Urteil: Britische Überwachungsprogramme verstoßen gegen Menschenrechte

Großer Erfolg für Aktivisten: Die britische Massenüberwachung durch den Geheimdienst GCHQ ist nicht mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar. Das entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte heute. Edward Snowden hatte die Überwachungspraxis vor fünf Jahren an die Öffentlichkeit gebracht.

EGMR
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. CC-BY-SA 2.0 Davide Restivo

Mehr als vier Jahre nach der Erhebung der Beschwerde beim Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg fiel am Donnerstag das Urteil zur Massenüberwachung des britischen Geheimdienstes Government Communications Headquarters (GCHQ). Die Große Kammer entschied, dass die bevölkerungsweiten Überwachungsprogramme von Großbritannien gegen die Menschenrechtskonvention verstoßen. Es ist das erste Urteil, das nach den Veröffentlichungen der Snowden-Dokumente die Rechtswidrigkeit der britischen Massenüberwachung feststellt.

Diese rechtswidrige Massenüberwachung sei dadurch gekennzeichnet, dass sie ungerichtet stattfinde („bulk interception is by definition untargeted“), entschied das Gericht. Zudem gäbe es nach dem Urteil des Höchstgerichts keine ausreichende Kontrolle des geheimdienstlichen Tuns bei der Auswahl der Überwachungsmethoden („lack of oversight of the entire selection process“). Zusätzlich seien auch keine angemessenen und robusten Methoden vorhanden, um Missbrauch zu verhindern („sufficiently robust to provide adequate guarantees against abuse“). Damit waren die Beschwerdeführer in allen wichtigen Punkten erfolgreich.

Das heute entschiedene Beschwerdeverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (Aktenzeichen 58170/13) war von den drei britischen Nichtregierungsorganisationen Big Brother Watch, Open Rights Group und der Schriftstellervereinigung PEN zusammen mit unserer Autorin Constanze Kurz ins Rollen gebracht worden. Ihre Beschwerde richtet sich gegen den britischen Geheimdienst GCHQ und die für ihn verantwortliche britische Regierung wegen des Eingriffs in die Privatsphäre von Millionen britischer und europäischer Bürger.

Die Aktivisten taten sich zusammen, nachdem die Überwachungsprogramme „Prism“ und „Tempora“ durch die Veröffentlichungen aus den Snowden-Papieren bekannt geworden waren. Die Dokumente belegten auch eine intensive Kooperation zwischen dem GCHQ und dem technischen Militärgeheimdienst NSA der Vereinigten Staaten, die der Menschenrechtsgerichtshof jedoch in seiner heutigen Entscheidung nicht für rechtswidrig befand. Brisant war damals zudem, dass das National Security Council, Kontrollgremium des britischen Parlaments in die Kooperation nicht eingeweiht war.

Schutz der Privatheit für alle Europäer nach Artikel 8

Der Gerichtshof stellte heute im Ergebnis fest, dass die britische Massenüberwachung, die durch Edward Snowden erst öffentlich bekannt geworden war, qualitativ nicht ausreichend die Menschenrechtsstandards in einer demokratischen Gesellschaft bewahre.

Nach Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention ist der Schutz der Privatheit für alle Europäer ein Menschenrecht. Großbritannien war der Europäischen Menschenrechtskonvention im Jahr 1953 beigetreten und gilt als eines der Länder, in dem die dort festgeschriebenen Menschenrechte weitgehend beachtet werden. Entsprechend ist es auch keines der Länder, die übermäßig oft, wie beispielsweise Slowenien, Russland oder Ungarn, vor das Gericht gezerrt werden.

Die britische Regierung hatte die zugrundeliegende gesetzliche Regelung im Laufe des vierjährigen Verfahrens erneuert und den neuen Investigatory Powers Act auf dem Weg gebracht. Mit der Reform (und damit der aktuellen Situation) befassten sich die Richter in ihrer heutigen Entscheidung nicht. Der Investigatory Powers Act weitete die Überwachung gegenüber der vorherigen Regelung sogar noch aus und wird nach dem neuen Urteil nun wieder in der Kritik stehen.

Die Bundesregierung hatte zu dem Fall trotz Nachfrage des Gerichtshofs keine Stellung bezogen, obwohl mit Constanze Kurz eine der Beschwerdeführerinnen Deutsche ist.

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8 Ergänzungen

  1. Es wurde sowas von Zeit … Und die Grundrechte werden sich in den kommenden Jahren eher noch konsolidieren. Dass sich Geheimdienste generell nicht an Grundrechten orientieren und nicht Willens sind, ihrem Souverän (dem Volk) zu dienen, steht auf einem anderen Blatt.

  2. !!! *** Juhu *** !!!
    Im Fernsehen kam gerade ein Bericht, bei dem das Urteil zitiert wurde mit „… so gibt es nicht genügend Schutz für Journalisten …“ –
    wir haben einen funktionierenden EU-Menschenrechtsgerichtshof, und wir haben erfolgreiche Grundwerte-Verteidiger, die ausdauernd und besonnen bis dorthin geklagt haben!
    Heute ist ein richtig guter Tag!

    1. Ich möchte ihre Euphorie ja ungern ausbremsen, aber was nützen Gerichtsurteile, wenn diese wirkungslos bleiben?
      Oder wird das GCHQ morgen dicht gemacht? Die machen munter weiter…

      1. Aus Wikipedia zitiert:
        „Ein Präzedenzfall beschreibt einen juristischen Fall, dessen Entscheidung sich zum Maßstab anderer Fälle entwickelt hat.
        Die größte Rolle spielen Präzedenzfälle im anglo-amerikanischen Rechtskreis (engl. precedent). Das dortige Rechtssystem basiert unter anderem auf der Auswertung vergleichbarer Gerichtsentscheidungen. Die gerichtliche Entscheidung wird selbst Teil des Rechtssystems und ist Grundlage für weitere Urteile. Binding precedents binden vor allem rangniedrigere Gerichte (Bindungswirkung). “
        … Also das ist mal Punkt 1, warum ich mich darüber freue.

        Und Punkt 2 sind die nerv-tötenden Dsikussionen in fake-news-Zeiten, in denen anders-Meinende versuchen, einem einzureden, man sei nur falsch informiert, das stimme ja alles gar nicht…. :
        Wir haben es jetzt nicht mehr nötig, darüber zu diskutieren, ob der GCHQ gegen die EU-Menschenrechte verstieß. Es ist abjetzt faktisch richtig. Ungeheuerlich – aber eben wahr. Punkt.

        Andererseits wäre es wirklich schön, wenn es für die Verantwortlichen Konsequenzen hätte, sobald sie gegen Verfassungswerte verstoßen. Die alte Diskussion darüber, warum Bundestagsabgeordnete, wieder und wieder Vorratsdatenspeicherung ungestraft vorschlagen dürfen, statt wegen wissentlichem Grundwertebruch damit ihren Sitz für Nachfolger frei machen zu müssen. Finde ich auch schade. Kann ich aber leider nicht ändern.

        Also konstruktiv weiter:
        wie bekommen wir jetzt hier bei uns so guten Whistleblower-Schutz wie in den Niederlanden, so gute parlamentarische Geheimdienstkontrolle wie in Norwegen, so gute unabhängige Polizei-Beschwerdestellen wie in Belgien, Geheimdienst-Archivpflicht und Sperrdauern wann reformieren wir die Geheimdienstkontrolle wirksam (so dass die Handelnden Verantwortung für ihr Tun übernehmen müssen), statt nur einen neuen Inlandsgeheimdienst-Chef zu suchen (da hätte ich allerdings auch konstruktive Ideen) ?

    2. Kürze Richtigstellung:
      Der „Europäische Gerichtshof für Menschenrechte“ (EGMR) in Straßburg ist eine Einrichtung des Europarates, in dem neben den EU-Mitgliedstaaten auch Russland, die Schweiz und die Türkei durch Unterzeichnung der „Europäischen Menschenrechtskonvention“ (EMRK) Mitglied sind.

      Der EGMR ist somit kein Gericht der Europäischen Union, wenngleich die Verwirrung verständlich ist, da das Gericht der Europäischen Union der „Europäische Gerichtshof“ in Luxemburg ist.

  3. Wenn man auch hier nur US Software in Universitäten benutzt , nichts eigenes programmiert , was ja eigentlich im Bund schon beschlossen wurde , dann wundert mich gar nichts mehr.
    https://www.security-management.de/rueckblick-12-security-forum-18-1-2018-souveraenitaet-trifft-cyberraum/

    Es ist der Beweis, dass nur US Unternehmen weitreichende Zugriffe in der Forensik
    erhalten sollen.
    Wie man auf der Webseiten auch lesen kann : Zugriff auf Clouds von Google bis Microsoft.

    Kurzgesagt , die USA und auch GCHQ wollen das Internet von vorne bis hinten bestimmen und
    befehlen fast jedes Protokoll , wer was wann zu unterlassen hat , wer Forensik Software bei der Polizei nutzen darf , welche das sein muss.
    Ich gehe davon aus ,dass unsere Polizei nicht viel eigene Software verwendet.
    Wir also weiterhin viel geld verschwenden, keine Kontrolle über die Daten haben und ….es wird noch schlimmer…Die Polzei hat ja die Farbe der Uniformen schon der EU angepasst.
    Bald werden die Spanier in unsere Datenbanken reinschauen , oder in die handies.
    Beobachtung im Urlaub , ja klar… die 666- Freimaurer-EU machts möglich.
    Der totalitäre Staat „EU“ ist am wachsen.Unaufhaltsam.

    Hans Maaßens Stellvertreter sagte diese Woche, er wolle die Bugs nicht schliessen sondern nutzen/kaufen.
    Der Bitcom Vertreter war anderer Meinung.Das hat mir gefallen , da Bitcom eigentlich sehr Microsoft freundlich agieren.
    Bitte schreibt dem doch mal zurück ,wie man sich dann vor Angriffen auf die Bürger schützen soll?
    oder wer unsere Firmen schützen soll ? Spinne die nun ganz beim VS? Alles nur ferngersteuert oder?
    Wie die Forensik halt auch…..Good Bye Deutschland.

  4. Uuuh, Gratulation Constanze Kurz & alle anderen

    Eine etwas skeptische Gratulation, ein riskantes Urteil die Terrorabwehr angehend.
    Aber definitiv auch eine Gratulation dazu, dass der beklagte Staat den Klägern eine ganze Stange Geld zahlen müsse.

    mfg

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.