Wider die Ohnmacht? Was der Koalitionsvertrag Nutzerinnen und Nutzern verspricht

In Sachen Verbraucherschutz machen Union und SPD viele hehre Versprechen und wenig konkrete Pläne. Immerhin: IT-Hersteller könnten stärker für Sicherheitsmängel haften und kollektive Klagen gegen Missstände einfacher werden. Bei personenbezogenen Daten soll Merkels Mantra vom „Rohstoff des 21. Jahrhunderts“ jetzt Regierungslinie werden.

Die meisten Ziele im Koalitionsvertrag, die die Mündigkeit von Nutzern im kommerziellen Internet stärken sollen, bleiben im Vagen und nur mit der geringeren Prioritätsstufe „wollen“ statt „werden“ versehen. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Sergey Zolkin

Im letzten Teil unserer Reihe zu den Koalitionsvereinbarungen der womöglich neuen alten GroKo geht es um Verbraucherschutz. Ein Thema, das kaum jemanden interessiert, aber fast alle betrifft: Im kommerziellen Internet von heute sind wir schließlich alle irgendwie Verbraucher, angewiesen auf die Produkte und Dienste zahlreicher Unternehmen.

Dass viele Menschen in Anbetracht der Abhängigkeit von kommerzieller Informations- und Kommunikationstechnologie heute eine gewisse Hilflosigkeit verspüren, lässt sich auch darauf zurückführen, dass sie politisch bislang weitgehend im Stich gelassen werden. Während in weiten Teilen der Daten- und Digitalwirtschaft Goldgräberstimmung herrscht, schrecken Regierungen weltweit immer noch davor zurück, Plattformen und Technologieunternehmen klare Regeln zu setzen. Das stärkt weder das Zutrauen in einen funktionierenden Rechtsstaat noch in eine Soziale Marktwirtschaft. Laut einer repräsentativen EU-Umfrage (Eurobarometer, PDF, S. 66) 2015 vertrauen lediglich 32 Prozent der Deutschen ihren Internet- und Telefonanbietern; die restliche Internetwirtschaft genießt sogar nur das Vertrauen von 19 Prozent.

In der scheidenden GroKo federführend für digitalen Verbraucherschutz zuständig: Justizminister Heiko Maas. - CC-BY-SA 3.0 Sandro Halank

In der Bundesregierung setzte sich diese Erkenntnis erst langsam und nur in Teilen durch. Durch die neue Ansiedlung des Themas im SPD-geführten Justizministerium waren die digitalen Verbraucherrechte in der letzten Legislaturperiode präsenter als zuvor. Ein Sachverständigenrat denkt seitdem für das Ministerium über notwendige Updates des Verbraucherrechts nach und Minister Heiko Maas forderte mehr Kontrolle über die Algorithmen, die Menschen bewerten und Einfluss auf ihre Lebenschancen nehmen. Auf Bitten der Politik experimentieren zudem einige Unternehmen mit einfachen Kurzfassungen ihrer Datenschutzhinweise. Handfeste Erfolge allerdings hat auch Maas kaum vorzuweisen.

Immerhin: Der Routerzwang ist abgeschafft worden und Verbraucherschutzverbände haben die Möglichkeit bekommen, nun auch bei Datenschutzproblemen stellvertretend Klagen im Sinne der Nutzer zu erheben. Ein Gesetz aber, das Abhilfe gegen falsche Versprechen bei der Geschwindigkeit von Internetanschlüssen schaffen sollte, blieb auf halber Strecke stehen. Auch ein formeller Ausbau des Bundeskartellamts zur digitalen Verbraucherschutzbehörde, die anders als die Verbraucherzentralen mit echter Sanktionsmacht ausgestattet ist, scheiterte am Widerstand der Union. Das gut gemeinte NetzDG forciert Löschungen durch Plattformen, ohne ausreichend Sicherungsmechanismen für die Meinungsfreiheit zu etablieren. Probleme bei der IT-Sicherheit von verbrauchernaher Technik oder unfairen AGB blieben gänzlich ungelöst.

Überwiegend hehre Versprechen statt konkreter Pläne

Als gebe es keine Unzufriedenheit mit gebrochenen Versprechen bei der Internetgeschwindigkeit und Scoring, keine Skandale um eklatante Sicherheitslücken und kommerzielle Überwachung, ignorierten Angela Merkel und die Union das Thema im Wahlkampf weitgehend. Stärker schrieb sich wiederum die SPD den digitalen Verbraucherschutz auf die Fahnen. Das Wahlprogramm enthielt diverse Absichtserklärungen und konkrete Vorhaben. Im Koalitionsvertrag [PDF] spiegelt sich das in manchen Punkten tatsächlich wider. Im Großen und Ganzen aber finden sich auch hier mehr hehre Versprechen als konkrete Pläne.

Dass die Koalition es Nutzern ermöglichen möchte, weit verbreitete Kommunikationssysteme einfacher zu wechseln, ist beispielsweise eine gute Idee. Es könnte die Marktmacht von Facebook brechen, wenn Nutzer mit einem Abschied von der Plattform nicht auch soziale Verbindungen und einen Teil der digitalen Identität in Form ihrer Chronik zurücklassen müssten. Wie sie das komplexe Vorhaben angehen wollen, verraten Union und SPD jedoch nicht. Weiter geht es mit Zugangsgerechtigkeit und Netzneutralität: Hier findet sich zwar ein grundsätzliches Bekenntnis zu diesen Zielen, doch die aktuelle Debatte um jüngste Verletzungen der Netzneutralität durch Vodafone und die Telekom bleibt komplett außen vor.

Ähnlich sieht es bei der Rolle von Plattformen für die Meinungsfreiheit in der digitalen Öffentlichkeit aus: Es gibt immerhin eine Passage, in der die Koalition das Problem der markt- und meinungsbildungsdominanten sozialen Netzwerke wahrnimmt. Hier versprechen Union und SPD, die vertraglichen Rechte der Nutzer zu stärken, zum Beispiel bei unberechtigten Löschungen und Sperrungen. Konkrete Pläne, das umstrittene Netzwerkdurchsetzungsgesetz zu reformieren, das genau diese dominante Rolle der Plattformen zementiert, gibt es aber nicht.

Kein Gedanke an Technologie außerhalb der kommerziellen Logik

Äußerst vage bleiben auch die Verabredungen im Bereich der algorithmischen Entscheidungsfindung. Hier heißt es, diese müssten überprüfbar gemacht werden – „insbesondere im Hinblick auf mögliche unzulässige Diskriminierungen, Benachteiligungen und Betrügereien“. Dafür, dass genau diese seit Jahren problematisiert werden und konkrete Lösungsvorschläge vom „Algorithmen-TÜV“ bis zu Auskunftsansprüchen auf dem Tisch liegen, ist das extrem zögerlich. Offenbar haben Union und SPD keine Ahnung, welchen Weg sie gehen wollen, oder sie konnten sich nicht einigen. Und so heißt es nur: „Wir werden Mechanismen entwickeln, um bei bedenklichen Entwicklungen tätig werden zu können.“

Außerdem müsse „dynamische Preisbildung“, bei der Kunden je nach Datenprofil unterschiedliche Preise zahlen müssen, gegenüber Verbrauchern transparent gemacht werden. Überhaupt ist „Transparenz“ weiter der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die ungeliebten Koalitionäre einigen können: Buchungs- und Vergleichsplattformen sollen ihr Bewertungssystem transparenter gestalten. Vermittlungsplattformen sollen transparent machen, ob die vermittelten Angebote privat oder gewerblich sind. Und Verbraucher sollen vor gefälschten Bewertungen geschützt werden. Außerdem soll ein neues einheitliches Lotsenportal entstehen, auf dem sich Verbraucher informieren können.

Mal abgesehen davon, dass Union und SPD keine Pläne oder wenigstens Ideen dafür entwickeln, wie Technologie außerhalb der kommerziellen Logik aussehen und gefördert werden könnte, sind viele der hier benannten Punkte sinnvoll. Allein: Die meisten Ziele bleiben im Vagen und nur mit der geringeren Prioritätsstufe „wollen“ statt „werden“ versehen. Das macht wenig Hoffnung, dass die neue GroKo Nutzern mehr Mündigkeit ermöglichen kann oder will.

Die Musterfeststellungsklage kommt

Echte Regulierungspläne finden sich ohnehin kaum. Lediglich im Sicherheitsbereich heißt es, dass das Produkthaftungsrecht angepasst werden soll. Von dieser Maßnahme erhoffen sich viele, dass IT-Hersteller und -Händler stärker zur Verantwortung gezogen werden, wenn ihre Produkte mit Sicherheitsmängeln daherkommen. Wie immer kommt es hier jedoch auf die konkrete Ausgestaltung an. Im Vertrag heißt es erstmal nur, man wolle „Risiko- und Verantwortungssphären“ prüfen. Ein „gewährleistungsähnlicher Anspruch“, der Kunden eine handfeste Klagemöglichkeit verschaffen würde, soll lediglich geprüft werden.

Immerhin: Fortschritte gibt es bei der Vertretung und Durchsetzung von Verbraucherrechten. Sowohl der „Marktwächter Digitale Welt“ als auch der Sachverständigenrat für Verbraucherfragen sollen weiter gefördert werden. Ersterer soll zudem eine eigene Rechtsgrundlage erhalten. Die Institutionalisierung des digitalen Verbraucherschutzes geht damit erstmal weiter.

Auch auf die Konditionen bei der Einführung einer Musterfeststellungsklage haben sich die Parteien geeinigt: Damit ein Musterverfahren gegen eine rechtswidrige Unternehmenspraxis, von der viele Menschen betroffen sind, eröffnet werden kann, müssten mindestens zehn individuell Betroffene ihren Schaden schlüssig und glaubhaft darlegen. Tragen sich dann mindestens 50 Betroffene binnen zwei Monaten in einem Klageregister ein, würde das Verfahren tatsächlich durchgeführt. Ein zentraler Unterschied zu den aus den USA bekannten Sammelklagen ist hier, dass nur ein bestimmter Kreis an Verbänden berechtigt ist, die Musterverfahren für Verbraucher zu führen.

Darüber hinaus soll mit sogenannten „Smart Contracts“ eine technische Lösung dazu beitragen, die Rechte der Verbraucher besser durchzusetzen: Entschädigungszahlungen bei Zug- oder Flugverspätungen sollen hier automatisch ausgelöst werden.

Persönliche Daten als Rohstoffe

„Daten sind der Rohstoff des 21. Jahrhunderts“ – so sagte es Angela Merkel zuletzt in Davos und so steht es jetzt im Koalitionsvertrag von Union und SPD. - CC-BY-NC-SA 2.0 World Economic Forum

Richtig bitter wird es dort, wo es im Koalitionsvertrag um personenbezogene Daten geht. Ein Thema, das Union und SPD offenbar nicht mit Verbraucherschutz in Verbindung bringen, obwohl wir seit Jahren erleben, wie persönliche Informationen mehr und mehr zu Handelswaren werden und mit dem Datenkapitalismus ein neues Wirtschaftssystem entsteht, unter dem nicht nur das Recht auf Privatsphäre leidet. Während die Union sich schon früh entschieden hat, diese Entwicklung nicht nur zu billigen, sondern auch aktiv zu fördern, war die SPD bislang oft hin- und hergerissen. Das Pendel schwingt mit dem Koalitionsvertrag nun noch deutlicher in Richtung wirtschaftlicher Verwertung: Merkels Mantra von Daten als „Rohstoff des 21. Jahrhunderts“ wäre die Leitlinie der neuen GroKo.

Zwar gibt es weiter ein Lippenbekenntnis zum hohen Datenschutzniveau in Deutschland und Daten als „sensibles Gut“, ansonsten liegt der Fokus aber klar auf „Dateninnovationen“. Wenn ab Ende Mai 2018 die Europäische Datenschutzgrundverordnung anzuwenden ist, sind Konflikte darum vorprogrammiert, wie unspezifische und neue Rechtsbegriffe auszulegen sind. Union und SPD haben sich jetzt auf ihre Lesart festgelegt: Sie wollen für eine „innovationsfreundliche Anwendung“ sorgen. Eine Ethikkommission soll gesellschaftliche Konflikte um diesen Kurs innerhalb eines Jahres abräumen.

Dabei ist es die GroKo selbst, die durch ihre Politik seit Jahren einen Widerspruch zwischen Datenschutz und Innovation stärkt: Statt EU-Vorgaben wie „Privacy by Design“ und „by Default“ durch Standardisierung und Praxisbeispiele mit Leben zu füllen, führt sie einen politischen Kampf gegen Datenschutzgrundsätze wie Zweckbindung. Deshalb ist es wenig verwunderlich, dass die Modernisierung des Datenschutzes auch zukünftig in ihrer Wissenschafts- und Wirtschaftsförderung keine zentrale Rolle spielen soll. Immerhin: Mit einem verabredeten Gesetz für den Datenschutz von Beschäftigten hätte sie dafür in den kommenden dreieinhalb Jahren eine neue Möglichkeit.

Gleich an zwei stark kritisierten Dateninitiativen aus den vergangenen Jahren hält die GroKo unterdessen fest: an dem umstrittenen „Privacy Shield“ der EU, auf dessen Grundlage personenbezogene Daten aus Europa in den USA verarbeitet werden dürfen. Und an Alexander Dobrindts Schnapsidee von der Einführung eines Eigentumsrechts an Daten. Wie ergebnisoffen eine Kommission zur Datenethik ihre Arbeit unter diesen Vorzeichen vornehmen kann, ist fraglich.

4 Ergänzungen

  1. Kein Kommentar!
    Das nächste „Problem“ wird dann bei der Umsetzung bzw. Nicht-Umsetzung liegen, wie schon im Text beschrieben sind die Koalitionspapiere vage Versprecher, damit die SPD Basis einer erneuten GroKo zustimmt.
    Sobald dies geschehen ist, erwurschteln beide Spitzen (Union/SPD) sich ihre Plätze in der Wirtschaft, mag nach ihnen die politische Sintflut hereinbrechen, beide Spitzen werden frohlocken „Die Rente ist sicher!“

    „Des Narren Paradis, ist des Weisen eine Hölle!“

  2. Datenschutz von Beschäftigten? Also erst wird jeder Schritt getrackt und jedes Wort und jede Krankheit schufalike gespeichert… Und dann werden diese Daten vor dem Zugriff durch die Beschäftigten geschützt?
    Kein Kommentar!

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