Troll-Armeen und Spione: Der Online-Feldzug der saudi-arabischen Regierung

Jamal Khashoggi wurde im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul brutal ermordet. Vorab soll er von einer Troll-Armee des Kronprinzen auf Twitter massiv diskreditiert und unter Druck gesetzt worden sein, berichtet die New York Times. Einzelheiten zu diesem Online-Feldzug legen offen, wie die Regierung gegen Kritiker vorgeht – auch mit Spionen direkt bei Twitter.

Ein Mann mit Bart späht mit dem Finger zwischen seiner Jalousie aus einem Fenster
Eine Troll-Armee der saudi-arabischen Regierung soll Regierungskritiker wie den ermordeten Journalisten Jamal Kashoggi online fertiggemacht haben – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Chris Nguyen

Seit dem Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi Anfang Oktober berichtet die internationale Presse von der Einschüchterungskampagne der saudi-arabischen Regierung gegen regierungskritische Journalisten und Autoren. Die New York Times veröffentlichte jetzt die Zusammenhänge dieses Online-Feldzugs gegen Regierungskritiker und dem Mord an Jamal Khashoggi. Über Twitter soll eine von der Regierung zusammengestellte sogenannte „Troll-Armee“ Kritiker wie Khashoggi bedroht haben. Unter einer Troll-Armee versteht man eine organisierte Gruppe von Individuen, die mit Hilfe von Postings, Kommentaren und Nachrichten über Sockenpuppen-Accounts gezielt das Meinungsbild auf Online-Plattformen beeinflussen.

Aus dem Artikel der New York Times dazu:

Khashoggis Online-Angreifer waren Teil eines breit angelegten Einsatzes, der durch den Kronprinzen Mohammed bin Salman und seine engen Berater angewiesen wurde, um Kritiker sowohl innerhalb von Saudi-Arabien als auch im Ausland zum Schweigen zu bringen. Hunderte von Menschen arbeiten auf sogenannten Troll-Farmen in Riad daran, die Stimmen von Dissidenten wie Khashoggi zu ersticken. Dieser energische Angriff scheint außerdem die Ausbildung – zuvor noch nicht berichtet – eines saudi-arabischen Twitter-Angestellten einzuschließen. Westliche Geheimdienste hatten den Angestellten verdächtigt, User-Accounts auszuspionieren und damit die saudi-arabischen Regierung zu unterstützen.

Twitter als demokratischer Hoffnungsträger wird zur Waffe der Regierung

Twitter ist in Saudi-Arabien seit dem Arabischen Frühling 2010 eine viel genutzte Plattform, die insbesondere bei der Verbreitung von Nachrichten eine tragende Rolle spielt. Die Hoffnung, die Plattform würde die politische Debatte in Saudi-Arabien demokratisieren, schlug allerdings in die Erkenntnis um, dass sie von der Regierung genutzt wird, um kritische Stimmen zu identifizieren und gegen diese vorzugehen, fasst der Bericht der New York Times zusammen.

Bereits 2015 war Twitter auf eine mögliche Strategie aufmerksam geworden, über die User-Accounts infiltriert werden sollten. Die New York Times berichtet, dass Twitter Mitteilung von westlichen Geheimdiensten erhielt, dass die saudi-arabischen Behörden den Twitter-Angestellten Ali Alzabarah damit beauftragt hatten, u. a. die Accounts von Dissidenten auszuspionieren.

Trotz mangelnder Beweislage wurde Alzabarah im Dezember 2015 entlassen. Twitter verschickte Sicherheitsmitteilungen an möglicherweise kompromittierte Accounts, darunter viele Accounts von Sicherheits- und DatenschutzforscherInnen, ÜberwachungsspezialistInnen, PolitikwissenschaftlerInnen und JournalistInnen. Viele von ihnen waren auch an dem Tor-Projekt beteiligt und unterstützten damit die anonyme Kommunikation beispielsweise von Regierungskritikern.

Bericht von McKinsey lenkte Aufmerksamkeit auf kritische Stimmen

Eine tragende Rolle in dieser Image-Kampagne des saudi-arabischen Königreichs soll laut dem Artikel der New York Times ein Bericht der Unternehmensberatung McKinsey & Company gespielt haben. Nachdem die Regierung 2015 Sparmaßnahmen angekündigt hatte, um den geringen Öl-Preisen entgegenzusteuern, habe McKinsey einen neunseitigen Bericht über die öffentliche Wahrnehmung dieses politischen Kurses zusammengestellt. Eine Kopie dieses Berichts liegt der New York Times vor. Trotz der Vielzahl an Tweets, die zu einer solchen Debatte beigesteuert werden, könne man die einflussreichsten Accounts häufig auf ein paar Hundert oder Tausend beziffern, gegen die dann z. B. mit einer Troll-Armee gezielt vorgegangen werden kann.

Das Ergebnis des McKinsey-Berichts: Auf Twitter wurden die Sparmaßnahmen doppelt so häufig erwähnt wie in den traditionellen saudi-arabischen Medien und Blogs. Die negative Berichterstattung hätte dabei positive Stimmen eindeutig übertönt. Der Bericht soll laut New York Times ferner drei Personen identifizieren, welche die Debatte auf Twitter maßgeblich gesteuert haben sollen:

Drei Menschen haben die Konversation auf Twitter gesteuert, fand das Unternehmen [McKinsey] heraus: Der Autor Khalid al-Alkami, der junge, in Kanada lebende Dissident Mr. Abdulaziz und ein anonymer Nutzer, der sich ‚Ahmad‘ nannte. Nachdem der Bericht herausgekommen war, wurde Mr. Alkami verhaftet, berichtet die Menschenrechtsorganisation ALQST. Mr. Abdulaziz gab an, saudi-arabische Regierungsbeamten hätten zwei seiner Brüder verhaftet und sein Handy gehackt, was von einem Wissenschaftler des Citizen Labs bestätigt wurde. Ahmad, der anonyme Nutzer-Account wurde gelöscht.

Ausweichende Stellungnahme von McKinsey

Omar Abdulaziz hatte laut New York Times seinerseits von Kanada aus eine Gruppe von Freiwilligen namens „Electronic Bees“ mobilisiert, um sich gegen die Troll-Armee der Regierung zu wehren. Abdulaziz habe im September von Jamal Khashoggi 5.000 Dollar erhalten. Elf Tage bevor Khashoggi ermordet wurde, twitterte dieser außerdem, dass die „Bees“ kommen würden. Den gesamten Bericht der New York Times gibt es hier.

Auf Twitter veröffentlichte McKinsey eine Stellungnahme zu dem Geschehen. Der Bericht sei für interne Zwecke gedacht gewesen. Die verwendeten Daten seien öffentlich zugänglich gewesen und der Bericht nicht für eine Regierungseinheit intendiert gewesen. Trotzdem würden derzeit Untersuchungen angestellt, ob und mit wem der Bericht geteilt worden ist:

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12 Ergänzungen

  1. Der „Journalist“ war wahrscheinlich weniger Regimekritiker, als Mitwisser und Erpresser. Nebenbei war er ein guter Freund von bin Baden. Sein Wissen um die Attentäter des 11. September hätte eine Welle der Empörung auslösen können. Über die USA, die genau wussten, dass die Talibanregierung in Afghanistan rein garnichts mit dem Terroranschlag zu tun hatte. Auch über die Saudi – Monarchie, aus der immerhin 15 der 19 Terroristen stammten. Statt zwei Länder kurz und klein zu bomben und eine ganze Region zu destabilisieren, schiene eine tiefergehende Untersuchung des Verbrechens sehr wünschenswert. Somit wäre die Frage, warum ihm erst so spät das Fell über die Ohren gezogen wurde. Alle Staaten unterhalten Trolle und Spione (bzw. schreiben gleich alles mit) bei „sozialen“ Medien, um missliebige Kritiker zu diskretisieren. Ob die sich nun „Demokratien“ (nicht wenige davon sind eher Kleptokratien) nennen, oder von Oligarchen oder Monarchen beherrscht werden, ist dabei völlig egal.

    „Wir“ sind bestimmt nicht die „Guten“, sondern die Stärkeren, aber nur mit den USA. „Wir“ verteidigen Deutschland am Hindukusch, gegen wen? Insofern sind die antitrumpistischen Töne der Medien irrational. Auch die antisonstwas Klänge sind blabla. Sanktionen nutzen niemandem. Auch das führte zu den desolaten Zuständen in weiten Teilen der EU. Die gesamte Zunft der Journallie hat einen großen Anteil daran.

  2. Gut, dass ihr das thematisiert. Aber es ist auch wichtig, das man die Gesamtsituation wahrnimmt. Laut UN gibt es im Jemen die derzeit grösste humanitäre Katastrophe der Welt. Und wer hat die Waffen für den Krieg an den Angreifer Saudi-Arabien geliefert? Deutschland. Eindeutig grundgesetzwidrig.

    Warum ist es möglich? Weil es Troll-Armeen wie ARD, ZDF und sonstige Qualitätspresse gibt, die diesen Krieg nicht nur verschleiern, sondern in den letzten Monaten sogar viel positive Werbung für Saudi-Arabien gemacht haben.

    1. Es ist einfach populistisch oder zumindest unreflektiert die deutschen öffentlich rechtlichen Medien mit ihren hunderten von Journalistinnen* als Trollarmee zu bezeichnen, als wären alle diese Menschen gleichgeschaltet KleinFreddy wo lebst du?
      In Russland, China, auf den Phillipinen, in der Türkei, oder doch bei Kim-bombt-rum in Nordkorea?
      Natürlich nutzen alle Medien ihre Macht als 4.Gewalt, das heißt doch aber nicht dass diese Nutzung bei allen gleich ist, beziehungsweise scheiße!
      Ich bin froh dass es ARD und ZDF gibt, es gibt tolle Formate (auch auf Kanälen der eigenen Senderfamilie wie 3sat oder arte) und auch immer wieder gute Dokumentation.
      Wer sich nur mittels „alternativer“ Medien informiert und eine Meinung bildet ist einfach blöd und dämmert in seiner Filterblase vor sich dahin, Punkt!

    2. Aber bitte, dann zeig das doch mal, wie angeblich die ARD, das ZDF und die sonstige Qualitätspresse diesen Krieg verschleiert haben und noch dazu positive Werbung für Saudi-Arabien gemacht haben. Nach meiner Wahrnehmung ist in den genannten Medien sehr viel über Jemen berichtet und auch bildlich gezeigt worden, vieles über die Katastrophe war nur schwer zu ertragen und auch sehr kritisch erzählt und berichtet worden. Ebenso sind die Verursacher dieser Katastrophe und deren Helfer regelmäßig in den genannten Medien konkret benannt worden.

      Was soll positive Werbung denn sein, dass in den Medien auch mal steht, dass dieses Land nicht nur Todesstrafe und Mittelalter-Monarchen hat, sondern dass es auch Menschen dort gibt, die das ändern wollen? Dass das Land politisch Einfluss nimmt und wie?

      Ich frag mich manchmal, ob Kommentatoren, die über eine angebliche Verschleierung der Katastrophe durch ARD, ZDF und Qualitätspresse schreiben, das eigentlich noch selbst gucken oder lesen oder nur noch wahrnehmen, was Dritte über die Berichterstattung behaupten.

      1. Liebe Constanze,
        wie informiert fühlst Du dich in Sachen Mali?
        Immerhin mischen „wir“ da auch schon geraume Zeit mit wohl 1000 Friedensmissionarinnen und diversem Fluggerät mit.
        Mein Gefühl meint, daß mitgeteilt wird, daß das Mandat verlängert wird und irgendwas mit dortigen Wahlen.
        Ich fürchte, so können wir das bei anderen „Friedensmissionen“ beliebig weiter durchdeklinieren.
        Aber es ist ja nicht alles schlecht. Bei Vermählungs- oder Vermehrungsdingen diverser Blaublüter fühle ich mich mehr als ausreichend informiert. ;-)

        1. Mein Wissensstand wegen des deutschen Einsatzes in Mail ist gering, allerdings immer noch größer als der beim Vermehrungsstand der Blaublütigen.

    3. Ich kann mich nicht daran erinnern gesehen oder gelesen zu haben, wie und wann „Troll-Armeen wie ARD, ZDF und sonstige Qualitätspresse […] in den letzten Monaten sogar viel positive Werbung für Saudi-Arabien gemacht haben“, im Gegenteil: Die deutschen Waffenlieferungen wurden dort schon vor dem Mord thematisiert, ebenso die humanitäre Katastrophe im Jemen! Aber wer (öffentlich-rechtliche) Medien schon als „Troll-Armeen“ bezeichnet, der zeigt schon von vornherein, welchen Standpunkt er hat. Kann es sein, dass Ihnen, weil Sie diese nicht nutzen, etwas entgangen ist?

  3. Dass „der Krieg im Jemen in den Hintergrund tritt“ hatte Claus Kleber damit begründet, dass der Krieg in Syrien soviel Platz verbraucht. Sturm in Florida ist wohl auch wichtiger.

    Propagandaschau, Rubikon und andere haben die schlechte Berichterstattung (und auch die PR für Saudi-Arabien) dokumentiert und kommentiert. z.B.

    https://www.rubikon.news/artikel/der-verschwiegene-krieg

    Du hast Recht. Selbstverständlich findet man Beiträge bei ARD/ZDF. Auch sehr gute. Informationen werden natürlich nicht unterdrückt. Artikel gibt es immer irgendwo.

    Entscheidend ist aber, wieviele Menschen informiert sind. Diesen Anteil und deren Empörungspotential kann man steuern. Darum geht es. Siehe „Warum schweigen die Lämmer“ von Prof. Mausfeld.

    > Kann es sein, dass Ihnen, weil Sie diese
    > nicht nutzen, etwas entgangen ist?

    nein, aber ich nutze auch „alternative“ Presse. Mainstream-Presse ist halt eine Filterblase, auch wenn viele diese Tatsache nicht ertragen.

  4. ARD/ZDF&Co. berichten zwar über Themen oder Ereignisse, die augenscheinlich nicht so verbreitet werden sollen.

    Für mich gefühlt – andere können gern ihre eigenen Wahrnehmungen ergänzen – kommen wesentliche Meldungen dieser Art dann eben um 11:00 oder max. 17:00-Nachrichten oder Mitternacht und nicht um 20 Uhr oder 21:45/22:15-Hauptnachrichten. Oder als Kür: Es wird gerade mal Online berichtet, mit wesentlich geringerer Reichweite.

    Das ist eine Form der Selekivität, mit der man Nachrichtenwertigkeit steuert.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.