Entwicklungsministerium: Löschen statt offenlegen

Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit will einen alten Terminkalender seines Ministers nicht herausgeben. Die Bundesbeauftragte für Informationsfreiheit schaltet sich ein – und das Ministerium löscht die Daten einfach.

Ein Kalender

In diesen Wochen jähren sich die sogenannten Bundeslöschtage zum zwanzigsten Mal. Der scheidenden Regierung von Helmut Kohl wurde 1998 vorgeworfen, systematisch Akten vernichtet zu haben, darunter Dokumente zu Privatisierungen und Rüstungsexporten. Auch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss brachte keine Klärung, strafrechtliche Ermittlungen wurden eingestellt. Die Vorgänge im Kanzleramt bleiben bis heute umstritten.

Mit jedem Regierungswechsel gehen seither immer wieder kleine Bundeslöschtage einher. Viele Löschungen von Daten geschehen nach den Regeln des Bundesarchivgesetzes: Amtliche Informationen, die das Bundesarchiv nicht in sein Archiv aufnehmen will, können in der Regel gelöscht werden. Aber auch ohne Erlaubnis des Bundesarchivs verschwinden offenbar Daten.

Anfrage, Vermittlung, Löschung

Ein Beispiel dafür ist das Entwicklungsministerium mit Sitz in Bonn. Dessen Chef, der CSU-Politiker Gerd Müller, weigerte sich im März diesen Jahres, eine Anfrage nach seinem Terminkalender aus der vergangenen Legislaturperiode zu beantworten. Denn für die Öffentlichkeit kann es von großem Interesse sein, welche Verbände und Lobbyisten ein Minister so trifft.

Doch das Ministerium weigerte sich: Aus den Daten des Kalenders ließe sich ein Bewegungsprofil des Ministers erstellen, das eine Gefahr für die Sicherheit von Müller darstellte, argumentierten die Beamten.

Die Ablehnung an sich ist vielleicht rechtlich fragwürdig, aber nicht ungewöhnlich: Andere Ministerien wollen nicht mal Terminkalender von Ministern herausgeben, die inzwischen im Ruhestand sind. Eine grundsätzliche Klärung der Frage, ob Terminkalender herausgegeben müssen, steht noch aus.

Daten weg, keine Vermittlung mehr

Ungewöhnlich ist aber, was dann passierte: Nachdem die Bundesbeauftragte für Informationsfreiheit um Vermittlung gebeten wurde, befasste sich das Ministerium offenbar nochmals mit der Frage – und löschte den Terminkalender einfach. Die Bundesbeauftragte für Informationsfreiheit teilte daraufhin mit, sie sei mit dem Vorgehen des Ministeriums nicht einverstanden. Während einer laufenden Vermittlung sollten Daten nicht gelöscht worden. Da die Daten aber nun einmal gelöscht worden seien, sei auch das Informationsfreiheitsgesetz nicht mehr anwendbar. Eine Wiederbeschaffungspflicht von gelöschten Daten gebe es nicht, die Vermittlung sei beendet.

Dass die Beauftragte für Informationsfreiheit das Vorgehen des Entwicklungsministeriums letztlich hinnimmt, wirft ein schlechtes Licht auf fehlende Befugnisse der Behörde. Für das Ministerium könnte der Fall damit aber politisch trotzdem noch nicht abgeschlossen sein. Denn möglicherweise handelte es mit der Löschung rechtswidrig, weil es die Daten nicht dem Archiv anbot.

Unterlagen müssen dem Bundesarchiv angeboten werden

Wie uns das Bundesarchiv mitteilte, lässt das Bundesarchivgesetz „keinen Raum für die Löschung von Unterlagen statt einer Anbietung an das Bundesarchiv“. Lediglich in Bezug auf die Frage, ob ein Terminkalender in elektronischer oder papierner Form überhaupt aktenrelevant ist, könne es unterschiedliche Meinungen geben. Das Bundesarchiv spricht von einer „Grauzone“. Ein dienstlicher Terminkalender habe eher den Charakter eines Verwaltungshilfsmittels, dem Archivare im Regelfall keinen bleibenden Wert zumessen würden.

Journalisten sehen das aber durchaus anders. Welche Termine Gerd Müller in seinem Kalender stehen hatte, bleibt wohl jetzt für immer verborgen. Es sei denn, es finden sich noch Kopien der Daten – vielleicht ja bei Mitarbeitern seiner Behörde. Das Entwicklungsministerium reagierte nicht auf eine Anfrage nach einer Bewertung des Vorgangs.

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12 Ergänzungen

  1. „Es sei denn, es finden sich noch Kopien der Daten – vielleicht ja bei Mitarbeitern seiner Behörde“

    Hättet ihr diesen Aufruf zum Whistleblowing nicht ein bisschen subtiler ausdrücken können? Da fehlte ja nur noch der Satz: „Wir freuen uns über Datenspenden.“

  2. „.. Entwicklungsministerium mit Sitz in Bonn. Dessen Chef, der CSU-Politiker ..“

    Oh mein Gott… Ach du liebe Güte .. Noch gruseliger in nur einem Satz…

    „Da die Daten aber nun einmal gelöscht worden seien, sei auch das Informationsfreiheitsgesetz nicht mehr anwendbar.“

    Gilt das Informationsfreiheitsgesetz nur bis zum Windows-Papierkorb (Bonn), oder bis die Festplatte komplett mit Nullen (CSU) überschrieben wurde? :P

  3. Wir brauchen dringend eine völlig transparente Politik und Wirtschaft.
    Alle Entscheidungen, alle Treffen, alle Gesetzesentwürfe, Finanzierungen usw. müsse für jede* jederzeit einsehbar sein und unendlich archiviert werden!
    Es stellt kein Problem dar die Daten von Millionen von Menschen abzufangen auszuwerten und zu speichern, wohl aber bereits bekannte Datenverknüpfungen von Leuten welche diese Menschen politisch verteten sollen aufzubewahren und transparent zu machen?
    Ein Witz!
    Das ist nichts weiter als ein „Fuck You“ seitens der herrschenden in Richtung der Demokratie!

    https://de.wikipedia.org/wiki/Open_Government

    https://de.wikipedia.org/wiki/Transparenzregister

  4. Offenbar hat die Exekutive völlige Narrenfreiheit. Es wäre dringend geboten, den Straftatbestand des Amtsmißbrauch wieder einzuführen, er wurde bekanntermaßen von den Nazis gestrichen. Dann machen sich Admins wie deren Vorgesetze für solches Vorgehen hoffentlich strafbar und überlegen sich künftig, was sie löschen oder nicht.

  5. … es wäre eine weniger als unzureichende Backup-Strategie, wenn online geführte Kalender, falls sie gelöscht werden, nicht aus dem Backup wieder hergestellt werden können.
    Warum eine (relativ) einfache Wiederherstellung gelöschter Daten zur Erfüllung der Absicht des Informationsfreiheitsgesetzes nicht zumutbar sein soll, das erschließt sich mir hier nicht. Es handelte sich hierbei nicht um eine komplexe Aufgabe im Sinn einer forensischen Arbeit (Wiederherstellung), sonder um den als gewöhnlich anzusehenden Vorgang der Herstellung einer erneuten Kopie.
    Warum eine bloße Behauptung (im Gegensatz zur Darlegung eines geeigneten Beweises durch Befugte), die Daten seien (vollständig) gelöscht, hier überhaupt ausreichen soll, ist mir nicht verständlich.

  6. Auch ein Minister ist ein Bürger und hat als solcher das Recht auf Datenschutz.

    Eure Forderung nach totaler Transparenz muss dazu führen, dass er zwei Kalender führt, einen persönlichen und einen dienstlichen. Wie schwierig das ist, kennt man aus der Diskussion um die Dienstwagennutzung. Wer den Dienstwagen nicht privat nutzen darf, braucht keinen. Denn selbstverständlich fährt man nach einem dienstlichen Termin gelegentlich auch zu einem privaten. Genauso verhält es sich mit dem Kalender. Da gibt es auch private Termine und private Termine mit dienstlichem Bezug. Letztere sind übrigens die erfolgreichsten.

    Für Menschen, die politisch erfolgreich agieren gibt es die zwingende Notwendigkeit, Gesprächspartner zu kontaktieren, ohne das Dritte davon erfähren. Nur so können Verhandlungen erfolgreich sein. Soviel Vertrauen muss Mandatsträgern eingeräumt werden. Dafür haben wir sie gewählt! Ohne Vertrauen funktioniert keine Demokratie. Andernfalls vernichten Spekulationen, Polemik und Rechtfertigungsdruck das Gesprächergebnisse von vornherein.

    Man könnte erwägen, solche Kontakte nachträglich öffentlich zu machen, um rückwirkend den politischen Prozess nachzuverfolgen. Dazu braucht es einer Geheimhaltungsfrist. Ich halte eine Legislaturperiode für angemessen halten.

  7. Das ist aber auch wirklich ärgerlich.

    Wenn man die gelöschten Daten nur irgendwie wiederherstellen könnte.

    Gibt es da jetzt nicht eine Behörde, die so etwas kann?

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.