Urheberrecht abgelaufen, trotzdem abgemahnt? Wikimedia kämpft vor Gericht für Gemeinfreiheit

Entsteht durch bloße Digitalisierung eines gemeinfreien Werks ein neues Schutzrecht am Foto oder Scan? Darüber streiten die Reiss-Engelhorn-Museen seit drei Jahren mit der Wikimedia Foundation vor Gericht. In der mündlichen Verhandlung beim Bundesgerichtshof hatten Freunde der Gemeinfreiheit wenig zu lachen.

Dieses Bild des Reiss-Engelhorn-Museum wird auf Wikimedia Commons verfügbar bleiben, egal wie der Prozess ausgeht. Es steht unter einer Creative-Commons-Lizenz und fällt unter die Panoramafreiheit des deutschen Urheberrechts. CC-BY 3.0 Hubert Berberich

Thomas Hartmann forscht zum Urheberrecht in der digitalen Wissenschaft, u.a. am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb in München (2011-2016), jetzt am FIZ Karlsruhe – Leibniz-Institut für Informationsinfrastruktur. Daneben ist er Lehrbeauftragter an mehreren Hochschulen, u.a. für Datenschutz an der Humboldt-Universität zu Berlin. Gelegentlich twittert er als @FuzziIP.

Wer demnächst plant, ein Museum zu besuchen, sollte auf den Besichtigungsvertrag achten. Ein solcher kommt schlicht durch das Betreten eines Museums zustande. Das Eintrittsgeld spielt dabei keine Hauptrolle, es braucht auch kein Vertragsdokument. Was beinhaltet ein solcher Besichtigungsvertrag? Wesentlich ist die Besucherordnung (juristisch AGB), verdeutlicht durch allerlei Ge- und Verbote auf Schildern, zum Beispiel: „Essen und Trinken untersagt“. Durchgestrichene Fotokameras sind als Piktogramme auf anderen Aushängen deutlich zu sehen. „Das Fotografieren und Filmen (auch mit Mobiltelefonen) ist verboten. Ton- und Bandaufnahmen während der Führungen sind nicht gestattet.“ Das ist die entsprechende Formulierung aus der Besucherordnung der städtischen Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim, die für viele andere Archive, Museen und Sammlungen repräsentativ sein dürfte. Wo bleiben bei all den Zugangs- und Nutzungsrestriktionen jedoch die Meinungsfreiheit, die Wissenschafts- und Kunstfreiheit der Besucher, ähnlich wie sie im Urheberrecht durch Schrankenbestimmungen (z. Bsp. Zitierfreiheit) gesetzlich abgesichert ist? Dazu hat sich der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) in der gestrigen mündlichen Verhandlung im Musterprozess zwischen den Reiss-Engelhorn-Museen und der Wikimedia Foundation nicht weiter geäußert.

Trotz Fotografierverbot erstellen Besucher Aufnahmen von Gemälden und anderen Exponaten. Die so digitalisierten Kulturschätze wurden dann via Wikipedia – genauer: deren Medienarchiv Wikimedia Commons – geteilt. Gegen diese Veröffentlichungen bei Wikipedia mit dem Lizenzvermerk Public Domain ging die Stadt Mannheim vor, der die Reiss-Engelhorn-Museen gehören. Deren Generaldirektor, Professor Alfried Wieczorek, stellte sich im Anschluss an die Gerichtsverhandlung in Karlsruhe den Fragen der anwesenden Medienvertreter. Auf der Anklagebank sitzt mittlerweile durch alle Gerichtsinstanzen neben einem fotografierenden Besucher die Wikimedia Foundation, Träger von Wikipedia und Wikimedia Commons.

Renaissance des Lichtbildschutzes

Zudem ist die Wikimedia mit dem Vorwurf konfrontiert, gegen das Urheberrechtsgesetz zu verstoßen. Manchmal fotografieren die ehrenamtlich tätigen Wikipedia-Autoren nicht selbst, sondern sie scannen die Abbildungen aus Museumskatalogen zur Wikipedia-Veröffentlichung. Solche Abbildungen (Repros) werden in der Regel von Mitarbeitern der Museen erstellt. Dass diese Digitalisierung rechtlich als geistige Leistung zu werten ist, die Lichtbildschutz nach § 72 UrhG auslöst, hat der I. Zivilsenat in Karlsruhe bei der mündlichen Verhandlung ebenfalls angedeutet. Zwar ist die Schutzdauer beim einfachen Lichtbild geringer als bei anspruchsvolleren Lichtbildwerken, beträgt allerdings immer noch 50 Jahre nach Erstellung. Die Renaissance des Lichtbildschutzes im Digitalzeitalter ist ärgerlich – neben anderen gewichtigen Meinungen wurde etwa auch auf dem Deutschen Juristentag 2014 die ersatzlose Abschaffung dieses überholten Leistungsschutzrechts gefordert. Dahingehend passiert ist allerdings nichts, so dass sich der Leistungsschutz jetzt zum kaum überwindbaren Hauptproblem bei der Digitalisierung gemeinfreier Werke kristallisieren könnte.

Damit hat die Wikimedia mit ihren Autoren nach den Buchstaben des Gesetzes schlechte Karten in diesem Rechtsstreit. Schon die beiden Vorinstanzen, das Landes- und dann das Oberlandesgericht in Stuttgart hatten sich weitgehend der restriktiven Rechtsauffassung der Reiss-Engelhorn-Museen angeschlossen, zu der nun auch abschließend der BGH tendieren könnte. Ob neben der Vertragsverletzung und der Urheberrechtsverletzung auch noch eine Eigentumsverletzung vorliegen könnte, erschien bei der mündlichen Verhandlung zeitweise fast nicht mehr vordringlich. Der für das Grundstücksrecht zuständige V. Zivilsenat des BGH entschied bereits vor einigen Jahren, dass Eigentümer grundlegend entscheiden dürfen, ob und zu welchen Bedingungen auf dem eigenen Gelände fotografiert und gefilmt werden darf (zu dieser sogenannten Sanssouci-Rechtsprechung bei Legal Tribune Online).

Viele Bilder werden aus Wikipedia verschwinden

Beschränkt sich nun auch der BGH im Wesentlichen auf die Anwendung dieser Rechtsvorschriften im Wortlaut, wird die Wikimedia in dieser rechtlichen Auseinandersetzung kaum obsiegen können. Für diesen Fall ist zu befürchten, dass in erheblichem Umfang Abbildungen aus der Wikipedia verschwinden werden. Rechtlich betroffen wäre jedoch nicht nur Wikimedia, sondern auch viele andere Projekte, Initiativen und Einrichtungen aus Wissenschaft und Kultur, die entschieden für einen Paradigmenwechsel hin zu ungehindertem Zugang und unbeschränkten Nachnutzungsmöglichkeiten eintreten – beispielhaft dafür etwa Ellen Eulers Plädoyer für neue Formen der Gemeinfreiheit und einem entsprechenden „Call to Action“.

Gerade das Urheberrecht aber bremst und bremst. Die im März 2018 neu eingeführten gesetzlichen Nutzungserlaubnisse für Bildung, Wissenschaft, Bibliotheken und Gedächtniseinrichtungen (ab § 60a UrhG) erweisen sich in den Augen vieler Kritiker als ein Flickenteppich, der allenfalls kleine Fortschritte bringt. Auch die seit 2014 geltenden Vorschriften für vergriffene und verwaiste Werke haben vielen (in aller Regel öffentlich finanzierten) Digitalisierungsprojekten noch nicht zum Durchbruch verholfen. Derweilen dehnte der Gesetzgeber bestehende Schutzrechte etwa für die Tonträgerhersteller weiter auf nunmehr 70 Jahre aus und etablierte neue Schutzrechte wie das Leistungsschutz für Presseverleger. Letzteres droht auf EU-Ebene inzwischen europaweit die Linkfreiheit einzuschränken und sorgt gemeinsam mit der geplanten Pflicht zu Uploadfiltern für immer neue Hürden und Einschränkungen für freie Projekte wie die Wikipedia.

Gemeinfreiheit in Gefahr

Mit der kommenden Entscheidung des BGH droht auch noch eine der letzten Gewissheiten für Nutzer abhanden zu kommen: die Gemeinfreiheit von Materialien, die älter als 150 Jahre sind. Diese Endlichkeit des Werkschutzes ist integraler Teil des Urheberrechtsschutzes. Zu Recht erinnern daran die Wikimedia, die Wikipedia-Community und deren viele Nutzer. Es würde die Konstruktion und damit auch die Akzeptanz des Urheberrechtsschutzes in Gefahr bringen, wenn der proprietäre Schutz von Werken durch unzureichenden Zugang zu gemeinfreien Kulturgütern oder durch Leistungsschutzrechte wie den Lichtbildschutz immer wieder verlängert werden könnte. „Was gemeinfrei ist, muss gemeinfrei werden“ fordern deshalb Paul Klimpel und Fabian Rack. Es ist daher wichtig, dass die Wikimedia diesen Rechtsstreit trotz der beträchtlichen Prozess- und Kostenrisiken durch alle Instanzen gefochten hat. Nach der mündlichen Verhandlung will der BGH sein Urteil am 20.12.2018 verkünden. Es wird wegweisend sein für vielfältige Digitalisierungsanstrengungen gerade im Bildungs-, Kultur- und Wissenschaftsbereich.

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10 Ergänzungen

  1. „[…] Ein solcher kommt schlicht durch das Betreten eines Museums zustande.“
    :DDDDDDDDD omg.
    https://m.xkcd.com/501/

    Dass ich nach seinem Wahlkampfcomic nochmal auf Randall verlinken würde, hätte ich nicht gedacht, aber wenns halt passt…

    Nun zur seriösen Diskussion — enthält das Foto gewisse Symbolik, die man so nicht im Internet sehen will, oder was soll das?
    Vgl. etwa die gelöschten Fotos der Kirchen, welche Freiherr v. Hammer erwähnt hat (habe leider meine archive.is Bookmarks nicht zur Hand, aber siehe die abgezeichneten Reliefs: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/30/BaphometEarly1.gif ).

    Sorry falls das ein Doppelpost sein sollte; mein letzter scheint nicht durchgekommen zu sein.

  2. Was die EU-Kommission und andere Gesetzgeber dringend gebrauchen könnten, wäre ein Platz am Pranger. Und 100 Stockhiebe! (Gute alte europäische Tradition) Vielleicht würde das dem dringenden Wunsch Spezialinteressen nachzugehen Abhilfe verschaffen.

    /s

  3. Hoffe sehr, dass eine Einigung zu Stande kommt, bei der die unzulaessigen Kopien durch die Nennung des Rechteinhabers in der Wikipedia legalisiert werden und somit verbleiben koennen.

    Ich sehe das so:
    Museen ‚leben‘ vornehmlich von oeffentlichen Foerdergeldern. Daher sollte es auch eine Moeglichkeit geben, Abbildungen von Exponaten frei zu veroeffentlichen. Ich kann nachvollziehen, dass es dem allgemeinen Museumsbesuchsbetrieb nicht zum Vorteil gereicht, wenn permanent geknippst, gefilmt oder geselfied wird. Diesem Widerspruch kann Abhilfe geleistet werden, wenn das entsprechende Museum Fotomaterial anfertigt und frei veroeffentlicht. Um dem allgemeinen Trend ‚Entdecke die Welt vom Bildschirm aus ‚ entgegenzuwirken, koennte die deutliche Kenntlichmachung des jeweiligen Museums im Bild hilfreich sein. Die frei veroeffentlichten Bilder koennten auch von relativ niedriger Qualitaet sein, sodass das Erleben vor Ort, also der Museumsbesuch, weiterhin einen deutlichen Anreiz darstellt.

    Tatsaechliche Motivationen der aktuellen Klage ausreichend gut zu ergruenden, ist bei der bestehenden Gemengelage von meinem Standpunkt aus nicht moeglich. Aber eine kleine Spekulation traue ich mir dennoch zu, denn vielleicht steckt auch mehr hinter der Klage, z.B. die Absicht Exponate aus dem freien Blick der Oeffentlichkeit zu entfernen. Es gibt ja auch diverse Schaetze, die in privatem Besitz sind und aufgrund einer Re-Mystifizierung an Wert gewinnen koennten.

  4. Wikipedia Commons sollte sich zuerst an die eigene Nase fassen.
    Wenn die Erstellung von Fotos, in denen Arbeit und Intelligenz investiert wird als gemeinfrei gelten sollen, dann sollte Wikipedia sich zuallererst mit den eigenen Fotoautoren auseinandersetzen und die Gemeinfreiheit bei deren Fotos umsetzen. Ein Foto von z.B einem Berg (der Berg hat nicht einmal einen Urheberschutz!) unterscheidet sich nicht von einem Foto von einem Kunstwerk..

    1. Jemand hat die Idee, einen Berg zu fotografieren, er hat gearbeitet, um Geld zu verdienen, um sich Auto, Benzin, Kamera zu kaufen, er hat auf gutes Wetter gewartet, er ist zu dem Berg gefahren, hat eine Position gesucht, ein Foto gemacht. Das wäre einer der einfachsten Fälle. (ggf. „gearbeitet“ mit „Geld der Eltern“ ersetzen)

      Möglicherweise hat sich jemand aber auch richtig Gedanken um das Bild gemacht, es vorbereitet und nachbearbeitet. Trotzdem ist es weiterhin (nur) ein Foto von einem Berg.

      Jetzt stellen wir dem gegenüber ein Foto von einem Bild in einem Museum. Da ist immernoch die Arbeit für Kamera, Anfahrt usw. vorhanden, aber sicherlich fällt das Warten aufs Wetter und die Position weg, denn die Randbedingung wird wahrscheinlich wie bei allen Bild-Fotos eine möglichst verzerrungsfreie Aufnahme von vorne sein.

      Nun meine Frage: Wo EXAKT ziehen wir die Grenze, wann entscheiden WIR über das Recht an einem Bild, das ein anderer gemacht hat?

      Eine Antwort wie „ist in diesem Fall doch eindeutig“ wäre keine Antwort auf diese grundlegende Frage, wo exakt die Grenze zu ziehen ist, damit jeder weiß, ob er legal oder illegal handelt.

  5. Äh, ganz offensichtlich wird gegen Recht verstoßen und die WIKIMEDIA hat kaum Chancen aber verschwendet dennoch Geld mit Klageverfahren? Welch ein Unsinn. Sollen doch Google Amazon und Co doch einfach Content per Lizenz einkaufen, anstatt immer noch darauf zu bauen, dies über die Wikipedia umsonst abzocken zu können.

  6. Fotografieren mit Blitz ist oft aus gutem Grund in Ausstellungen und Museen (vermute mal das der Plural so geschrieben wird) verboten. Die Exponate können unter Umständen Schaden nehmen.
    Eigentlich müsste aber zumindest bei öffentlichen aus Steuergeldern bezahlten Einrichtungen eine Verpflichtung bestehen, das allgemeinzugänglich kostenloses Bildmaterial bereitgestellt wird.

  7. Bitte ergänzt doch bei dem Artikel, dass es sich um rein deutsches Recht handelt und es mit der Rechtsprechung bezüglich Panoramfreiheit in den anderen DACH Ländern geschweige denn in den anderen Ländern generell nicht ident ist oder gar nix damit zu tun hat.
    Danke
    Karl

  8. Für stark an dem Thema interessierte: Bei https://heise.de/-4214218 habe ich in zwei ziemlich umfangreichen Kommentaren zu dem dortigen Artikel meine Argumente aus früheren Postings hierzu zusammengefasst. Am besten den vom 14.11.2018 zuerst lesen. Da wird deutlich das es im Wesentlichen um zwei Fragen geht:

    1. Inwieweit lässt sich die Entscheidung „Preußische Gärten und Parkanlagen”, die der BGH für Immobilien getroffen hat, auf bewegliche Sachen ( z. B. Kunstwerke in Museen) übertragen?
    2. Gilt der Leistungsschutz des § 72 UrhG auch für originalgetreue Reproduktionen zweidimensionaler Vorlagen, die mit einer Fotokamera erstellt wurden?

    Hier nur ganz kurz:

    Zu 1.:
    Bereits die Entscheidung “Preußische Gärten und Parkanlagen” wurde von fast allen Rechtsexperten in der Fachliteratur förmlich in der Luft zerissen.

    Zu 2.: Wenn die Kamera lediglich als Gerät eingesetzt wird, um vorhandene Bilder zu kopieren, ist hierfür der 50 Jahre andauernde fotografische Leistungsschutz des § 72 völlig überzogen. Das originalgetreue Abmalen ist z. B. viel aufwändiger, genießt aber unumstritten nicht den geringsten Schutz, wie übrigens auch die ebenfalls aufwändige (mechanische oder manuelle) originalgetreue Nachbildung dreidimensionaler Kunstwerke.

  9. Ich finde die Klage der Museen nicht komplett unverständlich. Sachgerechte Aufbewahrung und Schutz von Kunstwerken kostet – insbesondere, wenn diese dann auch noch der Öffentlichkeit zugänglich sind. Hier hat also der Besitzer ein (m.E. berechtigtes) Interesse daran, wenigstens mit den „prominenten“ Kunstwerken Geld zu verdienen (z.B. in Form von Bildbänden, Postkarten oder bedruckten T-Shirts). Das gilt auch, wenn der Besitzer die „öffentliche Hand“ ist, da dann von den (immer knappen) Steuermitteln der Bürger dieser Stadt weitere Kunst angeschafft bzw. ausgestellt werden kann.

    Das Problem bei Einstellen in Wikimedia: Bilder dort sind frei für kommerziellen Gebrauch. Das heißt, dass jede beliebige Person das Bild nutzen kann, um damit Geld zu verdienen – z.B. es auf T-Shirts drucken und verkaufen. Damit verdient dann jeder Geld außer denen, die Aufwand mit dem Kunstwerk haben (bzw. diese verdienen weniger).
    Wenn Wikimedia eine Non-Commercial-Lizenz anbieten würde dürfte dies weniger ein Problem sein, aber das ist dort nicht gewollt.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.