Lorenz Hilty auf der Konferenz „Bits & Bäume“: „Wir verpassen unsere Chancen“

Die Umweltbewegung weiß, dass Technik einen positiven Beitrag zu Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit leisten kann. Die Netzbewegung kann von den Ökos einiges über Kampagnenfähigkeit lernen. Auf der Konferenz „Bits & Bäume“ kommen beide zusammen, um mögliche Allianzen zu schmieden.

Lorenz Hilty auf der "Bits & Bäume"-Konferenz
Lorenz Hilty ist Professor und Leiter einer Forschungsgruppe für Informatik und Nachhaltigkeit an der Uni Zürich. CC-BY 2.0 Santiago Engelhardt

In naher Zukunft bekommt die smarte Toilette nach zwei Jahren einfach keine Softwareupdates mehr. Auf dem Bildschirm erscheint ein Fenster, das die BewohnerInnen darüber informiert, dass das Haus jetzt renoviert werden muss. Passend dazu werden Anzeigen von HandwerkerInnen aus der Umgebung vorgeschlagen. Aber man hat immer noch die freie Wahl. Man kann auch „Abbrechen“ wählen und einfach ausziehen. So oder so ähnlich stellt sich Lorenz Hilty die drohende Entmündigung der digitalisierten Gesellschaft vor. In seiner Keynote auf der Konferenz „Bits & Bäume“ macht er deutlich: Digitalisierung hat das Potenzial Nachhaltigkeit und Selbstbestimmung zu befördern. Wenn wir sie richtig einsetzen.

Hilty ist Informatiker und leitet an der Uni Zürich eine Forschungsgruppe zu digitaler Nachhaltigkeit. Seine These: Die digitale Technologie hat das Potenzial, den vorherrschenden Energie- und Materialverbrauch drastisch zu senken. Auch schafft digitale Technologie die Voraussetzungen für mehr Selbstbestimmung. Wir müssten sie nur richtig einsetzen. Ein Beispiel: Obwohl sich die Energieeffizienz in der Informationstechnologie in den vergangenen siebzig Jahren beispiellos entwickelt hat, wird der Stromverbrauch nicht reduziert. Das ergibt vor allem aus ökonomischer Sicht Sinn, erklärt Hilty, denn die Geräte mit verbesserter Energieeffizienz werden immer kleiner, immer günstiger, sind überall verfügbar. Schlicht: Es werden immer mehr. So lange unter dieser Maxime gewirtschaftet wird, urteilt Hilty, werden alle Bemühungen hinsichtlich technischer Effizienz dem steigenden Stromverbrauch zum Opfer fallen.

Als weiteres Beispiel dafür, dass wir die Digitalisierung derzeit nicht für nachhaltige Zwecke einsetzen: die mangelnde Rückgewinnung von Ressourcen aus technischer Hardware. Von über 50 Metallen, die in Mikroprozessoren verarbeitet sind, werden maximal 17 zurück gewonnen, berichtet Hilty. Darüber hinaus lohne sich der Aufwand nicht. Mit dem unwiederbringlichen Verkauf von Rohstoffen nehmen wir der Zukunft eine Chance.

Entmündigung der VerbraucherInnen

Ein Lösungsansatz wäre, das Konsumverhalten zu reduzieren. Dagegen werde allerdings häufig argumentiert, dass man gezwungen sei, sich immer wieder neue Geräte zu kaufen. Damit greift Hilty einen anderen Aspekt der informationellen Selbstbestimmung auf, nämlich die Frage, wie sich von Software gesteuerte Sachgüter aktiv gegen die EigentümerInnen wenden. Die Manipulation von Dieselfahrzeugen hat nicht nur die Umwelt belastet , sondern auch deutlich gemacht, dass die Fahrzeughalter nicht die volle Kontrolle über die Autos haben. „Über die implementierte Software halten die Hersteller die Zügel in der Hand“, sagt Hilfy. Gleiches gilt für viele andere Sachgüter wie Drucker oder Kühlschränke und dieses Problem werde mit dem Internet of Things nur noch größer werden.

In seinem Fazit mahnt Lorenz Hilty, dass wir derzeit im Begriff sind, erneut die Chance der Verbindung von Nachhaltigkeit und Digitalisierung zu verpassen. „Das ist kein Zufall“, sagt er, „sondern es unterliegt spieltheoretischen Regeln“. Diese Regeln müssten wir reflektieren. Wir müssten aus der wirtschaftlichen Steigerungslogik, die der Digitalisierung zugrunde liegt, aussteigen, die Rechte von VerbraucherInnen stärken und kreativere Geschäftsmodelle schaffen.

Ressourcenverbrauch um 90 Prozent senken

Vor ihm hatten bereits Tilman Santarius von der Technischen Universität Berlin und Constanze Kurz vom Chaos Computer Club (CCC) gesprochen. Sie thematisieren in ihren Reden jeweils die Motivation von UmweltaktivistInnen und HackerInnen und zeigen auf, wie wichtig es ist, von der jeweils anderen Bewegung zu lernen. Santarius ist Professor für Sozial-Ökologische Transformation und nachhaltige Digitalisierung am Berliner Einstein Center und der Technischen Universität. Vor etwa 70 Jahren, am 10. Dezember 1948, wurde die allgemeine Erklärung der Menschenrechte verkündet. Achtzehn Jahre später wurden die darin festgehaltenen Rechte sowohl in dem Pakt über politische und bürgerliche Rechte
(UN-Zivilpakt) als auch in dem Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
(UN-Sozialpakt) konkretisiert. Die Arbeit vieler Akteure aus der Netz-Szene zielt maßgeblich auf die Bürger- und Freiheitsrechte ab, erläutert Santarius. Diese verteidigen nämlich unter anderem die Informationsfreiheit und den Schutz vor willkürlichen Eingriffen in die Privatsphäre. Rechte, die in vielen Staaten mit Füßen getreten werden.

Tilman Santarius auf der "Bits & Bäume"-Konferenz
Tilman Santarius auf der „Bits & Bäume“-Konferenz. - CC-BY 2.0 Santiago Engelhardt

Die Umweltbewegung auf der anderen Seite setzt sich vor allem für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte ein. „Für die Verwirklichung dieser Rechte ist wichtig, dass die Umweltzerstörung aufgehalten wird“, sagt Tilman Santarius. Damit sich das Verhältnis von Mensch und Natur grundständig verändert, muss der Energie- und Ressourcenverbrauch pro Kopf drastisch gesenkt werden: etwa um 90 Prozent.

Die Konferenz soll Möglichkeiten aufzeigen, die Digitalisierung für nachhaltige Ziele zu nutzen, sagt Santarius und fordert BesucherInnen auf, sich zu vernetzen, miteinander ins Gespräch zu kommen und zu streiten. Vor allem aber sollen sie gemeinsam an einer digitalen Zukunft arbeiten, in der die Menschenrechte ernst genommen und die Grenzen des Planeten geschützt werden. Die Politik müsse mit expliziten Forderungen konfrontiert werden und Unternehmen müssten darauf hingewiesen werden, welche Selbstverpflichtung hinsichtlich Nachhaltigkeit von ihnen erwartet wird.

Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Clubs (CCC) - CC-BY 2.0 Santiago Engelhardt

Die Netz-Bewegung kann viel lernen

Constanze Kurz, Sprecherin des CCC, hat vor mehreren Jahren im Wendland erlebt, wie die Umweltbewegung von der gesamten dort ansässigen Bevölkerung getragen wurde. Das habe in ihr die Hoffnung geweckt, dass sich eine vergleichbare Bewegung für digitale Bürgerrechte formieren würde, erzählt sie. Heute erlebt sie allerdings viel eher eine große Ohnmacht und eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber digitalen Kernproblemen. Dabei könnten Netz-Communitys von UmweltaktivistInnen hinsichtlich der Kampagnenfähigkeit viel lernen, sagt Kurz. Es geht darum Strategien zu entwickeln, wie man die eigenen Ziele erreichen kann, meint Kurz.

Insbesondere das Fernmeldegeheimnis, die informationelle Selbstbestimmung und das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme sieht Kurz in den letzten Jahren massiv eingeschränkt. Ihr Aufruf: Für diese Rechte müssen wir uns einsetzen. Wenn wir von der Umweltbewegung eins gelernt hätten, dann dass wir nichts geschenkt bekommen. Es reiche nicht zu hoffen, dass der Europäische Gerichtshof oder der Bundesgerichtshof schon die richtigen Entscheidungen fällen werde. Die Zivilbevölkerung müsse ihre Forderungen nach digitalen Bürgerrechten selbstständig in den öffentlichen Diskurs einbringen, sagt Kurz. „Wir sollten uns eins bewahren. Das gilt für die Öko-Bewegung wie für die Netz-Bewegung: einen skeptischen, unabhängigen Geist.“

Videoaufzeichnung der Eröffnungsversanstaltung:

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Die großen Vorträge und Panels der Konferenz wurden aufgezeichnet und sind hier frei verfügbar.

netzpolitik.org ist Medienpartner der „Bits & Bäume“-Konferenz.

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2 Ergänzungen

  1. Menschenrechte schön und gut. Aber war das wirklich das Thema der Konferenz. Vor allem, wenn es gefühlt 90 % nur darum ging? Wir wollen den Planeten retten und dadurch den Menschen. Aber vielleicht seh ich das ja auch nur als Einziger so.
    In meinem Blogeintrag hab ich das folgendermaßen beschrieben:
    „Ob allerdings das Nomen Bäume im Konferenztitel richtig gewählt war, darf auch noch hinterfragt werden. Bits & zivilgesellschaftliches Engagement wäre wohl der passendere Titel gewesen. Zu sehr ging es in der Konferenz für meinen Geschmack um soziale Themen. Die sind wichtig, aber ich sehe es nicht unbedingt in der Verantwortung der Ökoszene, sich auch noch primär um das Wohl der einzelnen Menschen zu kümmern. Dafür gibt es tausende andere Initiativen, die zumal auch mächtiger sind als wir Ökos. Nur zur Erinnerung: Lediglich 2,2% aller Spendengelder fließen in den Umweltschutz, 79,6 % landen bei humanitären Organisationen.“

    Allen in allem, war es eine sehr tolle Konferenz!

  2. Die Ökos und die Digis machen jetzt gemeinsame Sache? Na zumindest die Esos sehen im Wald dann doch lieber die Feen und Elfen und Einhörner ;-P

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