Kritik von allen Seiten für Googles chinesische „Zensurmaschine“

Außergewöhnlich scharf verurteilen AktivistInnen und MitarbeiterInnen Googles Pläne für eine zensierte Suchmaschine für China. Der Konzern würde sich damit zum Handlanger des chinesischen Überwachungsregimes machen, kritisieren mehrere US-Politiker.

Eine Verkäuferin im chinesischen Qingdao schaut auf ihr Smartphone CC-BY 2.0 Gauthier Delecroix

MenschenrechtlerInnen, MitarbeiterInnen und US-Politiker kritisieren die Pläne von Google für eine zensierte Suchmaschine für den chinesischen Markt. „Ein dunkler Tag für die Freiheit“, kritisiert Amnesty International. „Es besteht die Gefahr, dass sich Google an Menschenrechtsverletzungen mitschuldig macht“, warnen sechs US-Senatoren. Der Konzern sitzt die Veröffentlichung bislang aus und äußert sich nicht konkret zu seinen Plänen. Chinesische Staatsmedien bestritten eine Zusammenarbeit.

Anfang des Monats berichtete das US-amerikanische Magazin The Intercept über die geheimen Konzernpläne mit dem Codenamen „Dragonfly“, in die nur einige hundert Mitarbeiter eingeweiht waren. Demnach entwickelt Google zusammen mit einem unbekannten Partner eine Suchmaschinen-App, die der chinesischen Regierung nicht genehme Internetseiten und Suchbegriffe zensiert. Dazu zählen etwa die Wikipedia und die New York Times, aber auch Informationen über das Tiananmen-Massaker und jegliche Regierungskritik. Die App, von einem kritischen Google-Mitarbeiter gegenüber Bloomberg als „Zensurmaschine“ bezeichnet, soll in sechs bis neun Monaten fertig sein. (Mehr über Internetzensur in China.)

Zensur herausfordern statt anwenden

MenschenrechtsaktivistInnen reagierten mit einhelliger Kritik auf die Enthüllungen. „Es wird ein dunkler Tag für die Freiheit des Internets, wenn Google den extremen Zensurregeln Chinas zustimmt, um Zugang zum Markt zu erhalten“, meint Patrick Poon, China-Experte bei Amnesty International. Die NGO fordert Google auf, sich auf den Leitspruch der Google-Mutter Alphabet („Do the right thing – Mach das Richtige“) zu besinnen und das Suchmaschinen-Projekt aufzugeben.

„Technologie-Firmen sollten die chinesische Zensur herausfordern – nicht sich daran beteiligen“, kritisiert auch Cynthia Wong, Internet-Expertin von Human Rights Watch. Die Menschenrechtsorganisation erinnert an den Rückzug von Google vom chinesischen Markt. Google betrieb bereits von 2006 bis 2010 eine zensierte Suchmaschine in China, stellte sie jedoch nach harscher Kritik an seiner Zusammenarbeit mit der chinesischen Regierung 2010 ab.

Normalisierung der chinesische Zensur

„Google zog sich 2010 aus China zurück, weil die Lage der Menschenrechte und der Cybersicherheit zu brisant war“, sagt Wong. Seitdem habe sich die Repression gegenüber AktivistInnen noch einmal verstärkt und die Regierung habe neue Überwachungsgesetze erlassen, erklärt die Menschenrechtlerin. Google habe bisher nicht erklärt, was sich seit seinem Rückzug 2010 in China verbessert habe. Auf diese Frage verlangen auch sechs US-Senatoren in einem offenen Brief Antwort, den Demokraten und Republikaner unterschrieben haben. Sie bezeichnen darin Googles Chinapläne als „sehr verstörend“ und wollen ebenso wissen, wie die App über die Blockade von Webseiten und Suchbegriffen entscheidet.

Unter der Leitung von Sundar Pichai, seit 2015 Google-CEO, kehrt der Konzern langsam in den chinesischen Markt zurück. 2017 veröffentlichte Google eine Version seiner Übersetzungsapp in China, gefolgt in diesem Jahr von einer Dateimanager-App und der Ankündigung, ein Forschungszentrum zu Künstlicher Intelligenz in Peking zu eröffnen. Durch eine Beteiligung an den chinesischen Zensurbemühungen würde Google diese normalisieren und legitimieren, warnt deshalb Reporter ohne Grenzen.

Anfang des Jahres geriet auch Apple in Kritik, nachdem der Konzern ankündigte, künftig die iCloud-Daten sowie die Schlüssel chinesischer Nutzer in China zu speichern. Das erleichtert es chinesischen Behörden, auf dort abgelegte Daten zuzugreifen.

Scharfe Kritik aus dem Konzern

Die Liste an KritikerInnen ließe sich problemlos um Dutzende weitere Organisationen und Einzelpersonen erweitern, darunter Access Now oder Lokman Tsui, ehemaliger Google-Beauftragter für Meinungsfreiheit für Asien und Pazifik. Bemerkenswert ist jedoch die Welle an Kritik aus dem Hause Google selbst, die in die Medien schwappt. Die Menschen würden darauf vertrauen, dass Google wahrhaftige Informationen weitergibt und die chinesische Suchmaschine wäre ein Verrat daran, sagte ein Google-Mitarbeiter Bloomberg.

Andere Mitarbeiter kritisieren die Pläne in den internen Google-Foren, unter anderem in Form von Memes. Ein Meme zeige einen chinesischen Internetnutzer auf der Suche nach Informationen über das Massaker auf dem Tiananmen-Platz, berichtet The Intercept. Stattdessen bekomme er ein Ergebnis, das besagt, dass die Gräueltat ein Mythos war.

Die Vorkommnisse erinnern an frühere Vorhaben von Tech-Konzernen, die nach ethischen Bedenken eingestellt wurden. So plante Facebook eine zensierte Version seines sozialen Netzwerks für China und verzichtete nach öffentlicher und interner Kritik auf eine Veröffentlichung. Vor wenigen Monaten geriet eine Kooperation von Google mit dem US-Militär bei der Entwicklung von Drohnentechnologie ans Licht der Öffentlichkeit. Nachdem hunderte Google-Mitarbeiter das Projekt als unvereinbar mit den Google-Werten kritisierten, nahm der Konzern von den Plänen Abstand.

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11 Ergänzungen

  1. Apple, das auf Druck der chinesischen Regierung die ICloud-Konten chinesischer Nutzer auf Server eines chinesischen Dienstleisters verschoben hat, hätte in im Zusammenhang dieses Beitrags vielleicht erwähnt werden sollen.

      1. Und interessant wäre es, wenn jemand herausfände, ob die Dragonfly Zensurengine auf der bestehenden Infrastruktur ausgerollt werden wird, oder ob es ein eigenes abgekoppeltes „Google in zensiert“ System werden wird.

        Wenn die das auf der bestehenden Infrastruktur (klassische Server und/oder Tensor Engines) ausrollen, dann steht diese Zensurmassnahme im prinzip weltweit zur Verfügung.

        Es dürfte Politiker im Westen geben, die den Einsatz dann auch bei uns fordern. (Terrorpropaganda, Urheberrechstsschutz, Jugendschutz etc.). Das wäre dann Themen-Deplatforming auf Suchmaschinenebene, statt nur in Social Media.

  2. Ich verstehe die Aufregung nicht. Unsere liebe schöne EU will ja auch unbedingt Online Content Filtern und das ist im Endeffekt nichts anderes mehr als das was China macht. Nur das sich der Inhalt der Filterlisten vermutlich unterscheidet.

    Und da es scheinbar alle heutzutage machen, egal ob „gut“ oder „böse“. Egal ob „demokratisch“ oder „diktatorisch“, müssen sich die Techkonzerne halt darauf einstellen. Bzw. gibt es keinen Grund es nicht zu tun, da Zensur offenbar nicht mehr länger ein Indikator für etwas schlechtes ist (sonst würde unsere liebe, gute, heilige, demokratische EU dies nicht auch tun wollen).

    Zensur ist Trend. Und bevor man den Nachbarns Garten kritisiert, sollte man lieber den Müll von der eigenen Auffahrt aufräumen.

    1. Dafür haben wir hier das „Recht auf Vergessen“ und verpixelte Häuserfassaden. Würde mich nicht überraschen, wenn die technischen Anknüpfpunkte für die neuen Filter durch solche Vorgaben bei uns erst eingebaut wurden.

    2. Mit der Logik könnte man auch sagen: Lass die Chinesen mal weiter ihre Todesstrafe vollstrecken. Wir sperren ja schließlich Verbrecher auch ein.

      Nur weil etwas anderes auch nicht optimal ist, muss man doch nicht jeden weiteren Auswuchs auch tolerieren.

  3. Seit 2010 (als sich Google aus dem chinesischen Markt verabschiedet hat) hat Google Android zunehmend abhängiger von proprietären Diensten gemacht, die geeignet sind, dauerhaft viele persönliche Userdaten zu erfassen (PlayStore, LocationProvider, PushService). Diese Dienste sind allesamt in China geblockt . Chinesische Androiden müssen deshalb von ihren Herstellern mit Alternativen zu diesen Diensten versorgt werden. Google entsteht dadurch sehr viel mehr Konkurrenz als man an Hand der geblockten Suchmaschine vermuten würde.
    Ich denke, dass man diese Dinge mit betrachten muss, wenn man über Googles Beweggründe einer Rückkehr nach China spekulieren will.

    Dass Android heute prinzipiell noch die Möglichkeit bietet, datenschutzrelevante Dienste zu entfernen oder durch Alternativen zu ersetzen, dürfte nicht zuletzt eine Folge der Blockade von Google in China sein. Apple bietet in iOS diese Möglichkeiten nicht, so dass Iphones in China unbrauchbar würden, wenn Apples Dienste geblockt würden.

  4. Fast alle Hardware und nahezu jedes Plastik-Spielzeug ist „Made in China“ – fällt jemandem was auf? Beispielsweise sowas wie „selten gefährlich und dumme Doppelmoral“?

  5. Ach, Google ist doch nur neidisch auf den Erfolg, den die Suchmaschine Baidu in China hat. ;-)
    Das sage ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge.

    Die Zensur und die Abschottung Chinas kritisiere ich ja auch. Aber man sollte nicht den falschen Eindruck erwecken, dass es in China kaum Internet gäbe. Ja, die blockieren viele ausländische Dienste, bieten aber in allen möglichen Bereichen auch eigene Alternativen für den lokalen Markt. Die Chinesen sind recht gut im Nachmachen. ;-)

    Ich sehe da zwei Extreme: Abschottung und Zensur auf der einen Seite, und Weltherrschaftsphantasien auf der anderen Seite. Aber Überwachung überall.

  6. Ich verstehe die Aufregung nicht. Die Suchmaschine ist doch ohnehin schon zensiert. Nennt sich »Personalisierung«. Jeder Benutzer kriegt dank Cookies und seiner Suchhistorie subtil andere Suchergebnisse präsentiert. Stichwort: Filterblase.

    Jetzt »personalisiert« Google halt die Suche eben auch für China. Das ist einfach nur die Logik der Personalisierung auf einen ganzen Staat angewandt. :-)

    Man kann Google nicht einerseits für die China-Zensur tadeln, wenn man andererseits die Personalisierung ignoriert. Die Suchmaschine Google ist leider alles andere als neutral, das müssen alle Benutzer unbedingt begreifen. Wo blieben die Kritiker, als es darum ging, unliebsame File-Sharing-Seiten aus dem Index zu nehmen? Wo blieben die Kritiker, als Google Sachen aus dem Index nahm, weil die sogenannte Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien das befohl? Wir erinnern uns, das ist die Behörde, die bestimmte Videospiele zensiert oder deren Verkauf verbietet. Also für alle, nicht nur für Jugendliche. Wo blieben die Kritiker, als bekannt wurde, das Deutschland auffällig viele Löschanfragen an Google stellte?
    Ich glaube, viele Kritiker sind hier (leider) auf dem westlichen Auge blind.

    Die Lösung ist NICHT, nur auf Google zu gucken und versuchen, zu regulireren. Andere Suchmaschinen sollten einfach mehr Beachtung, zumindest eine Chance kriegen. Benutzt mehr und andere Suchmaschinen, um aus der Filterblase (so weit es geht) auszubrechen. Wir sind auch etwas selbst schuld, dass wir Google durch das bloße benutzen halt auch erst haben so mächtig werden lassen. Das kann sich aber ändern.

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