Funkzellenabfrage 2017: So oft hat die Berliner Polizei in deinem Kiez Handys erfasst

Hotspot Britz: Unsere Karte zeigt, wo in Berlin die meisten Funkzellenabfragen stattfinden. – Public Domain Simon/netzpolitik.org

Ohne davon zu wissen, geraten jedes Jahr Millionen Unschuldige in das Fahndungsraster der Polizei. Grund dafür ist die Funkzellenabfrage: Um Tatverdächtige zu ermitteln, analysiert die Polizei Millionen Handyverbindungen. In Berlin haben Ermittler laut Jahresbericht die Ermittlungsmethode 474 mal eingesetzt. Im Jahr zuvor gab es 491 Funkzellenabfragen. Erstmals gibt es detaillierte Angaben über die örtliche Verteilung der Funkzellenabfragen. Wir haben daraus eine interaktive Karte erstellt.

Bei jeder Funkzellenabfrage erhält die Polizei vom Netzbetreiber umfangreiche Datensätze. Diese geben Auskunft über alle Verbindungen, die ein Handy mit dem abgefragten Funkmast aufbaut, etwa wer wann wen anruft, eine SMS schreibt oder mobiles Internet nutzt. Informationen über Kommunikationsinhalte bekommt die Polizei dadurch nicht. Im Jahr 2017 erhielt die Berliner Polizei so Zugriff auf rund 59 Millionen Verkehrsdatensätze. Im Vorjahr waren es noch fast doppelt so viele. In 2.222 Fällen ermittelten die Beamten anschließend die Inhaber der Handynummer. Wir haben die Zahlen aus dem 725-seitigen Jahresbericht extrahiert und in einer Karte aufbereitet.

Wo es 2017 Funkzellenabfragen gab

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In der interaktiven Karte sind die Berliner Postleitzahlbezirke nach Häufigkeit der Ermittlungsverfahren mit Funkzellenabfragen eingefärbt. Durch einen Klick auf einen Bereich erscheinen die Postleitzahl und die Anzahl an Verfahren. In den hellen Gegenden kam die Handyrasterfahndung in einigen wenigen Verfahren zum Einsatz; in den dunkel markierten Gebieten deutlich häufiger. Hellblau sind die Gegenden, in denen die Funkzellenabfrage letztes Jahr in keinem Verfahren genutzt worden ist. Die Angaben gelten nur für die Berliner Polizei; Funkzellenabfragen von Bundesbehörden oder Geheimdiensten sind nicht enthalten.

Die meisten Abfragen gab es im letzten Jahr im Postleitzahlbereich 12347 im Neuköllner Ortsteil Britz. Dort setzten die Strafverfolger in 13 verschiedenen Ermittlungsverfahren auf eine Funkzellenabfrage. Mit großem Abstand folgen die benachbarten Postleitzahlbezirke 12359 (Britz) und 12099 (Tempelhof) mit sieben Verfahren. Weitere Hotspots lagen in 13158 (Wilhelmsruh, Rosenthal) und 10719 (Wilmersdorf).

Je nach Zeitpunkt und Ort einer Funkzellenabfrage können leicht einige zehntausende Unschuldige ins Raster geraten. Das zeigt das Beispiel der umfangreichsten Funkzellenabfrage aus dem letzten Jahr, die zwischen dem 16. und 19. Juni in der Berliner Innenstadt durchgeführt wurde. In 60 Stunden gerieten dort rund 315.000 Handynummern ins Raster der Polizei. Mit den Daten wollte die Polizei einen Fall von Bandendiebstahl aufklären.

Abfragen leicht gesunken

Die jährliche Statistik der Senatsverwaltung für Justiz gibt Auskunft über Straftatbestände, Zeitraum und betroffene Anschlüssen jeder Funkzellenabfrage aus dem Jahr 2017. Nach jahrelanger Kritik an der undurchsichtigen Überwachungsmaßnahme hatte das Abgeordnetenhaus 2014 die Einführung einer Statistik beschlossen. Dennoch gibt es weiterhin keine regelmäßigen Informationen über Ermittlungserfolge und Verurteilungen, die durch Funkzellenabfragen zustande kommen. Der personelle Aufwand für solche Angaben sei zu groß, argumentieren die Staatsanwaltschaften. So erfährt die Öffentlichkeit auch im Fall der 315.000 erfassten Handynummern aus dem Sommer 2017 nicht, inwieweit dadurch eine Straftat aufgeklärt wurde.

Das Diagramm zeigt: In den letzten drei Jahren hatte sich die Zahl an Funkzellenabfragen stetig erhöht. Dieser Trend hat sich im Jahr 2017 nicht fortgesetzt. Erstmals sinkt die Anzahl an Abfragen etwas – die Zahl der Ermittlungsverfahren bleibt auf dem gleichen Niveau. (Für 2014 gibt es lediglich Zahlen über die Ermittlungsverfahren.)

Einbrüche, Diebstahl, Raub

Die Berliner Polizei hat Funkzellenabfragen im letzten Jahr vor allem nach Einbrüchen, Diebstählen und Raub eingesetzt. Mehr als die Hälfte aller Abfragen findet demnach für Diebstahldelikte statt. Obwohl die Funkzellenabfrage laut Gesetz nur bei schweren Straftaten durchgeführt werden darf, die noch dazu auch im Einzelfall von erheblicher Bedeutung sein muss, bleibt sie alltägliches Ermittlungsinstrument, das routinemäßig eingesetzt wird. Im Vergleich zum Vorjahr fällt auf: Die Polizei setzt Funkzellenabfragen zunehmend auch bei Wohnungseinbrüchen ein. Die Zahl der abgefragten Funkzellen aufgrund des Straftatbestands des Wohnungseinbruchsdiebstahls hat sich verfünffacht. Das dürfte an einer Gesetzesänderung im Sommer 2017 liegen, die den Einsatz der Ermittlungsmethode deutlich vereinfacht hat.

Benachrichtigungsportal startet bald

Laut Gesetz müssen Betroffenen über die Erfassung ihrer Handydaten in einer Funkzellenabfrage informiert werden. In der Praxis halten sich die Staatsanwaltschaften daran nicht – selbst dann, wenn Bürgerinnen und Bürger das schriftlich verlangen. Die Polizeien argumentieren häufig, die Betroffenen seien überhaupt nicht an einer Information interessiert und der Aufwand dafür sei unverhältnismäßig hoch.

Zumindest in Berlin soll sich das bald ändern: In den nächsten Wochen soll ein Benachrichtigungsportal im Probebetrieb starten, kündigte Justizsenator im Interview mit netzpolitik.org an. „Wenn der Staat mit geheimen Maßnahmen überwacht, muss er es wenigstens hinterher offenlegen“, sagte Behrendt.

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6 Ergänzungen

    1. Weil es dabei um retrograde Verbindungsdaten und Standortdaten geht. Die dürfen nicht mit Funkzellenabfragen verwechselt werden

  1. Wenn ich die Zahl derjenigen sehe, die personalisiert worden sind, wo also personenbezogene Daten nach dem Datenschutzgesetz erhoben wurden, so komme ich auf eine marginale Zahl, zwei Nullen nach dem Komma. Die anderen sind anonyme Daten, in ihren Persönlichkeitsrechten eigentlich gar nicht betroffen. Also Kirche im Dorf lassen. Ach ja, jede Funkzellenerhebung hat ein Richter angeordnet.

    1. Richtig. Wir bewegen uns hier mit Personendaten im Promillebereich. Also alles gut.

  2. Bitte zum Vergleich die Anzahl der erfassten Handydaten der privaten App-Anbieter, der Social Media Giganten und anderer Schnüffelfreunde hinzufügen.

    So ist das doch immer zu einseitig.

    Als Anregungen:

    https://t3n.de/news/facebook-google-daten-nutzer-1002195/
    https://www.futurezone.de/apps/article212977271/Lauschangriff-Spiele-Apps-schnueffeln-ihre-Nutzer-aus.html
    https://allfacebook.de/toll/state-of-facebook

    100 Milliarden Datensätze pro Tag Whatsapp für Facebook.

    Was die Mobil-Telefonanbieter so treiben? Na, die leben sogar von deinem Datenvolumen O_O Sie wissen alles über dein Surfverhalten o-O deine Bewegungsprofile O.O – Die verzichten auf das Datengeschäft?
    Wohl kaum … sie mögen ihren Datenschatz selbst hüten und nicht mal mit dem Staat teilen wollen, aber verzichten? Löschen?
    Muss sich jeder beantworten.

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