Studie: Debatten in sozialen Medien immer seltener öffentlich

Wegen Algorithmusänderungen Facebooks und aggressiven Trollen werden viele Nachrichten nur mehr in privaten Chats und geheimen Messengergruppen diskutiert. Damit wird die Bildung der öffentliche Meinung im Netz immer schwerer nachvollziehbar, heißt es in einer neuen Studie des Reuters-Instituts in Oxford.

Der Schlagabtausch im Netz läuft zunehmend in privaten Foren ab – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Dylan Nolte

Den Zeitungen und den Fernsehnachrichten schwindet das Publikum dahin, politische und gesellschaftliche Debatten verlagern sich zunehmend ins Internet. Plattformen wie Facebook spielen dabei eine zentrale Rolle: In Deutschland nutzen etwa 30 Millionen Menschen das soziale Netzwerk. Doch zugleich sinkt in zahlreichen Ländern die Zahl der Menschen, die angeben, Nachrichten über Facebook zu verfolgen. Das geht aus dem aktuellen Digital News Report des Reuters-Instituts für Journalismusforschung in Oxford hervor. In Deutschland stagniert die Zahl bei rund einem Viertel der Befragten.

Als Gründe machen die Kommunikationswissenschaftler die jüngsten Algorithmenänderungen Facebooks verantwortlich, aber auch Angst vor Desinformation und toxischen Debatten im Netz. Die Studie zeigt darüber hinaus ein Abwandern von Auseinandersetzungen ins Private: Immer weniger Menschen sind bereit, in öffentlichen Debatten über aktuelle Geschehnisse zu diskutieren.

In Deutschland sorgen Debatten über Geflüchtete, den Islam oder die AfD im Netz häufig für aggressive Reaktionen, wie zuletzt eine Recherche von netzpolitik.org aufzeigte. Viele wollen wohl deshalb gar nicht erst in Online-Diskussionen verstrickt werden: Laut Zahlen der Studie geben 21 Prozent der Befragten in Deutschland an, Nachrichten in sozialen Medien und via E-Mail zu teilen. Aber nur 14 Prozent sagen, dass sie Nachrichten auf sozialen Medien oder Webseiten auch kommentieren.

Flucht in private Räume

Viele der Befragten finden Nachrichteninhalte in ihren Facebook- oder Twitter-Feeds, aber posten sie dann zur Diskussion in private Gruppen in den Facebook-Messenger oder auf WhatsApp, sagt Studien-Mitautor Nic Newman.

„Wir beobachten, dass viele ihren Fokus beim Teilen und Diskutieren von Nachrichten zu persönlichen, privaten Räumen hin verlagern. Das gibt ihnen mehr Kontrolle darüber, wo und mit wem sie sich austauschen, aber es macht potentiell auch die öffentliche Debatte und die Verbreitung von Nachrichten fragmentierter und schwerer nachvollziehbar.“

Für die repräsentative Studie befragten die Wissenschaftler des Reuters-Institut rund 74 000 Erwachsene in 37 Staaten. Pro Land gaben etwa 2 000 Menschen per Online-Formular Auskunft. Die Angaben wurden mit Aussagen aus Fokusgruppen in Deutschland, den USA, Großbritannien und Brasilien untermauert. Finanziert wird der Digital News Report von Google sowie dem britischen Sender BBC und zahlreichen weiteren Institutionen und Stiftungen, darunter das Hans-Bredow-Institut und die Universität Hamburg.

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

10 Ergänzungen

  1. Tja, da beissen sich dann die beiden Primaerziele deutscher Politik in diesem Bereich: Totalueberwachung zum einen und Garantie der Meinungshoheit der etablierten (Print)Medien zum anderen.

    Bleibt wohl nach dem LSR nur noch das Verbot aller nicht-oeffentlichen Plattformen, die werden ja bestimmt eh‘ nur von Terroristen verwendet…

  2. Überlegen wir mal welche Gründe es in der EU geben könnte seine Meinung nicht mehr öffentlich zu äußern:
    Flächendeckende Massenlöschungen aufgrund wage formulierter Gesetze,
    von Tag zu Tag allumfassendere Interpretationen von „hate speech“ und „Volksverhetzung“,
    tägliche Razzien, Hausdurchsuchungen und Festnahmen von Kritikern,
    Pfote hebende Möpse werden verurteilt,
    freie Journalisten werden auf offener Straße ohne Vorwarnung festgenommen, innerhalb weniger Stunden im Schnellverfahren und ohne Verteidiger verurteilt und für lange Zeit in Gefängnisse gesteckt, die für sie ein Todesurteil bedeuten können,
    EU-Bürgern wird das EU-interne Reisen aufgrund ihrer politischen Einstellung verwehrt,
    friedliche Aktivisten müssen mit Brand- und Säureanschlägen rechnen,
    gesetzestreue Aktivistengruppen werden ohne Beweise oder Indizien, nur unter Vorlage von vagen Beschuldigungen als kriminelle Vereinigung verfolgt,
    ….
    Die Liste is noch ne ganze Ecke länger und ich hab noch nicht mal mit Deutschland-spezifischem angefangen. Is vielleicht auch besser, wenn ich nicht über Deutschland rede, sonst wirft man mir nachher noch vor rechts von Stalin und damit ein Nazi zu sein…

  3. Aber, aber die Y-Ausleiter des BND greifen doch alles ab. :-)
    Generell ist es doch zu begrüßen, das die Leute vorsichtiger werden und nicht alles unreflektiert online stellen.
    Es hat doch niemand das verbriefte Recht, das er über die Meinung und die Ansichten eines Jeden Bescheid wissen darf und muss.
    Vermutlich kommt aber gleich einer ums Eck und teilt uns mit das man jetzt zweieinhalb Straftaten weniger aufklären kann und das drei Nazitrolle unerkannt bleiben.
    Wie haben die das nur vor dem Internet gemacht?
    Ermitteln und so.

  4. Wenn man eine DDR nachahmt, gehts halt zu wie in einer DDR.

    Find ich jetzt nicht wirklich verwunderlich.

      1. Geben gibts das in jeder anständigen Diktatur.

        Ich frag mich nur, was es daran zu forschen gibt. Aufpassen im Geschichtsunterricht würde ja schon reichen.

        1. Schon mal ein aktuelles Geschichtsbuch gelesen?
          Dann wirst du feststellen, das dort nicht mehr das drin steht, worauf man eine kritische Meinung aufbauen könnte!
          Alles weichgespühlt!

  5. Die Verlagerung von politischen und gesellschaftlichen Debatten zurück ins Private finde ich notwendig und richtig. Dass man sich erst einmal mit Menschen austauscht, die man kennt, ist normal und sollte auch in der digitalen Welt der Normalfall bleiben. Standpunkte öffentlich zu verhandeln, ist noch mal eine ganz andere Kompetenz. Das hat nicht jeder drauf und das sollte auch keine Grundvoraussetzung dafür sein, sich digital zu vernetzen und auszutauschen.

    Echo chambers und Selbstzensur sind natürlich auch Probleme, für die wir dringend Lösungen benötigen, aber wir sollten nicht dem Irrglauben aufsitzen, dass die Twitter-Öffentlichkeit als eine digitale Agora aus zig millionen anonymen Menschen, der neue Normalfall sei. Das funktioniert nicht.

    Ich will nicht, dass ovenkikeburn88 zu allem, was ich schreibe, seinen Senf dazugeben kann. So wie öffentliche Debatten im Netz derzeit funktionieren, ist es doch vorpogrammiert, dass sich Leute die Pest an den Hals wünschen und teilweise so weit gehen, einander Vergewaltigung und Totschlag anzudrohen.

    Also: ein Hoch auf private Räume im Netz. Bitte mehr davon!

  6. Der Autor schreibt:

    „Den Zeitungen und den Fernsehnachrichten schwindet das Publikum dahin, politische und gesellschaftliche Debatten verlagern sich zunehmend ins Internet. […]“

    Mit anderen Worten: Die klassischen Medien verlieren ihre Deutungshohheit!

    Und weiter schreibt der Autor:

    „Plattformen wie Facebook spielen dabei eine zentrale Rolle: In Deutschland nutzen etwa 30 Millionen Menschen das soziale Netzwerk. Doch zugleich sinkt in zahlreichen Ländern die Zahl der Menschen, die angeben, Nachrichten über Facebook zu verfolgen. […] In Deutschland stagniert die Zahl bei rund einem Viertel der Befragten.

    Als Gründe machen die Kommunikationswissenschaftler die jüngsten Algorithmenänderungen Facebooks verantwortlich, aber auch Angst vor Desinformation […]“

    Irgendwo habe ich vor kurzem gelesen, daß Jugendliche vermehrt auf andere Plattformen abwandern, weil deren Eltern sich mittlerweile auf FB tummeln würden, was der Nachwuchs natürlich ganicht so „cool“ findet!

    Im übrigen sorgen die verwendeten Algorithmen dafür, daß man sich schon bald in einer Art Meinungsblase bewegt — über den eigenen Tellerrand zu schauen wird so zumindest erschwert. Aufgrund dessen halte ich diese Algorithmen sowieso für das eigentliche Problem!

    Und weiter schreibt der Autor:

    „Die Studie zeigt darüber hinaus ein Abwandern von Auseinandersetzungen ins Private: Immer weniger Menschen sind bereit, in öffentlichen Debatten über aktuelle Geschehnisse zu diskutieren.“

    Das wundert mich nicht, findet doch gerade so eine Art „Aufräumaktion“ statt, die das Äußern der eigenen Meinung (ja wogar das Hochladen selbstgemachter Bilder oder gar Kunstphotographien) zu einem „Glücksspiel“ werden läßt.

    In diesem Zusammenhang wundert mich hingegen schon, daß ihr in diesem Artikel das NetzDG gänzlich unerwähnt laßt, obwohl das (nach mein Dafürhalten) thematisch ganz klar dazugehört. Im Gegensatz zum Autor dieses Artikels nimmt der „Digital News Report“ jedoch sehr wohl dazu Stellung [1]:

    „Germany is one of the first countries in the world to implement controversial laws to combat online misinformation while public broadcasters have been facing growing criticism over their response to a resurgent right-wing.

    The Network Enforcement Act, commonly known as NetzDG, took full effect at the beginning of 2018 and requires online platforms like Facebook, Twitter, and YouTube to remove illegal content — or face fines of up to €50m. But the law has been controversial in Germany with some saying it could lead to inadvertent censorship or curtail free speech. In an early test, a far-right member of parliament had her Twitter account suspended and Facebook content removed shortly after posting an anti-Muslim message.“

    Quelle:
    [1]: [http://www.digitalnewsreport.org/survey/2018/germany-2018/ ]

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.