Gerhart Baum zum Datenskandal: „Was jetzt heftig diskutiert wird, hat im Bundestagswahlkampf keine Rolle gespielt“

Gerhart Baum war von 1978 bis 1980 Bundesinnenminister. CC-BY-SA 2.0 Stephan Röhl

Wie achtlos viele Unternehmen mit persönlichen Daten umgehen, ist in den vergangenen Wochen ausführlich diskutiert worden. Das sei allerdings nur die Spitze des Eisberges, von dessen Ausmaßen wir spätestens seit den Enthüllungen von Edward Snowden eine Ahnung haben, schreibt der FDP-Politiker Gerhart Baum in einem Gastbeitrag bei der Süddeutschen Zeitung. Dort spricht der ehemalige Bundesinnenminister auch über die Reaktionen der Politik auf den Datenskandal:

Was jetzt heftig diskutiert wird, hat im Bundestagswahlkampf in keiner Talkshow, in keiner Befragung, auf keinem Parteitag eine Rolle gespielt. Der für Datenschutz zuständige Bundesinnenminister schweigt sich bis heute aus. Frau [Justizministerin Katarina] Barley hat sich nach Kräften bemüht, die Reaktion von Facebook aber ist völlig unzureichend. Es werden Versprechen wiederholt, die schon vor Jahren gegeben und nicht eingehalten wurden.

Mit einer klaren Positionierung zu mehr Datenschutz in den laufenden Verhandlungen der ePrivacy-Reform, wie es auch ein Bündnis aus europäischen Nichtregierungsorganisationen fordert, könnte die Politik jetzt zeigen, dass sie sich den Problemen annimmt:

Das Europäische Parlament hat im Oktober einen akzeptablen Entwurf der sogenannten E-Privacy-Verordnung verabschiedet. Sie ist unbedingt erforderlich, um die in Kraft tretende europäische Datenschutzgrundverordnung zu ergänzen. Sie erfasst das, was Facebook macht, die Auswertung von Daten, die wir durch Surfen im Internet hinterlassen. Wer wirklich etwas gegen Facebook und ähnliche Unternehmen ausrichten will, der muss diesem Entwurf zustimmen. Daran wird die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung zu messen sein.

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8 Ergänzungen

  1. „Mit einer klaren Positionierung zu mehr Datenschatz“ – man kann es wirklich nicht schöner ausdrücken …

  2. Das hat schon im Bundestagswahlkampf eine Rolle gespielt. Es hat nur kaum jemand richtig verstanden. Aber das ist genau das, was dabei rauskommt, wenn Angela Merkel sagt: „Daten sind das Öl des 21. Jahrhunderts“.

    Lasst uns die Ölpest bekämpfen.

    1. Die FDP hat klar plakatiert: „Digital first, bedenken second.“ Die haben das schon thematisiert im Wahlkampf, und sie sind gewaehlt worden. Sie haben halt den „Datenskandal“ als legitimes Geschaeftsmodell als Ziel.

      So sehr ich Gerhart Baum respektiere, aber hier muss er sich mal wieder fragen lassen, warum er noch in dieser FDP ist.

      1. Jawohl, daran musste ich auch sofort denken. „Digital first – Bedenken second“ war der Slogan der FDP.
        Die alten Heuchler!

  3. Besonders witzig finde ich auf der Seite der SZ den Link zum Artikel „So füttert man Facebook mit möglichst wenig Daten“ Der einzige Weg, FB nicht mit Daten zu füttern ist, es nicht zu nutzen und die URI im Router zu blocken. Nur so kann man die ganzen FB-Buttons und Skripte auf den unzähligen Webseiten konsequent blockieren.

  4. Ich beneide Gerhart Baum um seine Sicht auf die deutsche Justiz: „… es sollte nicht zur Regel werden, dass unsere Verfassungsgerichte die Grundrechte verteidigen müssen…“ –
    wer hat denn Edward Snowden eben NICHT zu Zeugenschutz in Berlin verholfen und wer hat denn die Third-Party-Rule (Geheimdienst-Mafia-Regel) über die Geheimdienstkontrolle des Grundgesetz-Artikels 10 gestellt in seinem Selektoren-Urteil? Wer hat denn 6 Jahre – ohne Eilschutzverfahren (Anhalten der angeklagten Gesetzwirkung bis zum Urteil) – für das BKA-Gesetz-Urteil benötigt und die Prüfung zur Vorratsdatenspeicherung erst irgendwann für dieses Jahr angesetzt, auch wieder ohne Eilrechtsschutzverfahren?

    Im Bundestag haben wir jetzt die benötigten 25% Mitglieder (im PKGR-Team: André Hahn + Konstantin von Notz + Stephan Thomae), die nach Inkrafttreten eines Gesetzes die abstrakte Normenkontrolle in Karlsruhe beantragen können: Gesetze, für die dies nötig ist, haben wir noch genug, nicht nur beim von Gerhart Baum genannten: „die illegalen Praktiken des BND legalisiert“ und der „uferlosen Online-Durchsuchung unserer Computer“.
    Karlsruhe hätte Stoff in Hülle und Fülle, um unsere Grundrechte zu verteidigen. Aber dass Edward Snowden nicht nach Berlin kann, das liegt eben an Karlsruhe – und ich werde genau das nie vergessen!
    Bundesverwaltungsgericht Leipzig, EUGH und EU-Menschenrechtsgerichtshof sind Hoffnung.
    Karlsruhe ist für mich …. – sollte ich hier nicht schreiben, ist zu bitter.

    1. Das habe ich nicht ganz verstanden. Kannst Du bitte noch mal kurz erklären, warum das Bundesverfassungsgericht Schuld ist, dass Edward Snowden nicht nach Berlin kommen konnte?

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.