergebener Chancen. (Screenshot: Second Life) – Alle Rechte vorbehalten adriana lys2013

Wie schon an anderer Stelle bemerkt: Im schwarz-schwarz-roten Koalitionsvertrag ist das Thema Digitalisierung ziemlich weit nach oben gerutscht. Jedenfalls im Vergleich zur letzten Legislaturperiode. Es folgt direkt auf die allgemeinen Leitlinien nationaler und europäischer Politik sowie Familie und Kinder. Und geht den Themen Arbeit, Wirtschaft, sozialer Sicherung und allem anderen voraus. Außerdem wird das Thema relativ gebündelt behandelt, auf insgesamt 13 Seiten. Das alles impliziert eine adäquate formelle Einordnung der Bedeutung von Digitalisierungspolitik gegenüber anderen Feldern.

Wie die Bundesregierung die Digitalisierung im Großen und Ganzen gestalten möchte

Aber was ist mit den Inhalten? Den größten Teil nimmt der Infrastrukturausbau ein, der seit Jahrzehnten nicht vorankommt. Nun soll es jedoch ein Recht auf schnelles Internet eventuell bald geben – zum Preis von stärkeren Oligopolen im Telekommunikationssektor. Im Bildungsbereich soll es eine Bildungsoffensive geben, die an Schulen, Berufsschulen, Hochschulen und außerschulischen Bildungseinrichtungen digitale Kompetenzen fördern soll. Neu hinzugekommen sind Buzzwords: Adaptive Lernsysteme, Serious Games und Datenanalyse (im außer-universitären Bildungsbereich) sowie Digital Humanities, Blockchaintechnologie und Quanten-Computing (im universären Bereich).

Das Kapitel zur Arbeit 4.0 enthält vor allem Vorschläge zur Weiterbildung von Arbeitnehmern, etwa durch die Prüfung des Instruments der Langzeitkonten und ein Recht auf Weiterbildung durch die Bundesagentur für Arbeit. Zur Förderung der Wirtschaft sieht der Entwurf die Gründungsförderung durch Bürokratieabbau und verbesserte Finanzierungsbedingen für entsprechende Projekte vor. Natürlich sollen IT-Sicherheit und die Modernisierung der Verwaltung gestärkt werden und ein innovativer Weg zwischen Datenschutz und Geschäftsinteressen gefunden werden, auch in Europa.

Von der Digitalagentur bis zum Digitalrat

Was gibt es Neues? Die Einrichtung einer Digitalagentur soll geprüft werden, als der Bundesregierung nachgeordnete Behörde, die sie im Infrastrukturbereich bei der Telekommunikations- und Plattformregulierung sowie Marktbeobachtung unterstützen soll. Außerdem gibt es das Versprechen der Einrichtung eines Zentrums für künstliche Intelligenz in Kooperation mit französischen Partnern, das auf nationaler Ebene durch einen Masterplan ergänzt werden soll. Zudem plant die Koalition das Einsetzen einer Daten-Ethikkommission, um Regierung und Parlament Empfehlungen für Datenpolitik, den Umgang mit Algorithmen, künstlicher Intelligenz und digitalen Innovationen zu geben. Und einen Digitalrat soll es geben, der einen engen Austausch zwischen Politik und nationalen sowie internationalen Experten ermöglicht.

Das Kartellrecht soll modernisiert werden, durch Verfahrensbeschleunigung und eine Neufassung der Marktabgrenzung. Und es gibt Bewegung im Bereich von E-Government: Hier verspricht die Bundesregierung, innovative Distributed Ledger (Blockchain) Technologien zu pilotieren. Es soll eine Beteiligungsplattform für Bürger und Stakeholder zur Kommentierung von Gesetzesentwürfen der Bundesregierung geben und die öffentliche Bereitstellung von Daten der öffentlichen Verwaltung.

Digitaler Kontrollverlust Revisited?

Die Vereinbarungen erinnern im ersten Teil an die Digitalisierungspolitik und die sie begleitende Gestaltungsdebatte der 1980er-Jahre. Denn der Ausbau von Glasfaser steht bereits seit 30 Jahren zur Debatte – ebenso wie die betriebliche Weiterbildung, die Förderung von Digitalkompetenzen in schulischen und außerschulischen Bildungseinrichtungen, die Modernisierung der Verwaltung und die Herstellung von IT-Sicherheit.

Bislang hat all dies nicht geklappt, die Ursachen sind vielfältig. Dennoch stehen wir an einem anderen Punkt. Beispiel Arbeit: Was soll die betriebliche Weiterbildung bringen, wenn die Menschen mehr und mehr für Plattformen wie Uber und Foodora arbeiten? Wie kann eine Gründungsförderung das non-plus-ultra sein, wenn überall die Fachkräfte fehlen? Wo ist das Grundeinkommen für diejenigen, die sich langfristig weiterbilden wollen? Und wie soll das Interessierten überhaupt gelingen, wenn Weiterbildungen zu Data Science fast ausschließlich im Ausland zu finden sind?

Künstliche Intelligenz, Quanten-Computer, Plattformindustrie, Robotik und Blockchain: Die wichtigsten technischen Entwicklungen sind immerhin benannt. Sie versprechen in ihrer Gesamtheit eine gesellschaftliche Umwälzung, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat. Die zuerst da greifen wird, wo etablierte Institutionen – Krankenhäuser, Schulen, alle Bereiche der Daseinsvorsorge – womöglich nicht mehr finanziert werden können.

Aber was ansteht, ist nicht nur eine gravierende Umwälzung des Arbeitsmarktes. Auszugehen ist von einer sich anschließenden Disruption staatlicher Aufgaben. Ebenfalls kein Geheimnis ist, dass die großen IT-Konzerne darauf drängen, hierbei eine wesentliche Rolle zu übernehmen. Derweil plant die zukünftige Bundesregierung die Prüfung einer Digitalagentur, die Einrichtung eines Zentrums für künstliche Intelligenz, die Einberufung eines Digitalrates und eine Daten-Ethikkommission. Die Vorschläge scheinen unkonkret alle Probleme in eine Zukunft zu verschieben, in der private Akteure technische und wirtschaftliche Fakten gesetzt haben werden.

Was wir brauchen, ist eine Digitale Taskforce

Wie wäre es dagegen mit der Einrichtung einer Taskforce zu Algorithmen, Daten und künstlicher Intelligenz, die zügig die Probleme checkt und kontinuierlich Konzepte für die unterschiedlichen Sektoren erarbeitet? Oder einer Taskforce zu Robotik und Blockchain, die zeitnah Anpassungsoptionen erarbeitet, mithilfe derer die Menschen auf eine Zukunft vorbereitet werden können, in denen viele Kompetenzen irrelevant geworden sind? Oder einer Taskforce zur Anwendung neuster Technologien in der Daseinsvorsorge, zur Prüfung ihrer Gestaltungsmöglichkeiten? Wie wäre es, der Realität von digitaler Peripherie ins Auge zu sehen und verbliebene Ressourcen so zu bündeln, dass die Jugend eine Chance bekommt?

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18 Ergänzungen

  1. [Wir haben diesen Kommentar gelöscht, weil er eine ganze Reihe unbelegter Behauptungen und rassistische Aussagen enthielt. Die Moderation.]

  2. „Wie wäre es dagegen mit der Einrichtung einer Taskforce zu Algorithmen, Daten und künstlicher Intelligenz, die zügig die Probleme checkt und kontinuierlich Konzepte für die unterschiedlichen Sektoren erarbeitet?“

    Da beklagt sich die Autorin über fehlende Inhalte, Visionen und Ideen und liefert selbst nur Buzzwordbingo und schreibt anscheinend ernst gemeint solche Sätze.

    1. Natürlich. Du hast den Koalitionsvertrag scheinbar nicht gelesen, denn genau diese Buzzwords kommen dort im Wortlaut vor und das, was Du da zitierst ist der daran angelehnte Gegenvorschlag.
      Das Problem ist doch, dass die Politik nicht adäquat mit den disruptiven Technologien umgeht, sondern die immer gleichen Muster anwendet (oh, ah, neue Technologien voraus – jetzt investieren wir aber mal wirklich in Infrastruktur, Bildung und fördern die Gründerszene).

      Ich halte es für durchaus vernünftig, die Probleme schnell zu verstehen und zu definieren bevor ich versuche sie zu lösen. Was wäre denn Dein Ansatz? (Den Uwe brauchen wir da glaub ich gar nicht erst zu fragen – der hält Blockchain für Schokolade).

    1. Danke für den Hinweis! Das fügt meiner persönlichen Liste von Online-Angeboten zu Data Science tatsächlich etwas hinzu: Gute Intros. Ob das ausreicht, wäre herauszufinden. Meiner groben Übersicht nach benötigt man neben dem Verständnis für Algorithmen/ mathematische Modelle, entsprechende Software- und Programmierkenntnisse wohl einigermaßen viele Daten, um zu üben, am besten in einem konkreten Anwendungsgebiet, wahrscheinlich im Austausch mit Experten. So in etwa sehen jedenfalls die Angebote aus der Schweiz aus, um Menschen im Bereich Big Data, Predictive Everything und Data Science handlungsfähig zu machen.

      Falls gerade jemand 6 Wochen Zeit hat, nehme ich gern Erfahrungsberichte entgegen.

      Wobei das meiner Wunschliste an eine Groko etwas Konkretes hinzufügt: Wie wäre es mit Weiterbildungsstipendien (Lebensunterhalt) statt Gründungsförderung, Zeitdauer abhängig vom Lehrgang, mit der Option, diese im Ausland durchzuführen (unter Selbstfinanzierung der Weiterbildungsmaßnahme, etwa 20.000-30.000 EUR)?

      1. Bitte nicht das HPI. Die bullshitten schon seit Jahren vor sich hin. Es gibt so viele gute Unis in Deutschland, bei denen man Informatik studieren kann (München, Berlin, Erlangen, Karlsruhe, etc.). „Gute Uni“ heißt für mich auch, dass man mehr als nur das Fachliche lernt und sich z.B. auch mit der Ethik des eigenen Handelns beschäftigt. Das ist nicht zwingend überall Pflicht, aber wer sich dafür interessiert, kann sich seine Fächer ja entsprechend auswählen. Und wer datenschutzfreundliche und energetisch sinnvollere Verfahren als Bitcoin und Blockchain sucht, sollte sich GNU Taler (https://taler.net) anschauen.

  3. Es sind genau diese Art von Kommentaren (die ersten 3, die es bis jetzt gibt), die mich nerven. Wie wäre es mit konstruktiver Kritik?

  4. Oh, vielen Dank für diesen Artikel, der das doch mal schön auf den Punkt bringt, was da so drin steht in dem Koalitionsvertrag zum Themenkomplex ‚digital’…
    Mich nervt schon länger, dass es vorrangig immer um die technischen Aspekte geht (Breitband Breitband Breitband) und die ganzen Auswirkungen auf die Gesellschaft nicht genügend beleuchtet werden. Denn die „gesellschaftliche Umwälzung“ kommt mit einer derart krassen Wirkungskraft daher, der sich vor allem die Politik mit mindestens gleicher Intensität widmen sollte, wie um die technischen Aspekte.
    Da bin ich ja mal gespannt, wie sich „Daten-Ethikkommission“ und „Digitalrat“ zusammensetzen und welches Gehör man ihnen zubilligt.
    „Taskforce“ klingt auch gut, aber ich denke es sollte dabei nicht um rezeptfreie Verteilung von „Anpassungsoptionen“ gehen, sondern wie man sich „aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“ befreien, so dass der massiven, nachhaltigen und mehr als rasant voranschreitenden Gleichschaltung der Gesellschaft entgegengewirkt werden kann. Denn die ist bereits in vollem Gange – ob jede/r Einzelne das merkt oder nicht…

  5. Die CDU/CSU sagt ja immer „Keine Experimente“!
    Die SPD schließt sich stets dieser Meinung an.

    Kommt die Große Koalition wird es wieder vollbracht, es werden „keine Experimente“ gemacht!
    Kupferkabel funktionierten schon zu Opas Zeiten, also werden sie auch die digitale Zukunft bestreiten!
    Glasfaser nur für Staat und deren Begünstigte, das schnöde Volk braucht nur die Stimme des Staates aus den digitalen Empfängern vernehmen, damit die Meinung aller Einheitlich werde!

  6. Dabei vergesst ihr, dass das Internet keineswegs für Konzerne und Staat geschaffen wurde. Es gibt auch in Deutschland vielfältige Möglichkeiten sich in der Richtung weiterzubilden. Z.B. Hasso Plattner Institut. Dort sogar kostenlose Kurse.

  7. Hi Julia,
    Gratulation zu diesem Artikel, er trifft den Nerv der Zeit und beleuchtet hervorragend die anstehenden Herausforderungen für die Regierung.

    Kurz zur Überschrift…“Damit droht der Politik, von der technischen Entwicklung überrollt zu werden“ hat sich hier ein Fehlerteufelchen eingeschlichen…müsste das nicht „Damit droht die Politik…“heißen….

    Was die Umwälzungen angeht sind wir ganz Deiner Meinung…das ganze haben wir in unserem Track „Welle“ https://www.radio-morgenland.com/welle/ bereits vor geraumer Zeit thematisiert…ebenso in unserem Höhr-Denkspiel…“Wir ist entscheidend“ https://www.radio-morgenland.com/wir-ist-entscheidend/

    Was die Disruption staatlicher Aufgaben durch die Blockchaintechnologie angeht, finden wir es auch Klasse das das hier mal deutlich gemacht wird!

    Wir sind im Moment sehr skeptisch ob der augenblickliche Staat mit seiner Organisationsstruktur überhaupt in der Lage sein wird die enorm dynamischen Umwälzungen flexibel anzupacken.

    Was die Taskforce angeht finden wir den Grundgedanken ebenfalls gut, doch genügt eine Taskforce nicht aus damit die Gesellschaft von Deutschland auf der Welle der Umwälzungen reitet und nicht von der brechenden Welle weggespült wird.
    Zumal wir die Taskforce nicht als Regierungsnahes-Konstrukt für realisierbar halten, da es in der Ideenfindung und in der Umsetzung eine gewisse „Radikalität“ benötigt, die sich in den zähen Debatten wie sie im Moment auf der Tagesordnung stehen verlieren würde.
    Die Taskforce sollte in erster Linie als Sprachrohr und Vermittler zwischen Cypherpunks, mutigen Unternehmern, Politik, Popkultur und der Community/Gesellschaft fungieren.

    Was wir mit Radio Morgenland versuchen ist eine Pop-/Kunstspielwiese zu erschaffen, die auf unterschiedlichsten Ebenen Schnittmengen bildet, in denen sich unterschiedlichste Menschen wiederfinden können, wenn Sie bereit sind sich auf ein Abenteuer einzulassen.
    Wir sind der Meinung, dass eine rein intellektuelle Auseinandersetzung, ein Schulung der Bürger und Mitmenschen mittels den „klassischen Formaten“ der Weiterbildung nicht reicht und weittragend genug sein wird. Es braucht eine breit Akzeptanz dessen was kommt, denn sonst werden viele zurückgelassen werden, die auf die „klassischen Bildungswege“ nicht vertrauen und deshalb der „Bildungselite“ nur noch mit misstrauen begegnen. Die Moderne hat nicht nur in der Architektur gezeigt das „Form follows Function“ ohne das entsprechende Fein-Gefühl und ohne Emotionen die Menschen abhängt und dass abstrakte Werte wie Gleichheit und Freiheit nur ankommen und funktionieren wenn sie von narrativen Medien, Geschichten oder gar Märchen getragen werden.

    Mit besten Grüßen aus dem Morgenland ;)

    1. Kurz zur Überschrift…“Damit droht der Politik, von der technischen Entwicklung überrollt zu werden“ hat sich hier ein Fehlerteufelchen eingeschlichen…müsste das nicht „Damit droht die Politik…“heißen….

      Das ist schon korrekt. Es ist ja nicht die Politik, die etwas androht, sondern die „Überrollung“ droht der Politik. So wie einem Unternehmen eine Strafe droht zB.

      1. Echt jetzt?
        Bleiben wir doch mal in Europa und im Deutsch sprachigen Raum!
        https://www.heise.de/newsticker/meldung/Schweiz-Blockchain-Identitaet-fuer-Zug-E-ID-fuers-ganze-Land-3892220.html

        Was ist denn Blockchain überhaupt für ein Voodoo?
        Kein Voodoo! Blockchains sind verteilte Datenbanken!
        https://www.heise.de/tipps-tricks/Was-ist-eine-Blockchain-3860869.html

        Ooooch, in den 90’er Jahren hatten wir auch schon Cluster mit verteilten Datenbanken!
        Nur waren die Internetze noch nicht so schnell genug, da waren Modems noch am Knattern und Pfeifen!

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.