Laut Angela Merkel wird das NetzDG gerade evaluiert. Aber das Justiziminsterium weiß von nichts.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat heute erklärt, dass gerade eine Evaluierung des Netzdurchsetzungsgesetz stattfinde. Das zuständige Justizministerium weiß von nichts. Dabei wäre eine Evaluierung dringend notwendig, ist aber erst für die Zukunft geplant.

Kritiker beklagen eine Löschorgie legaler Inhalte durch das NetzDG. (Symbolbild) CC-BY-NC 2.0 Eric Constantineau

Unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel hat heute T-Online ein längeres Interview zu netzpolitischen Fragestellungen gegeben. Wie von Merkel gewohnt, antwortet sie zwar ausführlich auf viele Fragen, inhaltlich kommt dabei aber nichts heraus, was sie nicht auch schon in ihren zahlreichen Video-Podcasts erklärt hat. Es gibt die üblichen Durchhalteparolen und Versprechungen, die wir aus ihren 13 Jahren Kanzlerschaft bereits kennen: Irgendwann gibt es Breitband und eGovernment für alle! Auch sie leidet unter Funklöchern und wenn sie online ist, liest sie gerne digitale Zeitungen. Datenschutzrecht biete Schutz, trotzdem arbeitet ihre Bundesregierung ständig daran, Datenschutzrechte abzubauen. Und die Bundesregierung fördert etwas zaghaft die Erforschung und Entwicklung Künstlicher Intelligenz.

„Deshalb evaluieren wir das Netzwerkdurchsetzungsgesetz gerade“.

Ein Punkt fiel mir aber auf. Am Ende des Interviews wird sie explizit zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz gefragt und ob sie damit zufrieden sei. Es sei ein erster Schritt. Danach äußert sie sich weiter und sagt vernünftige Sachen, ohne sich genau festzulegen. Bis auf den letzten Satz:

Auch hier müssen wir genau überlegen. Wir dürfen zum einen nicht denen recht geben, die im Internet einen Raum sehen, in dem die Regeln aus der analogen Welt nicht mehr gelten. Eine Plattform ist nicht nur ein Raum, wo Menschen miteinander kommunizieren können. Es treten ethische Fragen hinzu. Die Betreiber der Plattformen haben große Verantwortung. Die müssen sie auch übernehmen. Zum anderen darf es aber auch nicht dazu führen, dass die Meinungsfreiheit eingeschränkt wird. Darüber müssen wir weiter nachdenken und abwägen. Deshalb evaluieren wir das Netzwerkdurchsetzungsgesetz gerade.

Das Justizministerium weiß von keiner Evaluation

Die klare Information, dass das Netzwerkdurchsetzungsgesetz gerade evaluiert wird, überraschte uns. Bei der Verabschiedung des Gesetzes wurde explizit eine Evaluation nach „spätestens drei Jahren“ beschlossen. Eine Forderung nach Evaluation kam bereits kurz nach Inkrafttreten auf, das NetzDG ist seit elf Monaten in Kraft. Eine Evaluation bedarf aber formaler Prozesse, da in der Regel externe Gutachter damit beauftragt werden oder ein ähnlicher Prozess stattfindet. Sonst bräuchte man keine explizite Evaluierungsklausel, denn alle Gesetze werden nach Inkrafttreten beobachtet.

Wir wollten herausfinden, wann diese Evaluation begonnen hat und wer dafür zuständig ist. Eine Presseanfrage beim Bundesjustiz- und Verbraucherschutzministerium brachte die Antwort, dass man von keinem offiziellen Evaluierungsprozess wüsste: „Wie üblich beobachtet das BMJV kontinuierlich die Wirkung eigener Gesetzesinitiativen des Hauses. Dabei sammeln wir die Erfahrungen des Bundesamtes für Justiz in der Praxis und weitere Erfahrungen, die uns in Gesprächen, auf Veranstaltungen oder über die Medien zur Kenntnis gelangen. Ein konkreter Evaluierungsbericht zum NetzDG wird zu späterem Zeitpunkt erarbeitet.“

Mit anderen Worten: Es gibt „gerade“ keinen offiziellen Evaluierungsprozess, von dem Angela Merkel gesprochen hat. Das Bundespresseamt als Vertreter der Bundeskanzlerin hat leider noch nicht auf unsere Anfrage reagiert.

Eine Evaluierung ist dringend notwendig. Denn es bleiben viele Fragen, von denen diese nur die Dringendsten sind:

  • Erfüllt das Netzdurchsetzungsgesetz seinen Zweck?
  • Wie beurteilt die Bundesregierungen die Gefahr des Overblocking durch das NetzDG?
  • Wie schätzt sie die intransparente Praxis von Firmen wie Facebook ein, vor allem nach eigenen Gemeinschaftsregeln zu löschen? Und führt diese Praxis zu mehr oder weniger Overblocking als durch das NetzDG?
  • Warum gibt es keine Put-Back-Regelungen, die Nutzerrechte gegenüber Plattformen stärken und Widerspruchsrechte garantieren?

Wir sind gespannt, wann endlich die Evaluation des Netzwerkdurchsetzungsgesetz startet.

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Eine Ergänzung

  1. Möglicherweise hat die Bundeskanzlerin den Begriff „Evaluierung“ untechnisch gebraucht und dabei den Bericht gemeint, um den das BMJV bei der letzten Justizministerkonferenz im Juni gebeten worden ist: „Die Justizministerinnen und Justizminister bitten die Bundes- ministerin der Justiz und für Verbraucherschutz, über die vor- handenen Erkenntnisse zu den Auswirkungen des Netzwerk- durchsetzungsgesetzes in der Praxis sowie über eventuell aufgetretene Probleme bei der Gesetzesanwendung zur Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister im Frühjahr 2019 zu berichten.“

    http://www.jm.nrw.de/JM/jumiko/beschluesse/2018/Fruehjahrskonferenz_2018/I-10-HH—Bestandsaufnahme-und-Anpassungen-beim-Netzwerkdurchsetzungsgesetz.pdf

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